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Wenn die Tennisspielerin Wiktoryja Asaranka ein Turnier gewinnt, freut er sich. "Sie macht eine gute Werbung für unser Land", findet Kiryl Kascian aus Weißrussland oder Belarus, wie es in der Landessprache heißt. Und das in Zeiten, wo es sonst nicht allzu viel Positives aus dem Land zwischen Lettland, Litauen, Polen, Russland und der Ukraine zu vermelden gibt. Kiryl Kascian weiß das. "Es ist mir nicht egal, was in meinem Land passiert", sagt der 29-Jährige, der noch in diesem Jahr seine Promotion an der Universität Bremen abschließt und später einen eigenen Think Tank gründen möchte, der sich mit dem Thema Weißrussland beschäftigt. Auf dem Weg dorthin kann Kiryl Kascian zurzeit viele Kontakte knüpfen: Noch bis Ende Juli absolviert er ein Praktikum im Rahmen des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) des Deutschen Bundestag bei Frank Tempel, dem Abgeordneten der Linksfraktion.
Dass er als Stipendiat der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung bei einem Abgeordneten der Linksfraktion arbeitet, wirkt auf den ersten Blick etwas kurios. "Das war auch für mich eine große Überraschung", räumt Kiryl Kascian ein. Das Fazit fällt aber positiv aus. "Wir können alles ganz menschlich und nett besprechen", sagt er. Die politischen Unterschiede kämen im Grunde gar nicht zum Tragen. "Das Wichtigste ist — der Dialog ist immer gut", fasst er die Situation zusammen. Immer eine politische Linie zu verfolgen, die einer bestimmten Partei zugeordnet wird, ist seine Sache ohnehin nicht. "Das hängt immer vom Thema ab", sagt Kiryl Kascian. Und dennoch: Es haben sich einige "zustimmungsfähige Sachen" gefunden. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Übereinstimmungen mit der Politik der Linken geben würde."
Dazu gehört auch die Bewertung der Frage, ob Weißrussland die Eishockey-Weltmeisterschaft im Jahre 2014 ausrichten darf. Trotz, oder gerade wegen der kritischen Menschenrechtssituation im Lande sei es richtig, die WM stattfinden zu lassen, findet Kiryl Kascian. "Das sorgt für frische Luft im Land", sagt er. Wenn auch nicht gleich für offene Türen, so könne die internationale Veranstaltung doch für offene Fenster sorgen, meint er. Würde der Internationale Eishockeyverband IIHF das Turnier in Belarus absagen, könne das die staatliche Propaganda von Präsident Lukaschenka sogar ausnutzen, um zumindest kurz- der mittelfristig sein Popularität zu steigern, gibt Kiryl Kascian zu Bedenken.
Hintergrund der unter anderem von SPD und Grünen geforderten Absage der Eishockey-WM ist nicht zuletzt die Vollstreckung der Todesstrafe gegen zwei junge Männer, die für einen Terroranschlag in der in der Minsker U-Bahn verantwortlich gewesen sein sollen. Auch aus Sicht von Kiryl Kascian gibt es hier "große Fragen, ob es überhaupt die richtigen Täter waren". Er hätte sich gewünscht, dass die Vollstreckung der Todesstrafe aufgeschoben oder auf deren Verhängung verzichtet worden wäre. Aber auch unabhängig von diesem Fall ist die Situation im Lande schwierig. "Wenn man sich nicht in die Politik einmischt, kann man im Land unbehelligt leben, arbeiten und auch eigene Initiativen entwickeln", sagte er. Wenn es aber um politische und gesellschaftliche Fragen gehe, könne es durchaus passieren, dass man Probleme bekommt.
Wie bewertet er eigentlich das deutsche Engagement zur Einhaltung der Menschenrechte in vielen Ländern? "Wenn dadurch die Stärkung der Zivilgesellschaft erreicht wird, ist das eine gute Sache", sagt er. Aber: "Man muss die Kultur, die Sprache und andere Besonderheiten dieser Staaten beachten", fügt er hinzu. Geschehe dies, seien deutsche politische und zivilgesellschaftliche Initiativen "sehr willkommen".
Geht es um das Thema Sprache, ist Kiryl Kascian ganz weit vorn. Neben seiner weißrussischen Heimatsprache kann er auch in Russisch, Polnisch, Englisch und natürlich Deutsch hervorragend kommunizieren. Tschechisch und Ukrainisch spricht er gut — Sorbisch kann er auch verstehen. Wer das alles kann, muss doch sprachbegabt sein. Oder etwa nicht? Für den 29-jährigen Doktoranden hat das Ganze eher mit Mathematik zu tun. "Sprachen sind ebenfalls logisch aufgebaut. Wenn man ein Wort mal nicht kennt, ist es möglich, das mit der Logik aufzufüllen."
Seine Entscheidung, sich an der Universität für Deutsch statt Französisch als zweite Fremdsprache zu entscheiden, hatte zwei Gründe, sagt er. Damals, so erinnert er sich, habe es geheißen, dass man mit Französisch schlechtere Jobchancen habe. Zum Deutschen hatte er außerdem schon eine besondere Beziehung. "Im Jahre 1996 war ich als Tschernobyl-Kind zwei Monate zu einem Erholungsurlaub in Bocholt", erzählt er. "Das hat mich schon beeinflusst." Und so hat er nun seit sechs Jahren seine zweite Heimat in Bremen. Nicht ganz richtig: "Meine Heimat ist immer Belarus", stellt er klar. Gleichwohl fühlt er sich in Deutschland sehr wohl. "Wenn ich von hier aus beruflich etwas für mein Land tun könnte, wäre das schön", sagt er. (hau)