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Die Bundesregierung will mehr Ärzte in ländliche Regionen locken. Der dazu von ihr vorgelegte Gesetzentwurf (17/6906, 17/7274) zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird am Donnerstag, 1. Dezember 2011, von 9 Uhr an in einer eineinhalbstündigen Debatte abschließend beraten. Der Entwurf reagiert darauf, dass es in vielen ländlichen Regionen bereits heute oder absehbar zu wenige Ärzte gibt. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung mussten beispielsweise im vergangenen Jahr 420 Hausarzt- und 32 Kinderarztpraxen schließen, weil kein Nachfolger gefunden werden konnte. Abgestimmt wird im Plenum zudem über Anträge der Fraktionen Die Linke (17/3215, 17/7460) und Bündnis 90/Die Grünen (17/7190).
Zur Abstimmung liegen eine Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (17/8005) sowie Entschließungsanträge von CDU/CSU und FDP (17/8009) sowie der SPD (17/8010) vor. Die Koalition appelliert unter anderem an die Ländern, das Auswahlverfahren für die Zulassung zum Medizinstudium so weiterzuentwickeln, dass neben der Abiturnote weitere Kriterien stärker als bisher genutzt werden können. Die SPD fordert, es dürfe nicht um Besitzstände von Kassenärztlichen Vereinigungen, niedergelassenen Ärzten oder Krankenhäusern gehen, sondern um den Nutzen für Patientinnen und Patienten.
Kernpunkt des von den Koalitionsfraktionen geänderten Regierungsentwurfs sind Anreize für Mediziner, sich in unterversorgten Regionen neu niederzulassen oder Praxen zu übernehmen. Ärzte, die aufs Land ziehen, sollen demnach mehr verdienen als ihre Kollegen in Städten. Die Regierung rechnet mit jährlichen Mehrkosten in Höhe von 200 Millionen Euro für die GKV. Vom Jahr 2013 an kommen dem Entwurf zufolge jährlich 120 Millionen Euro aufgrund der ebenfalls vorgesehenen Reform der vertragszahnärztlichen Vergütung hinzu. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2012 in Kraft treten.
Um eine wohnortnahe, flächendeckende medizinische Versorgung sicherzustellen, sollen Landärzte von Maßnahmen der Budgetbegrenzung ausgenommen werden. Normalerweise müssen Ärzte Honorarabschläge hinnehmen, wenn in ihrer Praxis eine bestimmte Zahl an Behandlungen überschritten wird. Davon sollen nun Mediziner, die sich in unterversorgten ländlichen Gebieten niederlassen, befreit werden.
Die Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) sollen die Möglichkeit erhalten, einen Strukturfonds einzurichten, in den 0,1 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung und ergänzend eine entsprechend gleich große Summe der Krankenkassen einfließen. Aus diesem Strukturfonds können die KVen „flexibel und ungebunden gezielte Maßnahmen für die Niederlassung ergreifen und finanzielle Anreize setzen“, heißt es in dem Entwurf weiter.
Schrittweise eingeführt werden soll eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung. Dazu sollen die Möglichkeiten von Kliniken, Patienten mit komplexen Krankheiten wie Krebs, Aids oder Multipler Sklerose auch ambulant zu behandeln, erweitert werden. Krankenhausärzte sowie niedergelassene Fachärzte sollen unter gleichen Qualifikationsvoraussetzungen und einheitlichen Bedingungen Patienten mit seltenen Krankheiten oder besonderen Krankheitsverläufen versorgen, heißt es dazu im Gesetzentwurf.
Weiter entwickelt werden soll die sogenannte Bedarfsplanung. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass je nach Region die unterschiedliche Alterszusammensetzung der Bevölkerung, der so genannte Demografiefaktor, berücksichtigt werden muss. Ferner müssen die einzelnen Planungsbereiche künftig nicht mehr automatisch den Stadt- und Landkreisen entsprechen, sondern werden bedarfsgerecht neu festgelegt.
Der Versorgungsstrukturgesetzentwurf sieht zudem vor, die Überversorgung mit Ärzten vor allem in Großstädten zu verringern. Die Möglichkeit der KVen, den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt finanziell zu fördern, soll erweitert werden. Ferner soll die Nachbesetzung frei werdender Praxen in überversorgten Regionen erschwert werden. Als überversorgt gilt ein Gebiet, in denen die Anzahl der Ärzte auf 100.000 Einwohner den Richtwert um zehn Prozent übersteigt. Auf viele Städte trifft dies zu.
Die Regierung plant mit dem Versorgungsstrukturgesetzentwurf zudem eine Stärkung des Rechts der Versicherten, nach einer Kasseninsolvenz eine neue Krankenkasse zu wählen. Liegen der Aufsichtsbehörde Anhaltspunkte vor, dass eine Neumitgliedschaft rechtswidrig abgelehnt oder erschwert wird, „hat sie diesen Anhaltspunkten unverzüglich nachzugehen und die Krankenkasse zur Behebung“ zu verpflichten, heißt es in der Vorlage. Die Verpflichtung soll mit der Androhung eines Zwangsgeldes von bis zu 50.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung verbunden werden.
Ziel der Regierung ist es ferner, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Künftig sollen sich Vertragsärztinnen nach einer Geburt nicht mehr nur sechs, sondern zwölf Monate lang vertreten lassen können.
Außerdem ist in dem Entwurf vorgesehen, für die Erziehung von Kindern bis zu 36 Monate einen sogenannten Entlastungsassistenten, also einen zweiten in der Praxis tätigen Arzt, zu beschäftigen.
Für die Pflege von Angehörigen ist eine sechsmonatige Auszeit mit Vertretung geplant. Außerdem soll die Residenzpflicht entfallen. Landärzte müssen dann nicht mehr dort wohnen, wo sie praktizieren, sondern können auch in der Stadt leben.
Der Gesundheitsausschuss hat den Gesetzentwurf am 30. November in geänderter Fassung gegen die Stimmen der Opposition angenommen, die Oppositionsanträge fanden keine Mehrheit. Den gesamten Bereich ambulanter Operationen hat die Koalition aus der „ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung“ gestrichen. Insbesondere die Länder hatten hier Bedenken geäußert, die Kosten könnten explodieren.
Auf Wunsch des Bundesrates wurde im Gesetzentwurf zudem ergänzt, dass die Auswirkungen dieses Gesetzesteils fünf Jahre nach Inkrafttreten evaluiert werden soll. Zu bewerten seien insbesondere der Stand der Versorgungsstruktur, der Qualität sowie der Abrechnung der Leistungen.
Neu eingeführt werden soll dem geänderten Entwurf zufolge auch eine bundesweit einheitliche Notdienstrufnummer. Wer außerhalb der Sprechzeiten dringend einen Arzt braucht, kann künftig die Nummer 116 117 wählen. Darüber hinaus wollen CDU/CSU und der FDP die zahnärztliche Versorgung von pflegebedürftigen und behinderten Menschen verbessern, die nicht in der Lage sind, selbst eine Zahnarztpraxis aufzusuchen. Zusätzlich zum Wegegeld soll dem geänderten Gesetzentwurf zufolge „das Aufsuchen“ der entsprechenden Patienten extra honoriert werden.
Eine Änderung des Gesetzentwurfs betrifft die Auskünfte an Versicherte über abgerechnete Kosten für Behandlungen. Auf Antrag der Versicherten sollen die gesetzlichen Krankenkassen diese „über die in einem Zeitraum von mindestens 18 Monaten“ in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten unterrichten. Die Unterrichtung könne auch online erfolgen, hieß es in der Ausschusssitzung. (mpi)