Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Protokolle > Tagesaktuelles Plenarprotokoll > Tagesaktuelles Plenarprotokoll der 217. Sitzung vom 17. Januar 2013
**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****
*** bis 13.15 Uhr ***
Deutscher Bundestag
217. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
Beginn: 9.00 Uhr
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und fange dabei mit den Schriftführerinnen an.
Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten, gibt es eine Reihe von Geburtstagen zu würdigen. Heute begeht die Kollegin Dr. Rosemarie Hein ihren 60. Geburtstag, zu dem ich ihr ganz herzlich gratulieren möchte.
Das krönt gewissermaßen die Reihe der Geburtstage, die in der Weihnachtspause und unmittelbar danach stattgefunden haben: am 20. Dezember die Kollegin Marlene Rupprecht, am selben Tag die Kollegin Lena Strothmann und am 29. Dezember die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. Sie alle haben ihren 60. oder 65. Geburtstag gefeiert. Wer dies ganz präzise haben möchte, den verweise ich auf den Kürschner, in dem Sie all die Informationen finden, wenn Sie diese nicht ohnehin im Kopf haben.
- Ich bin noch nicht durch. - Am 31. Dezember hat der Kollege Klaus Hagemann seinen 65. Geburtstag gefeiert, am 6. Januar der Staatsminister Bernd Neumann seinen 71., am 7. Januar der Kollege Bernd Scheelen seinen 65., am 12. Januar der Kollege Friedrich Ostendorff seinen 60., am 13. Januar der Kollege Norbert Geis seinen 74. und gestern der Kollege Gregor Gysi seinen 65. Geburtstag.
Ihnen allen einzeln und gemeinsam alle denkbar guten Wünsche für das neue Lebensjahr. Wir freuen uns auf eine weitere gute, bewährte und hinreichend eingeübte Zusammenarbeit.
Der Kollege Fritz Kuhn hat, wie den meisten von Ihnen aufgefallen sein wird, eine neue Aufgabe übernommen
und deswegen mit Wirkung vom 7. Januar 2013 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Ich habe mir fast gedacht, dass die Begeisterung über die beiden Hälften dieser Mitteilung unterschiedlich ausfällt.
Für ihn ist die Kollegin Susanne Kieckbusch nachgerückt, die ich herzlich begrüße.
Auch der Kollege Christian Ahrendt, der zum Bundesrechnungshof gewechselt ist, hat mit Wirkung vom 8. Januar 2013 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. An seiner Stelle begrüße ich als neuen Kollegen Hagen Reinhold in der FDP-Fraktion.
Ihnen beiden ein herzliches Willkommen und gute Zusammenarbeit.
Schließlich möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 24 abzusetzen. Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend vor.
Außerdem soll die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte erweitert werden:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP:
Steuerbeschlüsse der SPD sowie Steuererhöhungspläne des SPD-Kanzlerkandidaten und ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf die Frage 8 auf Drucksache 17/12041
(siehe 216. Sitzung)
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen
- Drucksache 17/12060 -
Beschlussfassung/Überweisung
ZP 4 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012
- Drucksachen 17/10059, 17/11093, 17/11096, 17/11635, 17/11693, 17/11840 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Oppermann
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts
- Drucksachen 17/10774, 17/11180, 17/11189, 17/11217, 17/11634, 17/11694, 17/11841 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression
- Drucksachen 17/8683, 17/9201, 17/9202, 17/9644, 17/9672, 17/11842 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden
- Drucksachen 17/6074, 17/6251, 17/6358, 17/6360, 17/6584, 17/7544, 17/11843 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen)
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Jahressteuergesetz 2013
- Drucksachen 17/10000, 17/10604, 17/11190, 17/11191, 17/11220, 17/11633, 17/11692, 17/11844 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Oppermann
ZP 5 Vereinbarte Debatte
zu steuerpolitischen Beschlüssen
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben
- Drucksache 17/12063 -
Überweisungsvorschlag:
A. f. Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
A. f. Wirtschaft und Technologie
A. f. Arbeit und Soziales
A. f. Gesundheit
A. f. Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
A. f. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
A. f. die Angelegenheiten der Europäischen Union
A. f. Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen - Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit
- Drucksachen 17/8581, 17/12092 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer
Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich darf ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam machen:
Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts
- Drucksache 17/11468 -
Überweisungsvorschlag:
A. f. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
A. f. Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
A. f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
A. f. Tourismus
A. f. Kultur und Medien
Ich frage Sie, ob Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Dann haben wir eine einvernehmliche Tagesordnung.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Sie über eine weitere Veränderung in Kenntnis setzen. Mit Beginn des Jahres hat Herr Dr. Risse die Position des Direktors beim Deutschen Bundestag eingenommen.
Den meisten wird er hinreichend bekannt sein; aber wir begrüßen ihn heute das erste Mal in dieser neuen Aufgabe und freuen uns auf die Zusammenarbeit.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie
Jahreswirtschaftsbericht 2013 - Wettbewerbsfähigkeit - Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2013 der Bundesregierung
- Drucksache 17/12070 -
Überweisungsvorschlag:
A. f. Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
A. f. Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
A. f. Arbeit und Soziales
A. f. Familie, Senioren, Frauen und Jugend
A. f. Gesundheit
A. f. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
A. f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
A. f. Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
A. f. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
A. f. Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresgutachten 2012/13 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 17/11440 -
Überweisungsvorschlag:
A. f. Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
A. f. Arbeit und Soziales
A. f. Gesundheit
A. f. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
A. f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
A. f. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
A. f. Tourismus
A. f. die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Debattenzeit von 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Schauen wir uns die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts doch einfach einmal an:
0,7 Prozent Wachstum waren im letzten Jahr zu verzeichnen, und das, obwohl die Wirtschaft im übrigen Teil der Euro-Zone seit mehr als vier Quartalen schrumpft.
Wir liegen damit bei den Wachstumswerten europaweit an der Spitze.
In der Folge gibt es mehr Chancen für mehr Menschen, Rekordbeschäftigung, höhere Einkommen, niedrigere Schulden.
Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es ist kein Zufall, dass Deutschland europaweit am besten durch die Krise gekommen ist. Es ist kein Zufall, dass wir wirtschaftlich gut dastehen. Es ist auch kein Zufall, dass jeden Tag neue Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das ist ein Verdienst der Menschen in unserem Lande, aber es ist auch ein Verdienst der Politik dieser Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP.
Während die Opposition ihre eigenen Leute und ihre eigenen Mitarbeiter mit Hausbesuchen beglückt, arbeiten Union und FDP weiter an der nächsten Etappe dieser deutschen Erfolgsgeschichte:
für die Unternehmen, auf dem Arbeitsmarkt, für die öffentlichen und für die privaten Haushalte. Ich sage Ihnen: Die deutsche Wirtschaft hat alle Chancen. Für das Jahr 2013 erwarten wir ein Wachstum von 0,4 Prozent.
Diese technische Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir für das Jahr 2013 natürlich ein starkes Wachstum und für das Jahr 2014 mit 1,6 Prozent ein noch viel stärkeres Wachstum erwarten. Auch in diesem und in den nächsten Jahren bleibt Deutschland der Stabilitätsanker in Europa und der Wachstumsmotor in Europa und für Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Warum haben wir reduzierte Wachstumszahlen? Der Grund dafür liegt allein in der Wachstumsdelle im Winterhalbjahr 2012.
Diese wiederum hat ihre Ursache zum einen in der weltwirtschaftlichen Lage, zum anderen aber auch in der Verunsicherung innerhalb der Euro-Zone.
Insofern ist es richtig, dass wir alles dafür tun, die Euro-Zone weiter zu stabilisieren.
Wenn Sie sich die entsprechenden Zahlen und die Stimmung auch auf den europäischen Märkten ansehen, dann werden Sie feststellen: Wir sind auf einem ausgesprochen guten Weg. Die Märkte fassen wieder Vertrauen in die Euro-Zone; das sieht man an den niedrigeren Zinsen. Vor allem aber fassen auch die Unternehmen und die Menschen wieder Vertrauen in unsere gemeinsame Währung. Das ist ein Verdienst unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, des Finanzministers Wolfgang Schäuble, aber auch der gesamten Regierungskoalition. Wir haben Schluss gemacht mit Schulden. Wir haben für einen neuen Stabilitätspakt, für eine Stabilitätsunion gesorgt.
Deswegen vertrauen die Menschen unserer gemeinsamen Währung, dem Euro.
Vergessen wir nicht, wie verheerend Ihre Europapolitik war: Sie waren es doch, die den Stabilitätspakt I willentlich aufgelöst haben. Jetzt wollen Sie eine Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds, und Sie wollen an die Einlagensicherung der kleinen Sparer in Deutschland gehen. Wenn wir uns Ihre Europapolitik ansehen, angefangen bei Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis hin zu Ihrer Trümmer-Troika, dann wissen wir doch eines: Die rot-grüne Europapolitik war auch das historische Versagen von Rot und Grün in Deutschland und in Europa.
Wir müssen und wir werden gemeinsam die Währung stabilisieren, und wir sind dabei auf einem guten Wege. Wir sind bereit, einen Preis dafür zu zahlen; denn wir alle kennen den Wert Europas für unser Land.
Den Preis, den die Sozialdemokraten offensichtlich gerne zahlen würden, sind wir aber nicht zu zahlen bereit: Das ist der Preis der Geldwertstabilität.
Eine Schwächung der Währung, Inflation, ein Zusammenbruch der Währung träfe nicht die Reichen und die Superreichen. Durch eine Inflation oder einen Zusammenbruch der Währung würde die Mitte in unserer Gesellschaft enteignet, diejenigen, die ihr Leben lang hart gearbeitet und sich für das Alter etwas zur Seite gelegt haben. Einer solchen Enteignung dürfen wir niemals zustimmen. Deswegen kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank.
Wir kämpfen
auch für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Die beste Basis für eine starke Wirtschaft
sind solide Haushalte im Bund und in den Ländern. Deswegen treten wir für eine wachstumsorientierte Konsolidierungspolitik ein. Wir sind dabei sehr erfolgreich.
Vier Jahre früher, als es die Schuldenregel vorgibt, haben wir im Rahmen der Schuldenbremse solide Haushalte auf den Weg gebracht.
Wir haben gemeinsam vor, für das Jahr 2014 einen strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Damit gerät das Ziel, das wir uns vorgenommen haben - einen ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2016 -, in greifbare Nähe. Das wäre dann, meine Damen und Herren, der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit mehr als 50 Jahren. Das zeigt die Solidität, die Stabilität in der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierungskoalition.
Schauen wir uns nun Ihre Politik an: Sie sind gegen eine Schuldenbremse in den Bundesländern. Das beste Beispiel ist Niedersachsen, wo die Sozialdemokraten gerade eine entsprechende Verfassungsänderung abgelehnt haben. In Nordrhein-Westfalen hat Rot-Grün gerade beschlossen, die Schuldenbremse bis zum Jahre 2020 nicht einhalten zu wollen. Das, meine Damen und Herren, ist Verfassungsbruch mit Ansage.
Die Schulden in Deutschland, die Schulden im Bund und in den Ländern, haben zwei Farben, nämlich Rot und Grün.
Sie belasten nicht nur die nachfolgenden Generationen, Sie wollen schon heute den Menschen in die Tasche greifen. Nach dem Steinbrück-Papier, nach den Steinbrück-Thesen würden, wie im Tagesspiegel zu lesen war, nicht nur Familienunternehmer, sondern auch Angestellte um bis zu 16 Prozent stärker belastet.
Wenn man das, was die Grünen vorschlagen, hinzurechnet, erkennt man: Rot und Grün sind gut für 40 Milliarden Euro Mehrbelastung der Menschen. Sie können gar nicht genug kriegen vom Abkassieren. Das ist Ihre Politik: Entweder Sie machen Schulden, und/oder Sie holen sich das Geld bei den Menschen. Das Gegenteil ist notwendig: Sie müssen daran arbeiten, die Menschen zu entlasten.
Ich sage Ihnen: All das, was Sie sich vorgenommen haben, was Sie sich erträumen für Deutschland, das können wir in Europa schon heute umgesetzt sehen, sei es die Einführung einer Vermögensteuer, die Erhöhung der Erbschaftsteuer oder ein hoher Spitzensteuersatz.
Es wäre egal, wenn dann einige Schauspieler unser Land verlassen.
Aber wenn dank Ihrer Politik mittelständische Unternehmen darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen, dann müssen wir aufmerksam werden; denn es sind unsere Mittelständler, die neue Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen.
Anstatt die Menschen zu belasten, wie Sie das gemeinsam vorhaben, wäre es klug, diejenigen zu entlasten,
die uns das Wachstum und den Wohlstand in Deutschland erarbeiten.
Kommen wir einmal zu der Entlastung. In diesem Jahr, 2013, hat ein durchschnittlicher Angestellter laut Gesellschaft für Konsumforschung 550 Euro mehr Netto. 550 Euro mögen für Sozialdemokraten nicht viel sein - dafür bekommt man vielleicht ein paar Flaschen Pinot Grigio; ich weiß es nicht genau -,
aber für die Menschen da draußen ist das verdammt viel Geld.
Fast 7 Milliarden Euro Entlastung durch die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages, fast 1 Milliarde Euro Entlastung durch die Anhebung des Grundfreibetrages und 1,8 Milliarden Euro Entlastung durch die Abschaffung der Praxisgebühr in Deutschland:
Das ist Politik für die Mitte in unserem Lande, das ist Politik, die bei den Menschen ganz konkret ankommt.
Kommen wir zu den Energiepreisen. Es bedeutet eine Belastung und eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir es nicht schaffen, die Energiepreise in den Griff zu bekommen.
Deswegen brauchen wir eine grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien.
Das, was wir jetzt haben, ist ein planwirtschaftliches System. Damit kennt sich vielleicht die Linkspartei aus, aber damit werden wir die Preise nicht in den Griff bekommen.
Deswegen haben wir uns vorgenommen, diese Reform anzugehen.
Wir wollen drei Dinge gemeinsam: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie für 4 Millionen Unternehmen in Deutschland, vor allem aber auch für 40 Millionen Haushalte, die alle unter den Strompreisen zu leiden haben.
Schauen Sie sich die Ergebnisse dieser Politik auf dem Arbeitsmarkt doch einmal an: die höchste Beschäftigungszahl seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, 41,6 Millionen Erwerbstätige, die niedrigste Arbeitslosenquote seit der deutschen Wiedervereinigung, die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu rot-grünen Zeiten abgebaut, 2 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot, 2 Millionen Chancen mehr für Menschen und ihre Familien.
Schauen Sie sich die Zahlen wirklich an! 117 Seiten Jahreswirtschaftsbericht. Was die Menschen wirklich spüren: Sie bemerken die Verbesserungen nicht anhand der Kennzahlen, aber in ihrem eigenen persönlichen Leben. Ich sage Ihnen: Deutschland geht es gut, den Menschen in unserem Lande geht es gut, und wir als Regierungskoalition stehen dafür, dass genau dies auch in Zukunft so bleibt. Das ist unser gemeinsamer Auftrag, und das sagt der Jahreswirtschaftsbericht für 2013.
Es wird der richtige Weg sein, alles dafür zu tun, die Euro-Zone weiter zu stabilisieren, damit das Vertrauen der Menschen und der Unternehmen noch weiter zunehmen kann,
damit sie wieder anfangen, zu investieren, und die Investitionsbereitschaft zunimmt, für stabiles Geld zu sorgen - für Menschen und Unternehmen gleichermaßen.
Es wird der richtige Weg sein, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, neben Rohstoffversorgung und Fachkräftesicherung vor allem dafür zu sorgen, dass Energie auch in Zukunft bezahlbar bleibt, und diejenigen am Ende zu entlasten, die uns diesen Wohlstand erwirtschaften, nämlich die Menschen in unserem Lande. Das ist die Politik, die Deutschland braucht, um Wachstum zu verstetigen und für Wohlstand und Beschäftigung zu sorgen. Der Jahreswirtschaftsbericht drückt das nicht nur in seinen Zahlen aus, sondern er zeigt auch, dass dieser Politikansatz richtig ist.
Sie denken nur ans Abkassieren, Weitergeben und Umverteilen.
Es muss eben auch eine Koalition geben, so wie wir, die an diejenigen denkt, die uns all das erwirtschaften.
Sie gilt es zu stärken und zu entlasten. Das ist unsere politische Botschaft für das Wirtschaftsjahr 2013.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister für Wirtschaft, der Sie ja sein sollen, Herr Rösler,
ich finde einen Satz in Ihrer launigen Rede von eben sehr bemerkenswert, nämlich den schönen Satz, es sei nicht schlimm, wenn Schauspieler Deutschland verließen. Ich sage Ihnen, es wäre gut, wenn schlechte Laiendarsteller diese Regierung verließen. Das sage ich Ihnen ganz deutlich
Wenn es wirklich so wäre, Herr Rösler, dass die Wachstumsentwicklung in diesem Land etwas mit Ihnen zu tun hätte,
dann müssten wir einmal einen Blick auf die Wachstumsentwicklung in Ihrer Amtszeit werfen: Sie sind mit 3 Prozent gestartet, haben dann 0,7 Prozent gehabt, und müssen jetzt auf 0,4 Prozent herunter. Wenn es so wäre, dass Sie mit dem Wirtschaftswachstum in Deutschland etwas zu tun hätten, dann müsste man sagen: Durch Sie ist das Wachstum in Deutschland noch stärker geschrumpft als die Wahlergebnisse der FDP.
Wir haben hier keine Rede eines Bundeswirtschaftsministers erlebt, sondern die eines FDP-Vorsitzenden, der um sein nacktes Überleben als Politiker kämpft.
Das, Herr Rösler, ist angesichts der wirtschaftlichen Lage in diesem Land nicht angemessen.
Gucken wir uns die wirtschaftlichen Daten an! Sie mussten die Wachstumserwartung für dieses Jahr auf 0,4 Prozent herunterschrauben. Das hat nicht nur Gründe in Deutschland, sondern das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass die Krise, die wir bis dato besser überstanden haben als andere Volkswirtschaften in Europa, jetzt nach Deutschland zurückkommt.
Wir als Exportnation erleben, dass die Nachfrage im Ausland, vor allen Dingen in der Euro-Zone, zusammengebrochen ist. Das hat Folgen für die deutsche Wirtschaft. Deshalb müssen Sie sich nicht zurechnen lassen, dass in anderen Ländern tatsächlich auch Fehler gemacht wurden - das ist nicht Ihr Problem -, aber Sie, Frau Merkel, haben in den letzten drei Jahren die Krise in Europa nicht gelöst, sondern mit der Art und Weise, wie Sie sie gemanagt haben, diese Krise verschärft. Daher tragen Sie, Frau Merkel, die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung, die jetzt nach Deutschland zurückkommt.
Wir haben erlebt, dass Sie sich drei Jahre lang in Deutschland auf guten konjunkturellen Entwicklungen, auf Entscheidungen der Vorgängerregierung ausgeruht haben.
Sie haben keine Zukunftsvorsorge getroffen. Sie haben tatsächlich von dem Mut Ihrer Vorgängerregierungen für Veränderungen in diesem Land profitiert. Sie haben davon profitiert, dass die Große Koalition mit Olaf Scholz veränderte Regeln zur Kurzarbeit eingeführt hat, Sie haben davon profitiert, dass wir Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht haben. Das hat Deutschland in den letzten drei Jahren stabilisiert.
Aber Sie, Herr Rösler, haben in diesen Jahren die Chance verpasst, sich für schwierigere Zeiten zu wappnen. Ich kann Ihnen das an einzelnen Stellen nachweisen. Sie haben es ja geschafft, nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung und nach recht positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt jetzt bei der Bundesagentur für Arbeit ein Milliardendefizit in die Kasse zu reißen.
Sie müssen sich fragen lassen, ob das tatsächlich das ist, was wir brauchen; denn möglicherweise brauchen wir wieder veränderte Regeln zur Kurzarbeit, und zwar weit über das hinaus, wie Sie jetzt zaghaft einräumen, was in diesem Land notwendig ist. Es ist sinnvoller, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Deshalb werden wir entsprechende Vorschläge in den Deutschen Bundestag einbringen.
Was haben Sie in drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung mit der Art und Weise, wie Herr Schäuble mit dem Haushalt umgegangen ist, gemacht? Sie hätten die Neuverschuldung in diesem Land stärker senken können, aber Sie haben mit Buchungstricks versucht, Ihre Haushaltszahlen zu schönen, indem Sie beispielsweise die Kasse der Kreditanstalt für Wiederaufbau plündern, und zwar gegen die über Jahrzehnte hinweg praktizierte Übung.
Die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, wird in Zukunft dringend gebraucht, und die braucht tatsächlich Unterstützung in diesem Land und keinen Bundesfinanzminister, der seine klebrigen Finger in das Portfolio der KfW steckt.
Nein, meine Damen und Herren, Zukunftsvorsorge sieht anders aus. Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik, die jetzt anpackt,
die auch dafür sorgt, dass das, was strukturell in diesem Land notwendig ist, stattfinden kann. Die deutsche Wirtschaft muss wettbewerbsfähig bleiben, gar keine Frage. Dafür brauchen wir stärkere Unterstützung für Investitionen in Deutschland, beispielsweise steuerliche Forschungsförderung; die haben Sie versprochen, aber an dieser Stelle eben nicht geliefert.
Wir brauchen nicht nur eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit, sondern wir bleiben in Deutschland auch hinsichtlich der Binnennachfrage weit unter unseren Möglichkeiten. Der Schlüssel dazu sind nicht irgendwelche Stellschrauben allein im Steuersystem, der Schlüssel dazu ist, dafür zu sorgen, dass wir eine faire Entwicklung bei Löhnen und Gehältern in diesem Land bekommen. Wir brauchen eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt, damit die Menschen tatsächlich faire Löhne bekommen. Das stützt die Kaufkraft und die Binnennachfrage in diesem Land. Auch das verweigert diese Bundesregierung.
Ich schaue einmal in diesen Jahreswirtschaftsbericht, in dieses Dokument Ihrer Untätigkeit, und zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsident aus dem Bericht, Seite 47. Frau Merkel, hören Sie gut zu; denn das ist kennzeichnend für Ihre Regierung.
- Sie werden erlauben müssen, dass eine Opposition einer Regierung aus Ihrem eigenen Bericht vorliest. Oder macht Sie schon das nervös?
Ich lese Ihnen einen Satz auf Seite 47 vor - Zitat -:
Die Meinungsbildung zu einer allgemeinen gesetzlichen Lohnuntergrenze ist innerhalb der Regierungskoalition nicht abgeschlossen.
Wie lange diskutieren wir in Deutschland über den gesetzlichen Mindestlohn? Sie müssen hier vorankommen. Sie sind eine Koalition der wechselseitigen Blockade. Aber Sie schaffen keinen gesetzlichen Mindestlohn in diesem Land.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Heil, darf Ihnen der Kollege Lindner eine Zwischenfrage stellen?
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Bitte schön.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Kollege Heil, ich stelle Ihnen eine Frage, weil Sie uns gerade erzählten, dass diese Koalition nicht für Schuldenabbau steht. - Haben Sie heute den General-Anzeiger Bonn gelesen? Minister Walter-Borjans - kennen Sie den? - sagt: Schulden sind kein Drama. - Das ist die Überschrift. - Er sprach davon, dass es in Deutschland ein gesundes Verhältnis von Schulden, Vermögen und Einkommen gebe. Die gesamten Schulden beliefen sich auf etwa 6 Milliarden Euro. Er wolle damit nicht sagen, dass die Landesschulden nicht zurückgezahlt werden müssten. Aber das sei alles gar kein Problem. Problematisch sei es, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass sie das Geld nicht mehr zurückbekämen, das sie dem Staat liehen.
Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie uns hier erzählen. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, in Nordrhein-Westfalen und anderswo, machen Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben: noch mehr Schulden und eine Aushebelung der Schuldenbremse. Sie wollen Inflation, Sie bekennen sich zur Inflation. Aber das ist genau das Gegenteil von dem, was der Mittelstand, die Mittelschicht braucht. Die Mittelschicht in Deutschland legt ihr Geld in Lebensversicherungen und Barvermögen an. Das unterscheidet übrigens die Mittelschicht in Deutschland von der US-Mittelschicht.
Wenn Sie hier diesen Kurs in Deutschland realisieren, sei es in Niedersachsen oder sonst wo, dann entwerten Sie das Vermögen der ganz normalen Menschen in der Mittelschicht, die hart für dieses Geld gearbeitet haben. Das ist die Wahrheit. Das ist der große Unterschied zu dem, was Sie uns hier erzählen.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sind Sie zu Ende, Herr Lindner?
Herr Dr. Lindner, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, auf diese - ich sage es einmal so - Zwischenbemerkung
- auf diese Zwischenintervention - zu antworten. Das mache ich sehr gern. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Was den Bundeshaushalt betrifft, so haben Sie die Chance verpasst, tatsächlich dafür zu sorgen, dass wir von der hohen Neuverschuldung in Deutschland herunterkommen. In Zeiten guter konjunktureller Entwicklung haben Sie Folgendes gemacht: Sie haben mit Ihrer Hotelsteuer Klientelinteressen bedient.
Sie haben gleichzeitig mit dem unsinnigen Betreuungsgeld 2 Milliarden Euro verschleudert. Sie verschleudern Steuergeld, weil Sie den Mindestlohn nicht einführen. Was ist denn die Realität? Die Realität ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland zwar Vollzeit arbeiten, aber sich dann ergänzend dazu Arbeitslosengeld II, also Steuergeld, vom Amt abholen müssen.
Wir sagen: Mit einem Mindestlohn hätten wir Steuermehreinnahmen für Investitionen. Diese Investitionen sind bei Kommunen, Ländern und im Bund notwendig: in Schulen, in Bildung, in Infrastruktur. Diese Möglichkeiten verspielen Sie mit der Art und Weise, wie Sie Politik gemacht haben.
Sie haben das Ergebnis von drei Jahren guter Konjunktur verfrühstückt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Deshalb, Herr Lindner, herzlichen Dank für diese Gelegenheit.
Wenn wir über die wirtschaftspolitische Bilanz von Herrn Rösler und dieser Bundesregierung reden, dann müssen wir auch über Energiepolitik in diesem Land reden. Herr Rösler, Sie haben eben gesagt: man müsste einmal, man sollte einmal. Deutschland könnte mit einer gelungenen Energiewende, die im Kern eine Riesenchance für dieses Land ist, in einer Welt, die einen großen Energiehunger hat, Ausrüster der Welt sein: bei erneuerbaren Energien, bei Energieeffizienz, bei modernen Energieversorgungssystemen.
Sie haben in Ihrer Amtszeit aus der Chance der Energiewende ein wirtschaftliches und ein soziales Risiko für Deutschland gemacht. Die Strompreise steigen, die Versorgungssicherheit ist gefährdet, und Rösler und Altmaier als Mitglieder dieser Bundesregierung zanken sich wie zwei Kinder um - -
- Das passiert Ihnen natürlich nie. Herr Hinsken, es regt mich wirklich auf, wie sich Herr Altmaier und Herr Rösler wechselseitig blockieren, wenn es um die notwendigen Maßnahmen geht. - Wo ist denn Ihr Masterplan zur Energiewende? Die Art und Weise, wie Sie die Energiewende gegen die Wand fahren, wird zu einem wirtschaftlichen Risiko in diesem Land.
Die Strompreise sind dramatisch gestiegen, insbesondere für Unternehmen, die nicht von den Ausnahmeregelungen profitieren, die Sie auf eine Art und Weise ausgeweitet haben, die nur noch unsinnig zu nennen ist. Die Stromzahler, die Verbraucher und diese Unternehmen, haben die Kosten dafür zu wuppen. Wir erleben, dass es zum sozialen Problem wird, wenn Strompreise steigen.
Wo sind Ihre Sofortmaßnahmen, und wo ist Ihr Masterplan, um die Energiewende zum Erfolg zu führen? Nein, Herr Rösler, das nenne ich Energiewendeversager. In der Art und Weise, wie Sie das machen, werden Sie zum wirtschaftlichen Risiko. Wenn Sie das nicht glauben, dann fahren Sie einmal in unsere niedersächsische Heimat und informieren sich darüber, wie gerade die SIAG Nordseewerke in die Insolvenz getrieben wurden, weil Sie die Planungs- und Investitionssicherheit für die Energieversorgung in Deutschland kaputtgemacht haben. Das ist die Schadensbilanz Ihrer Energiepolitik.
Unterm Strich erleben wir zurzeit eine Situation, die wir realistisch einschätzen müssen. Deutschland hat gute Voraussetzungen, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen. Aber das liegt nicht an dieser Bundesregierung, sondern daran, dass wir in diesem Land eine breite industrielle Wertschöpfungskette haben: von den Grundstoffindustrien über die kleinen und mittelständischen Unternehmen bis zu den Hightechschmieden. Wir haben in Deutschland die Möglichkeit, mit der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die es bei uns gibt, vernünftige Lösungen zu finden. Was wir brauchen, ist eine politische Rahmensetzung und eine aktive Wirtschaftspolitik, die diese Voraussetzungen und Chancen nutzt. Wir dürfen nicht zugucken, wie die Energiepreise steigen und eine Spaltung von Gesellschaft und Arbeitsmarkt entsteht.
Zum Thema Fachkräftesicherung habe ich eben nur warme Worte gehört, Herr Rösler. Was ist denn notwendig, um die Spaltung am Arbeitsmarkt abzuwenden? Wir haben zurzeit die Situation, dass auf der einen Seite immer mehr Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, in einzelnen Regionen händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen und auf der anderen Seite Menschen in prekärer Arbeit und Langzeitarbeitslosigkeit abgehängt sind. Diese Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wäre Aufgabe dieser Bundesregierung. Aber Sie legen nichts vor. Im Gegenteil: Sie vertiefen die Spaltung, weil Sie die prekäre Arbeit in Deutschland mit Ihren unsinnigen Maßnahmen zu den Minijobs noch ausweiten, weil Sie sich dem Mindestlohn verweigern und weil Sie keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen und für Stamm- und Leihbelegschaften in Unternehmen ermöglichen. Das ist der Zusammenhang. Sie haben nicht begriffen, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze, sondern wechselseitige Bedingungen sind. Wir brauchen eine vorausschauende Wirtschaftspolitik, die die Chancen dieses Landes nutzt, statt zuzugucken, wie die Gesellschaft dabei zerfällt.
Herr Rösler, wenn ich daran denke, welche Gesetzgebungsinitiativen Sie in den letzten drei Jahren an die Wand gefahren oder gar nicht erst ergriffen haben,
dann muss ich sagen: Wir haben leider Gottes im Moment einen Totalausfall im Bundeswirtschaftsministerium, der zum Risiko für dieses Land wird. Deshalb brauchen wir den Politikwechsel in der Wirtschaftspolitik in Deutschland.
- Herr Kauder, angesichts Ihrer Zwischenrufe müssen Sie heute wirklich sehr nervös sein.
Ich sage Ihnen, Herr Kauder: Wenn wir ernsthaft über die wirtschaftliche Situation in diesem Land diskutieren wollen, dann werden auch Sie in diesem Zusammenhang nicht bestreiten können, dass wir einen Bundeswirtschaftsminister haben, der ein Problem für diese Koalition geworden ist. Er ist mehr mit der Krise seiner Partei als mit der Krise der Wirtschaft beschäftigt. Das nimmt viel Arbeitskraft weg.
Wenn andere Teile der Regierung das kompensieren würden, wäre es gut. Aber die Wahrheit ist: Sie sind eine Koalition, die sich bei den Themen wechselseitig blockiert. Beim Mindestlohn sagen die einen hü, die anderen hott. Bei der Fachkräftesicherung gibt es keine Initiative, bei der Energiewende wechselseitige Blockaden, bei der steuerlichen Forschungsförderung einen Totalausfall, und bei der Krise, die wir in Europa zu bewältigen haben, gab es - daran sei erinnert - das unverantwortliche Gerede durch den Bundeswirtschaftsminister im vergangenen Jahr, das die Krise eher verschärft hat.
Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen den Politikwechsel in der Wirtschafts- und in der Sozialpolitik in Deutschland.
Der Jahreswirtschaftsbericht ist ein Dokument der Handlungsunfähigkeit dieser Regierung. Wir müssen darüber reden, wie wir in dieser Gesellschaft die Chancen, die wir haben, tatsächlich nutzen können. Deutschland ist bisher Gott sei Dank ein starkes Land.
- Deutschland ist ein starkes Land trotz dieser Regierung, Herr Hinsken. - Wir brauchen schleunigst den Wechsel im Land. Wir brauchen veränderte Mehrheitsverhältnisse. Durch die Niedersachsenwahl am Sonntag ist das im Bundesrat schon möglich. Aber wir brauchen sie auch im Bund,
damit Deutschland wirtschaftlich wieder auf Erfolgskurs kommt, statt bei 0,4 Prozent Wachstum weiterzudümpeln. Sie nehmen Wirtschaftspolitik nicht ernst. Genau das ist Ihr Problem.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Heil, ich kann durchaus verstehen, dass Sie aufgeregt sind. Ich kann auch durchaus verstehen, dass Sie bei den Umfrageergebnissen der letzten Tage von 23 Prozent meinen, hier etwas retten zu können. So werden Sie das aber nicht erreichen.
Die Bevölkerung hat schon lange kapiert, dass diese Koalition die richtige Arbeit macht, und deswegen sind die Umfrageergebnisse so gut, wie sie sind.
Deutschland geht es gut. Diese Koalition war erfolgreich und hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaftsleistung steigt. Wir hatten in den letzten drei Jahren ein Wirtschaftswachstum von kumuliert 8 Prozent, Herr Heil. Das ist eine exzellente Zahl. Zahlen wie diese finden Sie in keinem einzigen Land in Europa; die finden Sie in fast keinem anderen Industrieland der Welt. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von circa 2,5 Billionen Euro hat Deutschland in den letzten drei Jahren ein Wachstum in Höhe von gut 200 Milliarden Euro zustande gebracht. Das entspricht beispielsweise dem Bruttoinlandsprodukt von Hongkong, von Singapur oder auch von Finnland. Das ist doch eine Erfolgsstory. Dies können Sie auch mit noch so viel dümmlichem Geschrei nicht bestreiten.
Die Erwerbstätigenzahl ist - der Bundeswirtschaftsminister hat völlig zu Recht darauf hingewiesen - auf 41,6 Millionen gestiegen. Eine so hohe Zahl hatten wir noch nie in Deutschland. Das heißt ganz konkret - ich liebe es, solche Zahlen herunterzubrechen, weil man das dann wesentlich besser versteht -, dass in Deutschland pro Tag im Durchschnitt 1 000 Menschen mehr erwerbstätig sind.
Noch beachtlicher ist die Entwicklung bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Deren Zahl ist um 1,5 Millionen, von 27,5 Millionen auf jetzt 29 Millionen, angestiegen. Das sind deutlich mehr als 1 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze pro Tag, seitdem diese Regierung an der Macht ist, Herr Heil. Der BDI hat vor kurzem bekannt gegeben, dass von diesen 1 000 Arbeitsplätzen allein 500 industrielle Arbeitsplätze sind. Daher können Sie nicht behaupten, dass das alles prekäre Arbeit sei.
Ich denke nicht, dass die deutsche Industrie prekäre Arbeitsplätze anbietet.
Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken. Pro Tag sind über 400 Menschen in Arbeit gekommen, die vorher nicht in Arbeit waren, seitdem Angela Merkel diese christlich-liberale Regierung führt.
In der gesamten EU ist Deutschland die Wachstumslokomotive.
Eines muss ich Ihnen sagen - ich empfehle die Lektüre des Handelsblatts; Sie haben es ja vor sich liegen -: In den Ländern, wo Sie etwas zu sagen haben, sieht die Situation schlecht aus. Heute wird bekannt gegeben, dass Hamburg ein Nettonehmerland wird. Das reiche Hamburg war über Jahrzehnte ein Geberland. Jetzt wird es ein Nehmerland. Das haben Sie mit Ihrer Politik in Hamburg fertiggebracht.
Es gibt überhaupt nur noch drei Geberländer: Das ist an allererster Stelle Bayern, das ist Hessen, und das ist Baden-Württemberg; ich befürchte, das kriegen Sie auch noch kaputt. Sie arbeiten ja daran.
Meine Damen und Herren, das alles ist kein Selbstläufer, das alles ist nicht selbstverständlich. Da sind mit der Politik der Bundeskanzlerin vernünftige Weichenstellungen vorgenommen worden. Wir stehen vor strategischen Voraussetzungen für unseren Standort. Wir sind lange noch nicht am Ende. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise, und vor allen Dingen müssen wir freien Zugang zu den Rohstoffmärkten der Welt haben. Beides sind Faktoren, die sich immer mehr zu ganz wichtigen Standortfaktoren entwickeln.
Mir macht die Situation mit Blick auf die Amerikaner erhebliche Sorge. Ich hatte vor kurzem ein längeres Gespräch mit amerikanischen Senatoren, die mir gesagt haben, dass sie eine Reindustrialisierung der USA erwirken möchten. Wie wollen sie das machen? Indem sie für die niedrigsten Energiepreise in der ganzen Welt sorgen. Und wie machen sie das? Indem sie Schiefergas und Schieferöl ausbeuten und sich von jeglichen Importen unabhängig machen. Sie können sich überlegen, was das für uns bedeutet. Dann werden energieintensive Unternehmen in die USA abwandern. Das darf nicht passieren. Wenn wir heute unsere Wertschöpfungsketten kaputtmachen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dann haben wir à la longue Probleme mit unseren Arbeitsplätzen. Deswegen sollten wir alle daran arbeiten, dass die Industriestrompreise niedriger werden.
Unsere Industriestrompreise sind 40 Prozent höher als die Frankreichs; ich will jetzt gar keine anderen Vergleiche ziehen. Das zeigt, wie notwendig es ist, dass wir eine Energiepolitik betreiben, die dafür sorgt, dass zumindest unsere exportintensive Wirtschaft von Schwankungen der Industriestrompreise nicht betroffen ist.
Der nächste Punkt betrifft das gesamte Thema Rohstoffsicherheit. Ich empfinde es als völlig richtig, dass die Bundeskanzlerin in die Mongolei gereist ist, um dort ein Rohstoffabkommen abzuschließen. Ich halte es auch für notwendig, dass wir das noch viel intensiver machen. Die Chinesen zum Beispiel tun das in vielen Ländern bereits sehr intensiv, besonders in Schwarzafrika. Das kann uns nicht egal sein.
Wir sind sehr gut im Recycling; da sind wir vermutlich das Land, das in der Welt an der Spitze steht. Wenn man weiß, dass schon heute über 50 Prozent unserer Kupfervorkommen aus recyceltem Material stammen, dann sieht man die Erfolgsstory. Man kann der deutschen Wirtschaft nur dazu gratulieren, dass sie das hinbekommen hat. Aber das reicht nicht. Wir müssen zusätzlich sicherstellen, dass alle Rohstoffe zu beschaffen sind; denn die sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, auch den Menschen geht es gut unter dieser Koalition, zumal ich weiß, dass es in den letzten drei Jahren erstmalig dreimal hintereinander jeweils rund 3 Prozent Lohnerhöhung gab. Das war unter Rot-Grün nie der Fall. Unter Rot-Grün gab es viel niedrigere Lohnerhöhungen. Jetzt zeigt sich, dass die von der Koalition betriebene Politik in einer Zeit, in der die Wirtschaft wächst und stärker wird, auch dazu führt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr in der Tasche haben. Darüber können wir froh sein.
Die Unternehmen haben ausreichende Mittel für Investitionen. Es wird viel mehr investiert als in den Jahren zuvor, und der Staat hat deutlich höhere Steuereinnahmen. Jedes Jahr gab es ein neues All-Time High; im letzten Jahr waren es über 600 Milliarden Euro. Das zeigt - das haben Sie alle nicht kapiert -, dass in Ländern, in denen eine vernünftige Haushaltspolitik gemacht wird, Wachstum möglich ist. Sie behaupten ja immer, mit unserer Sparpolitik würden wir Wachstum verhindern. Das ist völliger Unsinn. Mit einer vernünftigen Haushaltspolitik ist Wachstum möglich, und das muss auch so sein.
Der Bundeswirtschaftsminister hat es gesagt: Zu Anfang dieses Jahres haben wir die Bürger erneut entlastet, nämlich um 12 Milliarden Euro. Wenn Sie die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags, die Abschaffung der Praxisgebühr - das war ja einer der wenigen Beschlüsse, denen Sie zugestimmt haben - und die Erhöhung des Grundfreibetrags - das konnten Sie im Bundesrat nicht verhindern - zusammenrechnen, dann stellt dies eine deutliche Entlastung der Bürger dar. Alle anderen Entlastungsschritte, die wir darüber hinaus in die Wege leiten wollten, haben Sie doch im Bundesrat verhindert. Das ist eine Schande;
denn gerade die Mittelschicht hätte weitere Entlastungen verdient gehabt. Sie aber haben dies verhindert. Trotzdem - auch da haben Sie eben wieder Unsinn geredet, Herr Heil - sind die Sozialversicherungen sehr gut aufgestellt. In allen Versicherungen haben wir Überschüsse.
Die Bundesagentur für Arbeit hat im letzten Jahr ein Plus in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro gemacht.
Das liegt daran, dass wir wesentlich weniger Arbeitslose haben als noch zu Ihrer Zeit. Angela Merkel hat von Gerhard Schröder 5 Millionen Arbeitslose übernommen. Im letzten Jahr sind es im Jahresdurchschnitt 2,8 Millionen gewesen. Das zeigt, dass wir die richtige Politik gemacht haben, dass wir einen guten Schritt weitergekommen sind.
Genau auf diesem Wege werden wir weitergehen.
Es macht keinen Sinn, in dem Maße, in dem Sie das geplant haben, Steuern zu erhöhen. Ich nenne nur die Einkommensteuer. Die können Sie natürlich erhöhen. Aber was bedeutet das denn? Bei allen Personengesellschaften ist die Gesellschaftsteuer die Einkommensteuer. Das heißt, Sie belasten im Falle einer Erhöhung der Einkommensteuer die Mittelständler ganz gewaltig. Wir werden das verhindern.
Ich gehe davon aus, dass wir die erfolgreiche Politik fortführen können.
Sie werden das am Sonntag merken.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rösler, ich habe Ihrem Bericht zugehört. Aber wissen Sie, was mich am meisten ärgert? Bevor Sie Ihren Bericht dem Kabinett zeigen und bevor Sie ihn gestern dem Ausschuss gezeigt haben und heute dem Plenum, beraten Sie mit allen Wirtschaftsbossen, ob der Jahreswirtschaftsbericht so in Ordnung sei. Mein Gott! Brauchen Sie immer die Genehmigung der Wirtschaftsbosse? Wann stellen wir denn endlich wieder das Primat der Politik über die Wirtschaft her statt des Primats der Wirtschaft über die Politik? Das wird wirklich höchste Zeit.
Ihr Bericht ist schöngefärbt; das wissen Sie. Das liegt natürlich an der Wahl in Niedersachsen. Deshalb sprechen Sie auch heute hier. Aber nun muss ich Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren von der FDP: Willy Brandt hat bei einer Bundestagswahl damit angefangen, seine Wählerinnen und Wähler aufzufordern, mit den Zweitstimmen der FDP zu helfen, damit sie über die 5-Prozent-Hürde kommt. McAllister und die CDU in Niedersachsen machen jetzt dasselbe. Ich weiß nicht, ob Frau Merkel und die CDU bei der Bundestagswahl auch dasselbe machen werden. Das heißt, Ihr Ergebnis basiert nicht auf eigener Leistung, sondern auf Leihstimmen. Wir haben es viel schwerer, weil weder Union noch SPD ihre Wählerinnen und Wähler jemals aufrufen würden, mit der Zweitstimme die Linke zu wählen. Wir müssen das ganz alleine schaffen. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir hier eine größere Leistung erbringen.
Noch etwas: Das Ding hat eine Kehrseite. Wenn Union und FDP in den Landtag Niedersachsen einziehen - damit rechnen jetzt viele -, haben Sie von Rot-Grün in Niedersachsen höchstwahrscheinlich keine Mehrheit. Jetzt müssten Sie Ihre Wählerinnen und Wähler doch aufrufen, mit der Zweitstimme die Linke zu wählen. Da Sie das aber nicht machen werden, ersetze ich Sie und sage es ihnen selbst.
Kommen wir einmal zu dem Bericht. Das Bruttoinlandsprodukt ist immer der Gradmesser für die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sinkt von 3 Prozent im Jahr 2011 über 0,7 Prozent im letzten Jahr nach Ihrer Einschätzung, Herr Rösler, 2013 auf 0,4 Prozent. Darf ich vielleicht noch an etwas erinnern? Sie haben den Fiskalpakt beschlossen. Im Fiskalpakt steht, dass ein Staat nicht mehr als 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts als Schulden haben darf. Gleichzeitig ist geregelt, dass man, wenn man darüber liegt - wir liegen bei über 80 Prozent -, die Schulden pro Jahr um 5 Prozent zu senken hat. Ich weiß noch, dass ich, als Herr Schäuble und ich beim Bundesverfassungsgericht saßen, gefragt habe, welche Kürzungen eigentlich geplant sind; denn die Regelung bedeutet ja, dass wir die Schulden jährlich um 25 Milliarden Euro senken müssen. Darauf hat er geantwortet, dass das, was ich sage, völlig falsch sei, weil ja die Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt, so zunehmen kann, dass der Schuldenstand gemessen daran geringer wird; ich will das gar nicht weiter erklären.
- Ja, das stimmt. - Nur, das Problem ist: Dann brauchen wir eine Wirtschaftsleistungssteigerung von 1 Prozent pro Jahr. Sie gehen in Ihrer Prognose aber von einem Wachstum von 0,4 Prozent aus. Wir hatten auch schon einmal Jahre mit Minuswerten. Was ist denn dann? Sie müssen die Schulden abbauen. Das heißt, dann werden Sie wieder Sozialkürzungen vornehmen. Man hört ja auch schon von Geheimplänen im Bundesfinanzministerium, Stichwort „Witwenrente“ und vieles andere.
Genau so geht es nicht!
Ich sage Ihnen auch: Sie dürfen nicht vergessen, dass das sinkende Wachstum der Wirtschaftsleistung - 0,4 Prozent Wachstum in 2013 ist doch wirklich nicht erheblich - damit zu tun hat, dass wir in einer Euro-Finanzkrise sind und dass Sie eine völlig falsche Politik gegenüber Südeuropa machen. Sie bauen Südeuropa ab. Die Wirtschaftsleistung nimmt dort ab. Die Steuereinnahmen nehmen ab. Von „sozial“ kann man gar nicht mehr reden. Es wird immer extremer unsozial. Die Folge ist, dass die Exporte Deutschlands in diese Länder zurückgehen. Ich habe mir das bei Opel angesehen. Bei Opel ist die Krise angekommen; die Opelaner in Bochum werden aus diesen Gründen kaputtgemacht. Übrigens: Ich habe auch mit dem Betriebsratsvorsitzenden von VW gesprochen. Der hat gesagt, VW habe einen dramatischen Rückgang der Verkäufe nach Italien, Portugal usw., aber könne das noch ausgleichen durch eine Steigerung des Exports nach China, nach Brasilien und in die USA.
Wir leben doch über unsere Verhältnisse. Dieses Ungleichgewicht zwischen Export und Import innerhalb der Euro-Zone kann nicht funktionieren. Wir alle wissen, dass der Export wahrscheinlich nachlassen wird. Dann gibt es nur eine mögliche Gegenmaßnahme: Sie müssen die Binnenwirtschaft stärken. Die können Sie nur stärken, wenn Sie sich endlich sozialer verhalten und die Renten, Löhne und Sozialleistungen erhöhen. Es gibt keinen anderen Weg, um die Binnenwirtschaft zu stärken; das wissen Sie auch.
Ich komme zum Arbeitsmarkt. Herr Rösler, was mich am meisten ärgert, ist, wenn Sie überall sagen: Es gibt jetzt eine wunderbare Arbeitslosenstatistik. Im nächsten Jahr wird es nur 60 000 Arbeitslose mehr geben. - Immerhin sagen Sie ja, dass es mehr geben wird. Wissen Sie, was mich daran so stört? Wenn man es sich genauer ansieht, stellt man fest: Das Problem ist, dass die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in den letzten zehn Jahren abgenommen hat, Herr Kauder. Es sind 1,6 Millionen weniger geworden. Wenn Sie sagen könnten, dass es mehr geworden sind, dann könnten Sie stolz sein. Es sind aber weniger geworden. Das Einzige, was zugenommen hat, ist die prekäre Beschäftigung. Deshalb können Sie eine bessere Statistik vorweisen.
Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor; das sind 7,9 Millionen. Davon sind 4,66 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Diese Zahl hat seit 2005 um 677 000 zugenommen. Die Leiharbeit weitet sich aus. Machen Sie etwas, um diese zu begrenzen? Nein, nichts! Sie lassen alles laufen. Im Jahre 2003 hatten wir einmal 5,5 Millionen Minijobs. Jetzt sind es 7,4 Millionen. Sie weiten dies noch aus, indem Sie die Verdienstgrenze von 400 Euro auf 450 Euro erhöht haben. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten stieg um 1,6 Millionen; jetzt haben wir 8,7 Millionen.
Zudem haben wir 1,3 Millionen Aufstockerinnen und Aufstocker. Wissen Sie, was die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über die Jobcenter jährlich für die Aufstockerinnen und Aufstocker zahlen? 10 Milliarden Euro. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Herr Brüderle, da geht ein Arbeitnehmer eine ganze Woche, einen Monat, ein Jahr den ganzen Tag arbeiten und verdient damit so wenig, dass er zum Jobcenter gehen muss, um zusätzlich Steuergelder zu erhalten. Das ist ein Skandal. Wer einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf einen Lohn haben, von dem er in Würde leben kann. Das wird höchste Zeit.
Dafür brauchen wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Ich garantiere Ihnen, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn trotz des Widerstandes der FDP spätestens im Jahre 2014 beschlossen wird. Darum kommen Sie gar nicht umhin. Man kann sich einem solchen Trend auf Dauer nicht widersetzen.
Auf der anderen Seite müssen wir uns mit den Reallöhnen beschäftigen. Die Reallöhne sind in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent gesunken. Bei den 10 Prozent, die am schlechtesten verdienen, ist der Reallohn sogar um 9 Prozent gesunken. Die Armut nimmt zu.
- Natürlich nimmt sie zu. - Zwar ist die Arbeitslosenquote von 11,7 auf 7,1 Prozent gesunken; doch in derselben Zeit, so das Statistische Bundesamt, ist das Armutsrisiko von 14,6 Prozent auf 15,3 Prozent gestiegen. Wie kommt das, wenn Sie doch eine so tolle Arbeitslosenstatistik haben? Wieso nimmt die Armut zu? Ich sage Ihnen: Dass Vollzeitbeschäftigte von Armut bedroht sind, hat es früher nicht gegeben. Jetzt aber ist es Realität.
Mich interessiert auch die andere Seite. Man könnte darüber diskutieren und sagen: Na gut, das Vermögen in Deutschland nimmt insgesamt ab. Wenn das Vermögen abnimmt, muss man sich überlegen, wie man es gerechter verteilen kann. - Aber das Gegenteil ist der Fall. 1992 hatten wir in Deutschland ein Vermögen von 4,6 Billionen Euro; im Jahre 2012 betrug es 10 Billionen Euro. Seit der Finanzkrise im Jahre 2007 gab es eine Zunahme von 1,4 Billionen Euro. Hier hat eine gigantische Umverteilung von unten nach oben stattgefunden. Darum kommen Sie nicht herum. 0,6 Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen ein Vermögen von 1,9 Billionen Euro; das sind 20 Prozent. Die unteren 50 Prozent der Haushalte besaßen 1998 einen Anteil von 4 Prozent am Gesamtvermögen; heute ist es nur noch ein Anteil von 1 Prozent. Erklären Sie doch einmal diesen 50 Prozent der Haushalte, weshalb sie immer stärker in Armut gestürzt werden? Warum berichten Sie so etwas nicht, Herr Rösler?
Sie betreiben nur Schönfärberei. Das ist meines Erachtens nicht hinzunehmen. Sie weigern sich, Vermögen zu besteuern. Meinen Sie nicht, dass es Zeit wird, dass die Kosten für die Finanzkrise von denjenigen getragen werden, die sie erstens verursacht haben und die zweitens davon profitieren?
- Ich rede nicht vom Mittelständler. Ich rede von den wirklich Vermögenden. - Herr Fuchs, wir fordern eine Vermögensteuer von 5 Prozent auf ein privates Vermögen von mehr als 1 Million Euro. Mein Gott, die merken gar nicht, wenn das abgebucht wird. Es würde aber ein Stück weit mehr Gerechtigkeit in Deutschland entstehen.
Dasselbe gilt übrigens auch für Griechenland. Sie müssen einmal den griechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern, den Frauen, die entbinden wollen, erklären, warum sie die Krise zu bezahlen haben. Welchen Schuldanteil haben diese Menschen an der Krise?
Ich erinnere mich daran, wie Herr Schäuble begründet hat, dass zur Sanierung des Haushaltes das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger gestrichen wird. Da habe ich Sie gefragt, Herr Kauder, was die Hartz-IV-Empfänger falsch gemacht haben. Sie sollten sich hier hinstellen und die fünf Gründe nennen, warum die Hartz-IV-Empfänger die Krise verursacht haben. Das konnten Sie nicht. Es waren nämlich doch die Ackermänner, die die Krise verursacht haben. Aber genau die werden nicht herangezogen. Das ist das Problem der sozialen Ungerechtigkeit bei uns.
Jetzt steuern wir auf eine Altersarmut zu, und Sie von der CSU und der FDP weigern sich, etwas dagegen zu unternehmen. Selbst der Vorschlag von Frau von der Leyen zur Zuschussrente wird abgelehnt. Das Rentenniveau soll bei 43 Prozent liegen. Viele verdienen nur noch 1 000 Euro. Ich sage Ihnen, hier entsteht eine Armut, die nicht zu rechtfertigen ist.
Herr Rösler, Sie haben den Jahreswirtschaftsbericht geschönt und ein bisschen frisiert. Dasselbe haben Sie schon mit dem Armuts- und Reichtumsbericht gemacht. Der bleibt trotzdem skandalös. Ich will gar nicht sagen, an welche Zeiten mich das erinnert, in denen Berichte derart getürkt wurden. Das haben Sie doch nicht nötig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Da haben Sie aber fast Glück, dass dafür auch gar keine Zeit mehr besteht.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Bundestagspräsident, ich werde mir jetzt einmal notieren, wann Sie Geburtstag haben. Dann werde ich Ihnen eine neue Uhr schenken.
Ich muss Ihnen Folgendes erklären: Es gibt hier Leute, die elf Minuten reden, und das kommt mir dann wie eine halbe Stunde vor. Bei mir rennt Ihre Uhr immer.
Aber ich danke Ihnen trotzdem. Alles Gute.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, falls Sie den verwegenen Gedanken mit der Uhr weiterverfolgen wollen, bitte ich herzlich darum, die Wertgrenzen einzuhalten, da Sie mich ansonsten zwingen würden, zunächst beim Bundestagspräsidenten die Genehmigung einzuholen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gysi, ich gratuliere Ihnen nachträglich zu Ihrem 65. Geburtstag;
aber das ist alles, was ich Ihnen an Nettigkeiten sagen kann.
Ihre Reden hier haben einen hohen Unterhaltungswert;
aber das kommt dadurch zustande, weil sie mit Fakten überhaupt nichts zu tun haben.
Ich will Sie auf zwei Fakten hinweisen. Sie sprachen davon, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in den letzten zehn Jahren abgenommen hätte. Sie vergessen jedoch, dass die Union seit 2005 und die FDP seit 2009 an der Regierung sind und seitdem die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um rund 2 Millionen gestiegen ist. Das ist ein wichtiges Faktum, wenn Sie sich mit dieser Regierung auseinandersetzen und nicht mit der Vorgängerregierung.
Außerdem möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn Sie sich einmal die Statistik der Länder anschauen, die einen Mindestlohn haben, und einen Vergleich mit den Ländern anstellen, die keinen Mindestlohn haben, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass in den Ländern mit Mindestlohn die Arbeitslosigkeit signifikant höher ist als in den Ländern ohne Mindestlohn. So viel in diesem Zusammenhang.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich bestätigen, was der Bundeswirtschaftsminister eben vorgetragen hat: Deutschland geht es gut.
Wir haben Wirtschaftswachstum, wir haben Preisstabilität, wir haben ein steigendes Einkommen der Arbeitnehmer, wir haben einen hohen Beschäftigungsstand.
In anderen Ländern Europas fragt man mich: Wie macht ihr das? Wir wären froh, wenn wir in der Situation wären, in der Deutschland jetzt ist. - Diese Bundesregierung hat die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Entwicklung so positiv verlaufen konnte. Das ist ein Faktum. Jetzt sorgen wir dafür, dass auch in Zukunft die Entwicklung positiv verläuft. Das ist doch das Entscheidende.
Auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen wir einen Rekordstand. Die Einkommen steigen. Die Schuldenbremse wird eingehalten, und das vier Jahre, bevor sie eingehalten werden müsste. Im Jahr 2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. Das war doch gar nicht vorauszusehen.
Ich möchte daran erinnern, was der Kollege Lindner vorhin zitiert hat: Der fabelhafte Herr Walter-Borjans in Nordrhein-Westfalen wirbt jetzt dafür, die Schulden durch Inflation zu bekämpfen. Das ist die unsozialste Politik, die man sich vorstellen kann.
Inflation belastet diejenigen, die fixe Einkommen haben, die ihre Einkommen nicht anpassen können. Inflation belastet außerdem die Sparer, deren Sparvermögen entwertet wird. Das können wir doch nicht zulassen. Das kann auch gar nicht ernst gemeint sein.
Obwohl es im Umfeld, insbesondere in Europa, aber in den letzten Monaten auch in Asien und in den USA, zu einer schwachen Rezession gekommen ist - in Europa schon zu einer stärkeren -, geht es Deutschland gut. Das ist doch das Herausragende. Und jetzt zieht die Konjunktur in Asien, in China und neuerdings auch in den Vereinigten Staaten wieder an, sodass wir eine steigende Exportnachfrage und damit eine positive Entwicklung erwarten können. Das wird dazu beitragen, dass wir aus der leichten Depression, in der wir im letzten Quartal waren, wieder herauskommen und in ein steigendes Wachstum hineinkommen.
Wo liegen eigentlich die Risiken? Die Risiken liegen in der zu geringen Investitionsquote in Deutschland. Investiert wird nur, wenn man Vertrauen hat. Es gelingt der Bundesregierung mit vereinten Kräften - insbesondere der Bundeskanzlerin in Europa -, Stabilität wiederherzustellen, was den Euro anbetrifft, und das wird Vertrauen zurückbringen.
Das zweite Risiko liegt in den Bundestagswahlen. Denn die Menschen haben die Sorge,
dass das, was Sie ihnen versprechen, nämlich Steuererhöhungen in voller Bandbreite, realisiert wird. Das, was der Kollege Fuchs gesagt hat, stimmt genau: Die Einkommensteuer ist die Betriebsteuer für den Mittelstand. Wenn Sie die Einkommensteuer anheben - man muss bedenken, dass die mittelständischen Unternehmen fast die gesamten Gewinne reinvestieren -, dann geht das zu 100 Prozent zulasten der Investitionsquote. Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Wenn Sie die Investitionen erschweren, dann sorgen Sie für Arbeitslosigkeit in der Zukunft. Das können Sie sich einmal hinter den Spiegel stecken.
Man muss erreichen, dass die Unternehmen investieren. Das erreicht man nicht durch Belastung, sondern durch Entlastung und Flexibilisierung der Rahmenbedingungen für Investitionen in der Wirtschaft.
Weil Ihnen jetzt nichts anderes mehr einfällt, Herr Steinbrück, kommen Sie jetzt auf die Steuerhinterziehung,
als ob Deutschland ein Land von Steuerhinterziehern wäre. Also, das muss ich mit allem Nachdruck zurückweisen. Die Deutschen zahlen ehrlich ihre Steuern.
Es gibt wie immer und überall Ausnahmen. Aber die Leute, die Geld beispielsweise in die Schweiz gebracht haben, werden jetzt von Ihnen geschont:
Sie haben das Abkommen mit der Schweiz verhindert.
Wenn das realisiert worden wäre, hätten sie nicht nur in Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit Steuern zahlen müssen. Weil Sie das verweigert haben, sind Sie der Schutzpatron der Steuerhinterzieher.
Wenn Sie sich jetzt hingegen in der Öffentlichkeit als derjenige präsentieren, der die Steuerhinterziehung bekämpfen will, dann ist das nun wirklich doppelte Moral; das ist doppelzüngig.
- Sie wissen genau, dass das ein Fehler war; denn Sie sind in diesem Zusammenhang viel zu informiert und gescheit. Da hat Ihnen Herr Walter-Borjans wirklich einen Tort angetan.
Das ist nicht nur falsch; das ist eine absolute Dummheit. Es perpetuiert die Steuerungerechtigkeit, mit der wir es hier zu tun haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Kerstin Andreae ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Rösler, der Titel des Jahreswirtschaftsberichts lautet: „Wettbewerbsfähigkeit - Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa“. Und was ist das Hochrelevante für unsere Wettbewerbsfähigkeit in den nächsten Jahren? Es ist die Frage, ob wir in der Lage sind, die Energiewende zu schaffen. Das Energieeinspeisegesetz, das EEG, schuf die Grundlage für das große industrielle Projekt der letzten Dekade. Das ist zukunftsorientierte Industriepolitik, wie wir sie brauchen. Das schafft Arbeitsplätze, das schafft neue Märkte, das schafft Zukunft, und das ist vor allem auch umweltpolitisch sinnvoll. Deswegen sage ich: Ja, wir müssen das EEG reformieren; aber wir müssen es nicht abschaffen und vor allem nicht durch ein Quotenmodell ersetzen.
Anstatt dass der Wirtschaftsminister hergeht und sagt: „Wir nutzen die Energiewende als großen Konjunkturpush, um hier wirklich etwas voranzubringen“, stellt er das Quotenmodell in den Raum, das in anderen Ländern gescheitert ist und dessen Umsetzung zur Folge hätte, dass Windenergie onshore gefördert würde, was einen gigantischen Netzausbau nach sich ziehen würde und vor allem unseren Vorsprung bei Innovationen, unseren technologischen Vorsprung bei weltweit nachgefragten Energieprodukten, kaputtmachen würde. Das ist nicht das, was ein Wirtschaftsminister leisten muss. Er muss vorangehen bei diesem Thema.
Natürlich sind die Kosten der Energiewende ein äußerst wichtiges Thema. Nichts treibt die Unternehmen gerade mehr um als die Frage der Entwicklung der Energiepreise. Im Übrigen ist das auch für die privaten Haushalte ein großes Problem.
Dann muss man aber fair bleiben und für eine faire Verteilung sorgen. Was erleben wir aber? Wir erleben eine enorme Schieflage. Die Großunternehmen werden immer weiter befreit, während die kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie die Privaten diese Befreiung bezahlen müssen. Gleiches gilt für die Netzentgelte.
Wir haben es ausgerechnet, und das können Sie sich genau anschauen. Wenn wir das zurückfahren und die Ausnahmen auf die Unternehmen begrenzen, die energieintensiv produzieren und die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, dann können wir ein Einsparvolumen von 4 Milliarden Euro erzielen. Das senkt die Energiepreise für Mittelständler und Privathaushalte.
Nach wie vor herrscht große Unsicherheit aufgrund der europäischen Entwicklung. Die Krise hat und hatte Europa fest im Griff. Dann griff die EZB ein. Das war nicht die beste Lösung. Die EZB musste aber eingreifen, weil die Bundesregierung nicht zu einem entschiedenen gemeinsamen europäischen Vorgehen in der Lage war. Erst durch das Eingreifen der EZB haben sich die Finanzmärkte beruhigt.
Überwunden ist die Eurokrise aber noch lange nicht. Das weiß auch der Wirtschaftsminister. Denn im Jahreswirtschaftsbericht steht als Begründung für diese Wahlkampfzahl „1,6 Prozent im nächsten Jahr“?
Als zentrale Annahme über den Fortgang der Schuldenkrise wird unterstellt: Es kommt zu keiner weiteren negativen Entwicklung, in deren Folge die Verunsicherung der Marktteilnehmer steigt.
Diese Annahme wird zugrundegelegt für die Prognose des Wirtschaftswachstums von 1,6 Prozent. Wenn man das aber zugrundelegt, dann muss man auch etwas dafür tun.
Sie sprechen vom Fiskalpakt. Zentral bei den Verhandlungen des Fiskalpakts war aber nicht nur, dass die Schuldenbremse in den Ländern implementiert wird, sondern zentral war vor allem, dass wir gesagt haben: Wir brauchen Investitionen zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern.
Wir - SPD und Grüne - haben in zähen Verhandlungen mit Ihnen durchgesetzt, dass die Finanztransaktionssteuer kommt, dass Investitionen in Schiene, Energienetze und Datentransfer getätigt werden, dass Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Maßnahmen für mehr Energieeffizienz ergriffen werden.
Was sehen wir jetzt aber? Vereinbarte Maßnahmen werden nicht oder nur schleppend umgesetzt. Am eklatantesten zeigt sich das meines Erachtens bei der Frage der Energieeffizienzrichtlinie.
Alle - vor allem Mittelstand und Handwerk - wollen die Energieeffizienzrichtlinie. Was aber unternimmt das Wirtschaftsministerium? Es arbeitet an Studien, die der Frage nachgehen, wie man um diese Energieeffizienzrichtlinie herumkommen kann, anstatt zu sagen: Ja, wir nehmen das als Konjunkturpush zur wirtschaftlichen Entwicklung für unseren Mittelstand und für unser Handwerk.
Jetzt wende ich mich den Linken zu. Dabei bitte ich dringend um Ihre Aufmerksamkeit. Für die Menschen in den Krisenländern ist die Situation teilweise wirklich eine Katastrophe. Die Probleme wie zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit und massive Einsparungen treiben uns alle um. Wir müssen aufpassen, dass die Menschen ihre Hoffnung in Europa und ihren Glauben an die Wirkung von Strukturreformen nicht verlieren.
Es geht aber nicht an, dass Ihr Oskar Lafontaine im Morgenmagazin uns alle in Haftung nimmt für persönliche Dramen bis hin zu Selbstmorden. Das ist schäbiger Populismus und absolut inakzeptabel.
Herr Rösler, Sie sagen, Haushaltskonsolidierung sei zentral für Wettbewerbsfähigkeit. Das stimmt. Die Bundesregierung lobt sich für eine weiter sinkende Neuverschuldung. Damit haben Sie aber gar nichts zu tun.
Tatsache ist, dass Sie erstens viel weniger eingespart haben, als Sie Zuwächse an Einnahmen hatten. Zweite Tatsache ist, dass Sie im Augenblick nur aufgrund der niedrigen Zinsen einen solchen Haushalt vorlegen können, wie Sie ihn vorlegen. Dritte Tatsache ist, dass Sie die Kassen der Sozialversicherung um fünf Milliarden Euro geplündert haben. Die Bundesagentur für Arbeit sagt Ihnen: Uns fehlen die Gelder, um die Kurzarbeit zu finanzieren, uns fehlen die Gelder für die Förderung der Langzeitarbeitslosen. In Bezug auf den Konsolidierungsbeitrag gibt es nichts, wofür Sie sich auf die Schulter klopfen könnten.
In Zukunft wird es nicht mehr nur um die Frage gehen: Wie hoch ist die Neuverschuldung? Vielmehr geht es um die Frage: Sind wir in der Lage, den Schuldenberg abzubauen? Sie sagen immer - nicht nur sonntags, sondern auch montags bis samstags - : Der Abbau von Schulden ist wichtig. Dann verraten Sie uns doch einmal, wie Sie das machen wollen. Wo ist denn Ihr Vorschlag, wie wir von diesem Schuldenberg herunterkommen können?
Sie haben kein Konzept. Aber Sie wagen es allen Ernstes, uns für den Vorschlag, eine Vermögensabgabe einzuführen, anzugreifen. Zum ersten Mal legt jemand ein Konzept vor, das zeigt, wie man von dem Schuldenberg von über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts herunterkommt. Wir reißen die Kriterien von Maastricht doch jedes Jahr. Sie haben keinen Vorschlag, was man dagegen tun könnte. Hören Sie also auf, uns Vorschriften zu machen!
Das nächste Sparschwein, das Rösler schlachten will, ist die KfW. Sie wollen ohne Rücksicht auf die anstehenden Aufgaben, die auf die KfW zukommen, im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro herausnehmen. Ich warne Sie: Öffnen Sie nicht die Büchse der Pandora! Sie dürfen es gar nicht. Es ist gesetzlich nicht erlaubt, dass Sie sich an den Erträgen der KfW bedienen. Das ist auch richtig so.
Lernen Sie von Mappus! Mappus hat irgendwann in der Endphase seiner Regierungszeit als Ministerpräsident in Baden-Württemberg sogar unterjährig die Förderbank in Baden-Württemberg geschröpft. Sie wissen, was aus Mappus geworden ist. Grundsätzlich ist es einfach falsch: Wir brauchen diese Förderbank für die Mittelstandsfinanzierung und für Energiemaßnahmen. Ich sagen Ihnen: Hände weg von der KfW!
Über Weihnachten hat der Wirtschaftsminister noch eine Sau durchs Dorf getrieben: Privatisierung. Ganz toll! Durch Privatisierung die Neuverschuldung schneller abzubauen, das ist ein Märchen aus Absurdistan. Ein Teil der Privatisierung, die Sie in den Raum gestellt haben, wird schon seit langem gemacht. Aber entscheidend ist doch, dass wir hier - im Übrigen in einem, wie ich wahrgenommen habe, sehr breiten Konsens - dafür entschieden haben, dass die Bahn nicht privatisiert wird, weil es eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist und weil das Schienennetz ein natürliches Monopol ist.
Lassen Sie die Hände weg! Da irrt der Ordnungspolitiker Rösler gewaltig.
Mich interessiert, ob die Sozialministerin in diesem Bericht ebenso herumgestrichen hat, wie Sie es im Armutsbericht getan haben.
Was Sie sich da geleistet haben, das war schon grandios. Man kann Armut nicht dadurch bekämpfen, indem man sie aus einem Bericht herausstreicht. Das funktioniert nicht.
Was wurde denn verändert zwischen Entwurf und Abschluss? Die Lohnuntergrenze ist raus, der Schutz von atypischen Beschäftigungsverhältnissen ist raus, es wird nicht mehr überprüft, wie sich das Betreuungsgeld auf die Erwerbstätigkeit von Frauen auswirkt, und es soll auch nicht mehr geprüft werden - nicht einmal nur geprüft werden! -, ob privater Reichtum stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden sollte. All das ist draußen. Dabei wissen wir: 1,4 Millionen Menschen beziehen ergänzendes Arbeitslosengeld II. Statt hier sinnvoll gegenzusteuern, weiten Sie die Niedriglohnfalle Minijobs weiter aus.
Der Gedanke, dass Menschen von ihrem Lohn leben können müssen und dass das etwas mit Menschwürde zu tun hat, trägt sich inzwischen auch weit in diese Koalition hinein. Wer es verhindert, ist die FDP mit ihrem Wirtschaftsminister. Machen Sie den Weg frei für eine gesetzliche Lohnuntergrenze! Das werden Ihnen im übrigen auch viele Mittelständler danken.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Nach der Bundestagswahl 2013 werden wir einen Mindestlohn einführen, und vor allem werden wir die Energiewende zum Konjunkturprogramm für Deutschland und für Europa machen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schlecht.
Michael Schlecht (DIE LINKE):
Frau Andreae, Sie sind auf die Folgen der deutschen Politik in den südeuropäischen Ländern wie Griechenland eingegangen. Ich selbst war im Oktober in Athen. Das war der Tag, an dem dort auch die Kanzlerin dort unterwegs war. Wir haben ein Kinderkrankenhaus besucht. In diesem Kinderkrankenhaus ist uns vom Leiter der psychiatrischen Abteilung mitgeteilt worden, dass eine der Folgen der Veränderungen, des desaströsen Kurses, der dort gefahren wird, darin besteht, dass die Anzahl der Kinder, die bei ihnen mit Depressionen und anderen derartigen psychiatrischen Erkrankungen eingeliefert werden, dramatisch gestiegen ist. Uns ist auch berichtet worden, dass der Anteil der Kinder - wohlgemerkt: Kinder -, die Suizid begehen, deutlich angestiegen ist. Das ist wirklich eine der skandalösesten und dramatischsten Folgen dieser Politik. Das, was in den südeuropäischen Ländern, vor allen Dingen in Griechenland, passiert ist, ist Folge der Kürzungsauflagen, ist Folge der bestialischen Politik, die maßgeblich von Deutschland, auch vom Deutschen Bundestag ausgeht. Sie drückt sich in solch zugespitzten Situationen aus. Für diese Folgen trägt die Regierung, aber auch SPD und Grüne, die diesen ganzen sogenannten Maßnahmen mit übergroßer Mehrheit zugestimmt haben, Verantwortung. Insofern zieht die deutsche Politik mittlerweile mindestens durch Südeuropa eine breite Blutspur, und das ist ein Skandal.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Frau Andreae, bitte sehr.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie sagen, dass Sie durchaus anerkennen, dass uns dies alle umtreibt. Mit Ihrem letzten Satz haben Sie das aber kaputtgemacht. Ja, uns alle treibt um, wie es den Menschen in Griechenland und in den anderen Krisenländern geht. Und ja, diese Berichte sind erschreckend. Aber stellen Sie sich bitte die Frage: Was wäre gewesen, wenn wir Griechenland nicht geholfen hätten? Und stellen Sie sich die Frage: Wie bekommen wir die griechische Regierung dazu, dass sie in ihrem Land endlich Strukturreformen vollzieht, dass sie bessere Einnahmen erzielt, dass sie an die Besitzer der Jachten herangeht, dass sie die Steuerpolitik überarbeitet? All das müssen wir jetzt machen, und zwar gemeinsam. Mit diesem populistischen Vortrag spalten Sie. Man kann sich in der Sache streiten: Ist das die richtige oder die falsche Maßnahme? Was man aber nicht machen darf, ist, auf dem Rücken der Menschen, die wirklich extrem leiden, billigen Wahlkampf zu machen. Wer von „Blutspur“ und Haftung für Selbstmorde spricht, macht billigen Wahlkampf.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.
Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahreswirtschaftsbericht 2013 - das klingt trocken, wissenschaftlich und abstrakt. Das klingt nach Zahlen und Diagrammen. An der lebhaften Debatte heute Morgen merkt man aber, dass mehr dahintersteckt, dass das ein besonderer Bericht ist. Das Besondere an diesem Bericht ist, dass er ein Indikator dafür ist, wie es den Menschen in unserem Land geht. Er lässt Rückschlüsse zu, wie die Menschen in unserem Land konkret leben, wie sich die Lebensbedingungen verändern, wie wir im Konzert der europäischen Nachbarstaaten dastehen.
Hinter all den abstrakten Zahlen, die dem Bericht zugrunde liegen, stehen Menschen. Dahinter stehen Lebensbedingungen und reelle Lebenssituationen. Hinter all den Zahlen und Diagrammen steht eine Botschaft - auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, diese Botschaft nicht gerne hören -: Seit diese Koalition regiert,
geht es den Menschen besser. Seit Angela Merkel in diesem Land Verantwortung trägt, geht es den Menschen besser. Es hat sich vieles zum Besseren verändert. Genau deswegen vertrauen die Menschen dieser Koalition und dieser Bundeskanzlerin.
41,6 Millionen Beschäftigte -
das sind 41,6 Millionen Menschen, die wissen, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, die selbst ihres Glückes Schmied sind. Diese Menschen wissen, weshalb sie morgens aufstehen. Das sind 41,6 Millionen Menschen, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung.
Die Jugendarbeitslosigkeit war im November mit 8,1 Prozent die geringste in ganz Europa. Die meisten jungen Menschen in Deutschland haben einen Job. Das sind Tausende junger Menschen, die sich ihre Zukunft selbst aufbauen, die sich mit ihrem eigenen Geld ihre Wünsche, ihre Träume erfüllen können.
500 Milliarden Euro - auch diese Zahl ist wichtig. In dieser Höhe exportiert unser Land Güter in alle Welt, Güter und Produkte, die von klugen Köpfen in unserem Land entwickelt worden sind, die von fleißigen Menschen produziert worden sind. Dahinter stehen Tausende Unternehmer. Das sind Unternehmer, die den Weg in die Selbstständigkeit gegangen sind und Verantwortung für sich und für ihre Mitarbeiter übernommen haben. Sie haben Mut, Risiken in Kauf zu nehmen, die Zukunft zu gestalten und anderen Menschen einen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Hinter all diesen Zahlen stehen Menschen, Schicksale und Lebensbedingungen. Diese Zahlen sagen: Den meisten Menschen in unserem Land geht es gut.
Liebe Kollegen, gerade weil es um Menschen geht, muss man bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Lage selbstverständlich auch kritisch auf das schauen, was nicht so gut ist; denn auch davon sind Menschen betroffen. So etwa die Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Natürlich sind das noch zu viele. Weiter gilt das für die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau. Die sind noch zu groß. Das kann uns nicht zufriedenstellen, und deshalb arbeitet diese Regierung mit Hochdruck daran, dass das weiter besser wird.
Falsch ist es allerdings, die Zahlen zu verallgemeinern. Es war wirklich ärgerlich, dass Sie sich heute Morgen hier hingestellt und ein Bild von Deutschland gemalt haben, das - nur weil Sie alles verallgemeinern - rabenschwärzer nicht sein könnte. Es ist falsch, zu sagen, dass vorwiegend prekäre Beschäftigung geschaffen wird und dass überwiegend Minijobs dazugekommen sind. Im Gegenteil: In Deutschland entstehen in erster Linie sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
In erster Linie entsteht gute Arbeit in Deutschland. Dabei geht es um gute Jobs, nicht um Minijobs. Natürlich steigt auch die Zahl der Minijobs, wenn die Anzahl der Beschäftigten insgesamt steigt. In weit überwiegendem Maße aber entstehen zur Zeit sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Das sind gute Arbeitsplätze, echte Jobs. Darauf können wir stolz sein.
Es ist auch falsch, zu sagen, dass der Niedriglohnsektor explodiert. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wahrheit ist nämlich, dass unter Gerhard Schröder der Niedriglohnsektor zugenommen hat. Seit die CDU regiert, geht er zurück. Das ist die Wahrheit. Sie sollten da auch mit Ihren Darstellungen bei der Wahrheit bleiben.
Im Übrigen ist nicht alles, was Sie als prekär bezeichnen, wirklich prekär.
Wollen Sie etwa dem Studenten, der einen Minijob hat, sagen, dass er prekär beschäftigt sei? Oder können Sie das etwa dem Rentner sagen, der sich nebenher noch etwas dazuverdient, indem er beim Nachbarn den Rasen mäht?
Ich will die Probleme, die es im Niedriglohnsektor, bei Zeitarbeit und bei geringfügiger Beschäftigung gibt, nicht kleinreden. Das Horrorszenario aber, das Sie, liebe Kollegen der Opposition, hier heute gemalt haben, entspricht schlicht nicht der Realität.
Noch ein Wort zum Thema Löhne. Auch hierzu haben Sie wieder Horrorszenarien gemalt. Die Wahrheit ist: Seit wir an der Regierung sind, steigen die Löhne in Deutschland. Jahrelang sind sie immer nur gesunken. Seit drei Jahren aber steigen die Löhne in Deutschland. Die Frankfurter Rundschau hat gestern getitelt: „Aufschwung begünstigt Arbeiter“. Das ist wahr. Vom Aufschwung in Deutschland profitieren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit.
Für den Arbeitnehmer ist allerdings nicht nur interessant, was er verdient, sondern vor allem auch, was er davon später in der Tasche hat. Seit die CDU an der Regierung ist, haben die Menschen mehr in ihrer Tasche. Der Arbeitnehmer hat im letzten Jahr durchschnittlich 550 Euro mehr verdient. Er hätte im nächsten Jahr noch mehr in der Tasche haben können. Das wäre nämlich der Fall gewesen, wenn Sie im Bundesrat unsere Pläne zur Bekämpfung der kalten Progression nicht verhindert hätten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn heute ein Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung bekommt, wird sie nicht selten durch die kalte Progression bei der Steuer komplett aufgefressen. Das ist es, was wir gerne abschaffen wollen, was Sie aber im Bundesrat verhindert haben. Wegen Ihrer Blockadehaltung im Bundesrat sind Sie dafür verantwortlich, dass die Lohnerhöhungen derjenigen, die sich anstrengen, weiter von der Steuer aufgefressen werden. Wir wollten Leistung belohnen, Sie haben das verhindert. Auch diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. Sie können sich deshalb nicht hier hinstellen und über kleine Löhne sowie mangelnde Möglichkeiten klagen, in diesem Land Geld auszugeben.
Mit der Blockadehaltung im Bundesrat haben Sie auch verhindert, dass die Binnenkonjunktur weiter gestärkt wird. Sie haben sich heute Morgen hier hingestellt und haben gesagt: Wir müssen unbedingt etwas für die Stärkung der Binnenkonjunktur machen. Auf der anderen Seite verhindern Sie im Bundesrat aber alles, was die Binnenkonjunktur stärken würde, etwa die Abschaffung der kalten Progression oder auch das Gebäudesanierungsprogramm. Das wäre ein wirkliches Konjunkturprogramm für unser Handwerk gewesen. Sie aber haben sich dazu im Bundesrat verweigert. Deshalb kann ich an Sie nur appellieren: Es bringt nichts, hier nur zu reden und zu sagen, dass wir die Binnenkonjunktur stärken müssen. Wenn es konkret wird, müssen Sie auch mit dabei sein. Sie müssen da mitmachen. Damit können Sie etwas für unser Land tun. Vielleicht, liebe Kollegen, lenkt das dann auch ein wenig von Redehonoraren, Weinpreisen oder auch Eierlikör ab.
Es ist Fakt, dass Deutschland zurzeit sehr gut dasteht. Fakt ist aber auch, dass wir zurzeit konjunkturell in einer Schwächephase sind. Das ist auch klar; denn als exportstarke Nation bleiben wir nicht unverschont von den Entwicklungen auf den Weltmärkten und in Europa. Deshalb stehen wir vor zwei Herausforderungen: Zum einen müssen wir in Europa wieder auf Wachstumskurs kommen; die Kollegen haben einiges dazu gesagt. Es ist richtig, dass wir die Euro-Stabilisierung und auch die Strukturmaßnahmen in der EU vorantreiben. Zum anderen müssen wir selbst stark bleiben.
Die Parameter dafür sind genannt. Wir brauchen einen soliden Haushalt. Denn auf Schulden kann man keine Zukunft bauen. Wir brauchen eine gute Infrastruktur, Rohstoffe und bezahlbare Energie.
Wir brauchen wachstumsfördernde Rahmenbedingungen. Wir brauchen Fachkräfte: Junge, Alte, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Um sie alle müssen wir werben.
Wir brauchen kluge Köpfe, und wir machen dazu die richtige Politik.
Schließlich brauchen wir Innovationen. Denn der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Innovation. Deutschland ist das Land der Ideen, der Innovationen. Deutschland war schon immer eine Innovationsschmiede in der Welt. Aus Deutschland kommen der Hybrid und das MP3-Format. Der Computer wurde in Deutschland erfunden. Unser Maschinenbau ist weltweit bekannt. Wir sind das Land der Ideen, und wir wollen, dass aus den Ideen Produkte werden, dass aus den Ideen Wertschöpfung wird.
Mir fehlt die Zeit, noch länger darauf einzugehen. Daher nur so viel: Ideen und Innovationen entstehen dort, wo investiert wird. Auch das tun wir. Noch nie wurde so viel in Bildung und Forschung investiert wie unter dieser Regierung. Gerhard Schröder hatte es zwar groß angekündigt und sich vorgenommen, gemacht hat er es aber nicht. Gemacht hat es erst die CDU-geführte Bundesregierung. Wir investieren mittlerweile 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung. Damit liegen wir im Spitzenbereich in Europa. Das ist wirklich Investition in Köpfe. Das ist Investition in Ideen. Das ist Investition in unsere Zukunft, und das ist die richtige Politik.
Ich bin überzeugt: Wir haben die richtigen Weichen gestellt, dass es Deutschland und den Menschen in unserem Land gut geht, dass es ihnen besser geht. Der Jahreswirtschaftsbericht gibt Zeugnis davon. Ich bin sicher, dass wir diesen Kurs auch in Zukunft weiterfahren werden. Wir nehmen die Herausforderungen an. Ich kann Ihnen nur empfehlen, uns auf diesem Weg zu begleiten. Denn er ist gut für Deutschland und gut für die Menschen in unserem Land.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion.
Wolfgang Tiefensee (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 115 Seiten Bundeswirtschaftsbericht - ich will ihn einmal in fünf Schlagworten zusammenfassen. Deutschland geht es gut.
Die Bundesregierung hat daran keinen Anteil.
Die Konjunktur trübt sich in Europa und zunehmend auch in Deutschland ein.
Die Bundesregierung hat kein Konzept, wie sie dagegen vorgehen soll.
Fünftens. Es wird Zeit, dass wir eine aktive Wirtschaftspolitik mit einer anderen Regierung machen.
Sehr verehrter Herr Minister, ich habe Sie zum ersten Mal in Niedersachsen, in Hannover erlebt. Wir hatten auf der Hannover Messe ein gutes Gespräch geführt; Sie entsinnen sich vielleicht. Ich persönlich bin erschrocken darüber, welche Wandlung in Ihnen vorgegangen ist. Wir haben einen Wirtschaftsbericht, der schönfärbt, der die Probleme nicht beim Namen nennt
und der vor allen Dingen voll von Zielstellungen ist und keine Konzeption aufweist, wie wir dieses Land dort, wo es im Umfeld schwieriger wird, tatsächlich stabilisieren können. Fehlanzeige!
Ein Wirtschaftsbericht ist eine Momentaufnahme. Entscheidend ist: Wo kommen wir her, und wo gehen wir hin? Ist es eine aufsteigende oder eine absinkende Linie? Darauf muss man reagieren. Zuerst bedarf es einer Analyse, warum es Deutschland gut geht. Es geht Deutschland gut - Sie schreiben es in Ihrem Geleitwort -, weil wir leistungsstarke Menschen und Unternehmen haben. Deutschland hat aber keine leistungsstarke Bundesregierung. Sie bauen mit Ihrer Politik auf den Maßnahmen auf, die unter Rot-Grün und in der Großen Koalition eingeleitet worden sind, und heften sich den Erfolg ans Revers.
Was waren das für Maßnahmen? Zunächst einmal haben die Unternehmen umstrukturiert. Von dieser Stelle aus sollte man noch einmal denjenigen danken, die die Zeichen der Zeit Anfang der 2000er-Jahre erkannt haben.
Wir haben Arbeitsmarktreformen durchgeführt und dafür gesorgt, dass in der schwierigen Zeit 2008/2009 das Kurzarbeitergeld eingeführt wurde; das hat die Unternehmen stabilisiert. Ich durfte damals die Konjunkturprogramme für den Bereich Verkehr und Bau schreiben, und wir haben sie gemeinsam durchgesetzt.
Das sind die Grundlagen dafür, dass es uns jetzt gut geht.
Sie sind die Nutznießer der Vorräte, die andere angelegt haben; das ist das Erste.
Das Zweite. Wir befinden uns momentan in einer kritischen Situation, und zwar deshalb, weil Deutschland in Europa eingebettet ist und es Deutschland selbst in diesem und im nächsten Jahr nicht so gut geht. Denken Sie zum Beispiel an die Aussagen des DIW. Das DIW sagt, dass es frühestens 2014 wieder zu einer Konjunkturbelebung kommen wird. Fragen Sie auch einmal Unternehmer - und zwar nicht nur Verantwortliche in großen Unternehmen, sondern auch Mittelständler -, wie sie die Zukunft sehen. Sie prognostizieren ein Dreijahrestief. Oder nehmen Sie die Aussagen der Weltbank. Die Weltbank spricht davon, dass bis 2014 ein deutlicher Abschwung zu verzeichnen sein wird. Was tut die Bundesregierung dagegen? Nichts! Sie ruht sich aus und hofft, dass der lange Bremsweg durch die vorangegangenen Maßnahmen schon ausreichen wird. Von einer Delle bzw. einer vorübergehenden Schwäche zu sprechen, wie Sie, Herr Minister Rösler, es in Ihrem Bericht tun, hilft hier nicht weiter.
Ich will kurz einige Bereiche aufzählen, in denen wir dringend ein Umsteuern brauchen.
Zunächst zur Investitionstätigkeit. Wir stellen fest - es ist bereits angeklungen -: Die Ausrüstungsinvestitionen sind im Laufe des letzten Jahres um 4,4 Prozent gesunken. Das, so schreiben Sie ehrlich in Ihrem Bericht, hat etwas mit mangelndem Zutrauen zu tun. Was tun Sie also, um eine Exportnation zu stabilisieren und Investitionen zu ermöglichen bzw. zu festigen? Sie gehen an die GRW. Die Mittel für diese Gemeinschaftsaufgabe wurden gekürzt. Dabei geht es um die Förderung strukturschwacher Regionen und die Förderung von Unternehmen, die dringend investieren müssen. Sie wissen, dass die Strukturförderung der EU zurückgeht. Sie wissen auch, dass wir dunkle Wolken am Horizont sehen, nicht zuletzt in Ostdeutschland. Aber was tun Sie? Sie kürzen diese Mittel.
Ein anderes Beispiel ist die in Ihrer Koalitionsvereinbarung verankerte steuerliche Forschungsförderung. Fehlanzeige! Es ist nichts zu sehen.
Zu einem weiteren schwierigen Thema, Herr Rösler. Investitionen kommen zustande, wenn wir exportieren. Wenn Sie aber die südeuropäischen Länder verunsichern
und in Griechenland, Spanien, Italien und Portugal keine Wachstumsimpulse setzen, sondern über einen Ausstieg dieser Länder aus der Euro-Zone schwadronieren, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass dort keine Kaufkraft entsteht und dass dort nicht investiert wird. Ein solches Verhalten ist sträflich, auch für Deutschland, und es ist eines Wirtschaftsministers nicht würdig.
Zum Stichwort „Investitionen“ gehört ein weiterer Aspekt. Dabei geht es nämlich auch um die Arbeitskräfte, die unsere Werte schaffen. In dem Bericht, den Sie uns vorgelegt haben, steht nahezu nichts zu der für Deutschland - aber nicht nur für Deutschland - elementaren und existenziellen Frage: Wie gehen wir eigentlich mit unserem Fachkräftebedarf um? Auch dies ist ein wichtiges Thema.
Sie wissen genau, dass wir in Zukunft Frauen und Männer, junge Leute und ältere Arbeitnehmer brauchen. Aber was tun Sie, damit Familie und Beruf besser zu vereinbaren sind? Sie führen ein Betreuungsgeld ein und belasten damit die Kassen. Das Betreuungsgeld muss weg! Es ist das genaue Gegenteil dessen, was wir brauchen, um Fachkräfte für unsere Wirtschaft zu gewinnen.
In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht lese ich, dass die Meinungsbildung über eine einheitliche gesetzliche Lohnuntergrenze noch nicht abgeschlossen sei. Das ist eine fromme, eine kindliche Umschreibung für die Tatsache, dass Sie sich in einem für Deutschland wichtigen Thema, nämlich der Frage eines gesetzlichen Mindestlohns, nicht einigen können.
Lösen Sie endlich die Blockaden und führen Sie als unterste Haltelinie einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West ein! Dann kann die unsägliche Praxis der Aufstockerei, die ja eine Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit sich bringt, ein Ende haben.
Jedes Jahr verlassen 50 000 Jugendliche die Schule ohne Ausbildung. Die Bundesagentur für Arbeit prognostiziert, dass wir mit relativ einfachen Maßnahmen 5,2 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte generieren könnten. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht dazu nichts.
Lassen Sie mich schließlich zu einem weiteren wichtigen Thema kommen, der Energiewende. Dieses Megaprojekt, das von Rot-Grün angeschoben wurde, ist bei Ihnen in schlechten Händen. Sie haben von den drei wichtigen Zielen gesprochen: Wir wollen zum Ersten den CO2-Ausstoß minimieren, den Klimawandel verhindern, erneuerbare Energien einführen. Wir wollen zum Zweiten die Versorgungssicherheit garantieren, und wir wollen zum Dritten, dass die Energiewende bezahlbar bleibt.
Fangen wir am Ende an: Sie haben es mit einer unsäglichen Politik geschafft, dass die Risiken des Netzausbaus beim Privatkunden und beim kleinen Mittelstand landen. Ihre Ministerin Aigner - Bayern, CSU - hat jetzt, wie ich hören musste, den Vorschlag gemacht, wir sollten die Netze nationalisieren. Hat nicht gerade der sehr verehrte Herr Kollege Glos die Netze verkauft, zum Beispiel an TenneT? TenneT, ein niederländisches Unternehmen mit staatlicher Eigentümerschaft, hat nicht genug Eigenkapital, um den Ausbau der Netze zu bezahlen. Wer bezahlt diesen Unsinn? Die Privatkunden und der Mittelstand. Das muss sich ändern, und das werden wir ab 2013 ändern.
Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit aus? Im letzten Jahr hat die Bundesnetzagentur zehnmal so oft wie sonst eingreifen müssen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Sehr verehrter Herr Rösler, Sie werden sich darum kümmern müssen, dass es nicht zu Stromabschaltungen kommt. Wir brauchen endlich eine Art Masterplan, damit die Länder nicht untereinander streiten. Es muss Koordination zwischen Bund und Ländern stattfinden, und es darf nicht sein, dass in der Bundesregierung zwei Minister ein Hü und Hott, ein Links und Rechts, ein Vor und Zurück praktizieren. Damit wir einerseits unsere Energieziele erreichen und andererseits mit neuen Produkten und Technologien Arbeitsplätze schaffen, brauchen wir für die Energiewende zwingend einen Fahrplan. Auch hier ist bei Ihnen auf der gesamten Linie Fehlanzeige.
Dieser Jahreswirtschaftsbericht stellt entlarvend dar, dass wir in der Wirtschaftspolitik eine Umkehr brauchen. Auf allen Feldern - sei es Europa, seien es Investitionen, sei es die Demografie, sei es die Energiewende, seien es die Finanzen, sei es die Wirtschaftsförderung -, überall ist nur das Minimale getan.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einen guten Stand in Deutschland. Mit der Regierung hat das nichts zu tun. Die aufkommende Konjunkturschwäche gilt es zu bekämpfen - aber nicht mit dieser Regierung.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Martin Lindner für die FDP-Fraktion.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Es gibt Dinge, die jährlich wiederkehren, zum Beispiel Neujahrsfeste und -empfänge
- sowie der Jahreswirtschaftsbericht.
Seit Januar 2010 ist es ein immer wiederkehrendes Erlebnis, dass sich Vertreter der Opposition, der SPD, wie Herr Heil und Herr Tiefensee, hierhin stellen und sagen: Die wunderbaren Zahlen, die der Bundeswirtschaftsminister vorstellen kann, haben mit allem zu tun, nur nicht mit der aktuellen Bundesregierung - sie hätten etwas mit der SPD zu tun.
Wenn wir hier im kommenden Jahr über den nächsten Jahreswirtschaftsbericht sprechen, werden - das verspreche ich Ihnen - Herr Tiefensee und Herr Heil wieder hier stehen
und erklären, die guten Zahlen hätten mit der alten SPD zu tun. Gewisse Traditionen muss man einfach bewahren.
Derzeit entstehen in Deutschland jeden Tag 500 Industriearbeitsplätze. Mit 6,5 Prozent haben wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit vielen Jahren. 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind unter Schwarz-Gelb geschaffen worden - keine Spur von Dumpinglöhnen und ähnlichem Kokolores,
den wir vom ewigen Herrn Gysi - der ist auch so ein Murmeltier, das immer wiederkehrt - hier hören. Unsere Zahlen können sich nicht nur in Europa, sondern auch weltweit wirklich sehen lassen.
Auch die Armut ist gesunken; auch das muss man sehen. Alleine die Kinderarmut ist von 2006 bis 2011 um 13,5 Prozent gesunken.
Es gibt in Deutschland eine Zunahme an Armutsberichten, aber keine Zunahme an Armut. Das muss man an dieser Stelle auch klarmachen.
Wir versuchen nicht nur, den Menschen zu helfen, in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu kommen, sondern sie parallel dazu auch zu entlasten. Wenn Sie sich diesen Jahreswirtschaftsbericht anschauen, dann können Sie genau lesen, wie dramatisch die Reallöhne gerade in den letzten Jahren seit 2010 gestiegen sind. Das hat Ursachen.
Das hat mit der jüngst abgeschafften Praxisgebühr zu tun, und das hat mit der zweimaligen Absenkung des Rentenbeitragssatzes auf 18,9 Prozent zu tun, trotzdem wir übrigens dafür gesorgt haben, dass sowohl in der Kranken- als auch in der Rentenversicherung Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe gebildet wurden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Lindner, lassen Sie nun auch eine Zwischenfrage zu, und zwar des Kollegen Birkwald?
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Gerne.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Lindner, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen.
Sie haben eben behauptet, die Armut in Deutschland sinke und steige nicht. Ich tue jetzt einmal etwas Ungewöhnliches und zitiere einfach. Der Paritätische Gesamtverband sagt zum Beispiel in seinem Statement zur regionalen Armutsentwicklung 2012: „Deutschland ist, was Armut anbelangt, ein tief zerrissenes Land“. Ein weiteres Zitat: „Die Krise ist in Deutschland angekommen. Die Armut ist auf Rekordhoch.“
Weiter heißt es: „Die Armutsgefährdungsquote übersprang erstmals die 15-Prozent-Schwelle und befindet sich damit auf einem absoluten Rekordhoch seit der Vereinigung. Es sind 12,4 Millionen Menschen betroffen - vier Prozent, rund eine halbe Million mehr als noch im Vorjahr.“ Mehr, nicht weniger, Herr Kollege!
Hier steht weiter:
„Interessanterweise stieg die Armutsgefährdungsquote in den letzten fünf Jahren trotz sinkender Arbeitslosigkeit und trotz sinkender Hartz-IV-Quoten. … Viele Menschen haben Arbeit, aber immer weniger können von ihrer Arbeit leben.“
Das alles sind Originalzitate des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der bekanntermaßen keine Vorfeldorganisation der Linken ist.
Deutschland ist dreigeteilt. Mittlerweile hat sich auch die Ost-West-Spaltung verändert: Bremen hat die Rote Laterne übernommen usw.
Ein wichtiger Punkt kommt hinzu: Am schlimmsten sind die Befunde in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Das ist das Letzte, was ich Ihnen jetzt noch vortragen will: In Nordrhein-Westfalen stieg die Armutsgefährdungsquote von 15,4 Prozent auf 16,6 Prozent und in Berlin von 19,2 Prozent auf 21,1 Prozent, und im Ruhrgebiet ist die Entwicklung dramatisch.
Erkennen Sie also bitte an, dass das, was Sie hier gerade eben gesagt haben, eine falsche Aussage war!
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Kollege, zunächst einmal hat die Situation in Berlin vielleicht damit zu tun, dass die Linke und die SPD von 2001 bis vor kurzem dort gemeinsam regiert haben. Alles hat seine Wirkungen; nichts ist ohne Wirkung und Gegenwirkung.
Zweitens. Wenn man bei Ihren Ausführungen gerade die Ohren spitzte, dann hat man natürlich die Differenzierung zwischen Armut und Armutsgefährdung zur Kenntnis nehmen müssen. Ich sage Ihnen: In diesem Lande gibt es eine Armutsdefinition, die aus sich heraus dafür sorgt, dass Armut niemals abgeschafft werden kann. „Armut“ wird nämlich so definiert, dass jeder, der weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens bezieht, in Armut lebt.
- Es sind 60 Prozent! D’accord! Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass Menschen, die im Jahr vorher noch nicht in der Armutsstatistik waren, automatisch in die Armut rutschen, wenn der Volkswohlstand, der Reichtum, in der Breite relativ steigt.
Das ist ein relativer und kein absoluter Armutsbegriff.
Hinzu kommt: Nachdem die Armut in den letzten Jahren gesunken ist, gibt es jetzt einen neuen Armutsbegriff, nämlich die „Armutsgefährdung“.
Vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und anderen wird jetzt der Begriff Armutsgefährdung verwendet. Das weitet den Kreis noch aus.
Das kann man natürlich tun, aber das alles hat nichts damit zu tun, dass wir hier dafür gesorgt haben, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze - sie sind keine Aufstocker oder das, was Sie immer propagieren - dramatisch gestiegen ist. Das ist das, was ich vorhin meinte: Die Anzahl der Berichte über Armut oder Armutsgefährdung ist gestiegen, aber nicht die Armut unter dieser Regierung. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
Das hat eben Ursachen, die ich gerade genannt hatte.
Wenn Sie - zu Recht - einfordern, dass wir etwas für die Binnenkonjunktur tun müssen, warum tun Sie denn eigentlich in Ihren Parteiprogrammen genau das Gegenteil? Warum veranstalten Sie denn geradezu eine Orgie von Vorschlägen zu Steuererhöhungen? Jeden Tag werden Ihre Vorschläge radikaler, sie beschränken sich ja nicht auf Vermögensteuer, auf Substanzbesteuerung, die natürlich kleine und mittlere Unternehmen angreifen.
Herr Gysi,
Sie werden uns doch nicht ernsthaft weismachen wollen, dass man Privatvermögen und betriebliches Vermögen systematisch trennen kann. Das gibt es doch gar nicht. Die kleinen und mittleren Betriebe - das geht beim Handwerksunternehmen los und geht bis zum Mittelstand - thesaurieren einen erheblichen Teil ihrer Gewinne und belassen sie im Unternehmen. Da gibt es gar keine Differenzierung zwischen betrieblichem Vermögen und privatem Vermögen. Sie glauben immer, das seien alles Dagobert Ducks, die zu Hause einen Goldspeicher haben, in dem sie baden gehen und aus dem man einfach einmal 5 Prozent Goldbarren herausschaffen könnte. Das ist doch nicht die Wahrheit, das ist doch nicht die Realität in Deutschland. Das Vermögen ist in den kleinen und den mittleren Betrieben, und da muss es auch bleiben.
Der Staat darf nicht versuchen, seine Probleme - es ist erstaunlich, Kollegin Andreae, dass das ausgerechnet von Ihnen kommt - durch die Wegnahme von schon zehnmal versteuertem Vermögen zu lösen und so seine Schulden abzubauen. Schauen Sie sich doch einmal Ihren Großmeister Hollande an, der ja nicht ohne Grund beim 150. Geburtstag der SPD gesprochen hat.
- Na ja, ich fasse Sie da jetzt einfach einmal zusammen; denn das ist doch alles eine Soße, was Rot-Grün hier produziert.
Schauen Sie sich doch einmal an, was der in Frankreich macht! Der hat eine wunderbare Reichensteuer eingeführt, und nach eigener Einschätzung
kommen dabei gerade einmal 230 Millionen Euro heraus.
Das Einzige, was er produziert hat, ist eine großflächige Flucht. Da rede ich gar nicht von einzelnen Schauspielern, die nach Russland oder Belgien flüchten, sondern von kleinen und mittleren Unternehmen, die gerade aus Frankreich abhauen. Damit geht dem Staat nicht nur der erhöhte Steuerbetrag verloren, sondern er verliert die gesamten Steuern und Abgaben, die diese Unternehmen vorher geleistet haben. Dieser Weg ist ein Irrweg. Es ist in den letzten 100 Jahren mindestens schon 80- bis 100-mal bewiesen worden, dass das nicht funktioniert. Der Staat muss seine Ausgaben reduzieren. So kann er die Haushalte konsolidieren, aber nicht dadurch, dass er glaubt, er könne immer mehr kassieren.
Aber Sie wollen ja auch die Familienfreibeträge reduzieren, höre ich von Herrn Gabriel. Das wird auch immer radikaler. Sie glauben, überall zuschlagen zu können, und meinen, Sie könnten Ihre Probleme, die wir in Nordrhein-Westfalen und anderswo sehen, auf Kosten der Mittelschicht lösen.
Das, sage ich Ihnen, wird nicht funktionieren. Das werden wir auch nicht zulassen, und das wird vor allen Dingen der Bürger nicht zulassen.
Ich möchte zum Schluss auf ein paar Gefahren hinweisen, die ich natürlich sehe und über die wir ernsthaft reden müssen. Wir haben eine Situation, die ich so einschätze: Viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land vergessen manchmal, dass der Zuwachs an Wohlstand in den letzten 50, 60 Jahren natürlich auch etwas mit Infrastruktur zu tun hat und dass es kein freies Mittagessen gibt.
Heute haben wir beispielsweise in normalen Supermärkten ein Angebot von bis zu 20 000 Produkten. In den 70er-Jahren lag das Angebot noch bei 700 Produkten. Die Leute vergessen manchmal - darin werden sie durch Sie bestärkt -, dass diese Waren auch transportiert werden müssen, dass Straßen, Schienen und auch der Luftverkehr ausgebaut werden müssen. Dieser Ausbau in den vergangenen Jahren hat in der Breite für Mobilität gesorgt. Menschen, die es sich in den 70er-, 80er-Jahren noch nicht leisten konnten, mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen, können es jetzt. Aber das hat seinen Preis, und das führt natürlich auch zu Belästigungen. Dazu muss man als Regierung, als Partei, als Koalition stehen, und man darf sich nicht bei jeder Gelegenheit, wenn irgendwo Flugrouten geschaffen werden, wenn irgendwo Flugplätze ausgebaut werden, wenn irgendwo Schienen verlegt werden, populistisch hinter lokale Protestbewegungen stellen und sich gegen den Ausbau der Infrastruktur wenden.
Wir brauchen diese Infrastruktur. Ohne Infrastrukturausbau wird es in diesem Land keinen Wohlstand geben.
Eine Regierung, die verantwortungsbewusst ist, muss dafür sorgen, dass das gemacht wird.
Ein anderer Punkt ist die Investitionsquote. Wir reden oft über Mieten oder Ähnliches: Die teilweise zu hohen Mietpreise sind doch nicht die Folge von zu viel Marktwirtschaft, sondern von zu wenig Marktwirtschaft. Wir haben einen völlig überregulierten Wohnungsbau in Deutschland. Die Anforderungen, vom Bürgermeister über den Ministerpräsidenten bis hin zur Bundesebene, an das Bauen sind einfach zu hoch. Das Geld steht zur Verfügung, wird aber nicht in den Wohnungsbau investiert.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Ich komme zum Schluss. - Wenn Sie jetzt glauben, man könne das Problem der hohen Mieten durch dramatische Mietpreisdeckelungen lösen, dann werden Sie genau das Gegenteil erleben: Es wird noch weniger in den Wohnungsbau investiert, und es wird noch mehr spekuliert. Damit sind diejenigen, die Eigentum besitzen, besser gestellt. Aber wir wollen doch, dass alle Menschen in einer vernünftigen Wohnung mit einer bezahlbaren Miete wohnen können. Daher müssen wir dafür sorgen, dass Investitionen in diesem Lande weiterhin möglich sind und ausgebaut werden können.
Deswegen ist es gut, dass wir regieren. Deswegen ist es gut, wenn wir weiterregieren, egal auf welcher Ebene.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn des Jahres ist jeder von uns bei vielen Veranstaltungen und wird gefragt: Wie geht es dir? - Die meisten antworten: Mir geht es gut. Die Bundesregierung unter Angela Merkel arbeitet hervorragend.
Deutschland ist auf einem guten Weg, die anstehenden Probleme zu lösen.
Wir haben Vertrauen in diese Regierung. - Recht haben die, die so argumentieren.
Ich meine auch, gerade die hervorragende Rede des Bundeswirtschaftsministers Herrn Dr. Rösler - das war heute eine Regierungserklärung -
wäre es wert gewesen, dass sie auch die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Frau Künast und Herr Trittin, gehört hätten.
Beide glänzen durch Abwesenheit. Vielleicht befinden sie sich im Moment in Niedersachsen.
Hier spielt die Musik. Hier geht es um Deutschland. Hier geht es um weitreichende Entscheidungen. Hier geht es darum, dass der Jahreswirtschaftsbericht beraten wird, der uns als Ganzes vorliegt und den wir heute teilweise durchleuchten möchten, um daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, um weiterhin voranzukommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Heil, ich schätze Sie sehr.
Aber heute haben Sie ein bisschen überzogen. Schwarzmalerei und Panikmache sind wahrlich nicht angebracht. Genauso wenig ist es angebracht, in Euphorie zu verfallen; denn es gibt natürlich einige Probleme. Es gibt einige kleine dunkle Wolken am Himmel. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wir werden im Laufe des Jahres zu besseren Ergebnissen kommen.
Es wird sich zeigen, dass die deutsche Wirtschaft in der Lage ist, das, was sie bisher erarbeitet hat, nicht aufzugeben, und die Projekte, die sie bisher nur aufgeschoben hat, jetzt umzusetzen. Die Wirtschaft wird Gas geben, damit wir auch in diesem Jahr nach vorne kommen.
Es ist doch unbestreitbar: Vieles wurde in den letzten Jahren erreicht, auch in der Großen Koalition; das möchte ich nicht beiseiteschieben. Deutschland steht im Vergleich zu anderen Nationen wirklich und wahrlich blendend da. Ich darf ergänzen, weil ich davon überzeugt bin: Wir haben zurzeit die beste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung Deutschlands.
Es gibt einige Probleme, die gelöst werden müssen. So ist zum Beispiel die Staatsschuldenkrise noch nicht bewältigt. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns, um diese Herausforderungen zu meistern. Auf das Geleistete sollten wir alle stolz sein. Dabei gilt es, die guten Zahlen zu würdigen, weil sie insbesondere auf die Leistungsfähigkeit und Robustheit unserer Wirtschaft, unseres Mittelstandes und der deutschen Arbeitnehmer zurückzuführen sind.
Deutscher Arbeitnehmerfleiß, deutscher Unternehmergeist und vernünftige Rahmenbedingungen, die diese Bundesregierung setzt, sind die Grundlagen dafür, dass es weiter aufwärtsgeht und dass Deutschland ein Hort von Stabilität nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt bleiben wird;
denn in keinem anderen Land funktioniert das Ganze besser als bei uns.
Überall im Ausland werden wir gefragt: Wie macht ihr Deutschen das bloß? Denn wir haben, wie heute schon mehrmals gesagt worden ist, 41,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir können darauf verweisen - darauf können wir stolz sein -, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind wie kein anderes Land und dass sich Deutschland in einer sehr guten Verfassung präsentiert, und das trotz des schwierigen Umfelds weltweit und in Europa.
Die Auftragseingänge zeigen eine Stabilisierung, und das Geschäftsklima hellt sich von Tag zu Tag mehr auf. Auch wenn in den letzten Monaten des vergangenen Jahres die Wirtschaft schwächelte, erreichte unser Land anders als die Euro-Zone insgesamt auch in 2012 ein beachtliches Wachstum von 0,7 Prozent. Für 2013 werden derzeit 0,4 Prozent Wachstum erwartet. Ich wiederhole mich: Ich meine, dass diese Zahl zu niedrig angesetzt ist und höher ausfallen wird.
Ich bin überzeugt, dass, wenn die außenwirtschaftlichen Unsicherheiten und die Belastungen durch die Vertrauenskrise im Euro-Land nachlassen, erwartet werden kann, dass sich die derzeitige Investitionszurückhaltung nach und nach auflösen wird. Dann wird sich zeigen, dass die Investitionen der Unternehmen nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben sind. Dazu dürfte beitragen, dass die Wachstumsraten im Verlauf des Jahres zunehmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Wirtschaft ist aber auch auf stabile Rahmenbedingungen im Euro-Raum angewiesen. Die Euro-Mitgliedstaaten müssen jetzt Strukturreformen nachholen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Deutschland ist solidarisch. Aber Solidarität darf keine Einbahnstraße sein. Unsere Unterstützung ist Hilfe zur Selbsthilfe; sie ist kein Ersatz für Reformen.
Ich darf erwähnen, dass der Export von Waren made in Germany eine tragende Säule dieser Entwicklung ist. Bereits im November 2012 übertraf der Wert deutscher Exporte die Schwelle von 1 Billion Euro. Damit wurde zum zweiten Mal nach 2011 die Schwelle von 1 Billion Euro geknackt, nur dieses Mal weit früher als in früheren Jahren.
Die außenwirtschaftlichen Impulse werden erheblich schwächer sein als im Vorjahr. Deshalb wird die Konjunktur durch die Binnennachfrage getragen. Diese gilt es zu stärken. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen werden deshalb 2013 um 8 Milliarden Euro entlastet. Dass die Binnenkonjunktur angekurbelt werden muss, ist aber leider bei Ihnen von Rot-Grün und Knallrot nicht angekommen. Sagen Sie uns doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum Sie im Bundesrat wichtige steuer- und wirtschaftspolitische Maßnahmen wie den Abbau der kalten Progression, die energetische Gebäudesanierung, das Jahressteuergesetz, die 8. GWB-Novelle usw. blockieren!
Es ist in dieser Zeit erforderlich, dass wir diese Maßnahmen durchsetzen. Aber Sie treten auf die Bremse und wollen den Erfolg ausschließen. Sie wollen ihn nicht haben.
Denn ein Erfolg ist dann gegeben, wenn die gute Konjunktur aufbauend auf Reformen sich weiter entwickeln kann. Eine der größten Herausforderungen seit der Wiedervereinigung ist die Bewältigung der Energiewende.
Dazu ist eine grundlegende Reform des EEG erforderlich. Diese muss Investitionssicherheit, ein besseres Zusammenspiel der erneuerbaren Energien mit den Stromnetzen und den grundlastfähigen Kraftwerken sowie günstige Strompreise für die Bürger und die Betriebe gewährleisten.
Ich möchte noch eines in die Debatte mit einführen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, aber ganz knapp, Herr Kollege Hinsken.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Ja, sehr wohl, Herr Präsident.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es trifft Gerechte und Ungerechte, Herr Kollege Gysi.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Was zum Beispiel BASF in der Bundesrepublik Deutschland an Strom benötigt, ist genauso viel wie das, was das ganze Land Dänemark an Strom pro Jahr verbraucht. Da können wir doch nicht zuschauen! Da muss etwas gemacht werden,
damit die Betriebe bei uns in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin bereit sind, mitzuhelfen und zu investieren, und Arbeitsplätze vorhalten. Denn davon profitieren nicht nur die Firmen und der Staat, sondern zu guter Letzt auch der Arbeitnehmer, der einen Arbeitsplatz erhält, den er sich immer sehnlichst wünschte, als er keinen hatte. Und der Arbeitnehmer, der einen solchen hat, möchte ihn behalten. Dafür sorgen wir. Das wird gewährleistet. Das weist gerade dieser Jahreswirtschaftsbericht aus. Ich wünsche, dass die Bundesregierung mit Wirtschaftsminister Rösler und Herrn Bundesfinanzminister Schäuble so erfolgreich bleibt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Dann ist mir nicht bange, dass es mit der Bundesrepublik Deutschland unter Angela Merkel weiterhin aufwärtsgeht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende dieser faszinierenden Debatte stellen wir fest: Von zwei Seiten werden wir angegriffen. Die einen sagen: Wir sparen nicht entschieden genug. Die anderen sagen: Wir geben nicht genug Geld für Wachstum aus.
Ja, Freunde, das ist immer ein Zielkonflikt. Geld hat man nur einmal. Aber ob es gelingt, diesen Zielkonflikt aufzulösen, zeigen die Resultate. Das, was der Wirtschaftsminister und die anderen glanzvollen Redner der Koalition mit wohlerwogenen Argumenten hier vorgetragen haben, zeigt eindeutig, dass die Ergebnisse in allem, was die handfesten Zahlen hergeben, von überzeugender Standfestigkeit sind. Ich rede jetzt nicht davon, dass wir Jahre vor dem angezeigten Termin die Konsolidierung der Haushalte erreichen. Ich rede nicht davon, dass wir die höchste Zahl von Arbeitsplätzen haben. Ich rede nicht davon, dass wir die seit vielen Jahren niedrigste Zahl von Arbeitslosen haben. Ich rede nicht von all den Zahlen, die der Jahreswirtschaftsbericht so triumphal und mit wohlbegründeten Argumenten vorträgt. Das ist das eine.
Das andere ist: Herr Tiefensee, den ich mag, weil er ein netter Mensch ist, sagt, die Bundesregierung habe kein Konzept. Ja, lieber Herr Tiefensee, wie sieht die Welt aus? Wir sind nicht einem majestätischen und hektischen Aktionismus verfallen, sondern wir machen eine verlässliche, vertrauensschaffende, stetige Politik, die Schritt für Schritt das Richtige aufbaut. Das haben wir schon gemacht, als Sie, Herr Steinbrück, noch mit in der Regierung gewesen sind. Gell, längst vergangene Zeiten! Schon damals hat Angela Merkel eine klare Linie gefahren, und wir alle haben mit Freude gesehen, wie erfolgreich sie sich auf den Märkten niedergeschlagen hat.
Was mich in dieser Debatte gefreut hat: Es hat niemand den durchaus entschlossenen Titel des Jahreswirtschaftsberichts „Wettbewerbsfähigkeit - Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa“ angegriffen. Das heißt, unser Ziel ist, dass wir so tüchtig sind, wie wir sein können. Da haben wir noch nicht alles erreicht, was wir wollen; aber wir haben die richtigen Instrumente. Dort, wo es notwendig ist, haben wir sehr viel Geld in die Hand genommen.
In der Forschung kommt es nicht nur darauf an, dass wir hohe Milliardenbeträge - mehr als jemals zuvor - ausgegeben haben.
Es kommt auch darauf an, dass man die Mittel intelligent ausgibt. Und wir haben deshalb mehr und mehr Gelder im Wettbewerb vergeben. Die Vergabe der Mittel im Wettbewerb ist auch ein Instrument. Ich verweise auf die Exzellenzinitiative, den Spitzencluster-Wettbewerb, den früheren „BioRegio“-Wettbewerb und den Leibniz-Preis. Einst waren die orthodoxen Finanzer hier überzeugt, dass Preise wie dieser unsittliche Anschläge seien.
Wir sind in vielen relevanten Bereichen dank unserer Politik stetig weitergekommen. Wir sind nicht fertig, sonst könnten wir aufhören. Und weil wir nicht fertig sind, müssen wir weitermachen.
Wir haben hier in einer Vielzahl von Bereichen noch große Arbeitspakete vor uns, auch wenn wir vorangekommen sind.
Es gab die Diskussion, ob wir es uns erlauben könnten, auf tüchtige Frauen im Arbeitsleben zu verzichten. Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, 72 Prozent der Frauen seien jetzt schon in Arbeit, mehr als die Hälfte in Vollzeit. Von dem Rest wollen vier Fünftel oder mehr nicht mehr als Teilzeit arbeiten. Um Frauen im Beruf noch besser zu unterstützen, müssen wir einiges tun. Deshalb gibt die Bundesregierung für Kinderbetreuung bis 2014 5,4 Milliarden Euro aus und wird sich danach an den Betriebskosten in einer Größenordnung von 845 Millionen Euro jährlich beteiligen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Voraussetzung nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes, sondern auch für Freude an der Arbeit, damit die Menschen die Chance haben, auch das, was sie wünschen, aus ihrem eigenen Leben zu machen.
Da gibt es die Frage, wie weit die Älteren im Beruf bleiben. Ich kann Ihnen versichern: Es gibt hier Leute auch über 60, die mit Freude ihre Arbeit machen. Gell, Herr Gysi?
Es gibt hier Leute über 60, die mit fröhlicher Entschlusskraft jeden Morgen aufstehen und in das einsteigen, was zu tun ist.
Die Tatsache, dass sich die Zahl der über 60-Jährigen in Arbeit in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat, die Tatsache, dass wir heute schon fast die Hälfte der über 60-Jährigen in Arbeit haben, ist eine exzellente Geschichte, auf der wir weiter aufbauen können. Das ist wichtig für die Rente; das ist wichtig für die Wirtschaft; das ist aber auch wichtig für die Lebenserfülltheit, den Lebenssinn, die Freude daran, täglich aufzustehen und wieder in die Arbeit einzusteigen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist insoweit in den verschiedensten Bereich tätig geworden. Wenn wir versuchen, das zu bewerten, kann ich auf die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts verweisen. Es gibt natürlich auch eine Reihe von qualitativen Indikatoren in sensiblen Bereichen. Unsere entsprechende Enquete-Kommission arbeitet hier an einem umfassenden ganzheitlichen Wohlstandsindikator.
Das ist ein bisschen schwierig, aber schauen wir uns einmal die einzelnen Bereiche an: Der Nachhaltigkeitsindikator 2012 der KfW, der uns im Dezember auf den Tisch geflattert ist, zeigt, dass Deutschland in den relevanten Bereichen noch nie so nachhaltig war. Der Nachhaltigkeitsindikator insgesamt hat den höchsten Wert seit sechs Jahren erreicht. Der Nachhaltigkeitsindikator im Teilbereich Wirtschaft hat den höchsten Wert. Im Teilbereich Umwelt hat er den höchsten Wert. Im Teilbereich des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts hat er den höchsten Wert.
Das alles bedeutet nichts anderes, als dass diese Bundesregierung nicht nur eine Politik betreibt, die ökonomisch erfolgreich ist - jawohl, das wollen wir -, sondern auch eine Politik, die den Menschen weitere Lebenschancen eröffnet, die das Vertrauen der Menschen in einer Weise gewonnen hat, dass man mit dieser Politik auch gerne in die Zukunft schreitet, im Bund, in den Ländern oder wo auch immer darüber zu entscheiden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bericht, den Sie, Herr Rösler, hier vorgelegt haben, handelt von Deutschland und von Europa. Mit den gleichen Ideen, auf deren Grundlage wir in Deutschland arbeiten, versuchen wir mit allen Kräften, in Europa zu helfen. Aber auch unsere Kraft als starke Industrienation ist nicht unbegrenzt. Wo wir jedoch helfen, beruht die Hilfe auf der Idee, dass die Länder, die in Schwierigkeiten sind, die Möglichkeit erhalten, sich selber zu helfen. Wir unterstützen sie dabei, dass sie Reformen in Gang bringen, dass sie neue Strukturen schaffen, dass sie die Idee der Wettbewerbsfähigkeit in ihre eigene Wirklichkeit umsetzen, und das nicht nur, damit die Zahlen stimmen, sondern weil das die eigentliche Art ist, menschlich mit der Wirklichkeit und mit dem Leben umzugehen: sich in seinen Leistungen gefordert zu sehen, sich in seinen Fähigkeiten gefordert zu sehen, zugleich aber zu wissen, dass andere dann helfen, wenn es schwierig ist, wenn es hängt, wenn man nicht mehr so kann, wie man will.
Wenn wir aus diesem Geist heraus - das ist der Geist der sozialen Marktwirtschaft - unsere Politik auch in den kommenden Jahren aufbauen, dann werden wir in einer schwierigen Zeit mit einer klaren Linie Deutschland voranbringen und unseren Beitrag dazu leisten, dass Europa steht. Da vertrauen wir auf unsere tatendurstige Regierung und ihre hohe Kompetenz.
Da vertrauen wir auf die faire Begleitung durch unsere tüchtige Opposition. Möge sie uns noch lange so begleiten, wie sie uns heute begleitet hat!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Riesenhuber.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Wir vertrauen auch darauf, dass wir hier in diesem Geist in einem neuen Jahr wieder das hinbekommen, was wir uns vorgenommen haben: dass uns Deutschland gelingt, dass uns mit unseren Partnern Europa gelingt und dass wir frohgemut in das nächste Jahr schreiten - mit einem Erfolg, den wir gemeinsam erarbeitet haben.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 17/12070 und 17/11440 an die Ausschüsse zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung angegeben finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 3 auf:
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Peer Steinbrück, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen
- Drucksache 17/11878 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
A. f. Wirtschaft und Technologie
A. f. die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen
- Drucksache 17/12060 -
Beschlussfassung/Überweisung
Es ist hierzu verabredet, eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion.
Peer Steinbrück (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Riesenhuber, ich glaube, wir kennen uns seit der zweiten Hälfte der 70er-Jahre. Nehmen Sie mir deshalb das folgende Kompliment als aufrichtig ab: Sie sind mit Abstand der eleganteste Tänzer am Podium dieses Deutschen Bundestages.
Der gerade debattierte Jahreswirtschaftsbericht, meine Damen und Herren, zeigt sehr deutlich eine Verunsicherung der deutschen Wirtschaft hinsichtlich der Perspektiven für dieses Jahr und wahrscheinlich auch noch für das nächste Jahr. Diese Verunsicherung ist natürlich ganz maßgeblich geprägt von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen wir es in Europa mit Blick auf die Situation in vielen europäischen Partnerländern zu tun haben. Das ist kein Wunder, kein Wunder bei den wirtschaftlichen Verflechtungen, mit denen wir es zu tun haben, und kein Wunder bei einem so exportgetriebenen Wachstums- und Wirtschaftsmodell, wie wir es in Deutschland haben.
Fünf Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise, 2007/08 eskalierend, haben wir es immer noch mit deren nicht bewältigten Folgen zu tun. Die Krise stellt die Frage nicht nur nach dem Zusammenhalt in Europa, sondern auch nach der Zukunft in Europa. Sie hat einige Länder nicht nur in eine Rezession, ja in eine Depression, sie hat einige Länder in eine Situation der Austerität getrieben, angesichts der sich die Frage nach der sozialen und politischen Stabilität dieser Länder stellt.
Deshalb bleibe ich dabei, dass diese Krise sehr viel mehr kosten könnte als Geld. Das wird gelegentlich unterschätzt in all den europapolitischen Debatten, die wir führen.
Die ungelöste Krise hat auch etwas mit der Ursachenanalyse gerade dieser schwarz-gelben Bundesregierung zu tun. Viel zu lange hat die Regierung von Frau Merkel so getan, als ginge es im Wesentlichen um eine Verschuldungskrise anderer Länder, einzelner Staaten. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Die fällt Ihnen und den deutschen Steuerzahlern jetzt auf die Füße; denn die Konsequenz dieser Ursachenanalyse ist, dass wir mit unserem politischen Gewicht, mit unserer ökonomischen Kraft in Europa einen Sparkurs, Konsolidierungszwänge durchgesetzt haben, was von den betroffenen Ländern zunehmend nicht nur als nachteilig, sondern sogar als gefährlich empfunden wird.
Diese Länder fragen sich, ob das Spardiktat, für das wir verantwortlich sind, eine lebensbedrohende Dosis oder eine lebensfördernde Dosis enthält. Das ist exakt die Frage, vor der wir stehen.
Die Krise in Europa ist also nicht maßgeblich auf eine Verschuldungskrise zurückzuführen, sondern sie ist in weiten Teilen nach wie vor eine Krise labiler Banken und ungezähmter Finanzmärkte.
Das lässt sich leicht belegen; denn in der sehr kurzen Zeit zwischen Oktober 2008 und Dezember 2010 wurden die Banken europaweit mit insgesamt - stellen Sie sich das einmal vor! - 1,6 Billionen Euro Staatshilfen gerettet. Das entspricht ziemlich exakt dem Jahreseinkommen aller Deutschen zusammen. Hier liegt deshalb der Hase im Pfeffer.
Es gibt Finanzinstitute in Europa, denen es gelungen ist, Infektionskanäle in die Staatshaushalte zu legen. Sie haben ein Drohpotenzial, das lautet: Wenn ihr mich nicht rettet, bricht eure Volkswirtschaft zusammen; und im Übrigen bin ich so groß, dass ich gar nicht scheitern darf, und deshalb werden mich die Staaten finanzieren müssen. - Diejenigen, die die Haftenden in letzter Instanz sind, sind die Steuerzahler in diesen Staaten. Die Folge ist die steigende Schuldenlast gewesen, die jetzt aber als Ursache dargestellt wird, obwohl sie eine Konsequenz, eine Folge dieser Entwicklung ist.
Das beste Beispiel ist übrigens Irland. Irland galt einmal als Musterknabe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ich kann mich erinnern, dass es vor über zehn Jahren Empfehlungen aus den Reihen der FDP gab, wir sollten uns an Irland ein Beispiel nehmen,
auch und gerade ordnungspolitisch, auch und gerade hinsichtlich der Deregulierung und der Privatisierung. Es ist erstaunlich, dass das Kurzzeitgedächtnis einigen Parteien mehr nützt als anderen, wenn man sich daran erinnert, dass die FDP uns dieses Irland in mehreren Reden im Deutschen Bundestag als nachahmenswert vorgehalten hat.
Irland musste inzwischen Mittel in der sagenhaften Größenordnung von 269 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung aufwenden, um seine Banken zu stützen - fast 270 Prozent; das entspricht fast dreimal seiner jährlichen Wirtschaftsleistung -, um die irischen Banken vor einem Kollaps zu bewahren. Deshalb war es kein Wunder, dass die irische Staatsverschuldung, die im Jahre 2007 mit 25 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, relativ niedrig war, nun inzwischen über 100 Prozent beträgt.
Die Finanzmarktkrise als Verursacher der Staatsverschuldung kommt aber in der Analyse der Bundesregierung schlichtweg nicht vor. Ich zitiere die Bundeskanzlerin aus einer Regierungserklärung vom Oktober des letzten Jahres:
… die Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, ... sind auf eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit,
- nicht falsch -
sie sind auf die Überschuldung einzelner Mitgliedstaaten sowie auch auf Gründungsfehler des Euro zurückzuführen.
Das alles ist nicht zu dementieren. Der Punkt ist aber: Der labile Bankensektor und die Finanzmarktkrise kommen dabei nicht vor.
Das Gegenteil stimmt aber nicht nur für Irland, wie Sie wissen. Das Gegenteil stimmt auch für Spanien, das übrigens vorher eine günstigere Verschuldungsquote hatte als Deutschland. Und der nächste Fall, der uns hier im Deutschen Bundestag beschäftigen dürfte, wird, wie ich befürchte, im März Zypern sein. Es hat einen Bankensektor, dessen Bilanzsumme so aufgebläht ist, dass sie fünf- bis sechsmal so hoch wie die jährliche zypriotische Wirtschaftsleistung ist. Auch andere Faktoren, die im Fall von Zypern eine Rolle spielen, werden uns in den Debatten hier noch sehr stark beschäftigen.
Das Ergebnis dieser Politik ist, dass sich die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie auch die anderer europäischer Länder in einer riesigen Haftungsunion befinden und vom Geschäftsgebaren einzelner Banken abhängig sind. Sie sind abhängig von Fehlentscheidungen der Risikoignoranz, der Renditejagd dieser Banken und haften in letzter Instanz. Das ist grotesk und verletzt zunehmend das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger.
Das berührt eine Gretchenfrage der sozialen Marktwirtschaft, nämlich, ob in einer sozialen Marktwirtschaft Haftung und Risiko zusammenfallen. Deshalb sage ich häufiger, dass diese Krise nicht nur Geld und Vertrauen kosten kann, sondern eventuell auch das Vertrauen in unsere wirtschaftliche Ordnung, weil viele Menschen den Eindruck haben, dass sie die Geschädigten sind und für Schäden haften müssen, die andere verursacht haben, die aber zu deren Folgekosten nicht herangezogen werden.
Bei der Bundesregierung wird die neue Bankenunion zu einer Umwälzanlage von Kapital aus den Staatshaushalten in Bankbilanzen; denn anstatt beim Europäischen Rat Ende Juni 2012 endlich einen europäischen Abwicklungsmechanismus zu etablieren und damit die Staatshaftung zu beenden oder zumindest deutlich einzugrenzen, haben die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen zugestimmt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus in Zukunft - jetzt kommt es - Banken direkt rekapitalisieren kann, und das, obwohl weite Teile von Ihnen im Haushaltsausschuss vorher aus einer richtigen Erkenntnis heraus explizit das Gegenteil beschlossen haben. Jetzt haften die Steuerzahler in Deutschland nicht nur für die Banken im eigenen Land - siehe das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und Folgegesetze, die wir hier gemeinsam beschlossen haben -, sondern auch für Banken in der gesamten Euro-Zone.
Richtig ist, Sie haben eine Konditionierung vorgenommen, Herr Schäuble und Frau Merkel. Sie haben die Konditionierung vorgenommen, dass vorher eine Bankenunion geschaffen werden muss. Es fällt auf, wie lange Sie die Schaffung der Bankenunion vor sich herschieben, sodass diese Union garantiert nicht vor dem magischen Datum im September 2013 gegeben sein wird - das hätte nämlich zur Folge, dass Banken dann direkt rekapitalisiert werden könnten und eine gewisse Empörungswelle auch bei deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu erwarten wäre -, sondern erst im Folgejahr nach der Bundestagswahl. Das ist das, was ich als Schleiertanz bezeichne, Herr Kauder.
Was, so frage ich, nützt eine bessere Bankenaufsicht auf europäischer Ebene, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und der Steuerzahler weiterhin der Haftende in letzter Instanz ist? Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Sinne von Wahrhaftigkeit endlich, was Sie im Juni beschlossen haben. Sie haben mit Ihrer Zustimmung auf dem Europäischen Rat Ende Juni 2012 eine Staatshaftung für Bankenrisiken in Europa geschaffen.
Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen klaren Blick auf den Kern dieser Krise. Fünf Jahre nach dem Bankrott von Lehman sind die Infektionskanäle aus den Bankenbilanzen in die Staatshaushalte immer noch nicht trockengelegt. Das heißt, wir brauchen endlich einen Schutz der öffentlichen Haushalte vor den Gefahren der Finanzmärkte. Wir brauchen ein Ende der Staatshaftung, und wir brauchen eine Beendigung des Erpressungspotenzials großer systemrelevanter Banken, die uns auch hier im Deutschen Bundestag Entscheidungen abnötigen, weil wir wissen, dass ein Scheitern dieser Banken Konsequenzen hätte, die wir dem öffentlichen Wohl schlechterdings nicht mehr zumuten können.
Wir brauchen einen wirksamen Schutz der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als Haftende in letzter Instanz.
Sie legen heute einen Antrag vor mit dem Titel: „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“. Nehmen Sie es mir nicht übel - fern jedes Florettangriffs -, aber Sie haben sich mit dem Begriff „fortsetzen“ einfach vergriffen.
Sie erwecken nämlich den falschen Eindruck, als hätten Sie bereits in den letzten drei Jahren Grundlegendes oder gar Wegweisendes zur Regulierung der Finanzmärkte unternommen. Das haben Sie nicht!
- Ihre Broschüre oder Ihre Anträge mögen ja schön sein. Das ist ja alles in Ordnung. In denen muss man auch nicht wahrhaftig sein.
- Gemach, Gemach, keine Aufregung, keine Blutdrucksteigerung. - Das, was Sie in diesem Antrag aufführen, ist ganz interessant. Sie führen beispielsweise das Restrukturierungsgesetz auf, weiterhin die Bankenabgabe, die Reform der Vergütungssysteme und ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe. Das sind jedoch Reformmaßnahmen, die aus der Zeit der Großen Koalition resultieren. Dafür haben Sie gar kein Urheberrecht.
Sie sollten mit dem Urheberrecht vorsichtiger sein. Die Maßnahmen sind alle in der Großen Koalition angelegt worden. Die Vorarbeiten zum Restrukturierungsgesetz in Deutschland stammen noch aus der Feder von Frau Zypries und von mir. Die Bankenabgabe ist angelegt worden in der Großen Koalition. Dem Thema des Verbots von Leerverkäufen habe ich mich erstmals zugewandt.
- Entschuldigen Sie, Sie haben das dann nachgemacht, und das werfe ich Herrn Schäuble auch gar nicht vor. Das hat er ja richtig gemacht.
- Entschuldigen Sie, ich würde sehr vorsichtig sein; denn ich hatte mich auch mit anderen Ländern darüber abgestimmt, dass das Ganze nicht nur auf Deutschland zu begrenzen ist, sondern sich auch auf Europa erstreckt.
Unbenommen dessen: Das, was Sie hier betreiben, ist schlicht und einfach die Verletzung von Copyrights. Die Reformen stammen alle aus der Großen Koalition.
Im Übrigen verweisen Sie auf Initiativen, die durchaus richtig sind: die Regulierung von Ratingagenturen, Hedgefonds und Derivatemärkten - nur dies sind alles Initiativen der Europäischen Kommission, und Sie kommen gar nicht darum herum, diese nach europäischem Recht umzusetzen.
Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben wir hier einen Antrag zu einem Aspekt vorgelegt. Die weiteren Aspekte finden sich in umfangreicheren Papieren, zu denen ich auch etwas gesagt oder beigetragen habe. Wir äußern uns hier in unserem Antrag ganz gezielt zu einer europäischen Bankenunion und zeigen die wirklichen Probleme und Lösungen auf. Wir fordern eine europäische Abwicklungsbehörde, ein europäisches Abwicklungsregime und einen Restrukturierungsfonds, meine Damen und Herren, der nicht von den Steuerzahlern gespeist wird - nein! -, sondern von den Banken selber und damit die deutschen Steuerzahler entlastet.
Eine europäische Bankenaufsicht ist wichtig. Ich sage kein böses oder kritisches Wort dazu. Selbstverständlich ist es richtig, dass die europäische Bankenaufsicht befördert wird. Ich bin sehr froh darüber, dass die Lösung herausgekommen ist, die sich jetzt anbahnt, die sich jedenfalls in einem ersten Schritt auf die systemrelevanten, großen Banken erstreckt. Es ist auch richtig, die Bankenaufsicht bei der EZB anzusiedeln, wenn es eine klare Trennung der Zuständigkeiten gibt. Aber in der Haftungsfrage verbessert sich durch die Verbesserung der Bankenaufsicht zunächst einmal gar nichts. Vielmehr entspricht der Umgang mit der Haftungsfrage dem Satz des von Herrn Schäuble und mir sehr respektierten Chefs der Bank of England, Mervyn King, der gesagt hat: „global in life, but national in death.“ Das gilt für die Banken: Sie sterben immer noch auf nationaler Ebene, mit der Folge, dass Steuerzahler und Steuerzahlerinnen dafür aufkommen müssen.
Wir brauchen eine europäische Abwicklungsbehörde, um künftig die von der EZB beaufsichtigten systemrelevanten Banken in einem grenzüberschreitenden Verfahren geordnet restrukturieren oder auch abwickeln zu können. Das ist übrigens eine Forderung, die gar nicht so originell ist; sie ist in den Reihen meiner Fraktion schon vor drei, vier Jahren geäußert worden. Ich würde gerne wissen: Was haben Sie denn seitdem gemacht, um das auf der europäischen Ebene durchzusetzen?
Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe in diesem Haus ist es, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Europa zu schützen, vor den Risiken in Europa, aber auch vor Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Herr Solms ist vorhin darauf eingegangen. Ich will Ihnen die Zahlen in Erinnerung rufen: Allein in Deutschland fehlen aufgrund illegaler Steuerpraktiken nach seriösen Schätzungen jährlich bis zu 150 Milliarden Euro; in ganz Europa, sagen einige Fachleute, sind es 900 Milliarden Euro. Das heißt, eine Reihe von Problemen, mit denen wir uns hier beschäftigen, gäbe es nicht, wenn wir bei der Erzielung dieser Steuerzahlungen erfolgreicher wären.
Wenn ein so traditionsreiches Haus wie die Schweizer Wegelin-Bank offen zugeben muss: „Wir haben betrogen“, wenn Beihilfe zum Steuerbetrug zum Geschäftsmodell geworden ist, dann ist der Weckruf in meinen Augen unüberhörbar. In meinen Augen gehört es zur Wiederherstellung der Grundprinzipien der Marktwirtschaft - darum geht es -, das Thema der Bekämpfung des Steuerbetruges sehr ernst zu nehmen
und uns nicht durch den Entwurf eines deutsch-schweizerischen Steuerabkommens ablenken zu lassen, das nichts anderes als einen Ablasshandel darstellen würde - mehr nicht. Sie wedeln mit Mehreinnahmen; aber Sie sind bereit, dafür Grundprinzipien über Bord zu schmeißen. Was Sie verschweigen, ist, dass Steuerstraftäter laut diesem Entwurf nach dem Willen der Bundesregierung auch noch Rabatt bekommen sollten. Was Sie verschweigen, ist, dass diese Steuerstraftäter anonym bleiben sollten, dass sie der Strafverfolgung entzogen werden sollten. Sie von der Bundesregierung wollten Steuerbetrüger entkriminalisieren und zugleich der deutschen Steuerfahndung Fesseln an die Füße legen, um zu verhindern, dass sie auch mithilfe von Steuer-CDs das tut, wozu sie da ist.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Steinbrück, Sie müssten zum Ende kommen.
Peer Steinbrück (SPD):
Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Frage der Staatseinnahmen - darauf will ich hinaus -, sondern sie ist, ebenso wie die Bändigung des Raubtierkapitalismus, von dem Helmut Schmidt schon vor über zehn Jahren gesprochen hat, sehr viel mehr: Steuergerechtigkeit ist eine Demokratiefrage. Sie betrifft die Balance und das Gleichgewicht in unserer Gesellschaft.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble hat das Wort.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinbrück, wir haben gut zusammengearbeitet in der Regierung der Großen Koalition. Ich habe ein Grundverständnis - das mag altmodisch sein - einer gewissen Solidarität zwischen Amtsvorgängern und Amtsinhabern.
Das macht es mir ein bisschen schwer, auf Sie einzugehen. Da ich Protestant bin, habe ich auch ein bisschen Mitleid. Das macht es mir darüber hinaus schwer, auf Sie einzugehen.
Was werfen Sie uns eigentlich vor? Im ersten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten alles falsch gemacht. Im zweiten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten nur das gemacht, was Sie gemacht haben. Entweder das eine oder das andere, aber doch nicht beides zusammen und das auch noch in einer Rede. Das geht doch nicht.
Natürlich sind Lehren zu ziehen aus der Finanz- und Bankenkrise, die ihren Ursprung übrigens in Amerika, bei Lehman Brothers, und nicht im Euro-Raum hatte. Daran muss man auch einmal erinnern. Natürlich ist das Ziehen der Konsequenzen mit dem Ziel einer besseren Regulierung des Finanzmarkts eine große Aufgabe, die übrigens nicht über Nacht bewältigt werden kann. Vielmehr müssen in einem langwierigen beharrlichen Prozess auf globaler, europäischer und nationaler Ebene die richtigen Konsequenzen gezogen werden.
Angesichts der Volatilität in den modernen Finanzmärkten geht es doch gar nicht anders. Ich kann hier jede Regel einführen, aber wenn mit einem Knopfdruck alle Aktivitäten aus Deutschland heraus verlagert werden, habe ich nichts erreicht. Infolgedessen geht es doch nicht so einfach, wie Sie es hier gesagt haben.
Es hat doch keinen Sinn, den Menschen, wie es die Linken in Ihrer Partei tun, mit uralten klassenkämpferischen Parolen einzureden, nur die Banken seien an allen Problemen schuld. Das haben wir schon 100 Jahre lang gehört, und das war schon immer falsch.
Das hat schon einmal Deutschland und Europa geteilt, und das ist überwunden. Das sind so alte Hüte, dass ich mich eigentlich wundere, dass Sie uns das hier vorgetragen haben.
Ursache der Euro-Krise ist, dass wir in der gemeinsamen europäischen Währungsunion unterschiedliche Finanzpolitiken in den Ländern haben. Das ist nicht nur im Euro-Raum, sondern überall in der Welt der Fall. Im Übrigen ist die Staatsverschuldung außerhalb des Euro-Raums höher als innerhalb des Euro-Raums. Großbritannien hat eine höhere Staatsverschuldung als der Durchschnitt des Euro-Raums. Die Vereinigten Staaten von Amerika will ich gar nicht erwähnen.
Ich füge hinzu, dass mir die Politik der neu gewählten japanischen Regierung ziemlich große Sorgen bereitet. Wir haben ein Übermaß an Liquidität in den globalen Finanzmärkten. Dieses wird durch ein falsches Verständnis von Notenbankpolitik weiter geschürt. Das alles sind unsere Herausforderungen und unsere Aufgaben, denen wir uns stellen.
Wir haben ein unterschiedliches Maß an Wettbewerbsfähigkeit in den europäischen Volkswirtschaften. Das ist in einer gemeinsamen Währungsunion natürlich ein Riesenproblem, das in Angriff genommen werden muss.
Natürlich haben wir den Fehler gemacht - wir alle, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition; ich war auch lange genug dabei -, zu glauben: Je weniger Regulierung, umso besser für den Finanzplatz Deutschland. Am Schluss hatten wir überall auf der Welt so wenig Regulierung, dass die Finanzmärkte begonnen haben, sich ohne Regeln und Grenzen selbst zu zerstören. So ist die Wirklichkeit, und das müssen wir ändern.
Es ist aber nicht getan mit einer einfachen Beschimpfung der Banken oder mit der Behauptung, dass die Finanzinstitute Infektionskanäle in die Staatshaushalte in Europa gelegt hätten. Das ist eine Verschwörungstheorie, die nun wirklich zum Himmel schreit, und zwar schreit sie nach Erbarmen.
- In Spanien haben wir eine Immobilienkrise,
ausgelöst übrigens möglicherweise durch ein falsches Verständnis von Wachstumsförderung, indem man nämlich glaubt, dass man mit schuldenfinanzierten Anreizprogrammen in den Immobiliensektor eingreifen kann. Das Entstehen der spanischen Immobilienblase können Sie doch exakt verfolgen. Diese wiederum hat den spanischen Sparkassensektor so infiziert, dass sich daraus weitere Probleme ergeben haben.
Irland ist ein Sonderproblem. Die spanische Immobilienkrise hat übrigens ziemlich viel Ähnlichkeit mit dem Entstehen der Subprimekrise in den Vereinigten Staaten von Amerika - um auch daran zu erinnern.
Ich sage noch einmal: Wir sind auf dem richtigen Weg, Schritt für Schritt. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg, die Vertrauenskrise in Bezug auf den Euro - denn aus all dem ist eine Vertrauenskrise entstanden - Schritt für Schritt zu lösen.
Die realen Zahlen um den Jahreswechsel belegen dies. Die Haushaltssituation in allen Ländern - mit Programm oder auch in solchen Ländern ohne Programm - hat sich verbessert. Die Unterschiede bei den Lohnstückkosten sind geringer geworden. Das betrifft das Thema Wettbewerbsfähigkeit und die zu großen Verzerrungen. Die Zinsdifferenzen werden geringer. Das Vertrauen in die Finanzmärkte kommt Schritt für Schritt zurück. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Aber eines dürfen wir nicht machen - und das ist der grundlegende Unterschied -: exakt die Fehler fortsetzen, die zu der Krise geführt haben. Sie haben einen richtigen Satz gesagt. Die Gretchenfrage jeder wirtschaftlichen Ordnung ist: Haftung und Entscheidung, Risiko und Chance dürfen nicht auseinanderfallen. Das ist im Finanzsektor so - „too big to fail“, das kennen wir -, und das gilt natürlich auch für eine Politik der Vergemeinschaftung in Europa: keine Vergemeinschaftung von Haftung, wenn wir nicht auch eine Vergemeinschaftung der Entscheidung beschließen. Wer Schulden machen kann, für die andere das Risiko tragen, macht sie. Deswegen ist Ihr Weg der Vergemeinschaftung von Haftung ein Weg, der die Krise verschlimmert, statt sie zu lösen.
Ich habe mit dem Sachverständigenrat darüber diskutiert. Sie übernehmen ja den Vorschlag des Sachverständigenrates. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, setzt, um es rechtlich zu sagen, zumindest eine Vertragsänderung voraus, denn mit dem Bail-out-Verbot ist er nicht zu vereinbaren; dafür müsste man die Verträge ändern.
Aber unterstellen wir einmal, dass wir das Risiko der zusätzlichen Haftung - das sind über 60 Prozent der Gesamtverschuldung der Mitgliedsländer in der Euro-Zone - in einer Größenordnung des deutschen Bruttoinlandsprodukts zulasten der deutschen Wirtschaft übernehmen würden. Die unmittelbare Folge wäre, dass die deutsche Wirtschaft die Last nicht mehr tragen könnte, dass wir heruntergeratet werden würden und dass das Vertrauen in die Solidität der deutschen Wirtschaft zerstört würde. Damit zerstören Sie übrigens Europa; denn wir sind der Anker für Europa. Das dürfen wir schon aufgrund unserer Verantwortung für Europa nicht machen. Deswegen ist Ihr Vorschlag nicht zu verwirklichen.
Nächstes Beispiel. Sie schlagen in Ihrem Antrag einen europäischen Bankenfonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro vor, den die Banken schnell auflegen sollen. Sie wissen genau: Wenn die Banken zu den Anforderungen - zusätzliches Eigenkapital, Umsetzung von Basel III; wir sind ja in der Endphase der Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament; es geht in Europa halt nicht so schnell, wie ich mir das wünschen würde, aber das Parlament muss seine Rolle wahrnehmen - noch 200 Milliarden Euro zusätzliches Kapital aufbringen sollen,
dann wird das eine dramatische Kreditverknappung für die gesamte europäische Wirtschaft zur Folge haben; das heißt, wir erleben einen weiteren wirtschaftlichen Absturz, und das, wo wir gerade dabei sind, uns aus der weltwirtschaftlichen Konjunkturdelle herauszubewegen. Das wäre das Dümmste, was man machen kann, völlig unverantwortlich.
Sie müssen sich inzwischen schon so weit nach links bewegen, dass Sie von Herrn Trittin rechts überholt werden.
- Reden Sie doch nicht andauernd dazwischen, das nützt sowieso nichts.
Selbst Herr Trittin hat gesagt, es wird einige Zeit dauern, bis die 200 Milliarden Euro aufgebracht werden können. Daraufhin haben Sie einen noch intelligenteren Vorschlag gemacht. Sie haben gesagt: Der europäische Bankenfonds soll für diese 200 Milliarden Euro Anleihen ausgeben. Wer nimmt die? Wie werden sie refinanziert? Durch die EZB. Sagen Sie doch gleich: Wir lösen die Probleme, indem wir die Banknotenpresse anwerfen und so viel Geld drucken, wie wir brauchen. Sie untergraben jedes Vertrauen in die Stetigkeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Exakt deswegen werden wir das nicht machen.
- Das ist ein grundlegender Unterschied. Darüber werden wir noch öfter streiten. Wenn Sie wollen, dass die Notenbank nicht nur für die Stabilität des Geldes, in erster Linie für die Preisstabilität, verantwortlich ist, sondern wir mit der Banknotenpresse alle unsere wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und sonstigen Probleme lösen,
dann schaffen Sie Inflation als Grundlage aller politischen Entscheidungen.
Aus genau diesem Grund haben wir schon vor 60 Jahren, zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland, den politischen Mehrheiten die Banknotenpresse entzogen, die Unabhängigkeit der Notenbank beschlossen und eine Beschränkung auf das eng ausgelegte geldpolitische Mandat vorgenommen. Dabei hat uns die Erkenntnis geleitet, dass politische Mehrheiten lieber Geld ausgeben, als den Bürgern die Rechnung für die Ausgaben zu präsentieren.
Wenn Sie das ändern wollen, können wir darüber streiten. Ich sage Ihnen: Die große Mehrheit der Deutschen weiß, dass Inflation die schlimmste soziale Ungerechtigkeit ist
und wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum nur auf der Grundlage von Stabilität erreichen.
Jeder internationale Vergleich belegt doch inzwischen, dass die Länder, die eine einigermaßen verantwortliche Finanzpolitik betreiben, wirtschaftlich sehr viel besser dastehen als die anderen. Warum lassen Sie sich durch diese Tatsache nicht belehren?
Wir wissen inzwischen - das hat selbst der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Herr Rogoff, nachgewiesen -, dass ab einer bestimmten Höhe der Staatsverschuldung eine weitere Erhöhung der Staatsverschuldung Wachstum nicht mehr fördert, sondern mittelfristig behindert. Genau deswegen machen wir das nicht. Weil wir das nicht machen, sind wir im europäischen Vergleich diejenigen mit den besten Stabilitätserfolgen und den besten nachhaltigen Wirtschaftserfolgen. Genau diese Politik werden wir fortsetzen.
- Ich weiß, warum Sie dauernd dazwischenreden.
- Oh Gott, Sie sind ja sowieso - - Das lohnt ja gar nicht.
- Sie wollen das nicht hören. Wir hören uns Ihre Auffassungen doch auch mit großer Ruhe an. Wir hören aufmerksam zu, setzen uns damit auseinander und sagen, warum wir Ihre Auffassungen für falsch halten. Das ist der Sinn einer parlamentarischen Debatte. Es ist nie angenehm, wenn man gesagt bekommt, dass ein anderer nicht die eigene Meinung teilt. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir können mit realen ökonomischen Zahlen und mit Erfolgen belegen, dass unser Weg zwar anstrengend ist, er uns aber Schritt für Schritt voranführt. Das ist auch in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht sichtbar geworden. Deswegen werden wir exakt diesen Weg weitergehen.
Wir haben jetzt einen einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus für die systemrelevanten Institute geschaffen. Dieser Mechanismus macht aber nur Sinn, wenn die Bankenaufsicht mindestens die gleiche Qualität wie die in Deutschland hat. Natürlich gibt es Länder in Europa, in denen die Bankenaufsicht nicht die Qualität unserer Bankenaufsicht erreicht. Deswegen sage ich Ihnen: Der Mechanismus einer europäischen Bankenaufsicht ist mit Blick auf grenzüberschreitende Problematiken richtig, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bankenaufsicht so gut ist wie die, die wir haben. Es kann nicht sein, dass wir auf europäischer Ebene ein schlechteres Niveau haben. Das ist auch die Position der Europäischen Zentralbank. Daher müssen die Regeln für die Trennmauer zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht so streng wie möglich sein. Wir haben auf der Grundlage der geltenden Verträge - das haben Sie anerkannt - das Bestmögliche, das Optimale herausgeholt. Deswegen werden wir das Schritt für Schritt umsetzen.
Im Übrigen bleibt es dabei: Die Interpretation der Beschlüsse zur direkten Bankenrekapitalisierung war falsch, Herr Steinbrück. Auch in der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs vom frühen Morgen des 29. Juni 2012 - ich habe den Tag noch gut in Erinnerung - steht ausdrücklich:
Wenn eine europäische Bankenaufsicht die Arbeit aufgenommen hat, unter Beteiligung der EZB, dann können die Banken bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des ESM-Vertrages direkt Kapital bekommen. Die übrigen Voraussetzungen sind: Der ESM bleibt Lender of Last Resort, das heißt subsidiär. Nur wenn die Banken sich das Kapital nicht selbst besorgen können und auch der Mitgliedstaat das Kapital nicht besorgen kann, kann der Mitgliedstaat beim ESM einen Antrag stellen.
Dann muss ein Anpassungsprogramm vereinbart werden, ein Memorandum of Understanding. Nur so und nicht anders geht es. Würden wir es anders machen, wäre der ESM innerhalb von vier Wochen völlig leergelaufen. Damit würden wir alles vergemeinschaften. Das wäre exakt der falsche Weg; es wäre eine Fehlinterpretation der Beschlüsse. Es gibt manche in Europa, die das wollen. Deswegen muss ich hier klarstellen: Wir werden es nicht machen. Die Verträge sind völlig anders zu verstehen.
Ein letztes Wort, weil Sie auch in dieser Debatte noch auf das Thema der Steuerhinterziehung zu sprechen gekommen sind. Herr Kollege Steinbrück, Steuerhinterziehung ist - das wissen Sie - ein Riesenproblem. Auch Sie haben in Ihrer Amtszeit - das habe ich Ihnen nie vorgeworfen - an der Wirklichkeit nicht sehr viel ändern können. Die moderne Verflechtung der Wirtschaft bringt unglaubliche Möglichkeiten mit sich. Denken Sie an die Mehrwertsteuer. Für die organisierte Kriminalität ist die Ausnutzung der Tatsache, dass wir die Mehrwertsteuer notwendigerweise nach vereinbarten Entgelten erheben, ein unglaubliches Geschäftsmodell. Denken Sie daran, dass mit der großen Mobilität der Geschäftsaktivitäten im Internet - ich habe das Thema zum ersten Mal aufgegriffen und auf die G-20-Ebene gehoben - eine starke Erosion der Steuerbasis verbunden ist.
Ich muss jetzt aber noch etwas zur Schweiz sagen. Das Abkommen ist gescheitert; es konnte nicht zum 1. Januar in Kraft treten. Sie haben dazu aber schon wieder etwas gesagt, was mit meinem Respekt vor Ihnen einfach nicht zu vereinbaren ist. Sie sagen etwas, von dem ich nicht glaube, dass das von dem „richtigen Steinbrück“ stammt. Sie waren federführend dafür zuständig und verantwortlich, dass bei der Besteuerung von Kapitalerträgen eine Abgeltungsteuer eingeführt wurde. Wenn ein deutscher Steuerpflichtiger bei deutschen Banken und Sparkassen bzw. Raiffeisenbanken Kapitalerträge erzielt, behalten diese von den Kapitalerträgen - von den Zinsen, Dividenden etc. - die Kapitalertragsteuer ein und führen sie an das Finanzamt ab. Gäbe es das Abkommen, dann hätten wir seit dem 1. Januar in der Schweiz exakt dieselbe Praxis; dann würden auch Schweizer Banken das machen. Wir haben das Abkommen jetzt aber nicht. Sie haben es blockiert und verhindert. Deswegen sind wir seit dem 1. Januar darauf angewiesen, dass uns die Schweizer Banken freiwillig die Daten nennen - oder auch nicht.
Wenn Sie Steuerhinterziehung bekämpfen wollen,
müssen Sie zu internationaler Kooperation bereit sein.
Internationale Kooperation kann nur heißen, dass die Regeln, die bei uns gelten, auch im Nachbarland gelten. Das genau haben Sie zerstört.
Es gibt nur einen Grund dafür: parteipolitisch motivierter Missbrauch.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt hat Richard Pitterle das Wort für die Fraktion Die Linke.
Richard Pitterle (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die IWF-Chefin, Madame Lagarde, urteilte Ende letzten Jahres - ich zitiere -: „Das Finanzsystem als Ganzes ist noch nicht viel sicherer, als es zur Zeit des Zusammenbruchs von Lehman Brothers war.“ Die Koalition hingegen hat in ihrem gestern hastig vorgelegten Antrag aufgezählt, was die Bundesregierung alles getan habe. Ein Großteil des Reformprogramms sei abgearbeitet, heißt es dort. Außerdem habe Deutschland eine Vorreiterrolle übernommen. Wesentliche Ursachen der Finanzkrise seien beseitigt worden. Ich sage Ihnen: Eigenlob stinkt.
Wie sieht Ihre Bilanz tatsächlich aus? Die von Ihnen genannten Vorschriften bezüglich eines höheren Eigenkapitals für Banken sind Vorgaben von europäischen Gremien. Ich nenne nur die Stichworte Basel III und CRD IV. Sie sind aber doch nicht das Ergebnis Ihrer Regierungspolitik.
Sie loben sich wegen des neuen gesetzlichen Selbstbehalts von 5 Prozent bei Verbriefungen, also bei der Umverpackung schlechter und besserer Kredite zu neuen Bündeln, deren Verteilung rund um den Globus als eine der Hauptursachen für den Ausbruch der Finanzkrise gilt. Doch schon vor Ihrem Gesetz lag der sogenannte Selbstbehalt in der Praxis bei mindestens 10 bis 15 Prozent der Kreditforderungen.
Sie preisen die neuen Vergütungsregeln für Manager und Mitarbeiter von Banken. Doch wie die Bankenaufsicht selber zugibt, sind sie nur sehr schwer bei ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Banken durchzusetzen, bei ausländischen Banken ohnehin nicht.
Ratingagenturen tragen, wie Sie richtig erkannt haben, eine große Mitverantwortung an der Finanzkrise. Seit 2010 müssen sich Ratingagenturen registrieren und beaufsichtigen lassen. Wo ist da ein Fortschritt?
Kannten wir vorher ihre Anschrift nicht? Wussten wir vorher nicht, wer Geschäftsführer ist? Wie soll die deutsche bzw. europäische Aufsicht bei den drei dominierenden Ratingagenturen mit Sitz in den USA stattfinden?
Die Koalition verkündet stolz: Kundeneinlagen sind bis zu einem Betrag von 100 000 Euro gesetzlich geschützt. Schön. Aber die Sparkassen und Genossenschaftsbanken hatten schon immer die Institutssicherung, und die privaten Banken haften seit Jahrzehnten mit 30 Prozent ihres Eigenkapitals für die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger.
Ich frage Sie: Wo bitte sind Einschränkungen beim spekulativen Eigenhandel, also den Geschäften, die Banken im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätigen? Die Finanzkrise hat gezeigt, dass in diesen Geschäften enorme Risiken liegen. Etliche große Banken gerieten ins Schlingern und wurden mit Milliardenbeträgen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerettet. Die Linke ist daher für ein grundsätzliches Verbot des spekulativen Eigenhandels.
Denn im Gegensatz zu diversen Vorschlägen der EU-Kommission oder der Anhänger eines Trennbankensystems wollen wir den Spekulanten nicht einen Extraraum zur Verfügung stellen, in dem sie sich austoben können, sondern wir wollen, dass das Zocken der Banken endlich aufhört.
Wir halten von einem Trennbankensystem gar nichts. Lehman Brothers war eine reine Investmentbank in einem grundsätzlichen Trennbankensystem. Die großen US-Investmentbanken sind bis auf eine Ausnahme unter das Dach von Geschäftsbanken geschlüpft. Das soll für Deutschland die Zukunft sein? Wie man gestern im Handelsblatt lesen konnte, liebäugelt Herr Schäuble gerade mit der französischen Trennbankenreform. Doch das ist ein Reförmchen. Das hochspekulative Handelsgeschäft soll nicht unterbunden, sondern lediglich in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert werden. Nein, da gehen wir nicht mit.
Die Linke will das bewährte Universalbankensystem behalten.
Sie behaupten in Ihrem Antrag außerdem, dass Sie die Eingriffsbefugnisse der Bankenaufsicht gestärkt hätten. Doch auch hier sind Sie wieder auf halber Strecke stehen geblieben. Gestern in der Anhörung zum Hochfrequenzhandel hat die Bankenaufsicht einräumen müssen, dass ihr das Personal für eine echte Kontrolle fehlt. Marktmanipulationen finden statt, ohne dass die BaFin sie überhaupt entdecken könnte.
Das ist doch keine Erfolgsgeschichte.
Die Bundesregierung schmückt sich mit fremden Federn und zündet Nebelkerzen. Ihr Antrag ist mit „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“ überschrieben. Was heißt hier „fortsetzen“? Fangen Sie doch erst einmal richtig an!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Steinbrück, zwei Dinge zeichnen Sie aus: Erstens wissen Sie hinterher immer alles besser, und zweitens wurden alle erfolgreichen Gesetze, die CDU/CSU und FDP hier im Bundestag - im Übrigen mit Gegenstimmen der SPD-Fraktion - durchgesetzt haben, heimlich von Peer Steinbrück geschrieben. Das haben wir heute dazugelernt.
Das ist, Herr Steinbrück, im besten Falle lächerlich. Aber sich hier hinzustellen, nachdem Ihre eigene Fraktion und Sie persönlich das Restrukturierungsgesetz abgelehnt haben, nachdem Sie unsere Regulierungsgesetze hinsichtlich Leerverkäufen und anderer Dinge abgelehnt haben, und zu sagen, Sie hätten sie eigentlich geschrieben
und wir hätten bei Ihnen abgeschrieben, das ist, Herr Steinbrück, wirklich eine maßlose Täuschung der Öffentlichkeit.
Sie haben hier die Probleme der Finanzwirtschaft in den letzten Jahren eindringlich beschrieben. Es ist wahr: Es gab dramatische Exzesse mit erheblichen Problemen. Aber man fragt sich doch: Wie konnte sich der Bankensektor unter einem nordrhein-westfälischen Finanzminister Peer Steinbrück eigentlich so entwickeln? Wie konnte sich der Finanzsektor unter einem Ministerpräsidenten Peer Steinbrück so weiterentwickeln?
Wie konnte sich der Finanzsektor unter einem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück so weiterentwickeln, dass es zu einer Zuspitzung der Krise kam? Ja, wie war denn das alles möglich? Wollen Sie der Öffentlichkeit das vielleicht irgendwann einmal sagen? Das ist eine Frage des Anstands und der Aufrichtigkeit.
Sie stellen sich hier hin und sagen, dass Sie gemeinsam mit den Grünen einen neuen Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte unternehmen wollen. Wo ist denn Ihr damaliger Anlauf gewesen?
Sie haben damals, vom Zeitgeist geprägt - Herr Schäuble hat das richtig ausgeführt -, Hedgefonds zugelassen und die Deregulierung der Finanzmärkte betrieben.
Das war ein breiter Konsens.
Das war damals aber auch die Auffassung von Rot-Grün. Es war Ihre Regierung, die das betrieben hat. Sie haben die Finanzmärkte dereguliert. Sie haben also gar keinen ersten Anlauf unternommen. In Ihrer ganzen Amtszeit haben Sie kein einziges Gesetz zur Regulierung der Finanzmärkte auf den Weg gebracht.
Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben mit ansehen müssen, dass Finanzminister Peer Steinbrück, als die Krise in Amerika eskalierte, der deutschen Öffentlichkeit - selbstbewusst wie immer - mitgeteilt hat, das sei ein amerikanisches Problem, das in Deutschland nicht ankommen werde. Wir haben im Rahmen eines Untersuchungsausschusses herausarbeiten müssen - sonst hätten Sie auch das verschwiegen -, dass Peer Steinbrück die Berichte der Finanzaufsicht im Jahre 2008, also mitten in der Krise, noch nicht einmal gelesen hat;
das war eine eklatante Fehleinschätzung der Bedrohungs- und Gefährdungslage. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen, man müsse den Steuerzahler schützen. Was haben Sie denn letztlich anderes gemacht, als die Banken auf Steuerzahlerkosten zu rekapitalisieren? Sie haben ja noch nicht einmal die warnenden Hinweise der Bankenaufsicht in Deutschland gelesen, Herr Steinbrück. Das ist die Wahrheit. Das ist die Bilanz Ihrer Verantwortung als Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren, wir als christlich-liberale Regierung haben die richtige Reaktion auf die Krise gezeigt. Wir haben einen Selbstbehalt bei Verbriefungen eingeführt. Wir haben ein Leerverkaufsverbot durchgesetzt, das im Übrigen in ganz Europa Schule macht. Wir haben die Beaufsichtigung von Ratingagenturen umgesetzt. Wir haben ein Hochfrequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht. Wir setzen strenge Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken durch. Wir haben die nationale Bankenaufsicht reformiert und sie unabhängiger von der Wirtschaft gemacht; in Zukunft wird es das rot-grüne Modell, nach dem die Beaufsichtigten selbst als Mitglieder in den Gremien der Bankenaufsicht sitzen, nicht mehr geben. Wir haben für Unabhängigkeit von der Wirtschaft gesorgt. Wir haben in Deutschland ein Restrukturierungsregime aufgebaut, einen Bankenrestrukturierungsfonds geschaffen und eine Bankenabgabe durchgesetzt. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass wir auch auf europäischer Ebene eine schlagkräftige Bankenaufsicht bekommen. Das alles ist christlich-liberale Politik zur Stabilisierung der Finanzmärkte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie, Herr Steinbrück, haben hier gesagt, wir bräuchten einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds.
Dann haben Sie der Öffentlichkeit erklärt, er sei notwendig, um den deutschen Steuerzahler vor Risiken zu schützen. Ich sage Ihnen: Wir müssen einen europäischen Restrukturierungsfonds verhindern, um den deutschen Steuerzahler und die deutsche Steuerzahlerin zu schützen. Das Gegenteil von dem, was Sie vorschlagen, ist richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie vergessen etwas - Herr Schäuble hat es Ihnen eben schon gesagt -:
Sie vergessen, dazuzusagen, woher das Geld für die Bankenrekapitalisierung aus einem europäischen Fonds am Ende kommen soll.
Wir sagen: Wir wollen die Stabilisierung des Finanzsektors in Europa, die in unserem nationalen Interesse ist, unterstützen, aber nur dann, wenn auch ein Auflagenprogramm durchgesetzt wird, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften, die heute nicht wettbewerbsfähig sind, gestärkt wird. Das muss man allerdings über den ESM machen, und das darf man auf keinen Fall über einen europäischen Restrukturierungsfonds machen. In diesem Rahmen kann man nämlich keine Auflagen durchsetzen, sondern muss am Ende in Notaktionen bedingungslos helfen und Risiken für den deutschen Steuerzahler übernehmen, die man überhaupt nicht kontrollieren kann.
Sie wollen die Kasse öffnen. Das wollen wir verhindern. Wir setzen uns für Stabilität in der Euro-Zone ein. Sie hingegen suchen - auch in den Papieren, die Sie vorlegen - immer wieder nach Auswegen, um letzten Endes die Notenpresse anwerfen zu können.
Genau das unterscheidet Sie von dieser christlich-liberalen Regierung.
Das, was Herr Steinbrück in seinen Papieren sonst so vorschlägt, sind entweder Dinge, die längst umgesetzt sind oder auf europäischer Ebene auf dem Weg sind,
oder es sind Nebelkerzen.
Das beste Beispiel für eine Ihrer Nebelkerzen, Herr Steinbrück, ist diese Braunschweiger Erklärung, in der Sie vorgeschlagen haben, das Kreditwesengesetz so zu ändern, dass Banken die Lizenz entzogen werden kann, wenn sie fortgesetzt Beihilfe zum Steuerbetrug leisten. Herr Steinbrück, ich weiß nicht, ob Sie das nicht wissen oder ob Sie die Öffentlichkeit bewusst täuschen; aber das, was Sie herbeiführen wollen, ist in Deutschland bereits geltendes Recht: Nach dem Kreditwesengesetz kann die Bankenaufsicht bei fortgesetztem Verstoß gegen deutsches Recht schon heute Managern die Zulassung und Banken die Lizenz entziehen. Wir brauchen dazu keine SPD und keinen Peer Steinbrück und keine Braunschweiger Erklärung. Die Neue Zürcher Zeitung hat Ihnen bescheinigt, dass es offenbar selbst Ihrer eigenen Partei peinlich ist, dass Sie Dinge vorschlagen, die längst geltendes Recht in Deutschland sind.
Das, was Sie in der Vergangenheit beigetragen haben, war kein sinnvoller Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsektors, und was Sie heute vorschlagen, sind Nebelkerzen. Ich sage Ihnen: Sie liegen in allen Punkten falsch. Sie sind in diesem Sektor nicht Vorreiter, sondern hinken hinterher.
Vorreiter in Europa ist die christlich-liberale Koalition, die zur Stärkung des Wettbewerbs die Finanzmärkte reguliert -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Wissing.
Dr. Volker Wissing (FDP):
- ich komme zum Ende, Frau Präsidentin - und mit strengen Auflagen dafür sorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit zu- und nicht abnimmt. Wir sind stolz auf diese Regierung und haben da, wo Sie die Dinge haben schleifen lassen, vieles erreicht.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Es gibt auch in der Frage der Finanzmarktregulierung verschiedene Punkte, bei denen man unterschiedlicher Auffassung sein kann. Das hört allerdings da auf, wo die Fakten, die Sie schildern, Herr Bundesfinanzminister, genau das Gegenteil sind von dem, was in der Wirklichkeit stattfindet.
So war es gerade beim Thema Inflation. Natürlich gibt es Blasen an den Finanzmärkten, die uns Sorgen bereiten müssen. Aber es gibt zurzeit nur zwei Berufsgruppen, die mit der Angst der Menschen vor Inflation unverantwortlich spielen: Das sind windige Anlageberater und das sind Politiker der Koalition wie der Wirtschaftsminister heute morgen und Sie, Herr Bundesfinanzminister. Das ist unverantwortlich.
Lesen Sie, was die Europäische Zentralbank zu diesem Thema schreibt: Es gibt im Moment keine konkrete Inflationsgefahr in dieser Form. - Das ist genau die Stellungnahme.
Natürlich müssen wir aufpassen, dass nicht die Europäische Zentralbank die entscheidenden Aufgaben übernimmt. Aber da war das, was Sie erzählt haben, Herr Schäuble, faktisch falsch: Nicht die Vorschläge, die wir machen, führen dazu, dass die Europäische Zentralbank die Märkte mit Geld flutet. Wenn die Europäische Zentralbank in den letzten Monaten mit Billionen auf den Märkten interveniert hat, dann deswegen, weil die Bundesregierung die entscheidenden Reformen in Europa blockiert. Sagen Sie den Menschen die Wahrheit, sagen Sie ihnen, wie die Zusammenhänge sind, und machen Sie ihnen nicht etwas vor!
Das Ziel unseres Antrages ist klar: Wir müssen den Automatismus brechen, dass immer dann, wenn eine Bank in Europa ein Problem hat, der Steuerzahler einspringen muss. - Man könnte meinen, das müsste eigentlich selbstverständlich sein.
2008, als die Banken mit Milliarden gerettet wurden, gaben alle politischen Akteure das Versprechen, dass so etwas nie wieder passieren soll. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Die Logik einer Bankenrettung durch den Steuerzahler geht unvermindert weiter, nicht nur über die Bilanz der Europäischen Zentralbank. Was passiert denn in Zypern? Der Steuerzahler muss einspringen, um Banken zu retten. Was passiert denn in Spanien? Der spanische Steuerzahler muss sich mit Milliarden beteiligen, um die Banken zu retten. Was passierte denn im September 2012 - das ist gar nicht so lange her - in unserem Nachbarland Frankreich? Wieder musste eine Bank, Crédit Immobilier de France, vom Steuerzahler gerettet werden. Das sind doch alles keine Petitessen. Hier werden in den verschiedenen europäischen Staaten Milliarden aufgewendet. Muss das so sein? Nein, das muss nicht so sein;
denn wir wissen aus den USA, dass es anders geht.
Das sind ja keine Riesenbanken, die man nicht retten könnte, sondern das sind Banken - nehmen wir als Beispiele die Crédit Immobilier de France, eine Bank mit einem Kreditvolumen von 33 Milliarden Euro, die Alpha Bank in Griechenland mit einem Kreditvolumen von 70 Milliarden Euro und die spanische Banco de Valencia mit einem Kreditvolumen von 20 Milliarden Euro -, die in den USA selbstverständlich abgewickelt werden würden. Über 400 Banken sind in den USA seit Ausbruch der Krise ohne Kosten für den Steuerzahler abgewickelt worden. Wir wollen dasselbe endlich auch für Europa erreichen.
Warum gelingt das denn in den USA und bei uns nicht? Es gibt zwei Vorgehensweisen, wenn eine Bank in der Schieflage ist. Die eine ist, dass Aktionäre, Gläubiger und Investoren daran beteiligt werden, die Kosten zu tragen, der andere Weg ist, dass dies die Steuerzahler tun.
Die Kanzlerin hat im November 2010 beim G-20-Gipfel gesagt, die privaten Gläubiger sollen das tun. Ich zitiere: Die Lasten der Krisenbewältigung dürfen nicht einfach wieder dem Steuerzahler aufgebürdet werden. - Auch dieses Versprechen wurde gebrochen; denn genau das passiert doch.
In Irland hat man den Staat daran gehindert, die Investoren zu beteiligen. Wenn Sie die Leute in Irland fragen, wer sie denn daran gehindert hat, dann sagen sie: the Germans. Die Tatsache, dass die europäischen Staaten Irland daran gehindert haben, die Investoren zu beteiligen, sollten wir ernst nehmen. In Spanien gelingt die Beteiligung der Investoren auch nicht.
Insgesamt können wir sagen, dass sich die Investoren bei der gesamten Bankenrettung in Europa nirgends mit mehr als 10 Prozent beteiligt haben. Das Gros hat der Steuerzahler getragen. Das ist falsch; das müssen wir ändern;
denn es geht um eine massive Umverteilung weg von den Steuerzahlern hin zu den Menschen, die in Banken investiert und diese finanziert haben.
Man muss jetzt einmal die Frage stellen, warum das in Europa nicht gelungen ist. Liegt das daran, dass wir das in einer Finanzkrise nicht tun können? Es wird uns ja immer weisgemacht, die Finanzmärkte würden dann erschüttert. Warum sollte das aber in Europa nicht gehen, wenn das doch in den USA geht? Es ist doch ein Ammenmärchen, dass das nicht gehen könnte - oder sagen wir vielleicht eher: Es ist ein Merkel-Märchen.
Die Vorschläge lagen auf dem Tisch: schon im Oktober 2009 von der Europäischen Kommission und im Juli 2010 vom Europäischen Parlament. Der Vorschlag des grünen Berichterstatters Sven Giegold, einen europäischen Abwicklungsfonds für Banken einzurichten, der von den Banken finanziert wird, wurde vom Europäischen Parlament aufgenommen.
Wer hat das verhindert? Der Rat der Europäischen Union. Wer ist die führende Kraft im Rat der Europäischen Union? Das ist diese Bundesregierung. Aufgrund ihrer Blockade eines Bankenabwicklungsfonds, mit der sie den Weg der Abwicklung und der Investorenbeteiligung versperrt hat, trägt die Bundesregierung die direkte Verantwortung für die Bankenrettungen der letzten zwei Jahre in Europa, für die Milliarden Steuergelder gezahlt wurden.
Hier passiert jetzt etwas sehr Krasses. Unter Mitwirkung der Bundesregierung arbeiten Sie schon konkret daran, dass der Steuerzahler über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, einspringt, der die Banken direkt kapitalisieren soll. Den anderen, besseren Weg, dass nämlich die Investoren beteiligt werden, wenn eine Bank in Schieflage gerät, bringen Sie aber nicht voran, sondern den blockieren Sie. Das ist doch genau falsch herum. Genau das ist das gebrochene Versprechen der Bundeskanzlerin Merkel.
Manche Krokodilsträne, die Sie gerade vergießen, muss man hier schon noch einmal erwähnen. Herr Schäuble, Sie haben gesagt, es sei schwierig, dass jetzt dieselben Personen über die Geldpolitik und über die Bankenrettung entscheiden sollen. Es ist doch der persönliche Vorschlag von Angela Merkel gewesen, das auf Art. 127 (6) des EU-Vertrages zu stützen. Daraus folgt das doch. Übernehmen Sie die Verantwortung für das, was Sie in Europa tun.
Glauben Sie denn, wir würden nicht über die Telefonapparate mit Brüssel verbunden sein und nicht mitbekommen, was Sie in Europa tun? Ich glaube, man muss ernsthaft darangehen.
Sie haben jetzt schnell und in aller Kürze selber noch einen Antrag zur Finanzmarktregulierung vorgelegt. Hier wird ein zentraler Unterschied zwischen der Regierung und der Opposition deutlich:
Für Sie ist diese Finanzkrise ein Betriebsunfall, nach dem man ein paar Schrauben anziehen muss,
für uns ist diese Finanzkrise die Folge einer systematischen Fehlentwicklung, die wir korrigieren müssen. Da reichen ein paar Schrauben nicht aus; denn der Finanzsektor ist insgesamt zum Kostgänger der Realwirtschaft geworden. Er kostet uns mehr, als er bringt. Das sehen wir in den Bilanzen. Deswegen müssen wir wesentlich fundamentaler herangehen.
Wir haben Sie getrieben. Wir haben Sie in den letzten Jahren getrieben und werden das weiter tun. Sie wollten die Finanztransaktionsteuer nie. Wir haben sie in die Verhandlungen eingebracht. Sie wollten nie über das Trennbankensystem nachdenken. Sie haben den Antrag der Grünen noch vor Jahresfrist abgelehnt. Plötzlich heißt es, man sei offen für die Gedanken. Ja, warum? - Weil wir das als SPD und Grüne hier zum Thema machen.
Im Herbst wollten Sie noch einmal die Versicherungsgesellschaften retten - Sie haben das jetzt noch auf dem Tisch liegen - zulasten von vielen Kundinnen und Kunden. Wir haben es geschafft, Sie daran zu hindern, und werden jetzt schauen, dass wir endlich einmal eine richtige Versicherungsregulierung hinkriegen; denn die Versicherungen dürfen bei der Finanzmarktregulierung nicht ausgespart werden.
Wenn man sich Ihren Antrag einmal genau anschaut, dann stellt man ein Muster fest, und wenn man sich anschaut, was in den letzten Jahren gelaufen ist, dann stellt man ein schönes Muster fest: Sie regulieren - darum geht es in dem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben - den Hochfrequenzhandel.
- Ja, ja. Da soll ein bisschen reguliert werden, aber das Zentrale fehlt: ein Tempolimit, mit dem endlich diese Wahnsinnsgeschwindigkeit am Finanzmarkt beendet wird. Das ist notwendig.
Sie reden davon, dass die Beratung am Bankschalter besser werden muss. Das ist ja richtig. Aber an den Kern, an die provisionsorientierte Fehlberatung, wollen Sie nicht herangehen. Deswegen bleibt das Grundproblem. Sie machen wieder den Fehler, nicht an die Ursachen heranzugehen.
Genauso ist es beim Trennbankensystem. Sie sagen jetzt, wir wollen ein wenig prüfen, aber gleichzeitig signalisieren Sie, es soll sich am Universalbankenmodell nichts ändern, und für die Deutsche Bank soll alles bleiben, wie es ist. Ja, wenn alles bleibt, wie es ist, dann wird sich an den Märkten auch nichts ändern, und dann wird die nächste Finanzkrise kommen.
In Deutschland und in Europa muss eine sehr wichtige Sache geändert werden; wir haben dazu unseren gemeinsamen Antrag vorgelegt. Das Thema Finanzmarktregulierung muss endlich bei Ihnen einmal aus der Abteilung Marketing in die Abteilung Produktion wandern, und wir werden Sie darauf festlegen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach das Wort.
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier in den letzten drei Jahren über 50-mal über die Finanzmarktregulierung gesprochen. Ich bin froh, dass Herrn Steinbrück hier heute auch einmal dabei ist.
Nach dieser Rede, in der er sich einen schlanken Fuß mit Blick auf die Vergangenheit gemacht hat, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: Ich empfehle jedem Bürger, jedem SPD-Anhänger, sich einmal den WDR-Film von Klaus Balzer im Internet anzusehen, der die Geschichte der Westdeutschen Landesbank und die Verquickung mit der SPD darstellt.
Da geht es nämlich unter dem Titel „Größenwahn und Selbstbedienung“ um die Entwicklung von einer Provinzbank zu einer Zockerbude. Vor allen Dingen werden, Herr Steinbrück, einmal die Jahre dargestellt, in denen Sie Finanzminister und Ministerpräsident waren.
Denn in dieser Zeit ist der gesamte Schrott von der Westdeutschen Landesbank gekauft worden, für den wir heute bürgen müssen, meine Damen und Herren.
Sie haben hier gesagt, die ganze Krise habe mit der Staatsschuldenkrise nichts zu tun. Dazu sage ich Ihnen: Hypo Real Estate war bisher unser größter Fall. Sie hatte 80 Prozent ihrer gesamten Darlehen kurzfristig finanziert. Deswegen musste sie damals durch unsere Bürgschaften aufgefangen werden. Aber der größte konkrete Schaden, der entstanden ist, ist durch die Abschreibung der Griechenland-Anleihen erfolgt. Dass Griechenland in der Euro-Zone ist, fällt in Ihre Verantwortung, in die von Rot-Grün.
- Reden Sie nicht daran vorbei.
Ich komme jetzt zu dem Bankenthema. Das größte Problem, das wir heute in Europa haben, ist, dass Sie von Rot-Grün den Stabilitätspakt gebrochen haben. So entstanden die Probleme in der Euro-Zone, auf die wir heute hinweisen müssen.
Sie haben einen Antrag zur Bankenunion gestellt. Es geht darin um neue Wege. Es ist für die Antragsteller von SPD und Grünen die schlimmste Strafe in den letzten Tagen gewesen, dass bis auf zwei Zeitungen im Grunde genommen niemand über diesen Antrag berichtet hat.
Warum hat niemand über diesen Antrag berichtet? Erstens geht es darin entweder um Dinge, die wir längst umgesetzt haben oder die sich im Umsetzungsprozess befinden. Zweitens sind in diesem Antrag keine neuen Ideen enthalten, die uns auf den Gedanken bringen könnten, etwas besser zu machen. Drittens ist in dem Antrag von einem Abwicklungsfonds und einem Altschuldentilgungsfonds die Rede, über die wir schon längst diskutiert haben. Der Bundesfinanzminister hat genau auf den entscheidenden Punkt hingewiesen: Sie haben in keiner Weise gesagt, was das für die Haftung der deutschen Steuerzahler bedeutet. Um die Antwort auf diese Frage haben Sie sich geschickt gedrückt.
Es ist eben kein neuer Anlauf zur Bankenregulierung, stattdessen laufen Sie der gesamten Entwicklung hinterher. Schon der G-20-Beschluss hat in 2009 gezeigt, dass die systemrelevanten Banken reguliert werden müssen. Der Financial Stability Board, also der internationale Finanzstabilitätsrat, hat Standards vorgegeben.
Unsere Koalition war in der Tat die Erste, die das Restrukturierungsgesetz umgesetzt hat. Wir waren schon zum 1. Januar 2011, vor zwei Jahren, so weit, Banken zu sanieren oder auch abzuwickeln. Wir können nach den Regeln dieses Gesetzes ein pleitegegangenes Unternehmen abwickeln. Wir haben ein Abwicklungsregime geschaffen, was sonst noch keiner in Europa gemacht hat. Hier sind wir Vorreiter. Wir haben die Blaupause für die anderen Länder in Europa geliefert. Das ist der Erfolg dieser Koalition.
Wir waren natürlich, Herr Steinbrück, auch bei dem Verbot der ungedeckten Leerverkäufe die Ersten. Wir haben diesen Beschluss damals in der Großen Koalition gemeinsam gefasst. Aber auch in dieser Frage waren wir in Europa diejenigen, die die anderen gezwungen haben, diesen Weg mitzugehen, damit gewisse Spekulationsgeschäfte mit Aktien, mit Kreditversicherungen oder Staatsanleihen aufhören. Das war unser Erfolg. Wir waren hier wieder die Ersten in Europa.
Hier wurde eben der Hochfrequenzhandel angesprochen und uns vorgeworfen, wir würden ihn nicht richtig regulieren. Natürlich sind wir auch hier wieder die Ersten, die das machen, die Ersten, die einen unregulierten Markt regulieren. Sie aber werfen uns vor, wir würden nicht richtig regulieren. Wir haben als Erste diese Regelungen eingeführt. Das gibt Stabilität in diesem Lande. Das gibt Stabilität für unsere Bürger. Dafür steht unsere Koalition.
Wir stehen für eine Bankenunion. Wir unterstützen unseren Finanzminister bei der Errichtung einer Bankenunion darin, ein neues Aufsichtsregime zu schaffen. Wir wollen Qualität vor Schnelligkeit. Wir wollen auch eine klare Trennung von Geldpolitik und Aufsicht. Es geht uns vor allen Dingen darum, dass die großen systemrelevanten Banken richtig kontrolliert werden. Darum geht es uns. Es geht uns nicht um die kleinen Volksbanken, die Sparkassen oder die kleinen Privatbanken.
Aber in allen Bereichen spielt immer ein Begriff eine zentrale Rolle: Wo ist die Haftung, die Verantwortung? Auch bei der Bankenunion können wir die anderen Länder nicht aus der Verantwortung lassen. Wenn Sie einen europäischen Abwicklungsfonds mit 200 Milliarden Euro gründen wollen, dann müssen Sie nicht nur so nebenbei sagen: Das kann man doch einmal finanzieren. - Wir haben einen Abwicklungsfonds in Deutschland eingerichtet. Wir wollen aber in Europa die anderen Länder nicht aus der Verantwortung lassen. Wir wollen unsere Einlagensicherung nicht einfach auf Europa übertragen. Wir wollen nicht den Bürger für alles haften lassen. Das ist die Linie dieser Bundesregierung.
Der Kollege Wissing hat eine Liste vorgelegt, was in den letzten Jahren alles umgesetzt worden ist. Das sind 15 große Maßnahmen gewesen. Die Finanzmarktregulierung, Herr Steinbrück, war das zentrale Thema in allen Debatten hier im Deutschen Bundestag. Sie haben daran nicht teilgenommen.
Sie sind heute zu uns Finanzpolitikern gekommen, um mit uns gemeinsam zu diskutieren. Ich halte das für wichtig. Aber hier erfahren Sie auch, was in den letzten Jahren alles geschehen ist.
Diese Regierung mit Angela Merkel an der Spitze und mit unserem Finanzminister Wolfgang Schäuble hat mit Abstand das Beste für Europa getan, indem wir wieder gemeinsame Regeln einhalten, indem wir auch die deutschen Interessen vertreten. Wir wissen alle ganz genau: Nur wenn alle die Regeln einhalten, haben wir wieder ein stabiles Europa.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege.
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Gestern hat die Weltbank die Wachstumsprognose für dieses Jahr abgegeben und deutlich gemacht: Die Europäische Zentralbank und die europäischen Regierungen sind auf dem richtigen Weg dahin, dass von Europa am ehesten keine Finanzmarktkrise mehr ausgeht, weil wir am stärksten reguliert haben. Das ist der Erfolg.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt hat Manfred Zöllmer das Wort für die SPD-Fraktion.
Manfred Zöllmer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wissing, lieber Herr Flosbach, wenn es eine Technische Anleitung „Heiße Luft“ gäbe, dann müssten Sie beide schon längst stillgelegt sein.
Herr Flosbach, ich bin es wirklich leid, von Ihnen immer wieder diese Griechenland-Lüge zu hören. Es ist eine Lüge. Lesen Sie einmal nach, wie es damals war und wer Griechenland aufgenommen hat! Im Mai 1998 hat der Europäische Rat die Aufnahme von Griechenland beschlossen - der Europäische Rat, Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Waigel. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Erster Punkt.
- Beschäftigen Sie sich einfach einmal mit den Fakten! Ich kann Ihnen die Materialien zur Verfügung stellen. Das wäre hilfreich.
Nächster Punkt: Sie haben völlig vergessen, die Sachsen LB mit aufzuzählen.
Was ist mit Bayern und dem Desaster der Bayerischen Landesbank? Das haben Sie leider auch vergessen.
Noch etwas zu Nordrhein-Westfalen. Die Verbriefungen und Probleme, die in die Bilanzen aufgenommen worden sind, sind unter Herr Rüttgers aufgenommen worden.
Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. So viel zu den „Wahrheiten“, die Sie hier verkünden.
Wer verspricht, die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten der Krise zu beteiligen, wie Sie und Frau Merkel es gemacht haben, dies dann aber nicht einlöst, dessen Regulierungspolitik ist gescheitert. Sie können auf noch so viele Gesetzentwürfe verweisen: Sie haben das zentrale Versprechen von Frau Merkel nicht eingelöst. Diese Koalition ist bei der Regulierung schwach gestartet und hat dann ganz stark nachgelassen.
Ein Blick in Ihren Antrag zeigt sehr deutlich, wie sehr Sie die Vorschläge von Peer Steinbrück und die Vorschläge unseres rot-grünen Antrages getroffen haben. Sie haben bisher immer behauptet, alles sei von Ihnen bestens geregelt und unsere Vorschläge zur Bankentrennung seien schädlich. Jetzt wollen Sie diese Vorschläge prüfen. Man sollte natürlich niemandem vorwerfen, klüger werden zu wollen.
Das Handelsblatt hat geschrieben:
Schäuble freundet sich mit Trennbanken-Idee an. Union und FDP wollen so Steinbrücks Wahlerfolg verhindern.
Eines ist immerhin klar: Die Aussage der Regierungsfraktionen, man habe bereits alle richtigen Lehren aus der Krise gezogen, wird nun von Ihnen selbst widerlegt.
Schauen wir uns doch einmal die wichtigen Punkte an. Der ganz zentrale Punkt ist die Beteiligung an den Kosten der Krise bzw. die Frage, wie in Zukunft zu verhindern ist, dass die Steuerzahler daran beteiligt werden. Das ist Ihnen nicht gelungen. Sie verlagern die Risiken auf den ESM. In Zukunft wird die Bankenrekapitalisierung durch den ESM erfolgen. Das heißt, letztendlich haftet der Steuerzahler wieder.
Frau Merkel hat die üblichen Nebelkerzen geworfen. Erst hieß es: „Mit uns überhaupt nicht! Nein, das machen wir nicht.“ Dann hat sie der Bankenunion zugestimmt und damit auch explizit der Situation, dass der ESM zukünftig Banken retten wird. Das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind wieder in der Verantwortung. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie unseren Antrag gründlich durch. Darin stehen viele Vorschläge, wie das zu verhindern ist.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die FDP hat jetzt Björn Sänger das Wort.
Björn Sänger (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gute an der Debatte ist vor allen Dingen, dass sie zu einer Tageszeit stattfindet, zu der diesem wichtigen Thema noch ein gewisser Grad an Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das war nicht bei allen der zahlreichen Debatten zur Finanzmarktpolitik der Fall. Insofern begrüße ich das außerordentlich; denn es wird auch dem Thema gerecht.
Die Finanzmarktregulierung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte; das kann man festhalten. Der entscheidende Punkt bei der Bewältigung der Finanzkrise ist, dass im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 ein erheblicher Vertrauensverlust in der Finanzindustrie stattgefunden hat und dass insbesondere das Vertrauen, dass kein einzelnes Institut das gesamte System destabilisieren kann, wiederhergestellt worden ist. Dazu brauchte es einen Ordnungsrahmen. Ihn zu schaffen, das ist - das kann man hier feststellen - dieser Regierungskoalition gelungen.
Ein zentraler Baustein für die Herstellung dieses Vertrauens ist das Bankenrestrukturierungsgesetz, das in einem feinstufigen Prozess die Rettung von Banken bis hin zur Abwicklung vorsieht. Die Finanzierung, die dafür notwendig ist, wird durch einen Fonds sichergestellt. Das heißt, wir schirmen den Steuerzahler vor den Risiken ab und bringen die Haftung wieder dahin, wo sie hingehört, nämlich zum Eigentümer. Handlung und Haftung werden wieder zusammengeführt - ein zentrales Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, das wir in der Finanzindustrie neu zur Geltung gebracht haben.
Gleichzeitig haben wir Anreize, die zu Fehlverhalten führen, verringert. Wir haben die Vergütungsregeln neu gestaltet. Wir haben dafür gesorgt, dass Boni zurückgefordert werden können, wenn Banken in Schieflage kommen. Die Vergütungs- und Boniregeln müssen nachhaltig ausgestaltet sein. Wir haben die Kreditverbriefungen - sie waren das Epizentrum der Krise - geregelt, indem wir einen Selbstbehalt eingeführt haben. Das Ganze ist ein bisschen wie bei der Kfz-Versicherung: Man schaut genau hin, was in die Bücher aufgenommen wird. Wir haben ungedeckte Leerverkäufe verboten. Das Gleiche gilt im Übrigen für den Verkauf ungedeckter Kreditausfallversicherungen. Wir haben auch in diesem Bereich für Transparenz gesorgt. Wir haben die Ratingagenturen, die während der Krise eine ungute Rolle gespielt haben, einer Regulierung zugeführt. Sie stehen jetzt unter Aufsicht. Sie müssen sich registrieren lassen. Auch hier haben wir für Transparenz gesorgt. Transparenz ist übrigens ein Leitgedanke in dieser gesamten Regulierung; denn nur wenn man weiß, wer was wann macht und wie hält, kann der Markt darauf entsprechend reagieren und werden die Selbstregulierungskräfte entsprechend geweckt.
Wir haben den Derivatemarkt reguliert. Indem wir zentrale Gegenparteien eingeführt haben, haben wir auch dort für neues Vertrauen gesorgt. Denn auch da weiß man, wer welches Derivat wie lange hält. Auch das fördert die Transparenz. Wir haben eine Eigenkapitalunterlegung eingeführt. Wir haben die Finanzaufsicht neu geordnet, indem wir dafür gesorgt haben, dass die Akteure besser miteinander kommunizieren und die Aufsicht unabhängiger von der Wirtschaft wird. Damit ist insgesamt eine effizientere Aufsicht aufgebaut worden.
Wir haben noch weitere Maßnahmen in der Pipeline; wir diskutieren bereits darüber. Ich denke an die Regulierung alternativer Investmentfonds, also an Hedgefonds, und insbesondere an deren Manager. Den Hochfrequenzhandel - dazu hatten wir erst gestern eine interessante Anhörung - werden wir als erste Nation überhaupt regulieren. Wir haben die nationale Umsetzung von Basel III, also der notwendigen Kapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken, vor uns. Der Versicherungsbereich wird mit Solvency II reguliert werden.
Viele Maßnahmen wurden auf EU-Ebene angestoßen, unter anderem durch deutsche Initiativen. Beispielsweise kamen Initiativen zu Regulierungen wie das Bankenrestrukturierungsgesetz oder auch das Verbot von Leerverkäufen aus Deutschland. Die deutschen Interessen sind hierbei auf EU-Ebene sehr wirkungsvoll vertreten worden. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal der Bundesregierung dafür Dank sagen, dass dies so geschehen ist. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir einen Finanzmarkt haben, der sich in der Krise als stabiler als andere Finanzmärkte gezeigt hat und deswegen einer etwas anderen Regulierung bedarf.
Wir unterstützen die Bundesregierung auch bei den Maßnahmen hinsichtlich der Bankenunion, wenn sie sagt: Für uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit, wir wollen die unabhängige Geldpolitik der EZB bewahren, und wir wollen, dass Verwaltungsakte demokratisch kontrolliert werden und insbesondere subsidiär erfolgen. Insofern hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition immer auch die Wettbewerbssituation im Finanzmarkt vor Augen. Sie denkt vom Ende her und fragt: Welche Auswirkungen hat eine Regulierungsmaßnahme? Es nutzt nämlich nichts, wenn Geschäfte außerhalb Deutschlands stattfinden, die Risiken aber in Deutschland verbleiben, weil die deutschen Akteure natürlich weiterhin solche Geschäfte tätigen, diese nur eben im Ausland ausführen.
Insofern: Wir überlegen genau und handeln; wir reden nicht nur und machen keinen Unfug.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Axel Troost hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ursachenanalyse der Euro-Krise im Antrag von SPD und Grünen ist nur begrenzt richtig; denn sie lässt einen wichtigen Teil außen vor. Natürlich hat die Finanz- und Bankenkrise seit 2008 einen großen Anteil an der Krise im Euro-Raum. Aber Sie blenden die mindestens genauso wichtige zweite Ursache aus, und das ist kein Zufall. Die zweite Ursache - das sind die Konstruktionsfehler der Währungsunion selbst. In einer Währungsunion hätte man die Mitgliedsländer darauf verpflichten müssen, sich in wichtigen Schlüsselbereichen ständig abzustimmen, zum Beispiel in der Wirtschafts-, in der Steuer-, in der Lohn-, in der Inflations- und in der Arbeitsmarktpolitik.
Wenn in einer Währungsunion eine Zielinflationsrate von 2 Prozent vereinbart ist, dann ist es nicht nur Aufgabe der Zentralbank, sich darum zu kümmern. Vielmehr hätte sich eine deutsche Bundesregierung selbstverständlich darum bemühen müssen, dass die Löhne oder, genauer gesagt, die Lohnstückkosten, entsprechend steigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Ihre letzte Bundesregierung von 2002 bis 2005 hat das nicht nur ignoriert. Viel schlimmer: Sie hat in Deutschland mit der Agenda 2010 ganz bewusst einen Niedriglohnsektor, eine Prekarisierung von Arbeit, Erwerbslosigkeit und Rente eingeführt und hat damit die Reallöhne auf breiter Front gesenkt.
Das - deswegen ist das hier Thema - war nicht nur Verrat an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Erwerbslosen sowie Rentnerinnen und Rentner, sondern es war auch eine Sabotage an der Europäischen Währungsunion; denn Sie haben die Lohnentwicklung in Deutschland zugunsten der deutschen Unternehmer und Aktionäre auf Kosten von Rest-Europa unter 2 Prozent gedrückt.
Unter Rot-Grün wurde der Euro eingeführt, und ohne die rot-grüne Agenda 2010 stünde die Euro-Zone heute weit weniger nahe am Abgrund.
Natürlich müssen die Griechinnen und Griechen ihre hausgemachten Probleme anpacken, aber einen wichtigen Beitrag müssen auch wir in Deutschland leisten. Wir müssen die ausschließliche Exportorientierung eindämmen, uns von der Agenda-Politik verabschieden und endlich die Binnenwirtschaft stärken, das Lohnniveau in Deutschland anheben und uns für einen leistungsfähigen deutschen Sozialstaat einsetzen.
Ohne diese Maßnahmen gibt es keine Chance, dass die südeuropäischen Länder ihre Wirtschaft wieder auf Kurs bringen und sich aus der Schuldenfalle befreien können.
Nun zum Hauptgegenstand Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, zur Finanzregulierung.
Viele Ihrer Einschätzungen und Forderungen können wir unterstützen. Wir freuen uns auch, dass Sie Anteilseigner und Gläubiger in Zukunft stärker bei der Bekämpfung der Bankenkrise heranziehen wollen.
Wir wissen aber natürlich auch alle: Das gilt für die Zukunft, also für die nächste Bankenkrise. Die Kosten der heutigen Krise sind aber längst da. Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, dass alleine in der Euro-Zone insgesamt über 1,6 Billionen Euro für die Bankenrettung aufgewendet worden sind. Man kann sagen - das ist zugegebenermaßen etwas einfach -: Die Reichen und Superreichen sind trotz der Krise immer reicher geworden, weil die Staaten großzügig für ihre Verluste aufgekommen sind.
Wir sehen daher die Zeit gekommen, durch eine einmalige Vermögensabgabe die Profiteure der Bankenrettung auch rückwirkend an den Krisenkosten zu beteiligen.
Erfreulicherweise gibt es bei den Grünen in dieser Richtung auch klare Beschlüsse. In der SPD sieht das ganz anders aus. Insofern wird es in einer rot-grünen Regierung unter Leitung von Peer Steinbrück dazu sicherlich nichts geben. Unter einer Regierung von Rot-Rot-Grün, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, hätten Sie bestimmt bessere Karten.
Auch in Sachen Finanzmarktregulierung und Bankenunion bleibt die Liste Ihrer Forderungen hinter vielem zurück, was nottut. Hier ist mehrfach gesagt worden: Die SPD will ein Trennbankensystem. - In Ihrem Antrag steht davon überhaupt nichts.
Wir wollen bekanntlich auch, dass das spekulative Investmentbanking-Geschäft vom seriösen Bankengeschäft getrennt wird.
Aber wir wollen auch, dass, wenn es dann einen Bankenteil und einen Spielbankenteil gibt, der Spielbankenteil restlos geschlossen wird und nicht weiterarbeiten kann.
Aus unserer Sicht braucht die Welt keine hochkomplexen, gefährlichen Finanzprodukte, die selbst Bankenvorstände nicht mehr verstehen.
Aus unserer Sicht muss der ganze Finanzsektor so grundlegend entrümpelt und zurechtgestutzt werden, dass am Ende keine Großbank mehr übrig bleibt, die ein Risiko für die Gemeinwirtschaft darstellt.
Aus unserer Sicht muss die Gesellschaft viel stärker in die Banken hineinwirken. Banken gehören unter gesellschaftliche Kontrolle
durch demokratisch legitimierte Verwaltungs- und Aufsichtsräte, wie es heute am besten noch im Bereich der Sparkassen und Volksbanken der Fall ist.
Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, glauben wir, dass Ihr gemeinsamer Forderungskatalog sich eher liest wie eine mäßig aufgepeppte Presseerklärung der EU-Kommission. Wir brauchen mehr und stärkere Regulierung, andere Einflussnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie im Herbst nicht nur die Regierung übernehmen, sondern wirklich einen neuen Kurs einschlagen wollen, dann ist wesentlich mehr Mut bei den Alternativen erforderlich.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Peter Aumer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Peter Aumer (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Axel Troost, ich gebe dir vollkommen recht: Mehr Mut wäre bei diesen Themen angesagt.
„Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ ist ein gemeinsames rot-grünes Projekt, das Sie uns vorgelegt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren der SPD und der Grünen. Ein neuer Anlauf für was? Seit ich im Deutschen Bundestag sein darf, habe ich Ihre Anläufe in diesem Bereich vermisst.
Herr Steinbrück wollte uns vorhin klarmachen, dass er der Verantwortliche für all die Finanzmarktregulierungsmaßnahmen ist, die wir in der christlich-liberalen Koalition auf den Weg gebracht haben. Aus meiner Sicht und auch im Kontext der europäischen Entscheidungen sind es sehr wohl gelungene Finanzmarktregulierungsmaßnahmen, die unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, getragen von der christlich-liberalen Koalition, in Deutschland auf den Weg gebracht hat; zudem hat er gemeinsam mit der Bundeskanzlerin die Mehrheiten auch auf europäischer Ebene organisiert.
Nun kommen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von Rot-Grün, wollen den ersten Aufschlag machen und beweisen, welches große Regierungshandeln Sie denn an den Tag legen werden in Ihrer Politik, die nach der Bundestagswahl hoffentlich nicht Realität werden wird, weil der Mut fehlt, wie Axel Troost das vorhin gesagt hat.
„Übernehmen Sie Verantwortung!“, hat Herr Dr. Schick vorhin gesagt. Wir haben in diesen dreieinhalb Jahren Verantwortung übernommen mit all den Maßnahmen, die der Bundesfinanzminister, unser finanzpolitischer Sprecher und auch die Kollegen von der FDP dargestellt haben. Wir haben ein Motto ausgegeben: Kein Risiko darf mehr ausgehen von einem Finanzprodukt, kein Risiko darf mehr ausgehen von Finanzmarktakteuren, und vom Finanzmarkt an sich darf auch kein Risiko mehr für die Wirtschaft in unserem Land, für die Wirtschaft in Europa ausgehen. - Das ist uns bisher gelungen. Für die Krise ist mittlerweile politische Verantwortung übernommen worden.
Wir haben diese Verantwortung übernommen und keinen Schleiertanz aufgeführt, so wie das Ihr Kanzlerkandidat uns weismachen wollte. Herr Poß, diesen Schleiertanz hat vielmehr Ihr Kanzlerkandidat aufgeführt. Wenn er solche Worte im Munde führt, fallen die auch auf ihn zurück. Er hat den Blick auf die Krise verstellt. Das ist keine verantwortungsvolle Politik der Opposition. Wir haben in den dreieinhalb Jahren gezeigt, was verantwortungsvolle Politik heißt, was auch Wahrhaftigkeit in der Politik heißt. Ich habe mir Stichworte aus der Rede Ihres Kanzlerkandidaten aufgeschrieben. Herr Steinbrück hat von Wahrhaftigkeit gesprochen. Was er in seiner Rede gesagt hat, gehörte aus meiner Sicht nicht dazu.
- Herr Poß, ich komme aus Regensburg, genau.
Deswegen ist es für mich ein großer Auftrag und eine große Verantwortung, dass wir die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft beachten. Wir sind der Garant für die soziale Marktwirtschaft, nicht Herr Steinbrück.
Er möchte das vielleicht für sich in Anspruch nehmen. Aber das, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen wir ihm als christlich-liberale Koalition nicht durchgehen. Wir haben Haftung und Risiko zusammengebracht, nachdem es zuvor - das ist vorhin schon angesprochen worden - eine Politik der Deregulierung geben hat, eine Politik, die von einer breiten Mehrheit dieses Hauses und der Gesellschaft getragen war. Uns allen ist klar geworden, dass man einen anderen Weg gehen muss, einen Weg der Verlässlichkeit und der Nachhaltigkeit. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst geworden.
Wolfgang Schäuble hat in seiner Rede Deutschland als Anker für Europa bezeichnet. Mich wundert es, wenn die Opposition versucht, diese kräftige Wirtschaft schlechtzureden. Das ist nicht der richtige Weg.
- Ihr Kanzlerkandidat hat das doch vorher gemacht.
- Auf die Probleme hingewiesen hat eher Herr Dr. Troost als Herr Steinbrück. Er hat gesagt, all das, was wir umgesetzt haben, hat eigentlich er gemacht. Ansonsten gab es keinen Hinweis auf einen neuen Regulierungsrahmen für die Finanzinstitute und die Finanzmärkte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind der Verantwortung nachgekommen. Die Bundeskanzlerin hat für uns auf europäischer Ebene intensiv verhandelt, sodass ein neuer Regulierungsrahmen eingezogen wird. Es ist ein Erfolg, dass wir in der christlich-liberalen Koalition hart geblieben sind. Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, an der Regierung gewesen wären, wären Haftung und Risiko in Europa schon lange nicht mehr im Einklang, sondern es wären mittlerweile Euro-Bonds eingeführt worden. Sie hätten genau das Gegenteil von dem gemacht, wovon Ihr Kanzlerkandidat gesprochen hat, nämlich dass Haftung und Risiko in Einklang gebracht werden müssen. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.
Für uns ist der Dreiklang der Finanzmarktregulierung wichtig, nämlich dass wir umfangreich regulieren, dass wir den Verbraucherschutz verbessern und dass die Aufsicht verbessert wird. Das wollen wir im letzten halben Jahr vor der Bundestagswahl auf den Weg bringen, und das können wir den Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich vermitteln. Von uns kommt keine heiße Luft, sondern von uns kommt verantwortungsvolle Politik für die Zukunft unseres Landes. Ich lade Sie ein, diese verantwortungsvolle Politik nicht schlechtzureden, sondern mit uns gemeinsam dieses Land in eine starke Zukunft zu führen. Dazu gehört auch, dass der Regulierungsrahmen gemeinsam gestaltet wird. Wir sind der Garant dafür, dass dieser Regulierungsrahmen in die richtige Richtung geht, dass auch in Europa Solidität und Solidarität in Einklang gebracht werden. Das ist der Weg, den wir in unserer Koalition gegangen sind und den Sie durch solche Anträge kurz vor irgendwelchen Wahlen nicht schlechtreden können. Die Menschen in unserem Land wissen, wer verantwortungsvoll in die Zukunft geht.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Carsten Sieling hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Dr. Carsten Sieling (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten anderthalb Stunden haben wir nahezu eine Großkundgebung für die Regulierung von Finanzmärkten erlebt, an der sich offensichtlich jeder oder jede beteiligen will. Was sind die Ergebnisse? Darüber möchte ich mit Ihnen vor dem Hintergrund reden, dass Sie in der Tat in den letzten drei Jahre regiert haben.
Schauen wir auf die europäische Politik und den europäischen Kontext. Seit 2010 ist die Frage der Stabilisierung des Euros, die Rettung von Griechenland und anderen Ländern ständig Thema. Die Kanzlerin und der Finanzminister hecheln von europäischem Gipfel zu europäischem Gipfel. Der Bundestag wird mit immer neuen Fakten und Wahrheiten konfrontiert. Gelöst ist verdammt wenig.
Wenn es in Europa zu einer Stabilisierung gekommen ist, dann ist das nicht das Ergebnis irgendwelcher Gipfelbeschlüsse, erst recht nicht von Beschlüssen dieser Bundesregierung oder dieser Koalition, sondern bestenfalls des Handelns der Europäischen Zentralbank, die das im Herbst mit ihrem Stabilisierungsprogramm gemacht hat - unter Billigung dieser Bundesregierung und bei Kritik aus Ihren Reihen. Das nenne ich verfehlt und scheinheilig.
Die Krönung des Ganzen ist, wenn hier auch noch der verantwortliche Bundesfinanzminister entgegen dem Rat sämtlicher Ökonomen von Inflation redet. Die EZB und selbst das Institut der deutschen Wirtschaft sagen: Es wird keine Inflation geben. - Was der Bundesfinanzminister dazu bemerkt hat, halte ich für fahrlässig und für eine große Gefährdung der Stabilität in unserem Volk.
Zum Schluss darf ich noch sagen: Sie kommen hier mit einem Antrag zur Finanzmarktregulierung. Sie erzählen uns darin in 15 Punkten, was Sie alles gemacht haben wollen.
Leider haben Sie das Problem nicht gelöst. Das erkennen Sie auch selber, wenn Sie einen Blick auf die Überschrift Ihres Antrags werfen. Sie wollen eine „schärfere und effektivere Regulierung“. Bravo! Das ist ein Eingeständnis, dass Ihre Maßnahmen nicht gereicht haben, und zugleich eine Unterstützung unserer Vorschläge.
Ich sage Ihnen auch: Wir haben ein Interesse daran - Herr Kollege Brinkhaus, Sie können gleich darauf eingehen -, dass diese Beratung fortgeführt wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege.
Dr. Carsten Sieling (SPD):
Wir wollen, dass die beiden Anträge - das darf ich noch sagen, weil es sich auf das Verfahren bezieht, Frau Präsidentin - an die Ausschüsse überwiesen werden und sich der Deutsche Bundestag weiterhin ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt. Sie jedoch wollen gleich in der Sache abstimmen. Das halte ich für einen großen Fehler. Das zeigt Ihr Demokratieverständnis und Ihre Angst vor diesem Thema.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie waren am Ende Ihrer vorgesehenen Redezeit. - Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Der Kanzlerkandidat der SPD hat gerade 16 Minuten geredet. Zwei Minuten hat er damit verbracht, die Blockade des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz zu rechtfertigen. Etwas mehr als 14 Minuten hat er sich an einer Vergangenheitsbetrachtung ergötzt, und circa 30 Sekunden hat er über die Zukunft geredet. Das spricht Bände.
Dieser Kanzlerkandidat hat in dem politischen Sabbatical, das er sich genommen hat, den Anschluss an die Finanzpolitik und an das, was in der Zwischenzeit geschehen ist, verpasst. Das hat man heute in dieser Rede wieder gemerkt. Wenn man sich dann Ihren Antrag anschaut - das Einzige, wovon er geredet hat, war ja, dass er einen Restrukturierungsfonds haben möchte -, muss man sich fragen: Warum wollen Sie denn nicht eigentlich schon früher ansetzen? Warum beginnen Sie mit der Regulierung erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist?
Wir haben einen anderen Ansatz. Wer Finanzmärkte bändigen will, der muss zunächst einmal dafür sorgen, dass in den Finanzinstitutionen weniger Fehler gemacht werden. Genau das haben wir gemacht. Wir haben Vergütungsregeln angepasst, wir haben die Ratingagenturen und die Verbriefungen reguliert und vieles andere mehr.
Wer die Finanzmärkte bändigen will, der muss dafür sorgen, dass die Fehlertragfähigkeit der Institute erhöht wird. Er muss dafür sorgen, dass mehr Eigenkapital vorhanden ist, und dafür, dass es mehr Liquidität gibt. Er muss auch dafür sorgen, dass die Derivatemärkte sicherer sind. Genau das haben wir gemacht, bzw. wir sind gerade dabei.
Wer dafür sorgen will, dass die Finanzmärkte gebändigt werden, der muss sich darum kümmern, dass es eine bessere Aufsicht gibt. Genau das haben wir gemacht. Wir haben die deutsche Aufsicht reformiert. Wir haben die europäische Aufsicht reformiert, und wir haben überhaupt erst die Basis für Aufsicht geschaffen, indem wir durch viele Meldefristen für die notwendige Transparenz gesorgt haben.
Erst dann, wenn wir sehen, dass die Fehlervermeidung scheitert, dass die Fehlertragfähigkeit nicht gegeben ist, dass die Aufsicht nicht geklappt hat, kommt die Restrukturierung. Genau diese Restrukturierung haben wir auf den Weg gebracht.
Es ist doch albern, jetzt zu fragen, wer denn damit angefangen hat, wer zuerst diese Idee hatte oder wem das Copyright gehört. Diese Dinge interessieren den Bürger in diesem Lande überhaupt nicht. Wir haben es durchgesetzt, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Wir waren die ersten in Europa, die es gemacht haben.
Wer die Banken bändigen will, der muss auch sehen, dass es nicht nur Investmentbanker und Hedgefondsmanager gibt, sondern auch Verbraucher. Deshalb war uns der Gedanke sehr wichtig, dass Bankenregulierung zugleich Verbraucherschutz ist. Keine Bundesregierung hat im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes so viel getan wie diese Bundesregierung. Auch dafür bin ich dankbar.
Man muss eines sehen: Wir können das nicht allein in Deutschland machen - der Bundesfinanzminister hat es angesprochen -, wir brauchen einen europäischen Konsens. Wir müssen uns mit den anderen Ländern in Europa und - noch besser - mit dem Rest der Welt einigen. Das haben wir gemacht. Das ist mühsame Kleinarbeit. Da gibt es keine schnellen Erfolge. Da muss man versuchen, die Menschen, die anderen Länder, die anderen Regierungen mitzunehmen. Genau das haben wir gemacht. Die Alternative dazu hat uns Ihr Kanzlerkandidat gezeigt: die Fortsetzung der Kanonenbootpolitik von Kaiser Wilhelm mit verbalen Mitteln. Das wird nicht funktionieren, meine Damen und Herren.
Wir müssen jetzt weitergehen und ganz klar anerkennen, dass natürlich noch nicht alles erledigt ist, dass vieles noch offen ist. Es gibt Projekte, die hängen. Dazu zählt die Umsetzung der Eigenkapital- und Liquiditätsregeln gemäß Basel III; denn insbesondere unsere Kollegen im Europäischen Parlament kommen nicht zu Potte. Dazu zählt Solvency II, ein ganz wichtiges Projekt im Versicherungsbereich. Dazu zählt auch die Finanztransaktionsteuer, bei der wir noch mehr Druck machen müssen. Genau das schreiben wir in unserem Antrag: Wir wollen Druck machen, wir wollen an der Stelle weitermachen.
Meine Damen und Herren, es reicht nicht, uns nur mit den bestehenden Projekten zu beschäftigen, sondern wir müssen ganz klar feststellen: Wo sind denn unsere offenen Flanken?
Eine offene Flanke haben wir ganz eindeutig bei der "too big to fail"-Problematik. Das heißt, es gibt Großbanken, die uns alle hier in diesem Haus noch immer beunruhigen. Wir schreiben in unserem Antrag, dass wir da herangehen müssen.
Wir müssen auch an das Schattenbanksystem herangehen, das uns sehr viel Anlass zur Sorge gibt. Ich denke, insofern ist es richtig und gut, was wir in unseren Antrag geschrieben haben. Ich kann Sie nur auffordern, diesen Antrag zu unterstützen.
Wenn ich alles zusammenfasse, erkenne ich, dass diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition mehr als 20 Maßnahmen und Initiativen auf den Weg gebracht haben, dass wir einen wesentlichen Teil unserer Zeit im Finanzausschuss - und nicht nur dort - damit verbracht haben, die Finanzmärkte zu regulieren.
Ich schaue mir dann an, wie hier heute diskutiert worden ist: Die Schärfe, mit der die Argumente vorgebracht wurden, stand in keinem Verhältnis zur Begründetheit der Vorwürfe. Ich schaue mir dann an, was in Ihrem Antrag steht. Darin steht das Versprechen: Wir werden die Finanzmärkte bändigen. - Wenn man aber den Antrag von SPD und Grünen durchschaut, dann erkennt man, dass ganz wenig übrig bleibt.
Ich schaue mir dann an, was im Papier des Kanzlerkandidaten Steinbrück steht, das die Visitenkarte im Kampf gegen Sigmar Gabriel um die Kanzlerkandidatur war. Darin kündigt er ein großes Bankenkonzept an. Mehrere Vorredner haben schon gesagt, was darin steht: Dinge, die schon längst umgesetzt worden sind, Dinge, die in der Umsetzung sind, und Dinge, die wir auf internationaler Ebene diskutieren.
Ich schaue mir dann an - ich habe das gestern Abend einmal gemacht -, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren an Anträgen vorgelegt haben. Ich kann da weder eine Handschrift noch einen roten Faden noch eine Linie oder ein Konzept erkennen. Das ist, ehrlich gesagt, zu wenig.
Ich erwarte eigentlich von der Opposition, dass sie kreativ und inspirierend ist und innovative Vorschläge macht, dass sie einen Gegenentwurf zu dem liefert, was die Regierung macht. Da muss man ganz ehrlich sagen, meine Damen und Herren: Man könnte auf die Idee kommen, dass es sich um Arbeitsverweigerung handelt. Es waren in finanzpolitischer Hinsicht verlorene Jahre für die Opposition; auch auf diese Idee könnte man kommen. Aber man könnte auch auf eine andere Idee kommen, nämlich darauf, dass die Politik der Bundesregierung so gut war, dass ihr überhaupt nichts Essenzielles hinzuzufügen war.
Wenn sich der Kollege Steinbrück nicht schon - wahrscheinlich zu Hausbesuchen im niedersächsischen Wahlkampf - verabschiedet hätte, wenn er noch hier in der Debatte wäre, die er angestoßen hat - -
- Der Finanzminister ist hier im Saal.
Wenn sich der Kollege Steinbrück hier nicht schon vom Acker gemacht hätte und sich nicht aus den Tiefen der Fachdiskussion weggestohlen hätte, dann hätte ich ihm jetzt gesagt: Lieber Herr Kollege Steinbrück, wenn der Wähler Ihnen die Gunst erwiesen hätte, noch länger Finanzminister sein zu können - die große Mehrheit der Wähler hat das im Übrigen nicht getan -, dann hätten Sie wahrscheinlich nicht viel anders gemacht als der Finanzminister Schäuble; das gehört zur Wahrheit dazu.
Meine Damen und Herren, das Thema der Regulierung der Finanzmärkte ist zu ernst und zu wichtig, um es für Wahlkampfklamauk zu missbrauchen. Beim Thema der Regulierung der Finanzmärkte geht es um eine der essenziellen Fragen. Dementsprechend eignet sich das Thema nicht dafür, es zum Wahlkampfthema hochzupushen. Ich will Ihnen auch sagen, warum es sich dafür nicht eignet: Bei all den Widersprüchen, die wir haben, und all den Diskussionen, die wir führen, ist es richtig, dass uns an dieser Stelle, bei der Regulierung der Finanzmärkte, mehr vereint als trennt. Der Gegner sitzt nicht hier im Saal; der Gegner sind die Akteure an den Finanzmärkten, die es immer noch nicht kapiert haben, die großen Teile der Finanzmärkte, die immer noch nicht kooperieren, die Teile der Finanzmärkte, die weiterhin die Geschäfte machen, die die Stabilität unseres Systems, das wir in den letzten 50 Jahren aufgebaut haben, gefährden.
Dementsprechend rufe ich dazu auf: Lassen Sie uns die Sache zusammen angehen! Machen Sie daraus keinen Wahlkampfpopanz!
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11878 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 17/12060 mit dem Titel „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Abstimmung in der Sache. Die SPD-Fraktion, die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünschen Überweisung an dieselben Ausschüsse, an die die Vorlage auf Drucksache 17/11878 überwiesen worden ist.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich?
- Wir sind uns im Präsidium nicht darüber einig, wo die Mehrheiten sind. Insofern werden wir an dieser Stelle einen Hammelsprung durchführen müssen.
Deswegen muss ich Sie bitten, den Saal zu verlassen, damit wir das tun können. Ich könnte noch einmal einen Hinweis geben, wo genau die Türen sind; es gibt mehrere.
Sind die Türen jetzt zu? - Noch nicht. Es fehlen noch Schriftführer an den Türen. Wer die Abstimmung gern beschleunigen möchte und zugleich Schriftführerin oder Schriftführer ist, könnte sich in den Innenraum begeben. - Es fehlen noch Kolleginnen und Kollegen Schriftführer von der Regierungskoalition. - Wunderbar, Frau Michalk, danke, dass Sie da sind. Jetzt fehlt nur noch einer. - Sind wir jetzt vollständig? - Alle Türen sind besetzt. Dann beginnen wir mit dem Zählen. Vielen Dank.
Ich weise alle, die jetzt im Saal sind, schon einmal darauf hin, dass wir gleich auch noch eine namentliche Abstimmung durchführen werden.
Sind noch Kolleginnen und Kollegen draußen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann können wir die Abstimmung noch nicht beenden.
Ich frage noch einmal: Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen vor der Tür, die den Wunsch haben, in den Plenarsaal zu kommen? Kann ich einmal ein Signal bekommen? - Leider kann man das von hier aus nicht sehen, weil so viele Kolleginnen und Kollegen innen vor den Türen stehen. - Jetzt kommt das Signal. Die Türen werden geschlossen, und die Abstimmung mit dem Hammelsprung ist beendet. Wir warten auf das Ergebnis.
Wir haben ein Ergebnis. Zur Erinnerung: Es ging um die Frage der Überweisung. Der Überweisungsantrag wurde abgelehnt. Es gab 280 Nein-Stimmen, 241 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 17/12060. Wer stimmt für diesen Antrag? - Es irritiert mich, dass niemand dafür stimmen möchte.
- Wir stimmen über den Antrag auf Drucksache 17/12060 ab. Es geht um den Antrag mit dem Titel „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“. Es handelt sich um einen Antrag der CDU/CSU und der FDP.
Er steht auf Drucksache 17/12060 und sollte nicht überwiesen werden. Das haben wir per Hammelsprung festgestellt.
Deswegen frage ich jetzt noch einmal: Wer ist für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag angenommen. Darüber sind wir uns hier auch einig.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der
217. Sitzung - wird am
Freitag, den 18. Januar 2013,
auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.]