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Über die Wege aus der Schuldenkrise in Europa gehen die Meinungen im Parlament nach wie vor weit auseinander. Eine Aktuelle Stunde auf Wunsch der Linksfraktion zum EU-Fiskalpakt am Donnerstag, 9. Februar 2012, nutzte die Opposition für ihre Kritik am europapolitischen Kurs der Bundesregierung. Während die Koalition den Fiskalpakt als „Meilenstein“ auf dem Weg zu ausgeglichenen Haushalten bezeichnete, kritisierte die Opposition, dass Länder wie Griechenland mit fiskalischer Disziplin allein kaum auf die Beine kommen könnten. 25 EU-Staaten, darunter Deutschland, wollen mit dem sogenannten Fiskalpakt Anfang März ein Abkommen schließen, das für mehr Haushaltsdisziplin sorgen soll. Dazu gehört unter anderem, dass alle beteiligten Länder eine Schuldenbremse einführen.
Der Fraktionsvize der Linken, Dr. Dietmar Bartsch, sprach zu Beginn der Debatte von einem „Diktat der Finanzmärkte in Europa“. Die jüngsten Ergebnisse der Verhandlungen in Athen würden erneut zeigen, dass Löhne und Renten gesenkt, Vermögende jedoch nicht zur Kasse gebeten werden. Eine Politik des Spardiktats führe zu Elend, Verzweiflung und zur Spaltung Europas, warf er der Bundesregierung vor.
Zudem bleibe die Demokratie auf der Strecke, sagte Bartsch und nannte Italiens Ministerpräsident Mario Monti, der quasi von Brüssel eingesetzt, aber nicht gewählt worden sei. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich offenbar ein „marktkonforme Demokratie“ wünsche, wolle Die Linke vielmehr einen „demokratiekonformen Markt“.
Norbert Barthle von der Unionsfraktion erwiderte, dass Die Linke stets das altbekannte Rezept liefere: Mit mehr Steuergeld den Konsum und damit das Wachstum anzukurbeln. Bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrisen müsse es aber darum gehen, an die „Wurzel heranzugehen“, und das heiße: weniger Schulden und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
Zudem warf Barthle seinem Vorredner Scheinheiligkeit vor: Wenn Griechenland mehr Geld bekommen soll, dann müsse Bartsch den deutschen Arbeitnehmern auch erklären, „warum sie mit 67 in Rente gehen sollen, die griechischen Kollegen aber bereits mit 60“, sagte Barthle.
Rigide Haushaltspolitik allein erzeugt noch kein Wachstum, sagte Klaus Hagemann von SPD-Fraktion. Zudem stelle sich die Frage nach Lebensperspektiven und der Würde der Menschen in Ländern wie Griechenland: Viele würden noch nicht einmal einen „Silberstreif am Horizont“ erkennen können.
Umso fragwürdiger seien die Forderung der Bundeskanzlerin nach einem Sparkommissar oder der Formulierung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, in Europa werde wieder Deutsch gesprochen. Hier habe die Koalition bereits „viel Porzellan zerschlagen“, kritisierte der SPD-Haushaltsexperte.
Von einer „unausweichlichen Entgiftung“ sprach Joachim Spatz von der FDP-Fraktion: „Wir verabschieden uns vom süßen Gift der Verschuldung, und das tut weh – dem einen mehr, dem anderen weniger.“ Dieser Schritt sei jedoch nötig, um sich von Geldgebern unabhängig zu machen und künftigen Generationen nicht die Gestaltungsspielräume zu nehmen.
Die Koalition setze auf einen europa- und fiskalpolitischen „Dreiklang“, sagte Spatz: Solidität durch den angestrebten Fiskalpakt, Solidarität durch den Rettungsschirm ESM sowie Wachstum durch Investitionsmittel aus den EU-Fonds. Europa wettbewerbsfähiger zu machen heiße nicht, den Starken zu schwächen, sondern den Schwachen stark zu machen, sagte Spatz.
Die Haushaltsexpertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Priska Hinz, forderte die Koalition auf, den Bürgern „reinen Wein“ einzuschenken. Aus dem hoch gelobten Fiskalpakt „sollte man mal die Luft rauslassen“. Manches darin habe „keine rechtliche Bindungswirkung“, und die vorgesehene Schuldenbremse müssten die unterzeichnenden Länder noch nicht einmal in ihren Verfassungen verankern.
Übrig bleibe eine „politische Vereinbarung“, die auch nicht helfe, den aktuellen Schuldenstand in der Eurozone abzubauen. Hier würde eine Banklizenz für den Rettungsschirm helfen oder auch ein von den Wirtschaftsweisen der Bundesregierung ins Spiel gebrachter Altschulden-Tilgungsfonds. „Wir werden Griechenland zehn Jahre unterstützen müssen“, sagte Hinz und forderte von der Bundesregierung „Investitionen statt warmer Worte“.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Michael Link (FDP), wies den Vorwurf zurück, der Fiskalpakt spalte Europa und untergrabe die Demokratie: Link wies zum einen darauf hin, dass es erklärtes Ziel bleibe, den jetzt noch zwischenstaatlich ausgehandelten Vertrag innerhalb von fünf Jahren in EU-Verträge einzubinden. Zum anderen würden die Parlamente in Europa selbstbestimmt und in Abstimmung untereinander über die parlamentarischen Begleitverfahren entscheiden.
Link verwies zudem darauf, dass man bei der umstrittene Klagerecht-Regelung bei Vertragsverletzungen noch nicht „am Ende der Reise“ sei. In den Verhandlungen zum Fiskalpakt hatte Deutschland für ein Klagerecht der EU-Kommission vor dem europäischen Gerichtshof geworben, sich mit diesem Vorschlag aber nicht durchgesetzt. Nach derzeitigem Stand würden sich die Staaten selbst einander vor Gericht bringen. (ahe)