Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Kalenderblatt 29.8.2002
"Gemeinsam schaffen wir das, gemeinsam werden wir mit den Folgen fertig", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 29. August 2002 (Video). Langsam wurden an jenen Tagen Ende August die Schäden der Jahrhundertflut sichtbar. Als das Wasser ging, kochten im Plenum die Emotionen. Denn die Flut hinterließ Schäden in Milliardenhöhe, Fassungslosigkeit durchzog das Land.
Die Katastrophe kam über Nacht: In den frühen Morgenstunden am 13. August 2002 überschwemmen Wassermassen die Dresdener Altstadt. Semperoper und Zwinger versinken um 3 Uhr in den Fluten. Die Elbe wird zum reißenden Strom. Rund 80 Kilometer von der sächsischen Landeshauptstadt entfernt tobt in Grimma die Mulde durch die Straße. Der sonst so ruhige Fluss frisst sich durch die Kleinstadt, reißt Autos und Häuser mit.
Grimma und Dresden werden zum Sinnbild der Jahrhundertkatastrophe. Zwei Städte, die die Flut sprichwörtlich überrollt - wie hunderte andere Ortschaften in Mittel- und Ostdeutschland. Tausende Menschen werden evakuiert, sie fliehen vor der unglaublichen Kraft des Wassers. Bei 9,40 Metern macht am 17. August die Elbe in Dresden Halt. Es ist der höchste Stand, der je in Dresden gemessen wurde.
In den schwersten Stunden besucht der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Opfer vor Ort. In Grimma verspricht er den Betroffenen eine Soforthilfe. Das Bild des Kanzlers in Gummistiefeln brennt sich in die Köpfe ein. Wenige Tage später gewinnt Schröder die bereits verloren geglaubte Bundestagswahl 2002. Nicht wenige sprechen anschließend davon, dass die Jahrhundertflut die Wahl entschied.
Mitreißend und emotional machte Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung auf der Sondersitzung den Menschen Hoffnung, sprach von Mut und finanzieller Unterstützung. Die Regierungskoalition hatte sich bereits im Vorfeld auf ein Sofortprogramm in Höhe von mehr als 50 Millionen Euro verständigt. Am 29. August legte die Bundesregierung unter Kanzler Schröder zudem ein Hilfs- und Aufbauprogramm in Milliardenhöhe vor. Dies sei "ein nationaler Kraftakt".
Doch "die Schaffung eines solchen Fonds ist unsere Pflicht", betonte Schröder und verwies dabei auf die große Solidarität der Bürger, welche unterstützt werden müsse. "Überall, wo ich gewesen bin, ob in Grimma oder in Dresden, habe ich Mut, Entschlossenheit und die Hoffnung erlebt, die aus der gemeinsamen Erfahrung mit der Katastrophe erwachsen ist." Großartig sei vor allem das, was die junge Generation geleistet habe, so Schröder.
Auch sein Herausforderer im Wahlkampf und Spitzenkandidat der CDU/CSU Dr. Edmund Stoiber zeigte sich von der Solidarität beeindruckt. "Auf diese Jugend kann Deutschland stolz sein", rief er in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag. "Tausende junger Männer und Frauen haben das oft beklagte Bild einer kalten, egoistischen Gesellschaft und das Bild von einer Null-Bock-Generation widerlegt", sagte Stoiber.
Über das Ziel, den betroffenen Bürgern schnell zu helfen, waren sich Stoiber und Schröder einig. Strittig war jedoch der Weg dorthin. Die Frage der Finanzierung des Hilfsprogramms führte in der Sondersitzung zu einem offenen Schlagabtausch. Die Union wollte die rund zehn Milliarden Euro des Fonds durch einen langsameren Schuldenabbau und höhere Zinsen bereitstellen. Während nach Willen der Regierungskoalition die Steuerreform verschoben werden sollte. "Höhere Zinsen sind ein kleineres Übel als höhere Steuern", proklamierte Stoiber.
Der damalige SPD-Finanzminister Hans Eichel nannte dies "ökonomischen Unsinn", der zu Lasten "unserer Kinder und Enkelkinder" gehe. In der Sondersitzung des Bundestages appellierte Joschka Fischer (BÜNDNIS 90/ Die Grünen) angesichts der Naturkatastrophe für einen vernünftigen Klimaschutz. Indes mahnte Dr. Guido Westerwelle (FDP), die Belange der Opfer dürften nicht in Wahlkampfschlachten untergehen.
Während im Plenum das Finanzierungsproblem der Aufbauhilfe die Gemüter erhitzte, zogen die Menschen im Land an einem Strang. Deutschland erlebte eine bis dahin einmalige Hilfsbereitschaft. Mehr als 50 000 Bundeswehrsoldaten, THW und Bundesgrenzschutz kämpften gemeinsam mit freiwilligen Helfern Tag und Nacht gegen die Wassermassen. Der katastrophalen Flut folgte eine unbeschreibliche Welle der Solidarität. An deren Ende auch die SPD bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 in die Erfolgsspur zurückkehren konnte. (ldi)