Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Etat des Bundeskanzleramtes
Die Sorge um die Lage in Europa und besonders in Griechenland hat die Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2013 bestimmt. Die Opposition verlangte in der Aussprache zum Einzelplan 04 des Bundeskanzleramtes am Mittwoch, 21. November 2012, die ganze Wahrheit über die Kosten der Griechenlandhilfe auf den Tisch zu legen und die für Freitag vorgesehene Abstimmung über den Haushalt zu verschieben, da die Verhandlungen über neue Hilfen für Athen noch nicht abgeschlossen seien.
Die schweren Probleme Griechenlands seien offensichtlich, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der die Generaldebatte eröffnete. Die Rezession des Landes werde zu einer Depression, die zu einer Destabilisierung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung führen werde. Die Probleme könnten nicht mit Warten und Wegsehen übertüncht werden: "Die Stunde der Wahrheit ist da", sagte Steinbrück, der eine Entlastung Griechenlands verlangte.
Kanzlerin Angela Merkel habe mit ihren roten Linien einen "Schleiertanz" zur Täuschung der Öffentlichkeit und auch der eigenen Reihen aufgeführt. Die Zeit des Lavierens, Abwartens und der Scheibchendiplomatie sei vorbei: "Die Finanzlücke Griechenlands ist ohne Inanspruchnahme des deutschen Steuerzahlers nicht zu schließen. Wir sind längst in einer Haftungsunion", sagte Steinbrück, der auch erwartet, "dass wir für die europäische Währungsunion wie für die deutsche Wiedereinigung Opfer bringen müssen". Er nannte neben einem Schuldentilgungsfonds auch eine faktische Entlastung Griechenlands.
Steinbrück warf besonders Kanzlerin Angela Merkel Untätigkeit in der Wirtschaftspolitik vor: "Wir haben im Schloss Bellevue bereits einen Präsidenten." Merkel sei keine "über ihrem Kabinett schwebende Präsidentin, die mit den Niederungen der innenpolitischen Herausforderungen nichts zu tun hat", sondern als Chefin der Regierung für deren Handeln und Qualität in erster Linie verantwortlich.
Gute Zeiten seien jedoch nicht genutzt worden, um Vorsorge für angespannte Zeiten zu treffen. Auch die "chaotischen Folgen des Atomausstiegs" stießen auf Kritik. Merkel hätte statt einer Ethik- besser eine Expertenkommission zur Erstellung eines Masterplans berufen sollen. "Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt als diese Energiewende."
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hielt dagegen, dass Deutschland stärker aus der Krise herausgekommen sei, als es hineingegangen sei. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeige: "Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung." Als Beispiele nannte sie den tiefsten Stand der Arbeitslosigkeit und die seit der Wiedervereinigung höchsten Ausgaben für Forschung und Bildung.
Zwei ehrgeizige Projekte habe man: Die Energiewende und den Umbau der Bundeswehr nach Aussetzung der Wehrpflicht. Merkel lobte auch die Erfolge in der Haushaltspolitik und zeigte sich optimistisch, die Neuverschuldung 2016 zum ersten Mal seit 14 Jahren auf null zurückzuführen.
Die Kanzlerin erklärte, Europa befinde sich in einer ernsten Lage, auf die aber mit Ruhe und Anerkennung der Dinge, die passieren würden, geschaut werden solle. In Griechenland gehe es um einen "tiefgreifenden und notwendigen Umbau des Staates". Die Menschen dort sollten wieder in Wohlstand leben können. Aber die Reformen müssten durchgeführt werden, sagte die Kanzlerin, die die Kombination von Anforderungen einerseits und Solidarität anderseits als die richtige Antwort bezeichnete.
Es würde keine Abstriche bei den Anforderungen gemacht, aber man gebe Griechenland zwei Jahre mehr Zeit. Einen Befreiungsschlag durch eine einzige Maßnahme gebe es nicht. Man werde auch weiter schrittweise vorgehen müssen.
Das "Rededuell von Kanzlerkandidat und Kanzlerin" wurde von Katja Kipping, der Vorsitzenden der Linken, mit einer "Casting-Show" verglichen: "Deutschland sucht den Super-Wahlkämpfer." Die Frage sei, wie groß die Unterschiede wirklich seien. "Wird nicht hinter der Bühne schon ganz heftig geflirtet?", griff Kipping Spekulationen über eine Neuauflage der Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2013 auf.
In einem solchen Bündnis werde Steinbrück einen Haushalt mit der gleichen Schwerpunktsetzung in höchsten Tönen loben, während er jetzt kritisiere. Die Linken-Politikerin verwies auf die "Realität in diesem Land": Dazu gehörten nicht mehr bezahlbare Stromrechnungen und Mieten sowie fehlende Kita-Plätze. Und Deutschland exportiere weiterhin Kriegswaffen, was sofort gestoppt werden müsse: "Denn mit dem Tod macht man keine Geschäfte."
Der Name Europa ist laut Kipping inzwischen untrennbar mit dem Begriff Krise verbunden. Europa könnte stattdessen für "die große Menschheitshoffnung auf Frieden", auf verwirklichte soziale Grundrechte und für die Beendigung von Rassismus und Nationalismus stehen. Der Kurs von Schwarz-Gelb führe in die andere, krisenverschärfende Wirkung. Das "Kürzungsdiktat" sei auch wirtschaftlich falsch. Die Folge der drohenden flächendeckenden Armut in Südeuropa werde ein Rückgang deutscher Exporte sein.
Dagegen warnte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle vor einer Überforderung Deutschlands durch die europäische Hilfspolitik. Reformen in Griechenland dürften nicht nur beschlossen, sondern müssten auch in der Praxis umgesetzt werden.
Deutschland sei "ein Hafen des Wohlstands", lobte Brüderle die Politik der Koalition. Er stellte ebenso wie die Kanzlerin die Erfolge in der Haushaltspolitik heraus und warf SPD und Grünen vor, nicht sparen zu wollen, sondern nur Anträge auf Ausgabenerhöhungen zu stellen. Eine rot-grüne Koalition mit der "Kombilösung" von Steinbrück und Trittin werde zu massiven Steuer- und Abgabenerhöhungen von 40 Milliarden Euro jährlich führen.
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) warf Merkel vor, die Bevölkerung in der Euro-Krise zu täuschen. "Sie sagen, was die Euro-Krise angeht, den Bürgerinnen und Bürgern nicht einmal die halbe Wahrheit." So habe die Kanzlerin die Vergemeinschaftung von Schulden ausgeschlossen. Angesichts von 200 Milliarden Euro Staatsanleihen in der Europäischen Zentralbank (EZB) finde diese Vergemeinschaftung längst statt und werde jetzt für Griechenland noch erweitert, kritisierte Trittin, der ein drittes Hilfspaket für Athen verlangte.
Merkel Strategie der kleinen Schritte und des Zögerns sei "sichtbar an ein Ende" gelangt. Merkel scheue sich aus Wahlkampfgründen den Menschen zu sagen, dass Griechenland "Geld kosten und auch Steuergeld kosten wird". Die nächtlichen Verhandlungen in Brüssel bezeichnete er als "schwarze Stunde". Trittin griff Merkel frontal an. Sie sei jetzt sieben Jahre Kanzlerin: "Sieben Jahre Merkel waren seien sieben verlorene Jahre." Was bleibe, sei ein "gewaltiger Ansehensverlust Deutschlands" und eine um 500 Milliarden Euro gestiegene Staatsverschuldung. (hle/21.11.2012)