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Bei Bundestagswahlen können zwei Stimmen vergeben werden. Mit der so genannten Erststimme wählen wir unseren Wahlkreiskandidaten, also den Politiker, der für unsere Region in den Bundestag einziehen soll. Mit unserem zweiten Kreuz, der "Zweitstimme", entscheiden wir über das Kräfteverhältnis der Parteien im Bundestag. Der Kandidat, der die meisten Erststimmen bekommt, ist gewählt – und das übrigens völlig unabhängig davon, wie das Gesamtergebnis seiner Partei ausfällt. Über die so gewonnenen Direktmandate wird sichergestellt, dass jede Region Deutschlands im Bundestag vertreten ist.
Mit unserem zweiten Kreuz, unserer "Zweitstimme", entscheiden wir, die volljährigen Bürger mit deutscher Staatsbürgerschaft, schließlich über das Kräfteverhältnis der Parteien im Bundestag. Diese Stimme ist somit die entscheidende, denn sie legt fest, welche Fraktion oder Parteienkoalition später die Mehrheit hat, um den Bundeskanzler zu wählen.
Bekommt eine Partei bundesweit weniger als fünf Prozent aller abgegebenen Stimmen, scheitert sie an der Sperrklausel (auch: Fünf-Prozent-Hürde) und ist nicht im Bundestag vertreten – es sei denn, die Partei erringt mindestens drei Direktmandate: Dann wird die Partei bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten berücksichtigt.
Gewählt wird in Deutschland nach dem Verhältniswahlrecht, in das zudem Elemente des Mehrheitswahlrechts integriert sind. Über die Mehrheit im Bundestag entscheidet aber zunächst das Verhältnis der von den Parteien gewonnenen Zweitstimmen. Bei der Berechnung wurde früher das so genannte Hare/Niemeyer-Verfahren angewendet, das auch die kleineren Parteien möglichst proportional zu ihrer Stärke berücksichtigt.
Bei der Bundestagswahl 2009 wurde jedoch erstmals das Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers angewendet. Dies hatte der Bundestag am 17. März 2008 beschlossen, um mögliche Paradoxien des bisherigen Berechnungsverfahrens zu vermeiden. Die Mandate, die einer Partei gemäß ihrem Zweitstimmenanteil zustehen, erhalten zunächst die Kandidaten, die in den Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigen konnten. Der Rest wird der Reihe nach an die Kandidaten auf der Landesliste verteilt.
Die Hälfte der insgesamt 598 Abgeordneten sind Politiker, die in einem der insgesamt 299 Wahlkreise in Deutschland die meisten Erstimmen bekommen haben. Die andere Hälfte der Abgeordneten zieht über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag ein. Diese Landeslisten werden von den Parteien vor der Wahl aufgestellt. Sie nennen darauf die Kandidaten, die sie für besonders geeignet halten – oder die vermutlich hoch in der Wählergunst stehen.
Die ersten Listenplätze gelten in der Regel als "sichere Plätze". Ein Restrisiko bleibt jedoch: Wenn schon so viele Mandate über die Wahlkreise direkt gewonnen wurden, wie ein Landesverband einer Partei überhaupt Listenplätze hat, kann es passieren, dass selbst der Spitzenkandidat der Landesliste nicht ins Parlament einziehen kann – es sei denn, er hat ein Direktmandat gewonnen.
Die Anzahl der Direktmandate ist äußerst bedeutsam, denn sie kann die nach dem Zweitstimmenanteil eigentlich feststehende Sitzverteilung im Plenum verändern. Gewinnt eine Partei nämlich mehr Direktmandate als ihrem Zweitstimmenanteil in einem Bundesland entspricht, kommt es zu so genannten Überhangmandanten.
Im Juli 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein im Zusammenhang mit Überhangmandaten mögliches so genanntes negatives Stimmgewicht verfassungswidrig ist. Dabei ist es möglich, dass ein Mehr an Zweitstimmen für eine Partei dennoch zum Verlust eines Sitzes führen kann und umgekehrt.
Der Bundestag hat darauf mit der am 21. Februar 2013 verabschiedeten 22. Änderung des Bundeswahlgesetzes (17/11819, 17/12417) reagiert, die bei der Bundestagswahl 2013 zum Tragen kommt. Damit wird am System der personalisierten Verhältniswahl festgehalten, bei dem die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl von Landeslisten der Parteien kombiniert ist und durch Anrechnung der gewonnenen Direktmandate auf die Listenmandate der Grundcharakter der Verhältniswahl gewahrt wird.
Die politisch zentrale Neuerung der Reform betrifft die Überhangmandate. Erringt eine Partei mehr Direktmandate als es ihrem Zweitstimmenanteil entspricht, werden Ausgleichsmandate an die anderen Parteien vergeben, bis die Gesamtzahl der Mandate pro Partei (Direktmandate plus Listenmandate) den Anteil der für die Parteien abgegebenen Zweitstimmen möglichst genau wiedergibt. Die Wirkung der Überhangmandate wird also vollständig neutralisiert. (sas/gel/08.05.2013)