Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Deutsch-Französische Arbeitsgruppe
Zweifel an der Wirksamkeit der künftigen Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Haushalts- und Schuldensündern äußerten Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert wie auch sein Amtskollege Bernard Accoyer von der Assemblée nationale beim dritten Treffen der deutsch-französischen Arbeitsgruppe zu EU-Fragen am Freitag, 20. Januar 2012, in Berlin. Sollte durchgesetzt werden, was bislang geplant ist, dass nur ein Euro- oder EU-Land ein anderes wegen mangelnder Haushaltsdisziplin verklagen kann, befürchten die Parlamentarier, dass keine wirksamen Strafen verhängt werden, der Sanktionsmechanismus demzufolge einem zahnlosen Tiger gleichkommt. Weil die Unterzeichnerländer möglicherweise zu sehr davor zurückschrecken könnten, einander zu belasten, müsse der Europäischen Kommission ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof eingeräumt werden.
Aller guten Dinge sind drei. Oder auch vier. Bei ihrer dritten Begegnung diskutierten Abgeordnete und Vertreter beider Regierungen über den Stand der gegenwärtig laufenden Verhandlungen über eine verstärkte europäische Wirtschafts- und Fiskalunion, den Europäischen Stabilitätsmechanismus und dessen Dauer sowie über die Einbindung von Nicht-Euro-Ländern.
Auch das vierte und wegen der französischen Wahlen vorerst letzte Treffen der Gruppe am 13. Februar in Paris wird sich aller Voraussicht ebenfalls mit der Wirtschafts- und Fiskalunion beschäftigen, da die Verständigung auf das Vertragswerk bis dahin andauern dürfte.
Die bilaterale Arbeitsgruppe begleitet die Vertragsverhandlungen bereits seit Oktober. Bei ihrem jüngsten Treffen im Bundestag tauschten sich die Teilnehmer über Empfehlungen aus, die sie ihren jeweiligen Regierungen mitteilen wollen. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen die Mitspracherechte der nationalen Volksvertretungen wie auch des Europäischen Parlaments bei Haushaltsfragen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert zeigte sich zuversichtlich, dass die Mitwirkungsrechte der Parlamente bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden, schon allein deshalb, weil dies das deutsche Grundgesetz erfordere.
Nach Berichten der französischen Kollegen hat der Wahlkampf in ihrem Land bereits spürbar begonnen. Erörtert wurde während des Treffens, ob und wie sich ein möglicher Machtwechsel nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich auf den Ratifizierungsprozess der Verträge auswirken könnte. Die französische Seite verwies auf die Kontinuität der Pariser Europapolitik in den vergangenen Jahrzehnten.
Die Abgeordneten aus der französischen Hauptstadt sagten zu, die Arbeit an einer rechtlichen Verankerung der Schuldenbremse, der règle d’or, fortzusetzen. Eine Verankerung in der französischen Verfassung ist ohnehin fraglich. In beiden Kammern, Assemblée und Senat, würde für die Verabschiedung der Schuldenbremse eine Drei-Fünftel-Mehrheit benötigt, die laut Accoyer derzeit nicht in Sicht sei.
Der Präsident der Assemblée nationale hielt eine strengere Budgetdisziplin allein für die Gesundung der Haushalte nicht für ausreichend, nötig sei außerdem ein schnelles Wirtschaftswachstum. Das Vertrauen der Märkte in die Zukunft der Euro-Zone müsse zügig zurückgewonnen werden.
Lammert erklärte, dass die Ratifizierung des Vertrags über die Wirtschafts- und Fiskalunion wie auch über den neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis zur parlamentarischen Sommerpause möglich sei, vorausgesetzt, die Texte liegen wie bisher zugesagt im März vor. Die Ratifizierung auf französischer Seite wird aller Voraussicht nach erst das neugewählte Parlament vornehmen. (sad)