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Vor allem in Afrika sollen die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zum Einsatz kommen. © picture alliance/Bildagentur-online
Trotz enger Spielräume im Haushalt will die Bundesregierung den Etat für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahr 2012 erhöhen. "Wir können jetzt den dritten Rekordhaushalt in Folge einbringen", sagte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) am Mittwoch, 7. September 2011, in der ersten Lesung des Regierungsentwurfs für seinen Haushalt 2012. Niebels Ressort sollen dem Etatentwurf der Bundesregierung zufolge im kommenden Jahr Mittel in Höhe von 6,33 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das sind knapp 114 Millionen Euro mehr als im laufenden Haushalt.
Die Oppositionsfraktionen kritisierten, dass zu wenig Mittel in die Armutsbekämpfung fließen würden. Zudem sei Deutschland mit diesem Etatentwurf weit entfernt von dem in den UN-Millenniumvereinbarung genannten Ziel, bis 2015 mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben.
"Wir haben es geschafft, die Entwicklungszusammenarbeit aus der politischen Kuschelecke in die Mitte der Gesellschaft zu führen", sagte Niebel. Er verwies darauf, dass der Entwurf für 2012 ein "Wirksamkeitshaushalt" sei. Die Zusammenführung der vormaligen Durchführungsorganisationen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), InWent und Deutscher Entwicklungsdienst (DED) zur „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) sei die "größte Strukturreform in der Entwicklungspolitik". An dieser Aufgabe seien die Vorgängerregierungen gescheitert.
Zudem setze das BMZ auf Evaluierung der Entwicklungszusammenarbeit und Wirksamkeitsprüfungen. Erstmals gebe es auch ein verbindliches Menschenrechtskonzept, eine Art "TÜV", der die Auswirkungen von Entwicklungsprojekten auf die Menschenrechte prüfe. Den Schwerpunkt legt das BMZ laut Niebel weiterhin auf Afrika, insbesondere sollen die Mittel für Bildungsmaßnahmen im Süden des Kontinents bis 2013 gegenüber 2009 verdoppelt werden.
Dr. Bärbel Kofler kritisierte für die SPD-Fraktion, dass Niebel die breite überfraktionelle Unterstützung von bisher 364 Abgeordneten zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels nicht nutzen würde. "Sie haben diese Chance nicht genutzt, um die Mittel in die Armutsbekämpfung zu lenken", sagte Kofler. Stattdessen lese man in Niebels Strategiepapier das "Hohelied der privaten Investitionen".
Insbesondere das Einfrieren der deutschen Überweisungen nach Korruptionsfällen beim Global Funds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria“ nahm Kofler in die Kritik: "Werden Sie endlich ihrer Verantwortung gerecht und setzen Sie die Mittel für die Ärmsten ein."
Den Entwicklungshaushalt "von jetzt auf gleich" auf 0,7 Prozent des BIP anzuheben, sei "illusorisch", mahnte Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU). Was von den Vorgängerregierungen versäumt wurde, müsse jetzt in Gang gesetzt werden. Zudem greife es zu kurz, nur über die Höhe des Haushalts zu reden. Entscheidend sei auch die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit. Das geplante Evaluierungsinstitut des BMZ sei deshalb kein Selbstzweck.
"In der Vergangenheit wurde die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit viel zu wenig beleuchtet", sagte Pfeiffer. Die Abgeordnete hob zudem den einen "wesentlich unverkrampfteren Umgang" mit Privatunternehmen hervor. "Ohne Wirtschaft werden wir keine Entwicklung in den Ländern erreichen."
Scharfe Kritik kam von Heike Hänsel (Die Linke). Angesichts der Hungerkatastrophe in Ostafrika habe es Minister Niebel versäumt, im Haushalt die Weichen zu stellen, "um auf solche Katastrophen zu reagieren, etwa durch Aufstockung der Not- und Übergangshilfen". Niebels Menschenrechtskonzept sprach Hänsel jegliche Glaubwürdigkeit ab und verwies auf die mutmaßlichen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien, die der Bundessicherheitsrat genehmigt – und der Minister angeblich gerechtfertigt habe: "Damit können in Sie ihr Menschenrechtspapier in den Mülleimer werfen", sagte Hänsel.
Zudem sehe der Minister ausgerechnet in der "schwersten Krise des Kapitalismus" in Privatinvestitionen ein Allheilmittel der Entwicklungspolitik: "Sie wollen noch mehr Spekulation, noch mehr Überschwemmung mit Produkten aus der EU in diesen Ländern", warf sie dem Minister vor.
Von einer "herben Enttäuschung" angesichts des Etats sprach Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen). Das Haushaltsjahr 2012 sei "die letzte Ausfahrt" um das 0,7-Prozent-Ziel doch noch zu erreichen. Hoppe sprach sich dafür aus, Solidarität und Gerechtigkeit „weder von Konjunkturen noch von Kassenlagen abhängig zu machen".
Viele der vor der Hungerkatastrophe Flüchtenden in Ostafrika würden nicht versorgt, weil Geld der internationalen Gemeinschaft fehle. Das liege nicht zuletzt daran, dass Länder, die sonst gezahlt hätten, in der Eurokrise mit sich selbst beschäftigt seien. Viele der vor der Hungerkatastrophe Flüchtenden in Ostafrika würden nicht versorgt, weil Geld der internationalen Gemeinschaft fehle. Das liege nicht zuletzt daran, dass Länder, die sonst gezahlt hätten, in der Eurokrise mit sich selbst beschäftigt seien.
"Erfreuliche Dinge" stellte hingegen Jürgen Koppelin (FDP) im Haushaltsentwurf des Ministeriums heraus: Die Zusammenführung der Durchführungsorganisationen GTZ, Inwent und DED zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, sei ein Erfolg. Erstmals gebe es eine "gute Zusammenarbeit" zwischen BMZ und dem Auswärtigen Amt, "dokumentiert durch ressortübergreifende Konzepte zu Afrika und den Menschenrechten".
Die Entscheidung, die Mittel für den Global Funds einzufrieren, sei richtig, sagte Koppelin: „Es kann nicht sein, dass wir Korruption bezahlen.“ (ahe)