Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010 > Interview Barnett
Doris Barnett (SPD) leitet die deutsche Delegation. © SPD-Parteivorstand/D. Butzmann/F. Jaenicke/S. Knoll/B.Kraehahn
Die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die zu ihrer 19. Jahrestagung vom 6. bis 10. Juli in Oslo zusammenkommt, dringt darauf, dass die Parlamentswahlen in Kirgistan tatsächlich im Herbst stattfinden. Auch setze man darauf, dass dann OSZE-Wahlbeobachter vor Ort sein können. Dies betont Doris Barnett, Leiterin der 13-köpfigen Bundestagsdelegation in der OSZE-Versammlung. Als "Weichenstellung in die richtige Richtung“ wertet die SPD-Abgeordnete die Volksabstimmung in Kirgistan über die neue Verfassung, die den Einfluss des Parlaments stärke und die Machtbefugnisse des Präsidenten beschneide.
Kirgistan dürfte bei der Tagung in Oslo eine große Rolle spielen. Hat der Verlauf dieses Konflikts in Zentralasien nicht gezeigt, dass die OSZE und deren Parlamentarische Versammlung eigentlich recht machtlos sind bei der Lösung solcher Probleme?
Wenn es in einem Staat brennt, kann die OSZE nicht einfach auftauchen und dekretieren, wo es lang zu gehen hat. Wir müssen unsere Aktivitäten immer mit den betreffenden Regierungen abstimmen. In Kirgistan haben die Sonderbeauftragten der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung dieser Organisation aber sehr wohl deutlich gemacht, dass sich das Land an die eingegangenen Verpflichtungen zu halten hat. Selbstverständlich wird die Situation in Kirgistan in Oslo eine herausragende Rolle spielen. Das zeitigt schon eine gewisse Wirkung, da ein Mitgliedsland innerhalb der OSZE nicht an den Pranger gestellt werden will. Wir werden den kirgisischen Delegierten deutlich machen, dass sie sich zu Hause für demokratische Mindeststandards wie freie Wahlen, Parteienpluralismus und Minderheitenrechte engagieren müssen.
Welche Aktivitäten der OSZE-Volksvertreter zur Befriedung der Lage in Kirgistan stehen zur Debatte?
Aktuell dringen wir darauf, dass in Kirgistan die für den Herbst angekündigten Parlamentswahlen tatsächlich stattfinden. Wir erwarten zudem, dass die dortige Regierung bei diesem Urnengang Wahlbeobachter der OSZE für eine wirksame Kontrolle der Wahlen einlädt und diese sich ungehindert im Land bewegen können. Faire und freie Wahlen, an der sich alle Parteien gleichberechtigt beteiligen können, sind für mich notwendig, damit sich das Land auf längere Sicht demokratisch stabilisieren kann.
Kann die trotz der bewaffneten Konflikte im Süden des Landes vollzogene Volksabstimmung über die neue Verfassung als demokratische Legitimierung der jetzigen Machthaber in Kirgistan um Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa gelten? Ist dieser Staat nun eine parlamentarische Demokratie?
Ich denke, diesen Urnengang und sein Ergebnis sollte man durchaus als Weichenstellung in die richtige Richtung deuten. Die neue Verfassung stärkt Einfluss und Rolle des Parlaments, während der Präsident künftig Machtbefugnisse abgeben muss. Kirgistan hat sicher noch einen langen Weg vor sich, aber jetzt wurde ein guter erster Schritt getan. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE ist bereit, Hilfe und Unterstützung zu leisten.
Welche Lehren sollten die Parlamentarische Versammlung der OSZE aus dem Fall Kirgistan für ihre Arbeit ziehen?
Nun, man darf nicht vergessen, dass so urplötzlich ausbrechende Konflikte von einer solchen Schärfe nicht vorherzusehen sind. Die OSZE hat zwar Mechanismen für friedliche Konfliktlösungen erarbeitet, bei innerstaatlichen Konflikten wie hier können diese allerdings nicht wirken. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE kann beobachten und internationale Öffentlichkeit herstellen und eng mit anderen internationalen Akteuren bei der Lösung von Krisen zusammenarbeiten.
Zu den Hauptthemen in Oslo gehört die Debatte über das Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung der internationalen Kriminalität. In den Berichten zu diesen Themen wird gefordert, das Vorgehen gegen Internetkriminalität dürfe nur unter strikter Garantie der Meinungs- und Informationsfreiheit erfolgen. Offenbar haben solche Warnungen vor Zensur ihren Grund.
Alle sind sich einig, dass die internationale Kriminalität bekämpft werden muss, egal wo sie stattfindet. Es ist allerdings von großer Bedeutung, dass der Kampf gegen diese Formen der Kriminalität nicht dazu missbraucht wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Die Praxis sieht in den einzelnen OSZE-Mitgliedsländern tatsächlich sehr unterschiedlich aus. Was den einen als notwendige Bekämpfung von Kriminalität im Internet gilt, wird von anderen als inakzeptable Zensur abgelehnt. Angesichts der gegensätzlichen Positionen unter den OSZE-Staaten wird man sich im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung sicher nur auf allgemeine Erklärungen und nicht auf eine einheitliche Regelung verständigen können.
Der Bericht des Italieners Matteo Mecacci mahnt eine Diskussion an über die Fähigkeit der OSZE-Institutionen, ihr Mandat gegenüber den Mitgliedsnationen wahrzunehmen. Die USA und Weißrussland, kritisiert die Expertise, praktizierten immer noch die Todesstrafe, in Russland, Usbekistan und Kasachstan würden Journalisten angegriffen, generell müsse im OSZE-Bereich mehr für die Informations- und Medienfreiheit getan werden. Die Macht der OSZE scheint begrenzt zu sein.
Natürlich kann man diesen Zustand bedauern. Unsere OSZE-Versammlung ist ein Dialogforum für Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Hier können wir unsere Überzeugungen offen miteinander diskutieren. Das heißt im konkreten Fall, im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung an die Delegierten aus den USA und Weißrussland zu appellieren, sich zu Hause für die Abschaffung der Todesstrafe stark zu machen. Unsere Versammlung ist ein Forum indirekter Einflussnahme auf die Mitgliedsparlamente, und da eröffnet sich viel Spielraum.