Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011 > Aktuelle Stunde: Geordnete Insolvenz
In einer Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zur "geordneten Insolvenz" hat die Opposition am Mittwoch, 21. September 2011, den Koalitionskurs in der Euro-Krise scharf angegriffen. Die Debatte war auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgerufen worden. Anlass waren öffentliche Äußerungen von Vizekanzler und FDP-Chef Dr. Philipp Rösler, eine geordnete Insolvenz von überschuldeten Euro-Staaten in Betracht zu ziehen. Röslers Vorschlag hatte für Turbulenzen an den Aktienmärkten gesorgt und war von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) öffentlich zurückgewiesen worden.
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, machte zum Auftakt der Debatte deutlich, dass die Abstimmung zum erweiterten Rettungsfonds EFSF am 29. September 2011 nichts anderes als eine Abstimmung über die Zukunft der Koalition sei. Noch immer sei fraglich, ob Schwarz-Gelb eine eigene Mehrheit für den Rettungsschirm finde, insbesondere bei der FDP seien die Vorbehalte groß. Dabei schaffe erst der erweiterte EFSF die Voraussetzungen für eine geordnete Insolvenz von Staaten und damit eben auch für Röslers Vorschlag.
"Das ist doch organisierte Schizophrenie, was Sie hier praktizieren", sagte Trittin. Letztlich sei es dem FDP-Parteichef auch nicht um Europa gegangen, sondern wenige Tage vor der Wahl im Land Berlin um Stimmenfang – und das "ist grausam daneben gegangen". Der Koalitionspartner, sagte Trittin in Richtung Bundeskanzlerin, befinde sich in einer "ungeordneten Insolvenz".
Norbert Barthle von der Unionsfraktion warf seinem Vorredner vor, ein "ernstes Thema" zum "Klamauk" und zum Gegenstand parteitaktischer Spielchen zu machen. Es gehe darum, die überschuldeten Ländern auf einen haushaltspolitischen Konsolidierungskurs zu verpflichten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. "Daran arbeiten wir mit dem EFSF" und auch mit der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte des Bundestages, sagte Barthle.
Über die Frage, ob ein Euro-Mitgliedsland in die Insolvenz gehe, entscheide überdies weder die Bundeskanzlerin noch der Vizekanzler, auch nicht die Fraktionen im Bundestag, "sondern einzig und allein das betroffene Land selbst", sagte Barthle.
Der FDP-Abgeordnete Christian Lindner, Generalsekretär seiner Partei, verteidigte die Äußerungen Röslers und attackierte SPD und Grüne: Die Ursachen der gegenwärtigen Euro-Krise säßen "hier im Raum" auf den Oppositionsbänken, sagte Lindner und ergänzte: "Sie haben seinerzeit die Maastricht-Kriterien gebrochen." Die damalige rot-grüne Regierungskoalition habe 2004 den Stabilitätspakt aufgeweicht.
"Nachdem Sie uns einen Scherbenhaufen hinterlassen haben, stören Sie auch noch unsere Aufräumarbeiten", sagte er und forderte eine Stabilitätskultur für Europa. "Im Extremfall geht es auch um geordnete staatliche Insolvenzverfahren, wenn sie erforderlich sind", sagte Lindner, stellte aber klar: "Die Währungsunion ist eine Errungenschaft, von der Deutschland profitiert."
Von einem "verdammt ernsten Vorgang" sprach der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister habe sich wiederholt und offen "in einer zentralen Frage der deutschen Politik" gegen die Bundeskanzlerin gestellt. "Wir sehen Bundesregierung und Koalition in Chaos und Auflösung", sagte Poß. Gerade jetzt aber sei eine handlungsfähige Regierung gefragt, die auch die Kraft habe, die Bevölkerung von ihren Plänen zur Euro-Rettung zu überzeugen.
Rösler sei es von Anfang an nicht um die Stabilisierung des Euro gegangen, sondern um die Rettung seiner Partei. Wer einer griechischen Insolvenz das Wort rede, stehe auch in der Pflicht zu sagen, welche Konsequenzen dies für andere Euro-Mitgliedsländer hätte, sagte Poß und legte dem "überforderten" Vizekanzler und Wirtschaftsminister nahe, zurückzutreten.
In einem Punkt wollte Sahra Wagenknecht von der Fraktion Die Linke dem viel Gescholtenen Recht geben: "Griechenland ist pleite." Je später allerdings ein Schuldenschnitt komme, desto teurer werde dies für den Steuerzahler und umso billiger für die Banken, sagte Wagenknecht.
Die Rettungsprogramme seien nicht für den Euro gedacht, sondern für die Finanzindustrie, was schon daraus ersichtlich sei, dass die von der Bundesregierung angestrebte Beteiligung privater Gläubiger an der Euro-Rettung aus der Feder des Internationalen Bankenverbandes und dessen Präsidenten Josef Ackermann stamme. "Die Schulden der Staaten sind die Vermögen der reichen Leute – deshalb fordern wir eine europaweite Vermögensteuer", sagte Wagenknecht. (ahe)