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Die jüngsten Streiks am Frankfurter Flughafen haben die SPD-Fraktion im Bundestag alarmiert: Sie appellierte in einer Aktuellen Stunde, die auf ihr Verlangen am Mittwoch, 7. März 2012, stattgefunden hat, für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit. Die anderen Fraktionen reagierten auf die Forderung skeptisch. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Hubertus Heil, betonte, die Tarifautonomie sei ein „zentraler Grundpfeiler“ der sozialen Marktwirtschaft. Eine Spaltung der Belegschaften müsse verhindert werden.
Seit das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2010 in zwei Urteilen den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben habe, habe die Bundesregierung zwar vieles angekündigt, aber nichts umgesetzt, weil die Koalitionspartner sich gegenseitig blockierten. Dies, so Heil, sei „typisch Schwarz-Gelb“.
Es könne nicht sein, dass sich „Spartengewerkschaften auf Kosten von Gesamtbelegschaften einen schlanken Fuß machen“. Ein solches Beispiel der „Entsolidarisierung“ habe man am Frankfurter Flughafen sehen können. Seine Fraktion reiche der Union die Hand, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Auch Anette Kramme, Sprecherin der SPD-Fraktion für Arbeit und Soziales, betonte, es sei „das Geschäftsmodell der Spartengewerkschaften“, die Einzelinteressen von Personengruppen durchzusetzen, die mächtig genug seien, Arbeitsabläufe wirkungsvoll lahmzulegen.
Die großen Gewerkschaften dagegen setzten darauf, immer alle Kollegen ins Boot zu holen und in der Tarifauseinandersetzung auch die Leistungsfähigkeit der gesamten Branche im Auge zu behalten. Kramme sagte eine Zunahme der Spartengewerkschaften und eine „Radikalisierung“ voraus und plädierte deshalb für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit.
Die Koalition sieht dies anders. So sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, Karl Schiewerling, es habe seit den BAG-Urteilen keine Neugründungen von Spartengewerkschaften gegeben. Zudem gebe es sowohl vom Gewerkschaften als auch Arbeitgebern höchst unterschiedliche Signale, wie man einer drohenden Tarifzersplitterung begegnen könne. Schiewerling kündigte einen Vorschlag „in absehbarer Zeit“ an, betonte aber auch, dass die Materie juristisch sehr komplex sei.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,Dr. Günter Krings, wies zudem darauf hin, dass die Verfassung die Koalitionsfreiheit schütze und man dies ernst nehmen müsse. Er wies darauf hin, dass gerade die Auseinandersetzung am Frankfurter Flughafen gezeigt habe, dass es sehr wohl gesetzliche Möglichkeiten gebe, den Missbrauch des Streikrechts zu verhindern. Bevor man darüber nachdenke, ob der Gesetzgeber tätig werden müsse, sei es an den Arbeitgebern, ihre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Auch die FDP befindet sich beim Thema Tarifeinheit noch im Diskussionsprozess. Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion, Dr. Heinrich L. Kolb, betonte, die Koalitionsfreiheit sei ein „verfassungsrechtlich geschütztes Gut“. Streiks seien zulässig, wenn sie für die Durchsetzung der Tarifforderungen verhältnismäßig seien - die jüngsten Streiks hätten aber bei vielen Menschen den Eindruck erweckt, dass es nicht verhältnismäßig sei, wenn 200 Mitarbeiter für Lohnerhöhungen von 40 bis 70 Prozent kämpften und dabei den weitaus größeren Teil der Belegschaft in Mithaftung nähmen.
Er könne, so Kolb, nicht ausschließen, dass der Gesetzgeber tätig werde, ein „Königsweg drängt sich da aber nicht auf“. Man werde zunächst Handlungsoptionen ausloten. Zudem müsse man festhalten, dass sich die Zahl der Streiktage in Deutschland verringert habe, man von „englischen Verhältnissen“ weit entfernt sei. Es sei daher nötig, „mit Augenmaß“ vorzugehen.
Dafür sind auch die Bündnisgrünen. So betonte Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin der Fraktion für Arbeitnehmerrechte, eine gesetzlich normierte Tarifeinheit sei „wahrlich kein einfaches Thema“, über das ihre Fraktion noch diskutiere. Dass in Frankfurt Solidaritätsstreiks unterbunden worden seien, beweise, dass es rechtliche Grenzen gebe. Viele Beschäftigte fühlten sich von den großen Gewerkschaften nicht vertreten, es dürfe keinen Zwang auf die Minderheit geben, sich der Mehrheit anzuschließen.
Müller-Gemmeke betonte, wer gegen eine Zersplitterung der Tariflandschaft sei, der müsse gesetzliche Mindestlöhne einführen, Leiharbeit regulieren und Befristungsmöglichkeiten einschränken. Dies würde die „Verhandlungskraft der großen Gewerkschaften stärken“.
Empört über den Vorschlag der SPD zeigte sich Die Linke. So warf der Chefvolkswirt der Fraktion, Michael Schlecht, den Sozialdemokraten vor, das Streikrecht einschränken zu wollen; dies sei eine „Perversion“. Eine erzwungenen Tarifeinheit sei immer eine Einschränkung des Streikrechts - und mit seiner Fraktion nicht zu machen.
Nötig sei vielmehr eine Ausweitung des Streikrechts. Auch politische Streiks müssten „unbeschränkt legal“ sein. Rot-Grün habe jahrelang die Handlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt und sei „hauptverantwortlich für das politische Desaster heute“. (suk)