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Ein Jahr nach dem Arabischen Frühling sind viele Erwartungen nicht erfüllt worden. In dieser Einschätzung waren sich Redner aller Fraktionen während der abschließenden Beratung von Anträgen der SPD (17/5487, 17/6421) und der Linksfraktion (17/8582) am Freitag, 10. Februar 2012, einig. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch in der Frage des weiteren Vorgehens in der deutschen und europäischen Mittelmeerpolitik. Während Koalitions-, SPD- und Grünen-Fraktion unter anderem Freihandelszonen mit den arabischen Ländern aufbauen wollen, lehnt die Linksfraktion dies ab. Sie wendet sich gegen weitere Liberalisierungen, da somit die entwicklungspolitischen Handlungsspielräume untergraben würden.
„Was gegenwärtig in Ägypten passiert, ist alles andere als das, was wir uns vorgestellt haben“, sagte Dr. Rainer Stinner (FDP). Das gelte sowohl für den Umgang mit Oppositionellen als auch mit den ausländischen Stiftungen, sagte Stinner Bezug nehmend auf die Behinderung der Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung durch die ägyptischen Behörden. Bei allen Anstrengungen die unternommen werden müssten, dass machte Stinner auch deutlich, müsse man zugleich bescheiden sein, bei dem, was erreicht werden könne.
Hier gibt es aus Sicht des FDP-Abgeordneten einen Widerspruch im Auftreten der Opposition. Zum einen würde der Bundesregierung „Großmannsucht“ unterstellt – auf der anderen Seite gebe es Vorwürfe, warum nicht mehr erreicht worden sei. „Wenn Sie von der Bundesregierung verlangen, tatkräftig etwas zu tun, können Sie nicht zugleich davon reden, wir wollten wieder mehr in der Welt sein“, sagte Stinner. Die Linksfraktion kritisierte er für deren Ablehnung von Freihandelszonen. „Wenn Sie die Märkte für diese Länder nicht öffnen, verfolgen Sie eine Verelendungsstrategie.“
Auf die „dramatischen Ereignisse“ in Syrien ging der SPD-Abgeordnete Günter Gloser ein. Er richtete einen Appell an Russland und China, sich im Weltsicherheitsrat für eine Konfliktlösung einzusetzen. Von der Bundesregierung forderte Gloser „einen kompletten Abschiebestopp nach Syrien“. Was den arabischen Raum betreffe, so befinde der sich in einer „epochalen Veränderungsphase“, sagte er. Das gelte auch für ein Land wie Marokko, wo es zwar keine Revolution gegeben habe, sich der König selbst aber für eine Stärkung des Parlaments einsetze.
Auch die Arabische Liga definiere inzwischen ihre Rolle neu, was durch die Beobachtermission in Syrien deutlich werde. Deutschland und Europa müssten die Region durch eine partnerschaftliche Kooperation mit gegenseitigem Vertrauen fördern, sagte Gloser. „Wir müssen die europäische Mittelmeerpolitik neu ausrichten“, forderte der SPD-Abgeordnete. Dazu gehöre auch der Ausbau von Freihandelszonen ohne Handelshindernisse, die aber nicht nur von Nord nach Süd sondern auch in die andere Richtung funktionieren müssten.
Koalition und SPD lägen mit ihren Vorstellungen gar nicht so weit auseinander, sagte Joachim Hörster (CDU/CSU). Anders als die Sozialdemokraten wolle die Union aber bei der Förderung jedes Land einzeln betrachten. Dabei falle auf, dass lediglich in Tunesien die Entwicklung in die richtige Richtung gehe. „Bei Marokko müssen wir uns anschauen, ob es auch trotz des Erhalts der Monarchie eine Entwicklung hin zur Demokratie gibt“, sagte er.
Außerordentlich kritisch sei die Situation in Ägypten. Er habe dort den Eindruck, dass Moslembruderschaften und Militärregierung zusammenarbeiten würden, sagte Hörster. Ebenso wie sein Vorredner forderte auch der Unionsabgeordnete im Falle Syriens, Russland in die Pflicht zu nehmen.
Sevim Dağdelen (Die Linke) wandte sich gegen ein militärisches Eingreifen in Syrien. Die Linke stehe „ohne Wenn und Aber auch im Mittelmeerraum für Verhandlungen statt Eskalation“. Dağdelen erinnerte daran, dass Syriens Präsident Assad noch bei der auch von der SPD unterstützten Gründung der Mittelmeerunion auf den Ehrenplätzen gesessen habe. Solange Assad und Gaddafi die Migration zu bekämpfen bereit gewesen seien, habe man sie unterstützt, kritisierte Dağdelen.
In dem Antrag der Sozialdemokraten werde die „alte falsche Strategie“ mit Migrationsbekämpfung und Freihandelszonen beschworen, die eine „falsche Medizin“ sei. „Die Menschen rund um das Mittelmeer haben etwas anderes verdient als Frontex und ähnliche Abschottungsinstrumente“, sagte die Linken-Abgeordnete.
Auch Viola von Cramon-Taubadel (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Migrationspolitik der Bundesregierung. Visafreiheit ist ihrer Ansicht nach ein wichtiger Baustein für den Demokratisierungsprozess. Die Bundesregierung verhandle stattdessen über Rücknahmeabkommen. Festzustellen, dass von der Anfangseuphorie nicht viel übrig geblieben sei, reiche nicht aus. „Wir müssen uns auch fragen, ob wir die notwendige Unterstützung für den Transformationsprozess geleistet haben“, sagte die Abgeordnete. Diese Frage habe nichts mit Großmannssucht zu tun, sagte sie an Rainer Stinner gewandt.
Panzerlieferungen seien die falsche Antwort auf die Frage. Stattdessen müssten Gelder, wie die 1,42 Milliarden Euro, die von der EU als Nachbarschaftshilfe zur Verfügung gestellt worden seien, schneller ankommen. Bisher, so müsse man konstatieren, habe die neue Nachbarschaftspolitik der EU keine neuen Impulse setzen können. Stattdessen, so die Forderung der Grünen, müssten die Zivilgesellschaften gefördert werden. Dazu biete sich eine Europäische Stiftung für Demokratie an, sagte von Cramon-Taubadel.
Im Anschluss an die Debatte wurden die beiden Oppositionsanträge mehrheitlich abgelehnt. (hau)