Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > März 2013 > Ex-Geheimdienstler übt Selbstkritik
Derzeit prüft der Ausschuss, wieso das Trio nach seinem Verschwinden in Jena Anfang 1998 bis zum November 2011 unerkannt in Chemnitz und Zwickau leben konnte. Tüshaus erklärte, das sächsische LfV habe über keine eigenen Informationen zum Aufenthaltsort der Untergetauchten verfügt. Federführend bei der Fahndung nach der Gruppe seien Verfassungsschutz und Landeskriminalamt in Thüringen gewesen, das Dresdner LfV habe die Behörden des Nachbarlands lediglich unterstützt. Der Zeuge berichtete über diverse Meldungen von V-Leuten, einen öffentlichen Fahndungsaufruf, Observationen und Abhöraktionen in Sachsen, die aber letztlich keine Hinweise auf den Verbleib der Zelle geliefert hätten. Erfolglos sei auch der Betrieb einer konspirativen Wohnung in Chemnitz geblieben, wovon man sich Erkenntnisse über eine eventuelle Kontaktaufnahme des Trios mit einer Kontaktperson aus der rechtsextremistischen Szene erhofft habe.
Tüshaus sagte, Erfurt habe seinerzeit dem Dresdner LfV mehrfach „relevante“ Informationen zu der abgetauchten Gruppe nicht übermittelt. Dies habe er nachträglich dem von Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer erstellten Bericht über die Arbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden in der NSU-Affäre entnommen. Deshalb habe man auch nichts von Meldungen erfahren, so der Zeuge, wonach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Geldzuwendungen aus dem rechtsextremen Milieu mehr benötigten, weil sie inzwischen „jobben“ würden und „Aktionen“ planten. Diese Erkenntnisse hätten eine Verbindung zu Banküberfällen schlagen können.
Unions-Obmann Clemens Binninger fragte, wieso Thüringen für die Suche nach der Gruppe zuständig gewesen sei, wo sich nach deren Verschwinden das Geschehen doch nach Sachsen verlagert habe. Das sei damals so entschieden worden, meinte Tüshaus, das Ergebnis könne man aus heutiger Sicht „anzweifeln“. Seiner Auffassung nach hätte wegen der „gemischten sächsisch-thüringischen Lage“ das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Zuständigkeit erhalten sollen.
SPD-Sprecherin Eva Högl kritisierte, es habe beim sächsischen LfV „offenbar nicht viel ausgelöst“, dass gesuchte Bombenbauer in einem Bundesland mit einer hohen Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten untergetaucht seien. Der Zeuge entgegnete, nach einer Analyse des BfV habe damals in der rechtsextremen Szene keine Akzeptanz für Terrorismus existiert. Dies sei jedoch „zu kurz gedacht“ gewesen, man habe sich seinerzeit am Muster des Linksterrorismus mit festen Organisationsstrukturen orientiert. Tüshaus bezeichnete es als Fehler, dass man sich nach dem Verschwinden des Trios nur gefragt habe, „wo“ es verblieben sei, nicht jedoch, „was“ die Gruppe jetzt mache: „Dann hätte man anders denken müssen.“
Auf eine entsprechende Kritik des FDP-Parlamentariers Jimmy Schulz konzedierte der Ex-Geheimdienstler, damals sei beim Verfassungsschutz die Fähigkeit zur Einordnung und Analyse eingehender Informationen mangelhaft gewesen. Jens Petermann (Linke) sprach von einer unzureichenden Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und LKA. Tüshaus: „Die war ausbaufähig, aber nicht schlecht.“ Grünen-Obmann Wolfgang Wieland warf dem LfV vor, nach dem Hinweis auf die Beschaffung von Waffen durch die Zelle nicht überlegt zu haben, auf welche Weise dies bewerkstelligt werden sollte. Der Zeuge: „Diese Frage haben wir uns nicht gestellt.“ Nur hinter verschlossenen Türen wollte Tüshaus die Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) beantworten, wieso man eine sächsische Rechtsextremistin nicht näher unter die Lupe genommen habe, die Beate Zschäpe ihren Pass habe überlassen wollen und in ihren Kreisen für Anschläge im Untergrund plädiert habe.
Im Laufe des Tages wollte der Ausschuss u.a. auch Reinhard Boos vernehmen, der im Sommer 2012 im Zuge der NSU-Affäre von seinem Amt als Präsident des sächsischen Geheimdienst zurückgetreten ist.
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