Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011 > Zwangsheirat
Opfer von Zwangsheiraten müssen besser geschützt werden. Darin sind sich die Fraktionen des Deutschen Bundestags einig. Darüber, ob dies allein über einen eigenen Straftatbestand und erweiterte Rückkehrrechte erreicht werden kann, besteht jedoch Uneinigkeit. Das wurde bei der Debatte im Bundestag am Donnerstag, 20. Januar 2011, deutlich.
Auf der Tagesordnung stand die erste Beratung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung (17/4401) und der SPD (17/4197) sowie von Anträgen der Grünen (17/2491, 17/3065) und der Linksfraktion (17/2325).
Die Regierung will, dass Migrantinnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die nach einer Zwangsheirat im Ausland festgehalten werden, ihren Aufenthaltstitel nicht wie bislang verlieren, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten wieder nach Deutschland einreisen.
Dies soll künftig erst nach zehnjähriger Abwesenheit aus Deutschland der Fall sein, wenn die Betroffenen zuvor in Deutschland integriert waren. Zudem soll es ein eigenständiger Straftatbestand Zwangsheirat, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann, ermöglichen, "Zwangsheirat stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten“.
Der Entwurf diene der "Präzisierung unserer Rechtsordnung“ und sende ein deutliches Signal dafür, "dass Zwangsheirat nicht durch kulturelle Differenz entschuldbar“ sei, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU).
Mit weiteren Regelungen unter dem Motto "Fördern und fordern“ reagiere die Regierung auf Mängel bei der Integration von Ausländern: So sollen die Anreize für Scheinehen verringert werden, indem die Mindestbestandszeit einer Ehe, die für den Fall eines Scheiterns ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begründet, von bislang zwei auf drei Jahre erhöht wird.
In Härtefallen, bei körperlicher und psychischer Gewalt, soll es Ausnahmen geben. Aus "humanitären Gründen“ werde damit "sogar eine Rückwanderung in die Sozialsysteme zugelassen“, betonte für die CDU/CSU-Fraktion deren Innenexperte Reinhard Grindel.
Außerdem sollen Ausländerbehörden dazu verpflichtet werden, vor der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen, ob ein Ausländer der Pflicht zum Besuch eines Integrationskurses nachgekommen ist.
Auch Hartfrid Wolff, der Sprecher der FDP-Fraktion für Ausländerrecht, betonte, Zwangsheirat sei "kein Kavaliersdelikt“, es gebe "viel zu viele“ Mädchen und Frauen, die davon betroffen seien. Indem Opfer von Zwangsheirat und Verschleppung über verlängerte Wiederkehrfristen erhielten, hätten sie nun eine bessere Chance, sich aus ihrer schwierigen Lage zu befreien.
Die Kritik der Opferverbände an der Erhöhung der Ehe-Mindestbestandszeit nehme man ernst; man werde die Wirkung der Regelung beobachten.
Für die Opposition sind die vorgeschlagenen Maßnahmen "Symbolpolitik“, sie fordert mehr Prävention. Für die SPD sagte der migrationspolitische Sprecher der Fraktion, Rüdiger Veit, er sei froh, dass die Koalition das Thema Rückkehrrecht "überhaupt aufgenommen“ habe. Wer gegen Zwangsheirat sei, müsse konsequent den Opfern helfen, dazu gehöre das Rückkehrrecht zwingend.
Die in den Gesetzentwurf aufgenommenen Einschränkungen - wie etwa eine positive Integrationsprognose - seien nicht nachvollziehbar. Ein eigenständiger Straftatbestand nütze nichts, "schadet aber auch nicht“. Der Gesetzentwurf enthalte "Licht und Schatten“, gehe aber an viele.n Punkten nicht weit genug. Die Verknüpfung von Ehebestandszeit und Wiederkehrrecht sei jedoch "unsinnig“ und "unsittlich
Sevim Dagdelen (Die Linke) warf der Regierung vor, es gehe ihr nicht um die betroffenen Frauen, sie wolle "nicht ernsthaft etwas gegen Zwangsverheiratungen tun“.
Der Gesetzentwurf sei "frauenfeindlich“ und wolle "die Notlage von Frauen dafür nutzen, ihre hässliche Abschottungspolitik zu kaschieren“ und den Familiennachzug verhindern.
Eine Erhöhung der Ehe-Mindestbestandszeit führe dazu, dass Frauen in gewalttätigen Beziehungen noch ein Jahr länger in dieser Situation ausharren müssten. Das sei "unmenschlich“ und skandalös.
Nötig seien "niedrigschwellige Beratungsangebote“ und Notunterkünfte für betroffene Frauen.
Zwangsverheiratungen seien "schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen“, die die Würde der Betroffenen verletzten, sagte Memet Kilic, Innenexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deshalb sei es "schäbig“, was die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorgelegt hab. Schwarz-Gelb betreibe "puren Etikettenschwindel“.
Zwangsverheiratungen seien seit 2005 als schwere Nötigung strafbar, die Pläne der Koalition deshalb "Symbolpolitik“. Die Erhöhung der Ehebestandszeit sei "geradezu schäbig“; es gebe keine gesicherte Datenlage zu Scheinehen, die diese drastische Maßnahme begründen könne. (suk)