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Am 30. Oktober 1972 trat zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der Ständige Ausschuss des Bundestages zusammen. Sechs Stunden und 47 Minuten dauerte diese historische Sitzung. Obwohl dieses Gremium bereits seit 1949 im Grundgesetz verankert war, wurde es nie einberufen. Anders als der Name des Ausschusses vermuten ließe, handelte es sich gerade nicht um eine ständige Einrichtung des Bundestages, sondern um eine zeitlich begrenzte parlamentarische Besonderheit.
Als einzigen Ausschuss hatten ihn die Mitglieder des Parlamentarischen Rates grundgesetzlich verankert. Im damaligen Artikel 45 des Grundgesetzes hieß es, er habe "die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahlperioden zu wahren" und "auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Weitergehende Befugnisse, insbesondere das Recht der Gesetzgebung, der Wahl des Bundeskanzlers und der Anklage des Bundespräsidenten stehen dem Ständigen Ausschuss nicht zu."
Die Bezeichnung "Ständiger Ausschuss" war durchaus irreführend. Anders als die ständigen Ausschüsse des Bundestages im Sinne der Geschäftsordnung konnte er gar nicht in der laufenden Wahlperiode tagen, sondern nur in der "parlamentslosen Zeit". Von 1949 bis 1976 endete die Wahlperiode des Bundestages vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt oder mit seiner Auflösung. Bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages entstand so eine parlamentslose Zeit, die bis 1969 jedoch nie länger als 28 Tage währte und so offenbar zu kurz war, um den Ausschuss gemäß Artikel 45 Grundgesetz einzuberufen.
Erst die verlorene Vertrauensfrage von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am 20. September 1972 und die Auflösung des sechsten Deutschen Bundestages zwei Tage später am 22. September durch den Bundespräsidenten führten zu einer längeren parlamentslosen Zeit von 82 Tagen bis zum Beginn der siebten Wahlperiode am 13. Dezember 1972.
Die Sitzung begann um 11.02 Uhr. CDU/CSU und SPD waren mit je 13 Abgeordneten, die FDP mit einem Abgeordneten vertreten. Geladen, aber nicht stimmberechtigt, waren auch die 27 stellvertretenden Mitglieder. Der Ausschuss wählte den damaligen Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel (CDU) zu seinem Vorsitzenden und Herbert Wehner (SPD) zu seinem Stellvertreter.
Den Altersvorsitz während der Wahl führte mit Prof. Dr. Carlo Schmid (SPD) einer der Väter des Grundgesetzes. Man vereinbarte, öffentlich zu tagen. Nach Fragen zur Geschäftsordnung und einer kurzen Debatte um die Tagesordnung wurde um 11.20 Uhr die Öffentlichkeit hergestellt.
Einberufen worden war der Ausschuss auf Antrag der Bundesregierung. Informieren wollte man das Gremium über den Verlauf des Pariser EWG-Gipfeltreffens, Fragen der inneren Sicherheit und die Wirtschafts- Währungs- und Ausgabenpolitik der Bundesregierung.
Der Ständige Ausschuss wurde danach nie wieder einberufen. Eine Grundgesetzänderung machte ihn überflüssig. Mit der Änderung des Artikels 39 des Grundgesetzes vom 23. August 1976 endete die Wahlperiode des Bundestages "mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages". Eine Zeit ohne Parlament ist seither nicht mehr möglich, und Artikel 45 des Grundgesetzes konnte ersatzlos gestrichen werden. (klz/26.10.2012)