Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Regierungserklärung
Die Eurokrise, der Abzug aus Afghanistan, die Zukunft der Nato: Es sind die großen außenpolitischen Themen, die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Donnerstag, 10. Mai 2012, in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden G8-Gipfel am 18./19. Mai in Camp David und beim Nato-Gipfel am 20./21. Mai in Chicago skizzierte. In der sich anschließenden Aussprache wurden vor allem zwei Positionen deutlich: Während die Opposition kritisierte, dass die Koalition um sich selbst kreise und weder auf europäischer Ebene noch international eine gestaltende Kraft sei, machten Vertreter von Union und FDP deutlich, am Konsolidierungskurs in Europa festzuhalten. Deutlich wurde aber auch, dass die Koalition sich bei den von der Opposition geforderten Wachstumsimpulsen für Europa gesprächsbereit zeigt.
Schuldenfinanzierten Wachstums- und Konjunkturprogrammen erteilte die Bundeskanzlerin jedoch gleich zu Beginn ihrer Regierungserklärung eine klare Absage. Der Abbau der Verschuldung und die Stärkung von Wachstum und Beschäftigung seien die beiden Säulen, mit denen die Staatsschuldenkrise überwunden werden müsse, sagte Merkel. Notwendig sei jedoch ein "Wachstum durch Strukturreformen". Ein "Wachstum auf Pump, das würde uns wieder genau an den Anfang der Krise zurückwerfen".
Merkel kündigte an, auf dem Gipfel der führenden acht Industriestaaten auch deutlich zu machen, dass die Überwindung der Staatsschuldenkrise in Europa "nicht über Nacht" erfolge. Sie könne nur gelingen, wenn man an die Ursachen gehe: "Das sind die horrende Verschuldung und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit mancher Länder in Europa." Als weitere Themen beim Gipfel nannte Merkel unter anderem die Forderung nach freiem Handel, den Klimaschutz, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Bekämpfung von Armut und Hunger.
Mit Blick auf den Nato-Gipfel sprach Merkel von einer gemeinsamen Strategie für den geplanten Abzug 2014. Der neugewählte französische Präsident Franςois Hollande hatte einen früheren Abzug französischer Soldaten angekündigt. Für Deutschland gelte "zusammen hinein, zusammen hinaus", sagte demgegenüber die Bundeskanzlerin.
Die internationale Gemeinschaft werde Afghanistan auch nach 2014 bei der Sicherheit und beim Aufbau der Zivilgesellschaft unterstützen. Außerdem sprach sich Merkel beim Streit über einen Raketenschild für eine Zusammenarbeit mit Russland aus: "Mit dieser Zusammenarbeit wollen wir ein qualitativ neues Kapitel im Verhältnis zu Russland aufschlagen", sagte Merkel. "Zum ersten Mal würden die Nato und Russland echte gemeinsame Verteidigungsstrategien unternehmen."
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier nutzte als erster Redner die anschließende Aussprache für eine Generalabrechnung mit Schwarz-Gelb: "Dieses Land braucht eine Befreiung von der politischen Lethargie", sagte Steinmeier. Die Bundesregierung lebe "von der Hand in den Mund" , profitiere von den schwierigen Entscheidungen der Vorgängerregierungen und verfahre ansonsten nach dem Motto "Durchwursteln bis zum Wahltermin".
Die Stärke Deutschlands in der Euro-Krise habe nichts mit dieser Regierung zu tun. "Sie ernten, was andere vor Ihnen gesät haben" kritisierte der ehemalige Außenminister. Schwarz-Gelb sei dabei, die Energiewende "in den Sand" zu setzen und laufe bei der Regulierung der Finanzmärkte anderen hinterher statt treibende Kraft zu sein.
Europa werde zudem ohne Wachstumsimpulse nicht aus der Krise kommen, sagte Steinmeier und verwies auf die Entscheidungen in der Zeit der Großen Koalition: Deutschland sei mitten in der Krise erfolgreich, nicht weil es "fantasielos gespart", sondern auf einen "vernünftigen Mix aus Sparen und Wachstumsprogrammen" gesetzt habe. "Nicht wir, Frau Merkel, brauchen Sie, sondern Sie brauchen uns, die Opposition", sagte Steinmeier mit Blick auf die anstehenden Abstimmung zum Fiskalpakt im Bundestag.
Rainer Brüderle lehnte einer Aufweichung des Fiskalpakts ab. Aus Wahltaktik entziehe sich die SPD ihrer staatspolitischen Verantwortung für die Entwicklung Europas, kritisierte der FDP-Fraktionschef. Er sei überzeugt, dass Hollande Pakt nicht infrage stellen werde. "Europa muss stabil und handlungsfähig bleiben", sagte Brüderle. "Ohne eine mutige Entschuldungspolitik bekommen wir diese Frage nicht in den Griff."
Rot-Grün hielt er vor, dass in ihrer Regierungszeit Deutschland "der kranke Mann Europa" mit hoher Arbeitslosigkeit und Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum gewesen sei. "Ihre Politik führt zur Griechenlandisierung Deutschlands" sagte er.
Auch der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, warnte vor einer weiteren Verschuldung in Europa. Vielmehr sei der Kurs der Bundesregierung richtig, in der Krise "durch Strukturreformen zum Wachstum zu kommen", sagte er und verwies auf das Beispiel Spanien. Dort sei etwa die Jugendarbeitslosigkeit bereits vor der Krise hoch gewesen.
Es sei völlig unstrittig, dass Europa neben Haushaltskonsolidierung auch Wachstum brauche, aber "was wir nicht brauchen, sind schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme", sagte Kauder. Deutschland werde deshalb nicht zulassen, dass der Fiskalpakt "weichgespült wird".
Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke forderte, sich Hollandes Vorschlag zu eigen zu machen und den Abzug aus Afghanistan noch in diesem Jahr abzuschließen. Den Teilnehmern des G8-Gipfels empfahl er zudem die Lektüre des aktuellen Berichts des "Club of Rome". Was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vorgetragen habe, sei "alte Politik, altes Denken".
Im Jahre 2010 etwa hätte die Nato mehr als eine Billion Euro in Rüstung investiert, Geld, dass besser zur Bekämpfung des Hungers auf der Welt angelegt wäre, kritisierte Gehrcke. Ein Entschließungsantrag seiner Fraktion (17/9594), in dem ein schnellstmöglicher Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan gefordert wurde, fand im Anschluss an die Aussprache keine Mehrheit.
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin, sprach mit Blick auf die französische Präsidentschaftswahl von einem "guten Tag für Europa". Mit Sarkozy sei das Modell der "sozialen Arroganz" , das den Zusammenhalt in Europa gefährde, abgewählt worden — und damit auch der Europakurs der Bundeskanzlerin.
Mit einer "speziellen deutschen Stabilitätskultur", die sich Schwarz-Gelb stets selbst attestiere, sei es ohnehin nicht besonders weit her. So sei die deutsche Staatsschuldenquote unter der Kanzlerschaft Angela Merkels um ein Drittel angestiegen, sagte Trittin.
Deutschland sei auch deshalb besser durch die Krise gekommen, weil es auf Konjunkturprogramme gesetzt habe. Deshalb müsse auch der Fiskalpakt um eine Wachstumskomponente ergänzt werden, sagte Trittin und mahnte die Koalition: "Da sollten Sie sich endlich bewegen, sonst kriegen Sie das hier nicht durchs Haus". (ahe)