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Der Bundestag hat am Freitag, 29. Juni 2012, dem Fiskalpakt zugestimmt. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde damit deutlich übertroffen. Mit 491 Ja-Stimmen bei 111 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen stimmte das Parlament dem Gesetzentwurf von Union und FDP zum Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag, 17/9046) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (17/10125, 17/10171) zu.
Vorangegangen waren eine Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zur Schaffung einer Stabilitätsunion und eine zweistündige kontroverse Aussprache dazu. Mit 493 Ja-Stimmen bei 106 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen billigte der Bundestag auch den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (17/9045) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (17/10126, 17/10172).
Mit breiter Mehrheit verabschiedeten die Abgeordneten ferner den Gesetzentwurf von Union und FDP zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (17/9048) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (17/10126, 17/10172). 497 Abgeordnete votierten für, 101 gegen dieses Gesetz, fünf enthielten sich. Schließlich nahm der Bundestag auf Empfehlung des Europaausschusses (17/10159) auch den Gesetzentwurf der Koalition zum Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Euro-Staaten (17/9047) an. 504 Abgeordnete stimmten ihm zu, 97 lehnten ihn bei einer Enthaltung ab.
Die Koalitionsfraktionen und die beiden Oppositionsfraktionen SPD und Bündnis 90/die Grünen warben in der Debatte eindringlich für den weiteren Ausbau des Friedensprojekts Europa und zeigten sich optimistisch, dass die Schuldenprobleme bewältigt werden können. Angela Merkel sagte nach ihrer Rückkehr vom EU-Gipfel in Brüssel, die Zustimmung des Parlaments zum Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt sei ein "Signal für Europa".
SPD-Chef Sigmar Gabriel wischte Kritik an hohen Kosten und Bürgschaften für die Euro-Währung beiseite, indem er feststellte, die Deutschen seien keine Verlierer, sondern "Netto-Gewinner der Europäischen Union". Während der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle die "Stabilitätsarchitektur" in Europa lobte, appellierte der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, dieses Europa als "Grundlage für Frieden und Demokratie" zu bewahren.
Zuvor hatte Dr. Dagmar Enkelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, vergeblich die Absetzung von Debatte und Abstimmungen verlangt. Sie erklärte, die Rechte des Parlaments würden "mit Füßen getreten". Dass der vom Bundestag noch nicht einmal beschlossene ESM-Vertrag schon wieder geändert werden solle, sei "Arroganz der Macht".
Im Namen aller anderen Fraktionen entgegnete Michael Grosse-Böhmer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Europa warte auf ein Zeichen aus Deutschland, und es wäre ein "falsches Signal", wenn es dies heute nicht bekäme. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert erinnerte daran, nichts von dem, was in Brüssel beschlossen worden sei, stehe jetzt im Bundestag zur Entscheidung an.
Merkel sprach von einem "wegweisenden Integrationsschritt". Die Verabschiedung des Gesetzespaketes wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen: "Doch so undenkbar es war, so notwendig ist es gleichzeitig." Unsolides Haushalten nur eines Staates könne die Finanzstabilität der ganzen Eurozone gefährden. "Dem muss Einhalt geboten werden", verlangte die Kanzlerin. Der Fiskalpakt mache den eingeschlagenen Weg "unumkehrbar".
Merkel versicherte, Hilfen aus dem Rettungsschirm ESM würden nur gewährt, wenn der Fiskalpakt durch das Empfängerland eingehalten werde. Es gebe eine "rechtliche Verknüpfung zwischen Solidität und Solidarität". Der Bundestag sende parteiübergreifend ein wichtiges Signal der Geschlossenheit und Entschlossenheit nach innen und nach außen aus, die Krise zu überwinden. "Mit diesen Verträgen machen wir unumkehrbare Schritte hin zu einer nachhaltigen Stabilitätsunion." Merkel betonte die Wichtigkeit des beschlossenen Wachstumspaktes und verwies darauf, dass neun Länder zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer bereit seien." Die Wirtschafts- und Währungsunion sei noch nicht vollendet: "Es müssen mehr folgen", sagte die Kanzlerin.
Gabriel zeigte sich erfreut, dass die Finanztransaktionssteuer endlich auf den Weg gebracht worden sei. Diese Steuer und auch der Wachstumspakt würden ohne SPD und Grüne nicht kommen. Zu den von Union und FDP abgelehnten Eurobonds (Anleihen mit gemeinsamer Haftung) sagte Gabriel: "Es gibt sie, die Eurobonds, nur heimlich." Die Europäische Zentralbank (EZB) habe eine Billion Euro zur Staatsfinanzierung ausgegeben.
Deutschland hafte hierfür mit 400 Millionen Euro. Trotz Zustimmung seiner Fraktion zu dem Europa-Paket sparte Gabriel nicht mit Kritik. Merkels Bilanz des Krisenmanagements sei "verheerend". Man sei immer tiefer in die Krise gerutscht.
Auch Trittin erklärte, Merkel habe mit ihrem zögerlichen Verhalten zur Vertrauenskrise des Euro beigetragen. Es dürften nicht ständig neue "rote Linien" gezogen werden, die dann doch überschritten würden. Wer die Zinsbelastungen in Europa senken wolle, müsse zu einem gemeinsam organisierten Schuldenabbau kommen, wie ihn auch der deutsche Sachverständigenrat vorschlage. Doch dagegen wehre sich Merkel "mit Händen und Füßen".
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) erklärte zur Frage der gemeinsamen Haftung für Schulden: "Eurobonds will ich auch zu meinen Lebezeiten nicht haben."
Auch Brüderle versicherte, es werde keine Eurobonds geben. Zur Kritik an dem Paket und den angekündigten Klagen vor dem Verfassungsgericht sagte Brüderle: "Wir ändern keinen Grundgesetzartikel, aber wir ändern die innere Verfasstheit unserer Republik."
Davon werde auch das Haushaltsrecht berührt, das aber nicht leichtfertig verpfändet werde. "Wir wollen einen europäischen Kronschatz daraus machen", versprach Brüderle.
Hart ins Gericht mit Fiskalpakt und ESM ging Sahra Wagenknecht (Die Linke), die von einem "kalten Putsch gegen das Grundgesetz" sprach. Europa habe einmal ein Projekt des Friedens und der Demokratie werden sollen. Heute gebe es ein Projekt zur Zerschlagung der Demokratie, das der Ausplünderung der europäischen Staaten diene. Man habe es nicht mit einer Staatsschuldenkrise, sondern mit einer Bankenkrise zu tun. Wagenknecht warf den anderen Fraktion vor, nicht den Euro zu retten, sondern die Euros der Millionäre. "Das, worüber wir heute entscheiden, ist kein Putsch gegen die Verfassung", widersprach Trittin der Linken-Abgeordneten.
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder bezeichnete den Fiskalpakt als Vertrag auf dem Weg in eine gute Zukunft für Europa. Kauder mahnte aber auch, "dass wir in Europa, wenn wir etwas miteinander vereinbaren, dies auch einhalten müssen". Auch Geld ohne Gegenleistung dürfe es nicht geben.
Einer der Kritiker des ESM und Fiskalpaktes, Frank Schäffler (FDP-Fraktion), warnte vor einem "zentralistischen Superstaat". Wer das wolle, müsse das Volk fragen. Er warnte vor dem Schließen von Verträgen, an die sich dann keiner halte. Schäffler: "Wir legen heute die Lunte an das Haus Europa."
Beim Fiskalpakt verpflichten sich die Vertragsparteien, verbindliche und dauerhafte Regelungen in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung vorzusehen, um ausgeglichene Haushalte zu erreichen. Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen zudem ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftprogramm auflegen, das von Rat und EU-Kommission genehmigt und überwacht wird.
Eine nachhaltige Haushaltspolitik und gesunde Staatsfinanzen in den Mitgliedsstaaten des Euro-Währungsgebietes seien angesichts der umfassenden politischen und volkswirtschaftlichen Abhängigkeiten unabdingbar, schreiben die Fraktionen im Gesetzentwurf (17/9046, 17/10125, 17/10171) zur Begründung.
Zur Einrichtung (17/9045, 17/10126, 17/10172) und zur Finanzierung (17/9048, 17/10126, 17/10172) des Rettungsschirms ESM heißt es, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise strukturelle Probleme im Euroraum (zu hohe Staatsverschuldung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Staaten) ebenso schonungslos offengelegt habe wie grundlegende Mängel in der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion. Nach Angaben der Regierung liegt die Haftungsobergrenze für Deutschland inzwischen bei 310,3 Milliarden Euro.
Der Bundestag nahm einen Entschließungsantrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (17/10152) zum Fiskalvertrag an und lehnte Entschließungsanträge von 76 Abgeordneten der Linksfraktion (17/10153) sowie von der Fraktion der Grünen (17/10212) dazu ab. Ebenso abgelehnt wurden Änderungsanträge der SPD (17/10213), der Grünen (17/10209, 17/10210) sowie von zwölf Abgeordneten von CDU/CSU und FDP (17/10211) zum ESM-Vertragsgesetz.
Keine Mehrheit fanden schließlich Anträge der Linksfraktion (17/9147, 17/9146, 17/9148; 17/9410, 17/9791). Die wortgleichen Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu den beschlossenen Fraktionsgesetzentwürfen erklärte der Bundestag für erledigt (17/9667; 17/9370, 17/9670; 17/9372, 17/9671; 17/9373, 17/9670). (hle)