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Er ist einer der wenigen Kulturpolitiker im Bundestag, der auch beruflich einen kulturellen Hintergrund hat: Reiner Deutschmann (FDP) war mehr als zehn Jahre Lehrer für Geschichte und Geografie, dann tauscht er Klassenzimmer gegen Konzertbühne. Wenige Monate vor der Wende in der DDR übernimmt der heute 59-Jährige als Kultur-Stadtrat die Leitung der "Hutberg-Bühne" in seiner sächsischen Heimatstadt Kamenz. Es ist für Deutschmann der Einstieg in die Kultur — und in die Politik. Nach 20 Jahren als Beigeordneter und Leiter des städtischen Kulturbetriebs zieht er 2009 für den Wahlkreis Bautzen I in den Bundestag ein. Hier setzt er sich als kulturpolitischer Sprecher insbesondere für die Festschreibung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz ein.
Kultur und Politik — Deutschmanns Engagement hat viel mit der Suche nach individueller Freiheit zu tun: 1953 in der "Lessingstadt" Kamenz bei Bautzen geboren und aufgewachsen, studiert er Geschichte und Geografie an der Humboldt-Universität in Berlin, wo er das Studium 1978 abschließt. Elf Jahre ist er daraufhin als Lehrer tätig. Ein Beruf, der ihm liegt: "Ich war gern Lehrer — und auch zu vielen meiner früheren Schülern habe ich noch heute Kontakt", sagt Deutschmann.
Doch er sieht sich ständig "Politisierungsversuchen" seitens seiner Vorgesetzten ausgesetzt: "Es wurde damals gern gesehen, dass die Lehrer Mitglied der SED waren." Doch das will Deutschmann keineswegs. Er versucht sich abzugrenzen: "Erst habe ich immer wieder Ausflüchte gesucht, dann überlegt, wie ich mir einen echten Freiraum schaffen kann", erinnert sich Deutschmann. Sein Ausweg ist schließlich, 1987 Mitglied der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) zu werden, einer sogenannten "Blockpartei", die nach 1990 in der gesamtdeutschen FDP aufging.
Blockpartei ist ein Etikett, das Deutschmann jedoch nur teilweise gelten lassen will. "Auf der Führungsebene mag es gestimmt haben, dass die Partei ,gleichgeschaltet’ war, doch nicht auf der Kommunalebene. Hier konnte man sich im Rahmen der politischen Realitäten durchaus einbringen und etwas bewegen." Deutschmann ist aber keiner, der seinen Parteieintritt nachträglich als politischen Widerstand titulieren würde. Er habe sich lediglich "Nischen" gesucht, so beschreibt es der Mann mit der Prinz-Eisenherz-Frisur.
Eine weitere Nische ist der Kamenzer Karnevalsverein, den Deutschmann ebenfalls 1987 zusammen mit rund 15 Freunden und Bekannten gründet. "Anders als beim Kölner Karneval haben wir musikalische Geschichten erzählt", erinnert sich Deutschmann, der in den ersten Jahren auch Texte für die Stücke schreibt. "Und natürlich hatten viele auch eine politische Bedeutung." So wie die Geschichte von Neptun, der auf seiner Reise von der Nordsee zum Karneval in Kamenz die innerdeutsche Grenze passieren muss.
"Dort wurde er von Pionieren und FDJ mit Winkelementen begrüßt", schmunzelt Deutschmann und wedelt mit einem imaginären Fähnchen in der Luft. "Und dann tauchte auch immer ein Mann im schwarzen Mantel auf." Solche Scherze entgehen denen, um die es geht, natürlich nicht: "Die Herren der Staatssicherheit saßen immer unten rechts am Tisch vor der Bühne und haben das Ganze begutachtet." Die Neptun-Geschichte kommt bei ihnen offenbar nicht gut an: "Da hatte ich dann meine erste Klärung eines Sachverhalts bei der Staatsicherheit", sagt Deutschmann trocken.
Trotz solcher Einschüchterungsversuche ist der Karnevalsverein für Deutschmann eine "Initialzündung": "Da habe ich gemerkt, dass ich mehr in Richtung Kultur machen möchte." Bald bietet sich ihm diese Gelegenheit. In der DDR finden am 7. Mai 1989 Kommunalwahlen statt und Deutschmann übernimmt in der Folge im Juni als Stadtrat für Kultur unter anderem die Leitung der Hutberg-Bühne. Diese Freiluftbühne, die Platz bietet für 10.000 Personen, zu sanieren und zum beliebten Konzertort zu machen für internationale Stars wie Joe Cocker, Jethro Tull und Joan Baez ebenso wie für die DDR-Bands Puhdys und Renft ist für den passionierten Rockmusik-Fan ein Traum. Seinen Lehrerjob hat er dafür gern quittiert: "Ich fühlte mich nicht ausgefüllt und dachte: Es muss doch noch was anderes für mich geben."
Dieses andere ist die Politik: Am 6. Mai 1990 finden fast auf den Tag genau ein Jahr nach den letzten Kommunalwahlen die ersten freien Kommunalwahlen der DDR statt, mit denen erstmals demokratisch legitimierte Strukturen in den ostdeutschen Gemeinden geschaffen werden. Reiner Deutschmann zieht in die Stadtverordnetenversammlung und in den Kamenzer Kreistag ein. Im selben Jahr wird er auch zum Beigeordneten und Stellvertreter des Oberbürgermeisters gewählt. Die ersten Jahre beschreibt Deutschmann als Kärnerarbeit: "Wir mussten erst einmal Verwaltungsstrukturen aufbauen. Da war vieles ‚learning by doing’". Er selbst eignet sich dafür in vielen Fortbildungen das "Rüstzeug" an.
Gleichzeitig sei diese Situation auch eine "große Chance gewesen, die Verwaltung so zu gestalten, dass sie für die Bürger besser funktionierte". Deutschmann ist vor allem für die Kultureinrichtungen der Stadt zuständig — darunter ein Theater, Bibliothek, Stadtarchiv und das Lessingmuseum. Eines der Ziele des Liberalen ist es, das Kulturamt aus der Verwaltung herauszulösen und "alles, was städtische Kultur ist, in einen Eigenbetrieb zu überführen". "Mir ging es neben der Wirtschaftlichkeit vor allem darum, flexibler arbeiten zu können", erläutert Deutschmann. 1998 ist er am Ziel: Der Kulturbetrieb Lessingstadt Kamenz nimmt seine Arbeit auf — mit Deutschmann als Geschäftsführer. Zehn Jahre, bis August 2008, wird er in diese Position neben seiner Arbeit als Beigeordneter innehaben.
2009 bietet sich ihm die Möglichkeit, für den Bundestag zu kandidieren. Deutschmann wird auf Platz vier der Landesliste aufgestellt. Als die FDP bei der Bundestagswahl im September ihr bislang bestes Wahlergebnis erringt, hat auch Deutschmann Grund zum Feiern: Sein Einzug ins Parlament ist gesichert. Seit drei Jahren ist der Mann aus der Oberlausitz nun neben dem Ausschuss für Kultur und Medien auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Ein Meilenstein ist für ihn im Rückblick insbesondere die Arbeit an der Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes — und das nicht nur, weil sie auch seine Handschrift trägt.
Die Arbeit bringt ihn auch dazu, sich mit seiner eigenen Vergangenheit zu beschäftigen: "Zum ersten Mal habe ich vor drei Jahren meine Akte angefordert", sagt er und erzählt, wie er darin zu seiner eigenen Überraschung Notizen bereits aus der Zeit seines Studiums findet. "Anscheinend stand ich damals kurz vor der Exmatrikulation." Der Grund: Deutschmann hat zu dieser Zeit Kommilitonen, die mit dem Liedermacher und Dissidenten Wolf Biermann Kontakt pflegen — und so gerät auch er ins Visier der Stasi. Kein Wunder, dass Deutschmann im Bundestag dafür plädiert — wie die Koalition insgesamt — dass nicht nur die Frist verlängert wird, in der öffentliche Stellen ihre potenziellen Mitarbeiter auf eine frühere Mitgliedschaft bei der Staatssicherheit überprüfen lassen können, sondern dass auch der zu überprüfende Personenkreis insgesamt ausgeweitet wird. "So viele Familien sind zerstört worden und so viele berufliche Karrieren verhindert, nur weil Personen im Fokus der Staatssicherheit standen. Darüber kann man nicht einfach Gras wachsen lassen."
Hartnäckig zeigt sich Deutschmann auch bei einem seiner Herzensprojekte: Die Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Bisherige Versuche, dafür im Bundestag die notwendige Mehrheit zu bekommen, sind in den letzten Jahren gescheitert. Sehr zum Ärger des Sachsen: "Wir definieren uns als Kulturnation Deutschland und tun uns schwer, den Kulturbegriff ins Grundgesetz zu schreiben. Das ist doch ein Widerspruch!" Wenn der Tierschutz darin verankert sei, dann "gehört doch die Kultur allemal hinein!" (sas)