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Günter Krings, Julia von Blumenthal, Suzanne S. Schüttemeyer, Reinhold Bocklet, Wolfgang Zeh © DBT/Melde
"Die Bürger laden im Parlament ihre ganze Unzufriedenheit ab - stellvertretend für all das, womit sie unzufrieden sind. Das ist nichts wirklich Neues", beschwichtigte Prof. Dr. Wolfgang Zeh, ehemaliger Direktor beim Deutschen Bundestag, gegenüber der verbreiteten Befürchtung, der Bundestag verlöre rapide an Akzeptanz in der Bevölkerung. Ungleich schwieriger gestaltete sich während des ersten Panels im Rahmen des Symposions der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen anlässlich ihres 40. Jubiläums die Lösung anderer entscheidender Fragen: Welche Bedeutung hat das Parlament heute noch? Und wo werden ihm auf nationaler wie auf europäischer Ebene Kompetenzen entzogen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der durch Prof. Dr.Suzanne S. Schüttemeyer, Chefredakteurin der Zeitschrift für Parlamentsfragen, moderierten Podiumsdiskussion am Donnerstag, 20. Mai 2010 im CDU/CSU-Fraktionssaal des Berliner Reichstagsgebäudes.
Unter dem Titel "Wandel des Parlamentarismus" bemühten sich dort Experten aus Politik und Wissenschaft um Antworten und Lösungen. Beteiligt hatten sich Prof. Dr. Julia von Blumenthal, Lehrstuhl für Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland an der Humboldt Universität Berlin, Reinhold Bocklet, erster Vizepräsident des bayerischen Landtages und ehemaliger bayerischer Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Dr. Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Prof. Dr.Wolfgang Zeh, ehemaliger Direktor beim Deutschen Bundestag.
In der Frage nach der Akzeptanz des Parlaments betonte Zeh, das Problem sei vielmehr, dass die Kritik des Stammtisches inzwischen ein Fundament durch die Medien erhalten habe. Diese seien nicht mehr lediglich die vielzitierte "vierte Gewalt", sondern die erste.
Günter Krings, der seit 2002 im Bundestag sitzt, berichtete aus eigener Erfahrung, dass dort bestimmte parlamentarische Mechanismen längst nicht mehr gültig sind. "Es gibt einen starken Trend hin zu hochgradiger Spezialisierung in der Gesetzgebung. Diese findet aber weder im Plenum noch im Ausschuss statt, sondern in Expertenrunden. Das Plenum ist schon lange kein Gestaltungsraum mehr", konstatierte Krings.
Ein weiteres Problem für ein nachhaltiges Funktionieren des Parlaments sei das Phänomen der Kurzfristigkeit. Krings: "Jeder Abgeordnete schielt stets schon nach der nächsten Wahl. Die ständige Erneuerung der Macht zählt zu den obersten Prioritäten."
Dass der Bundestag spätestens seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon entscheidende Kompetenzen an die europäische Ebene abgegeben hat, mochte niemand unter den Diskutanten bestreiten. Reinhold Bocklet: "Lissabon hat einige entscheidende Kompetenzverschiebungen innerhalb der Parlamentsebenen mit sich gebracht."
Dabei gehöre das europäische Parlament zweifellos zu den Gewinnern - mit wichtigen Entscheidungskompetenzen etwa in Haushaltsfragen oder bei der Wahl des Kommissionspräsidenten. Der Einfluss aller nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten sei hingegen geschwächt worden. Dies gelte insbesondere für die europäischen Regionalparlamente, also auch für die deutschen Landesparlamente.
Julia von Blumenthal befand, dies sei dennoch kein Grund zu lamentieren. Sie sehe auch nicht das häufig beklagte Problem, dass etwa die nationalen Parlamente nicht über europäische Entscheidungsprozesse informiert würden. "Im Gegenteil: Das Problem ist eher, dass es ein Überangebot an Information aus Brüssel gibt. Dabei ist es für den Bundestagsabgeordneten oft schwierig, aus dieser Info-Flut die für ihn relevanten Fakten herauszufiltern."
Dies seien allerdings nur einige der Fragen, die der einzelne Abgeordnete nur für sich selbst beantworten könne. Ebenso wie die Frage nach den Grenzen der eigenen Verarbeitungskapazität und nach der Setzung entsprechender Prioritäten.
"All diese Entscheidungen hat der Parlamentarier zu treffen - auch die, in welchem Maße er sich als Parlamentarier selbst entmachten will oder inwieweit er seine Rechte als Parlamentarier wahrnehmen will. Und die hat er ja qua Verfassung: Das Parlament ist das einzige direkt gewählte Verfassungsorgan. Es ist aber wichtig, dass sich dies jeder Abgeordnete immer wieder ins Gedächtnis ruft", so von Blumenthal.
Auch Wolfgang Zeh mochte bei allen Kompetenzverschiebungen den verbreiteten Pessimismus nicht teilen. "Ebenso wie die verbreitete negative Wahrnehmung des Parlaments durch die Bürger eine Konstante durch alle Zeiten hindurch zu sein scheint, so bleibt auch die Grundaufgabe des Parlaments stets die gleiche: Seine Uraufgabe und Verpflichtung der Entscheidungsfindung - auch und gerade bei vorherrschender Unsicherheit der Umstände wie aktuell in der Euro-Krise."
Dies sei die erste parlamentarische Pflicht und könne auch nicht durch Einsetzung von Expertenrunden ersetzt werden.
Oder mit Kant: "Unsere Notwendigkeit, zu entscheiden, reicht weiter als unsere Fähigkeit, zu erkennen."