Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2009 > Serie: Enquete-Kommissionen im Deutschen Bundestag (Teil 12)
Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament, über das Tagesgeschäft hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.
Wie lassen sich die natürlichen Lebensgrundlagen angesichts des Klimawandels sichern? Wie ist es möglich, in Zeiten der Globalisierung die Umwelt zu schützen und humane Lebensbedingungen für eine weiter wachsende Weltbevölkerung zu schaffen? Es waren Fragen wie diese, die insgesamt 17.000 Menschen, darunter Regierungsvertreter aus 178 Staaten und 2.400 Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen, im Juni 1992 bei der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro beschäftigten.
Diese Konferenz war bis dahin das größte internationale Treffen gewesen, bei dem Umweltprobleme und soziale Fragen nicht isoliert voneinander diskutiert wurden. Mit der Agenda 21 vereinbarten die Teilnehmerstaaten erstmals konkrete Schritte für eine "nachhaltige Entwicklung". Auch wenn viele Umweltschützer die Verwässerung ursprünglicher Forderungen kritisierten, so stellte "Rio" doch einen Wendepunkt dar: Der Erdgipfel lenkte die Aufmerksamkeit wie nie zuvor auf das Thema "nachhaltige Entwicklung".
Zehn Jahre später, 2002 in Johannesburg, sollte die Umsetzung dieser Nachhaltigkeitsziele bilanziert werden. Am 17. Februar 2000 beschloss deshalb der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit (nur die PDS enthielt sich) die Einsetzung einer Enquete-Kommission mit dem Ziel, "den Diskussionsprozess zur Nachhaltigkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben, Ansätze für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten und damit einen Beitrag für den notwendigen internationalen Konsens in Johannesburg zu leisten".
Im Zentrum der Arbeit, so der gemeinsame Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, sollten die kurz-, mittel- und langfristigen Klimaschutzziele stehen: die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid um 25 Prozent in Deutschland sowie die Reduzierung der Emissionen aller Industriestaaten bis zum Jahr 2050 um bis zu 80 Prozent.
Keine leichte Aufgabe, der sich die 26 Mitglieder der Kommission (13 Parlamentarier und 13 Sachverständige) unter dem Vorsitz des Abgeordneten Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU) anzunehmen hatten. Schließlich ging es um nichts weniger als den Entwurf einer Energieversorgung, die das Klima und die natürlichen Ressourcen schont und die sich - trotz Globalisierung und wachsenden Wettbewerbs auf den Energiemärkten - gleichzeitig als stabil erweist.
Neben der Komplexität des Themas drängte aber auch die Zeit: Innerhalb von zwei Jahren erwartete das Parlament von der so genannten Energie-Enquete klare Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Energiepolitik.
Am 14. November 2001 legte das Gremium den Zwischenbericht "Nachhaltige Energieversorgung auf liberalisierten Märkten" vor, der am 13. Dezember 2001 zusammen mit dem Energiebericht des damaligen Bundeswirtschaftsministers Dr. Werner Müller im Parlament beraten wurde. Gemeinsam, sagte dieser, sei den beiden Papieren die folgende Erkenntnis: "Wenn ehrgeizige Klimaschutzziele erreicht werden sollen, muss die deutsche Volks- und Energiewirtschaft einen massiven Strukturwandel durchlaufen". Dieser sei aber nur im "internationalen Gleichschritt" zu schaffen, so der parteilose Minister der rot-grünen Bundesregierung.
Eine Haltung, die der Vorsitzende der Enquete-Kommission Grill nicht gelten lassen wollte: Die Bundesregierung habe zudem keine Perspektiven für eine zukünftige Energiepolitik entwickelt. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Kommissionsbericht und dem Papier der Bundesregierung erschöpften sich auch schon in dem zuvor von Müller zitierten Satz, monierte der Unionspolitiker. Doch auch unter den Kommissionsmitgliedern zeigten sich entlang der Fraktionsgrenzen deutliche Differenzen.
Uneins waren sich die Politiker vor allem in der Frage, wie eine nachhaltige Energieversorgung gewährleistet werden soll "- und wie die einzelnen Dimensionen von Nachhaltigkeit zu gewichten seien. "Entgegen der Linie von Rio geben Sie die Gleichrangigkeit der drei Ziele 'wirtschaftlich', 'sozial' und 'ökologisch' auf", warf etwa der FDP-Abgeordnete Walter Hirche SPD und Grünen vor: "Sie postulieren einen Vorrang der Ökologie."
Dr. Axel Berg (SPD) verteidigte dies jedoch: Die Dimensionen könnten gar nicht gleichrangig sein. "Wenn Grundregeln der Ökologie nicht beachtet werden, wird sich die Natur in Form von Schäden rächen, die später unter Einsatz von viel Geld repariert werden müssen", gab er zu bedenken.
Die Gegensätze zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen verschärften sich weiter, insbesondere unter dem Einfluss des Wahlkampfes vor der Bundestagswahl 2002, wie auch Axel Berg während einer Debatte im Bundestag am 5. Juli 2002 konstatierte: "Beim Zwischenbericht waren wir noch beieinander. Wir waren uns einig, dass die gegenwärtige Energiepolitik nicht nachhaltig ist."
Doch dann habe die Union in der Kommission eine "obstruktive Haltung" eingenommen. Sie halte an der Atomenergie fest, obwohl die Arbeit der Kommission eines klar gezeigt hätten: Nämlich dass das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent zu senken, erreichbar sei - ohne Kernenergie: "In Deutschland ist eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich", bekräftigte Berg. Dass die Union trotzdem auf Atomenergie setze, zeige ihr Desinteresse an einer nachhaltigen Energiepolitik.
Diesen Vorwurf wies Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU) scharf zurück: "Es liegt uns fern, den Weg für ein neues Klimaschutzinstrument zu blockieren." Man müsse aber aufpassen, dass man nicht in "völligem Übereifer" die wirtschaftliche Basis des schon hohen Umweltniveaus in Deutschland zerstöre. Dem gegenüber betonte Michaele Hustedt (Bündnis 90/Die Grünen) den dringenden politischen Handlungsbedarf: "Der Markt allein wird es nicht richten. Wer das sagt, will keinen Klimaschutz."
Die PDS-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter kritisierte hingegen sowohl die Position der Regierungsfraktionen als auch die der anderen Oppositionsfraktionen: "Wir können beide Wege nicht als nachhaltig bezeichnen." SPD und Grüne beabsichtigten Atomkraftwerke "jahrelang weiterlaufen zu lassen", begründete sie ihr Urteil. Union und FDP planten gar, "Klimaschutz durch noch mehr und neue Atomkraftwerke zu betreiben". Die PDS-Politikerin forderte neben einer Offensive für regenerative Energien auch eine "baldige Verkehrswende" zugunsten des öffentlichen und nicht motorisierten Verkehrs.
Der Streit um die richtige Energiepolitik konnte nicht beigelegt werden: Die rot-grüne Koalition fühlte sich durch die Arbeit der Kommission in ihrem energiepolitischen Kurs bestärkt, der auf einen Ausbau regenerativer Energiequellen und die effizientere Nutzung von fossilen Brennstoffen setzte. Union und FDP dagegen blieben dabei, dies als unwirtschaftlich zu kritisieren. Sie befürworteten die Nutzung von Kohle, Gas und Kernenergie, flankiert von Energieeinsparungen.
Dem rund 1.300 Seiten starken Abschlussbericht, den die Enquete-Kommission schließlich im Juli 2002 vorlegte, hängten CDU/CSU und FDP einen eigenen Abschlussbericht als so genanntes Minderheitenvotum an. Auch die PDS stimmte gegen die rot-grüne Mehrheit in der Kommission.