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Der Bundestag will in großer Geschlossenheit für eine höhere Organspendebereitschaft in Deutschland sorgen. Die Vorsitzenden aller Fraktionen warben am Donnerstag, 22. März 2012, für einen gemeinsamen Gesetzentwurf (17/9030), mit dem eine sogenannte Entscheidungslösung eingeführt werden soll. Danach sollen gesetzliche und private Krankenkassen ihre Versicherten über 16 Jahren künftig schriftlich über das Thema Organspende informieren und auffordern, „freiwillig eine Entscheidung zur Organspende abzugeben“.
Der Aussprache lag ein weiterer Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/7376) zugrunde, der die Einführung von Transplantationsbeauftragten in Krankenhäusern mit Intensivstation vorsieht. Ferner sollen bessere Versicherungsleistungen für Menschen geprüft werden, die zu Lebzeiten Angehörigen ein Organ spenden.
Kontrovers diskutiert wurde die Frage der Speicherung der persönlichen Erklärung zur Organspende auf der elektronischen Gesundheitskarte zu einem späteren Zeitpunkt. Das Gesetzgebungsverfahren soll vor der parlamentarischen Sommerpause abgeschlossen werden.
Die Chefs aller fünf Fraktionen und zahlreiche weitere Redner wiesen in teils sehr persönlichen Debattenbeiträgen auf das Ziel der gemeinsamen Gesetzesinitiative hin, möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, eine informierte Entscheidung zur postmortalen Organspendebereitschaft zu treffen und diese zu dokumentieren. Gleichzeitig hoben sie die strikte Freiwilligkeit der Entscheidung hervor. Dazu gehöre auch die Freiheit, sich nicht zu entscheiden, betonten etliche Redner.
Dem Entwurf zufolge stehen derzeit in Deutschland etwa 12.000 Menschen auf den Wartelisten für eine Organtransplantation. Viele von ihnen stürben, bevor ein geeignetes Spenderorgan zur Verfügung steht. Mit der vorgeschlagenen „Entscheidungslösung“ soll den Fraktionen zufolge der bestehende Abstand zwischen der in Umfragen hohen Organspendebereitschaft in der Bevölkerung (rund 75 Prozent) und dem tatsächlich dokumentierten Willen zur Organspende (rund 25 Prozent) verringert werden. Mit der nun geplanten Neuregelung solle mehr Menschen die Chance gegeben werden, „ein lebensrettendes Organ erhalten zu können“, schreiben die Fraktionen.
„Es ist eine höchstpersönliche Entscheidung, ob jemand sein Organ zur Verfügung stellen will oder nicht“, sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, und lehnte eine weitergehende Lösung mit „mehr Druck“ ab. Eine „Widerspruchslösung“, nach der jeder automatisch als organspendebereit gilt, der dies nicht ausdrücklich ablehnt, entspreche „nicht unserer Rechtsauffassung“, betonte Kauder.
Der jetzt von den Fraktionen vorgeschlagene Weg werde aus seiner Sicht nicht kurzfristig zu einem „sprunghaften Anstieg“ der gespendeten Organe führen, wohl aber „mittelfristig“ zu einer Verbesserung.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Frank-Walter Steinmeier, sagte, die Organspende sei „eine Frage der Mitmenschlichkeit“. Es gehe nicht darum, „jeden Menschen zum Organspender zu machen. Aber wir möchten, dass sich jeder entscheidet“. Steinmeier betonte: „Heute können wir miteinander zeigen, dass Politik Verantwortung ernst nimmt für Menschen, die Hilfe dringend bedürfen.“
Er hob hervor, dass sich die Initiatoren des Gesetzentwurfs bewusst gegen Anreize für eine höhere Spendenbereitschaft entschieden hätten, etwa in Form von Bonuszahlungen oder einer Bevorzugung für den Fall, selbst ein Spenderorgan zu benötigen. „Die Organspende soll eine Spende bleiben“, unterstrich der SPD-Fraktionschef. Mehrere Redner zollten Steinmeier in der Debatte Hochachtung für seine Nierenspende an seine Frau. Zurzeit gilt in Deutschland die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung. Das heißt, eine Organentnahme ist nur mit Einwilligung des Spenders oder, sofern diese nicht vorliegt, mit Einwilligung der nächsten Angehörigen im Falle des Hirntodes zulässig.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, die Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende rühre an der „Urangst des Menschen vor dem Tod“. Deshalb dürfe es „keinen staatlich verordneten Entscheidungszwang zur Organspende geben“. Gleichwohl könne der Staat „eine Pflicht zur Beschäftigung mit dem Thema“ verlangen.
„Es geht um Bürgerpflicht, nicht um Bürgerzwang“ – das sei der Leitgedanke des Gesetzentwurfs, sagte Brüderle. Er fügte hinzu, eine dokumentierte Entscheidung zur Organspende nehme „auch Druck von den Angehörigen“. Die könnten sonst „in die schwierige Lage“ kommen, im Falle des Hirntods die Entscheidung für oder gegen eine Organspende treffen zu müssen. Auch der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, sprach diesen Aspekt an. „Es geht auch und gerade um die Angehörigen potenzieller Spender“. Wer seine Entscheidung dokumentiere, erspare seinen Angehörigen womöglich „eine vielfach schwer erträgliche Situation“.
Der Chef der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi, bekannte, persönlich die sogenannte Widerspruchslösung zu favorisieren. Dafür gebe es aber keine Mehrheit. Er wies auf „größere Bedenken“ in seiner Fraktion zu der im Entwurf vorgesehen möglichen Speicherung der Organspendeentscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte hin.
Gysi betonte, seine Fraktion habe dafür gesorgt, dass zunächst geprüft werden müsse, ob die Angaben „vollständig datenrechtlich geschützt“ seien. Im Falle der Zulässigkeit der Speicherung könne jedoch jeder entscheiden, seine Haltung zur Organspende wie bisher auf einer Pappkarte festzuhalten.
Auch Trittin betonte, niemand sei gezwungen, seine Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte zu dokumentieren.
Der Grünen-Fraktionschef wies zugleich darauf hin, die Bereitschaft zur Organspende komme zu 80 Prozent von Frauen. Organempfänger seien aber zu 80 Prozent Männer. Es gehe auch darum, „diesen geschlechtsspezifischen Unterschied in der Spendenbereitschaft zu verändern“.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte, der interfraktionelle Gesetzentwurf sei ein „starkes und klares Signal“, um das Thema Organspende in die öffentliche Diskussion zu bekommen. „Jeder Organspender ist ein Lebensretter“, betonte der FDP-Abgeordnete. Die Organspende sei „ein Akt der Nächstenliebe, zu dem man sich aktiv entscheidet“.
Bahr fügte hinzu: „Wenn mehr mitmachen“, müssten weniger schwer kranke Menschen warten. Der Minister versicherte, auch bei einer Speicherung der Organspendebereitschaft auf der elektronischen Gesundheitskarte bleibe der Versicherte Herr seiner Gesundheitsdaten.
Der Gesundheitsexpertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Elisabeth Scharfenberg, reicht dies nicht aus. Auch in ihrer Fraktion gebe es „erhebliche Bedenken“ im Hinblick auf der elektronischen Gesundheitskarte. Sie kündigte einen Änderungsantrag zu dem interfraktionellen Gesetzentwurf an.
Die im Gesetzentwurf geplante Möglichkeit für Krankenkassenmitarbeiter, die Erklärung der Organspendebereitschaft auf die Gesundheitskarte zu schreiben – wenn auch nur mit Zustimmung des Versicherten - stelle „einen Bruch mit den strengen Datenschutzregeln dar“. Der als Gruppenantrag geplante Änderungsantrag wolle dies verhindern, erläuterte Scharfenberg. (mpi)