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Der Beifall für die Bundeskanzlerin ist lang, so lang, dass Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert bat, den nicht "endenwollenden Applaus der Koalitionsfraktionen" doch bitte ins Protokoll zu nehmen. Die Oppositionsfraktionen riss es nach der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Mittwoch, 27. Juni 2012, zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel jedoch nicht von Stühlen: Zu lange, zu zögerlich habe die Kanzlerin in der Euro-Krise agiert, viel zu spät sei sie auf die Forderung der Opposition für mehr Wachstumsimpulse als zweite Säule neben einer strikten Sparpolitik in Europa eingegangen.
Unter anderem von dieser Bedingung hatten SPD und Grüne ihre Zustimmung zum Fiskalpakt und dem dauerhaften Europäischen Rettungsschirm ESM abhängig gemacht, über die Bundestag und Bundesrat am Freitag, 29. Juni, beraten und abstimmen wollen. Für den Fiskalpakt ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Einen Tag zuvor treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, um über die weiteren Schritte in der Eurokrise zu beraten — unter anderem über Initiativen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa.
Die Bundeskanzlerin sprach in ihrer Regierungserklärung von einem "starken Signal nach innen wie nach außen", das von der Abstimmung am Freitag in Berlin ausgehe. "Es ist ein Signal der Entschlossenheit und der Geschlossenheit, die europäische Staatsschuldenkrise zu überwinden, und zwar nachhaltig". Merkel dankte der Opposition von SPD und Grünen für deren angekündigte Zustimmung zum Fiskalpakt und zum ESM.
Merkel gab im Vorfeld des Brüsseler Gipfels aber noch ein anderes Signal mit ihrer entschiedenen Absage an Eurobonds: Es stehe zu befürchten, dass auf dem Gipfel "wieder einmal viel zu viel über alle möglichen Ideen für eine gemeinschaftliche Haftung und viel zu wenig über verbesserte Kontrollen und Strukturmaßnahmen gesprochen wird", sagte Merkel und fügt hinzu: "Ganz abgesehen davon, dass Instrumente wie Eurobonds, Euro-Bills, Schuldentilgungsfonds und vieles mehr in Deutschland schon verfassungsrechtlich nicht gehen — ich halte sie auch ökonomisch für falsch und kontraproduktiv." Eurobonds jetzt politisch zu erzwingen, sei die falsche Lehre aus der Vergangenheit. Der Weg zu nachhaltigem Wachstum und sicheren Arbeitsplätzen in Europa führe nur über eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, über Strukturreformen und den Abbau von Staatsverschuldungen, betonte Merkel.
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier warf der Bundeskanzlerin vor, nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems zu sein: Ihre Regierung trage mit einer "Mischung aus Fehldiagnose von Krisenursachen und darauf gegründeter Schulmeisterei" eine Mitverantwortung an den Fehlentwicklungen in Europa. "Die Krise schlägt doch in Wahrheit eine Schneise der Verwüstung durch Europa. Es ist keine Ende in Sicht, und die Krise erreicht auch uns", warnte der SPD-Fraktionschef.
Steinmeier betonte, dass der Fiskalpakt allein, so wie von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehen, keine Chance auf eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gehabt hätte. Mit harten Verhandlungen habe die SPD "Ton und Stoßrichtung" verändert und die Bundesregierung unter anderem zu mehr Wachstums- und Beschäftigungsimpulsen und zur Einführung einer Finanzmarktsteuer gedrängt. "Konsolidierung und Wachstum ist der neue Zweiklang, und den gäbe es nicht ohne Sozialdemokraten, auch nicht in diesem Parlament", sagte Steinmeier.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warnte davor, mit Konjunkturprogrammen in den Krisenländern nur "Strohfeuer" zu entzünden. Mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Beschäftigung seien nur durch Strukturreformen zu erreichen — nicht aber durch eine Vergemeinschaftung von Schulden durch Eurobonds. Brüderle betonte, dass sich Deutschland solidarisch mit seinen Haftungsübernahmen für angeschlagenen Euro-Staaten verhalte. "Uns kann keiner vorwerfen, wir wären nicht solidarisch. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße", sagte er. Dazu gehöre auch, dass Euro-Staaten, die Milliardenhilfen von anderen EU-Ländern erhalten, die eingegangenen Verpflichtungen auch umsetzen.
Der Fraktionschef der Linken, Dr. Gregor Gysi, warf der Bundesregierung vor, es selbst nicht so genau mit dem geplanten Fiskalpakt zu nehmen. Sollte der Pakt im kommenden Jahr in Kraft treten, würde die Deutschland mit ihrem soeben vom Kabinett gebilligten Haushaltsplan 2013 bereits dagegen verstoßen. Denn in diesem Plan sei die Neuverschuldung höher, als es der Fiskalpakt zulassen würde. Gysi stritt zudem ab, dass es sich um eine Staatsschuldenkrise in Europa handele: "Die Staaten sind verschuldet, weil sie permanent die Banken und Hedgefonds retten."
Die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt machte deutlich, warum die Koalitionsfraktionen Eurobonds strikt ablehnen: Eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa würde "deutsche Interessen verraten" und die Leistungen dieses Landes konterkarieren, sagte Hasselfeldt. Mit Eurobonds würden deutsche Steuerzahler übermäßig belastet, zudem würde eine Nivellierung der Zinsen bei Staatsanleihen den Druck von den angeschlagenen EU-Ländern nehmen, ihre Haushalte zu sanieren und Strukturreformen anzugehen.
Es sei überdies unstrittig, dass neben die Konsolidierung auch Wachstumsimpulse treten müssen, betonte Hasselfeldt, fügte aber hinzu: "Solides Haushalten ist nicht alles. Aber ohne solides Haushalten ist alles nichts."
Die Haushaltsexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, Priska Hinz, prophezeite hingegen, dass die Bundeskanzlerin nach einer Reihe von Kurskorrekturen auch in der Frage eines Schuldentilgungsfonds noch eine Kehrtwende machen werde. Dieser könne den Zinsdruck lindern, ohne dass das Prinzip aufgegeben werde, dass die Einzelstaaten für ihre Schulden geradestehen.
"Wir wünschen Ihnen ein sehr langes Leben, aber Sie sollten es wirklich nicht an Eurobonds knüpfen", sagte Hinz in Anspielung auf Medienberichte über einen Satz der Bundeskanzlerin in einer FDP-Fraktionssitzung am 26. Juni: Dort hatte Merkel Teilnehmern zufolge eine gesamtschuldnerische Haftung in Europa mit den Worten ausgeschlossen: "So lange ich lebe." (ahe)