Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > November 2010 > Experten äußerten unterschiedliche Meinungen zur Reform der Sicherungsverwahrung
Berlin: (hib/BOB/KT) Ein geteiltes Echo löste der von den Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP vorgelegte Gesetzentwurf zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung (17/3403) bei Sachverständigen aus. Auf einer Anhörung am Mittwochvormittag betonten alle neun Experten die Notwendigkeit einer Reform – wie diese allerdings aussehen soll, darüber gingen die Meinungen auseinander.
Als zustimmungswürdig bezeichnete Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, die vorgesehene Reform. Angesichts der herrschenden Unsicherheit und Uneinigkeit der Obergerichte über Reichweite und Wirkung, insbesondere der nachträglichen Sicherungsverwahrung, nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei der Gesetzentwurf der Regierungsparteien bereits deswegen zu begrüßen, weil hierdurch wieder ”ein klares Entscheidungsschema und neue klare Anordnungsgrundsätze durch den Gesetzgeber vorgegeben werden“. Andreas Heuer, Leitender Oberstaatsanwalt aus Osnabrück, begrüßte den Gesetzentwurf ebenfalls: Dieser bringe ein neues Gesamtsystem der Sicherungsverwahrung, das anstelle der über Jahre nach und nach überarbeiteter und hinzugefügter Regelungen trete.
Auch Professor Henning Radtke von der Universität Hannover bewertete das Vorhaben der Koalitionsfraktionen positiv: Der Gesamtkonzeption des Gesetzentwurfs sei in ihren wesentlichen Zügen zuzustimmen. Durch die weitgehende Aufgabe der bisherigen nachträglichen Sicherungsverwahrung eventuell zu befürchtenden Lücken des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern würden durch die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu einem Teil aufgefangen.
Die Sicherungsverwahrung gehört auf den Prüfstand!“, so äußerte demgegenüber Rechtsanwalt Sebastian Scharmer aus Berlin, der das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen vertrat. Es habe keine kriminalpolitische Notwendigkeit. Mit einer frühzeitig begonnenen Sozialtherapie könnte die Gefahrenprognose bereits während des Vollzuges der Strafhaft grundlegend verbessert werden. Professor Jörg Kinzig von der Eberhard Karls Universität Tübingen schlug demgegenüber vor, die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und Sexualstraftäter zu konzentrieren.
Kritik gab es an dem von Union und Liberalen vorgesehenen Therapieunterbringungsgesetz (ThUG). So äußerte zum Beispiel Professor Joachim Renzikowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegen die vorgeschlagene Vorschrift ”erhebliche Bedenken“. Aus der Gefährlichkeit des Täters könne nicht automatisch auf die Geisteskrankheit geschlossen werden. Und Professor Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisberg-Essen, betonte, es sollten Straftäter, die als voll schuldfähig begutachtet und verurteilt worden seien, nunmehr in die Obhut einer medizinisch orientierten Einrichtung zur Behandlung psychischer Störungen gebracht werden.
Der Sachverständige unterstrich, die Unterbringung erfolge nicht etwa deshalb, weil man bemerkt habe, dass die vorhergehende Einschätzung falsch gewesen sei, sondern weil die Betroffenen weiter als gefährlich gälten und man keine andere Chance mehr sehe, sie weiterhin in strafrechtlicher Obhut festzuhalten. Die sei der ”Versuch, die Psychiatrie als Ersatzreserve für das Strafrecht“ zu nutzen. Leygraf äußerte die Hoffnung, dass die Einführung dieses Gesetzes alleine schon an rechtlichen Erwägungen scheitere.
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