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Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger, hält politische Bildung auch 60 Jahre nach Gründung der bpb für "unverzichtbar". Sie sei "das Schmiermittel zwischen dem Politikbetrieb mit den gewählten Mandatsträgern und denjenigen, die Politik rezipieren", erklärt Krüger in der Wochenzeitung "Das Parlament". Das Image der Politiker in der Bevölkerung bezeichnet Krüger darin als "wirklich schlecht". Die Folge sei eine Verweigerungshaltung der Bevölkerung.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Krüger, wie hat sich die Rolle der politischen Bildung in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren entwickelt?
Wir sind 1952 als "Bundeszentrale für Heimatdienst" gestartet in dem Bewusstsein des Wiederaufbaus nach dem verlorenen Krieg. Die Alliierten haben sehr stark darauf gedrungen, dass neben dem klassischen Aufbau von Verwaltungsstrukturen nach der Ära des Nationalsozialismus eine Erziehung zur Demokratie stattfindet. In der angelsächsischen Kultur übernimmt diese Aufgaben traditionell eher eine Nicht-Regierungsorganisation. Das konnte sich in der Adenauer-Zeit die deutsche Politik nicht vorstellen. Also musste eine Behörde her – die zudem an demokratische Traditionen der Vorläufereinrichtung in der Weimarer Republik anknüpfen konnte. Seitdem kann an der Geschichte der politischen Bildung auch immer ein Stück Geschichte der Bundesrepublik abgelesen werden. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erreichte ihren Höhepunkt mit den gesellschaftlichen Umwälzungen in den 1960er Jahren, in den 70ern hat uns die Bildungsdiskussion stark herausgefordert, gefolgt von den Themenfeldern Umwelt- und Friedensbewegungen in den 80er Jahren. Der große Einschnitt erfolgte dann natürlich mit der friedlichen Revolution 1989/90, die uns vor die Herausforderung stellte, in den neuen, ostdeutschen Ländern politische Bildung unter demokratischen Vorzeichen zu vermitteln.
Offenbar waren diese Bemühungen nicht gänzlich von Erfolg gekrönt. Gerade das Wissen über die eigene Geschichte lässt bei deutschen Jugendlichen sehr zu wünschen übrig. Nach aktuellen Umfragen können 40 Prozent aller Jugendlichen nicht zwischen Demokratie und Diktatur unterscheiden.
Ja, und das ist absolut betrüblich. Unser Problem ist, dass der Föderalismus die politische Bildung in den Schulen den Ländern überlässt. Wir können die Arbeit dort folglich nur begleiten. Zu beobachten ist, dass der Geschichtsunterricht, wie aktuell in Bayern, drastisch gekürzt wird. Das führt dann früher oder später zu solchen Befunden wie in der vorliegenden Studie.
Wie ist diese Linie der Länder zu erklären?
Das hat sehr stark mit Pisa, also dem Vergleich schulischer Leistungen, zu tun. Naturwissenschaftliche und sprachliche Fächer genießen bei der Pisa-Bewertung eine Schlüsselrolle. Daraus ergeben sich, übrigens flächendeckend und unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Kultusminister, Konsequenzen für die Stundentafel. Zweitens hat die Verkürzung der Schulzeit einen Verdrängungswettbewerb der Fächer mit sich gebracht. Darunter leiden besonders Geschichte und Politik, obwohl gerade diese Fächer substantiell für bürgerschaftliches Selbstverständnis sind. Drittens schließlich sind die didaktischen Instrumente im Politik- und Geschichtsunterricht überschaubar, deshalb versuchen wir beispielsweise, bei der Vermittlung jüngerer Geschichte Zeitzeugen an die Schulen zu bringen. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Schüler, der heute in der 10. Klasse ist, nach der deutschen Einheit geboren wurde. Für den ist die DDR häufig genauso jenseits seiner Vorstellungskraft wie das Mittelalter. Das macht die Arbeit nicht leichter.
Brauchen wir vielleicht ein ganz neues Instrumentarium für die Wissensvermittlung, um junge Menschen zu erreichen?
Die Tatsache, dass junge Menschen weniger Bücher lesen, heißt ja nicht, dass sie sich nicht für Politik interessieren. Aber es ist schon so: Das Internet spielt zur Information eine immer größer werdende Rolle. Die Leser wechseln zunehmend vom Buch ins Netz. Trotzdem vertreibt die Bundeszentrale noch über eine Million gedruckte Bücher im Jahr. Online registrieren wir im gleichen Zeitraum zwei Millionen Besuche mit 20 Millionen Seitenabrufen, und die Tendenz steigt. Dem tragen wir Rechnung: Unser Fachbereich Multimedia hat die klassische Domäne der Bundeszentrale, den Printbereich, inhaltlich und personell überholt. Wir wissen, dass besonders in bildungsbenachteiligten Milieus Schriftenreihen nicht weiterhelfen, da brauchen wir strategisch ganz andere Ansätze. Besonders wichtig ist hier der Einsatz von Bildern, das Medium Fernsehen spielt also eine starke Rolle. Unsere Strategie ist die Verzahnung von politischer Bildung mit Sozialarbeit und Sport. Ein Beispiel: Sido geht wählen. Das war ein Projekt in Zusammenarbeit mit einem Fernsehsender vor der Bundestagswahl. Der Rapper Sido ist zu Wahlkandidaten gegangen, aber auch in Altersheime und Kindergärten und hat Politik in seiner Sprache reflektiert, herausgefordert und letztlich aktiviert. Und Sido hat gesagt: Ich bin jetzt 27 Jahre und gehe zum ersten Mal wählen. Sowas hat Effekte.
Durch Netzwerke wie Facebook oder Twitter hat sich die Kommunikation und die Debattenkultur verändert. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Diskussionen um politische Fragen finden regelmäßig auf Facebook statt. Die Bundeszentrale hat dort 12.000 Follower, die mehrmals täglich mit Inhalten, die im Netz angesprochen werden, versorgt werden. Wir nutzen auch Twitter, wobei das deutlich schwieriger ist, weil in 140 Zeichen politische Bildung nur sehr begrenzt vermittelbar ist. Aber: Wir bieten auf Twitter unter twitter.com/frag_die_bpb einen Frage-Service an, weil Fragen und Antworten meist knapp zu formulieren sind. Also etwa: Stand der Reichstag in Ost- oder West-Berlin? Antwort: West-Berlin, mehr dazu unter www.bpb.de. Das funktioniert prima.
Welche Rolle spielen die Elternhäuser? Könnte es sein, dass die Informationsdefizite der nachwachsenden Generation auch damit zu tun haben, dass schon die Eltern sich für Politik und Zeitgeschichte nicht interessieren?
Das ist in den soziokulturellen Milieus sehr unterschiedlich. In den besser gebildeten Zielgruppen steigt das Politikinteresse erfreulicherweise, während in den bildungsbenachteiligten Zielgruppen ein weiterer Rückgang am klassischen Politikinteresse zu verzeichnen ist. Bei letzteren ist aber festzustellen, dass sich Politik ganz anders definiert. Die klassischen Fragestellungen, in denen Begriffe wie Politik oder Bildung vorkommen, verfangen nicht. Dinge aus dem unmittelbaren Lebensumfeld wie Ausbildung oder Nachbarschaft sind aber sehr wohl Themen, die eine Rolle spielen. Es bedarf einer Dekodierung, wenn Begriffe wie Respekt oder Fairness fallen, die letztlich Ausdruck einer politischen Haltung sind.
Es wird beklagt, dass sich die Bevölkerung weniger dafür interessiert, was Politiker zu sagen haben. Wie müssten sich Politiker verändern, um die Menschen im Land besser zu erreichen?
Vor der letzten Bundestagswahl haben wir ein Projekt mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen gemacht. Die hatten ein Bild von Politik und Politikern, das unterirdisch war. Ausgenommen haben sie aber immer diejenigen Politiker, die sie selbst einmal kennengelernt hatten. Das zeugt davon, dass die mediale Vermittlung von Politik mit ihrem Hang zur Skandalisierung das Image von Politik und Politikern nachhaltig beschädigt hat. Die Folge ist eine Verweigerungshaltung der Bevölkerung. Ja, das Image der Politiker ist wirklich schlecht. Deshalb ist politische Bildung so unverzichtbar. Sie ist das Schmiermittel zwischen dem Politikbetrieb mit den gewählten Mandatsträgern und denjenigen, die Politik rezipieren.
Also gilt für Abgeordnete: Ab in die Wahlkreise!
Sicher, aber das passiert ja auch. Wenn freitags der Plenarsaal im Bundestag nicht mehr so prall gefüllt ist, liegt das meistens daran, dass die Abgeordneten Verpflichtungen in ihren Wahlkreisen eingegangen sind. Die Abgeordnetenschelte ist deshalb unfair. Die Parlamentarier wissen sehr genau, was im Land vor sich geht.
(jbi/ahe)