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Engagement braucht verlässliche Staatstätigkeit, damit echtes Vertrauen entstehen kann. So lautet eine der Handlungsempfehlungen aus dem Ersten Engagementbericht der Bundesregierung. In der Sitzung des Unterausschusses "Bürgerschaftliches Engagement" unter Vorsitz von Ute Kumpf (SPD) am Mittwoch, 17. Oktober 2012, stellten Prof. Dr. Michael Hüther als Vorsitzender der Sachverständigenkommission sowie sein Stellvertreter Prof. Dr. Sebastian Braun den mehr als tausend Seiten umfassenden Bericht vor. Neben dem "allgemeinen Berichtsteil", der den Struktur- und Funktionswandel intermediärer Großorganisation wie etwa Kirchen, Sozialorganisation und Sportverbänden behandelt, gingen die Experten auch auf die Bedeutung der Unternehmen für das bürgerschaftliche Engagement ein.
Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, Michael Hüther, sprach dabei von einem "Spannungsverhältnis". Es sei eine "Sprachlosigkeit auf beiden Seiten zu verzeichnen", konstatierte er. Gleichwohl hätten im Rahmen einer Befragung 61 Prozent der Unternehmen ausgesagt, im Jahr 2010 bürgerlich engagiert gewesen zu sein. Dass der Anteil der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern (96,2 Prozent) deutlich über dem der Unternehmen mit unter 50 Mitarbeitern (60,6 Prozent) liege, sei eine Frage der Ressourcen in den Unternehmen, sagte Hüther.
Zugleich bestätigte er, dass Unternehmen eher bereit seien, sich für einzelne Projekte zu engagieren als langfristige Strukturen aufzubauen. Aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers muss die Politik eine Kultur der Mitverantwortung schaffen und dabei auch den Diskurs mit den Unternehmen suchen.
Von "architektonischen Verschiebungen im zivilgesellschaftlichen Fundament" sprach Sebastian Braun von der Humboldt Universität Berlin. Die "wertebasierte Bindung" der Engagierten werde immer geringer. Das zeige sich etwa in dem immer stärker auffallenden Dienstleistungsverhalten von Vereinsmitgliedern. Das habe auch mit den veränderten Beteiligungs- und Engagementformaten zu tun.
Immer öfter seien diese "spontan, themenbezogen, temporär inszeniert und wenig formalisiert", sagte der Experte. Angesichts des "Austrocknens" der herkömmlichen Strukturen müsse auch die Frage gestellt werden, ob die jeweiligen Spitzenverbände noch ausreichend legitimierte Partner für die Politik sind. Sein Fazit lautet daher: "Wir brauchen eine Offenheit gegenüber traditionellen und auch neuen, anderen Formen von bürgerschaftlichem Engagement."
Der Bericht der Sachverständigenkommission greife viele relevante Fragestellungen auf und gebe "wesentliche Impulse", lobte im Anschluss der Unionsabgeordnete Klaus Riegert. Es sei in der Tat ein Problem, wenn die Vereinbarungen mit "demokratisch gewählten Vertretern der Verbände von der Basis nicht akzeptiert werden".
Richtig sei auch die Feststellung in dem Bericht, wonach das bürgerschaftliche Engagement nach wie vor eine "Mittelschichtsveranstaltung" sei. Die Frage, so Riegert, sei nun: "Sollen wir die Mittelschicht stärken oder versuchen, auch die Schwächeren mit einzubinden?"
Ebenso wie Sönke Rix (SPD) zeigte sich auch Riegert erfreut, dass der Bericht das klassische Ehrenamt in den Fokus genommen habe. Oftmals, so Rix, werde auch in der wissenschaftlichen Debatte nur noch über die neuen Formen des Engagements diskutiert.
Der SPD-Abgeordnete vertrat zudem die Auffassung, dass die Strukturen sich veränderten, weil es gesamtgesellschaftlich große Veränderungen gebe, zu denen der demografische Wandel zähle. "Wir haben einfach nicht mehr so viele Leute, die etwa in Vereinen Vorstandsaufgaben übernehmen können", sagte Rix.
Entgegen seiner Befürchtung handle es sich keinesfalls um ein "Gefälligkeitsgutachten", sagte Harald Koch (Die Linke). Er fühle sich durch den Bericht in vielen seiner Ansichten bestätigt. So etwa in der Feststellung, wenn sich der Staat aus dem öffentlichen Raum zurückzieht und auch noch als "Gegenstrategie" das bürgerschaftliche Engagement heranzieht, "leidet das Ehrenamt".
Auch die Bewertung, dass das Engagement von der eigenen sozialen Absicherung abhängig sei, teile er. "Wer täglich um seine Existenz kämpfen muss, hat keine Lust dazu, sich bürgerschaftlich zu engagieren", sagte Koch.
Kritik am Umfang des Berichts übte Florian Bernschneider (FDP). Wenn man wolle, dass die Akteure im bürgerschaftlichen Engagement den Bericht lesen, müsse man versuchen, das Ganze prägnant auf wenigen Seiten zusammenzufassen.
Was die Aversionen der bürgerschaftlich Engagierten gegenüber Unternehmen angeht, so habe er die Erfahrung gemacht, dass es hierfür vielschichtige Gründe gebe. Das habe auch damit zu tun, dass Unternehmen sich oft sträubten, die benötigte Infrastruktur zu fördern, stattdessen aber schnell für einzelne Projekte zu begeistern seien.
Auch Ulrich Schneider (Bündnis 90/Die Grünen) räumte ein, den Bericht angesichts des erheblichen Umfangs noch nicht vollständig gelesen zu haben. Insofern sei er dankbar für die komprimierte Darstellung der beiden Sachverständigen. Stutzig gemacht habe ihn bei der Lektüre der von der Kommission gewählte Ausdruck der Bürgerpflicht.
"Bürgerschaftliches Engagement muss ein Bürgerrecht sein, darf aber keine Pflicht werden", betonte er. Insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung das bürgerschaftliche Engagement als "Koproduzent sozialer Dienstleistungen" sehe. (hau/18.10.2012)