Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011 > Gorleben-Untersuchungsausschuss vernimmt Zeugen
Vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) hat der Zeuge Jürgen Schubert über den niedersächsischen Entscheidungsprozess für Gorleben als mögliches Atommüll-Endlager berichtet. „Von Anfang an erschien der Standort Gorleben aus geologischen Erwägungen heraus als der wohl am meisten geeignete“, sagte Schubert. Der studierte Bergbauer hatte 1975 beim Oberbergamt Clausthal die Zuständigkeit für Strahlenschutz übernommen; Gorleben fiel so in seinen Beritt. Die Bundesregierung hatte Anfang der siebziger Jahre die Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsgesellschaft mbh (KEWA) mit der Suche nach einem nationalen Entsorgungszentrum samt Endlager für Atommüll beauftragt. „Die KEWA kannte ursprünglich Gorleben, ließ ihn aber heraus“, sagt Schubert. Er habe damals gehört, dies sei mit der Begründung geschehen, Gorleben befinde sich in einem Ferien- und Erholungsgebiet; auch die Nähe zur DDR-Grenze habe eine Rolle gespielt.
Der Untersuchungsausschuss geht der Frage nach, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung, sich bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll auf den Standort Gorleben zu beschränken, zu politischen Einflussnahmen oder Manipulationen gekommen ist.
Schubert nahm damals als Vertreter der Bergbehörden an den Sitzungen des interministeriellen Arbeitskreises (IMAK) der niedersächsischen Landesregierung teil. „Ende 1975 wurden uns in Bonn drei Standorte anonym vorgestellt“, sagte Schubert. Es habe sich um Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst gehandelt. Der Salzstock Gorleben dagegen sei ihm erstmalig im Sommer 1976 bekannt geworden.
Die Suche sei erweitert worden auf 14 Standorte, sagte Schubert. Darunter habe sich Gorleben befunden. Die Untersuchungen an den Standorten Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst seien im Sommer 1976 eingestellt worden, sagte Schubert. „Ich glaube, es waren politische Schwierigkeiten. Es gab Proteste dort.“ Er könne aber nicht bestätigen, dass die Bohrungen aus politischen Gründen eingestellt wurden.
Bei einer Sitzung habe man am 1. Dezember 1976 dann mehrere Standorte als eignungshöffig ausgemacht. Gorleben habe nach einer Punktewertung klar vorn gelegen. „Wir haben in dieser Sitzung Gorleben als besten Standort angesehen.“
Die Linken-Abgeordnete Kornelia Möller hielt dem Zeugen ein Schreiben aus dem Landeswirtschaftsministerium vom Jahr 1979 an das Oberbergamt vor, in dem es heiße, von den vier Standorten sei Gorleben gewollt – dies sei eine politische Entscheidung. Schubert sagte dazu: „Das Land ist zuständig für die Genehmigung. So ist die Rechtslage.“
Schubert gab ferner an, dass er von einer weiteren KEWA-Studie, einem so genannten Nachbewertungsbericht, keine Kenntnis habe. Dieser ist bisher nur in Zitaten überliefert. Während frühere KEWA-Berichte Gorleben nicht untersuchten, erscheint Gorleben dort als am meisten geeigneter Standort. Schubert: „Ergänzende Standortuntersuchungen der KEWA sind mir nicht bekannt.“
Über die Anfänge der Standortsuche für ein Entsorgungszentrum samt Endlager für Atommüll sagte der Zeuge Dr. Adalbert Schlitt aus. Der damalige Geschäftsführer der Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft mbH (KEWA) schilderte das Auswahlverfahren: „Von der Größe her bot sich Gorleben geradezu an, auch weil der Salzstock unverritzt ist.“
Er habe den Standort aber sofort von der Liste möglicher Orte gestrichen – wegen der Nähe zur DDR-Grenze. „Wir planten ja eine Wiederaufarbeitungsanlage. Das hätte sicherlich Probleme mit der DDR gegeben.“ Die KEWA habe andere Standorte untersucht, in die engere Auswahl seien Wahn, Lutterloh und Wahn gekommen.
Schlitt sagte aus, Anfang 1976 habe die KEWA in Lutterloh mit Tiefenbohrungen begonnen. „Das Ergebnis war erfolgversprechend. Mit zunehmender Tiefe waren die Salzformationen wesentlich geeigneter für eine Lagerung.“ Im Sommer 1976 habe Bundesforschungsminister Hans Matthöfer (SPD) den Stopp der Bohrungen verordnet.
Er erinnere sich nicht genau, sagte Schlitt, aber angeblich hätten politische Gründe und Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) eine Rolle gespielt. „Ganz überrascht waren wir vom Stopp vom 10. August 1976 nicht“, sagte Schlitt. „Es gab ja die Widerstände aus der Bevölkerung. Dann ist ja auch Ruhe eingekehrt.“
Schlitt berichtete, die Untersuchungen an den drei Standorten seien beendet worden. „Gorleben ist während meiner Zeit nie erwähnt worden“, sagte der Geschäftsführer. „Es ist in Gorleben nichts untersucht worden.“ Im Dezember 1976 schied er aus seinem Amt aus. Im kleinen Kreise habe man zwar gewusst, dass Gorleben der beste Standort sei, aber: „Wir hatten ja mit Lutterloh einen versprechenden Standort.“
Über eine Nachbewertungsstudie der KEWA aus dem Jahr 1976, die bisher nur in Zitaten überliefert ist, zeigte Schlitt Befremden. „Diese Studie kenne ich nicht. Meine Kenntnis ist, dass es seit dem 10. August 1976 keine Standort-Untersuchung mehr gab.“ Berichte zitieren eine KEWA-Studie, wonach Gorleben auf dem vorderen Platz erschien. „Das haben wir nicht gemacht, die Arbeiten waren ja auch gestoppt.“
CDU/CSU-Obmann Reinhard Grindel legte dem Zeugen einen Brief vom 9. März 1977 vor. In ihm schildere Klaus Stuhr, Leiter des Interministeriellen Arbeitskreises (IMAK) der niedersächsischen Landesregierung zur Standortsuche, an den Staatssekretär im Landeswirtschaftsministerium, Hans-Joachim Röhler, dass Gorleben bereits 1975 auf Vorschlag des Ressorts in die KEWA-Untersuchungen aufgenommen worden sei. Auch sei es in der zweiten Jahreshälfte 1976 zu ergänzenden Standortuntersuchungen gekommen. Schlitt sagte dazu: „Das kann ich nicht nachvollziehen. Jedenfalls nicht, dass ich das wüsste.“ Wenn es einen neuen Auftrag gegeben hätte, hätte er als Geschäftsführer davon wissen müssen.
Schlitt sagte, vielleicht habe es in der zweiten Jahreshälfte 1976 noch einige Papierarbeiten gegeben. Er wolle auch nicht ausschließen, dass man in der KEWA mit Stuhr über Gorleben gesprochen habe. Er könne ebenfalls nicht ausschließen, dass der Bericht noch vom KEWA-Team gefertigt worden sei. Aber: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Untersuchung ohne meine Kenntnis gab.“