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Seit zehn Jahren gibt es den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Das Gericht soll laut Römischem Statut über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und künftig auch über Verbrechen der Aggression befinden. Auf Einladung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zog der Völkerrechtler Prof. Dr. Dr. Christian Tomuschat am Montag, 24. September 2012, in seinem Vortrag innerhalb der Reihe W-Forum eine ernüchternde Bilanz, denn bisher kam erst eine einzige Verurteilung zustande.
"Mit einem einzigen Strafurteil pro Dekade kann man kaum einen wirksamen Beitrag zur Sicherung des Friedens und zur Gewährleistung der Menschenrechte leisten", urteilte das ehemalige Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses. Schuldig gesprochen wurde bisher lediglich der Kongolese Thomas Lubanga wegen des Einsatzes von Kindersoldaten. "Für die Menschen ist nicht sichtbar geworden, dass ihnen aus der Tätigkeit des Gerichts ein greifbarer Nutzen entsteht", sagte Tomuschat weiter.
Der Berliner Professor listete in seinem Vortrag mehrere Punkte auf, warum die Arbeit des Strafgerichtshofes außerordentlich schwierig ist. 121 Staaten sind bisher dem Römischen Statut zum Internationalen Strafgerichtshof beigetreten, allerdings sind China, Russland und die Vereinigten Staaten nicht darunter. Glücklicherweise habe sich aber deren Abwehrhaltung schrittweise gelockert. Der IStGH ist der erste internationale Strafgerichtshof, der nicht durch einen Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, sondern einen eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag begründet wurde.
Zudem sei die Beschaffung der Beweise oft mühsam, da die Ankläger weite Reisen unternehmen müssten, um Auskünfte und Zeugenaussagen zu sammeln. Die zurzeit anhängigen Verfahren betreffen sieben Länder in Afrika (Uganda, Demokratische Republik Kongo, Sudan, Zentralafrikanische Republik, Kenia, Libyen, Elfenbeinküste). Daneben führt der Gerichtshof Voruntersuchungen in Afghanistan, Georgien, Kolumbien, Honduras und Nordkorea durch. Diese Entfernungen seien nicht nur ein technisches Problem, sondern begründeten auch emotionale Distanz, erklärte der Völkerrechtler. Der Gerichtshof sei ein Organ der "Fernjustiz". Vielfach werde der Gerichtshof daher auch als ein Instrument neokolonialen Herrschaftsstrebens empfunden.
In mehreren Punkten sieht der Wissenschaftler von der Humboldt-Universität zu Berlin Verbesserungspotenzial, etwa bei der personellen Besetzung des Gerichts, beim Verfahren der Befassung, beim Vorverfahren sowie bei der Beteiligung der Opfer. Trotz aller Kritik wollte der Jurist seine Einlassungen nicht als Plädoyer für die Abschaffung des Strafgerichtshofes verstanden wissen. "Die internationale Strafgerichtsbarkeit ist eine wertvolle Errungenschaft, die sorgfältiger Pflege, aber auch kritischer Begleitung bedarf", so Tomuschat.
Es müsse aber auch damit gerechnet werden, dass der mögliche Abschreckungseffekt der internationalen Gerichtsbarkeit auch negative Konsequenzen haben könnte. So sei es möglich, dass Diktatoren versuchten könnten, so lange wie möglich an der Macht zu bleiben, da sie Angst vor einem Gerichtsverfahren hätten: "Das ist ein Dilemma." Professor Tomuschat kann sich aber vorstellen, dass beispielsweise Saudi-Arabien ein "sicheres Exilland" werden könnte. Schließlich müsse der Grundsatz, dass auch Staatsoberhäupter sich verantworten sollten, nicht heißen, dass man eine Person wie den syrischen Machthaber Baschar al-Assad nicht in ein Land entlässt, welches ihn nicht ausliefert. (ah/24.09.2012)