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5. November 2012

Expertengespräch zu Strukturwandel und Machtverschiebung der öffentlichen Kommunikation

Die Projektgruppe Kultur, Medien, Öffentlichkeit hat am 5. November 2012 ab 15 Uhr ein zweigeteiltes Expertengespräch zu Machtverschiebungen und Strukturwandel in der öffentlichen Kommunikation veranstaltet. Das Gespräch wurde im Web-TV des Bundestages übertragen und steht nun als Video zur Verfügung.

Die Projektgruppe Kultur, Medien, Öffentlichkeit befasste sich in ihrer Anhörung unter anderem mit dem durch die Digitalisierung bedingten Strukturwandel in der (öffentlichen) Kommunikation. Durch das Internet ist das klassische Sender-Empfänger-Modell aufgebrochen worden. Die Kommissionsmitglieder interessierten sich insbesondere für die damit einhergehenden Machtverschiebungen: Die traditionellen Medien seien nicht länger ungeteilte Meinungsführer. Neue Akteure, so genannte Intermediäre, kämen zu immer größerer Medienmacht. Aber auch die künftigen rundfunk-, medien- und netzpolitischen Handlungserfordernisse an den Schnittstellen zwischen Bund und Ländern waren Anhörungsgegenstand.

Neue Dynamik

Die eingeladenen Experten bestätigten, dass diese Themen in ihren Gremien und Verbänden seit Längerem intensiv diskutiert würden: Die Regulierung durch die Dynamik der Digitalisierung sei "immer wieder Anpassungserfordernissen und neuen Fragestellungen ausgesetzt", sagte etwa Martin Stadelmaier, rheinland-pfälzischer Staatssekretär und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder. Auch die Enquete-Kommission sei letztlich Ausdruck dieser neuen Dynamik. Bund und Länder würden getrennt, aber immer wieder auch gemeinsam über diese Fragen diskutieren. Alle Änderungen, so Stadelmaier, seien aus Sicht der Bundesländer behutsam vorzunehmen. Im Bereich der Medienpolitik und der Regulierung habe man die besten Erfahrungen damit gemacht, "nicht jedem Hpye hinterherzurennen". Stadelmaier führte aus, dass es sinnvoll sei, zunächst zu prüfen, ob es überhaupt Regulierungsbedarf gebe. "Auf der anderen Seite tun wir uns genauso schwer wie Sie auch, die Gewissheiten der analogen Welt in die digitale zu übertragen", sagte Stadelmaier.

Die Zusammenarbeit mit dem Bund beziehungsweise den einzelnen Ministerien verlaufe sehr gut, führte der Staatssekretär aus. Kritik übte er allerdings an der Umsetzung der Breitbandstrategie der Bundesregierung, die nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit vorangetrieben werde. Aktuell gebe es beispielsweise fast 10.000 liegengebliebene LTE-Anmeldungsanträge bei der Bundesnetzagentur. Neben der Regulierung, betonte der Staatssekretär, spiele nach wie vor auch die Erreichbarkeit der Menschen eine große Rolle. Die Netzanbindung sei eine Grundvoraussetzung.

Rein fernsehzentriertes Medienkonzentrationsrecht

Thomas Fuchs, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, erläuterte, dass 14 verschiedene Landesmediengesetze sowie der Rundfunkstaatsvertrag unter einen Hut gebracht werden müssten. Die Landesmedienanstalten seien besonders von den Entwicklungen betroffen, da sie durch die föderale Gliederung auf die bundesweite, europaweite und internationale Medienentwicklung mit dem Verwaltungsrecht von Bundesländern antworten müssten. Der Rechtsrahmen, in dem derzeit gehandelt werde, stamme aus den Achtzigerjahren, weshalb er neue Entwicklungen nicht abbilden könne. Er setze Sachverhalte voraus, die nicht mehr bestünden. In der Folge versuche man, Rechtssicherheit vor Gericht zu erreichen. Dies sei eine besorgniserregende Entwicklung, sagte Fuchs.

Die "Kleinschrittigkeit der Regulierungsanpassungen" stoße an ihre Grenzen, weshalb ein "breiterer Blick auf Sachverhalte notwendig sein könne", so Fuchs. Das Medienkonzentrationsrecht sei da ein gutes Beispiel, da es rein fernsehzentriert sei. Um diesen Fragen zu begegnen, habe man erste Schritte gemacht, es sei aber noch kein zuende gedachter Weg.

Funktionsfähige Rechtsstruktur

Dr. Andreas Schuseil, Abteilungsleiter IT-, Kommunikations- und Postpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI), sagte hingegen, die Rechtsstruktur aus den Achtzigern funktioniert seiner Ansicht nach recht gut. Das Telekommunikationsgesetz (TKG) habe grundsätzlich eine dienende Funktion. Seiner Ansicht nach seien überall da, wo die Länder Anliegen hatten, etwa beim Thema Netzneutralität, Schutz vor Störungen oder bei Beteiligungsrechten der Landesmedienanstalten gute Kompromisse gefunden worden. Grundsätzlich sei es begrüßenswert, wenn Bund und Länder miteinander ins Gespräch kämen. Dazu sei gerade vom BMWI eine neue Arbeitsgruppe mit den Rundfunkreferenten der Länder gegründet worden. Hier sollen rechtliche, wirtschaftliche und technische Fragen der Netze an der Schnittstelle von Telekommunikation und Rundfunk diskutiert werden. Man gehe davon aus, dass auch mit dem bestehenden Rechtsrahmen eine gute Abstimmung zwischen Bund und Ländern möglich sei.

Mit Blick auf die LTE-Anmeldungen warb Schuseil für Verständnis. Es handele sich insgesamt um etwa 40.000 Anträge von Antragstellern, die ihre Sendemasten für LTE mit Richtfunk ausrüsten wollten. Die Breitbandstrategie habe ursprünglich vorgesehen, dass diese Sendemasten statt mit Richtfunk mit Glasfaserkabel angebunden werden sollten. Dies wäre auch hinsichtlich LTE2 und dem wachsenden Datenverkehr nachhaltig gewesen. Die Unternehmen hätten nun aber mit dem Richtfunk die billigste Variante gewählt – und dieser müsse nun einmal genehmigt werden. Geplant sei, kurzfristig vorübergehend Personal einzustellen, um den Engpass schnell zu beseitigen. Dafür rechne man mit der Dauer von einem Jahr.

Zweigeteiltes Expertengespräch

Im zweiten Teil des Gesprächs waren Vertreter des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks sowie der Journalistenverbände zu Gast. Von ihnen wollte die Projektgruppe unter anderem wissen, ob die Vertreter traditioneller Medien Regulierungsbedarf hinsichtlich der wachsenden Marktmacht der Intermediäre wie Social Media-Plattformen und Suchmaschinen sehen.

Unabhängige Inhalteanbieter

Dr. Reinhart Binder, Direktor für Recht und Unternehmensentwicklung beim rbb, sagte vorab, der Fragenkatalog der Projektgruppe zeuge von einer bemerkenswerten Bandbreite. Viele dieser Fragen diskutiere man derzeit selbst, daher habe man vielfach noch keine abgeschlossene Meinung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Binder, habe den Auftrag, strukturell Meinungsvielfalt zu gewährleisten. Auch das Bundesverfassungsgericht habe sich dazu dezidiert geäußert, was häufig ignoriert werde. Die jüngste Entscheidung stamme aus dem Jahr 2007. Das Gericht habe sich ausführlich mit den Konsequenzen der technischen, wirtschaftlichen und publizistischen Entwicklungen auf die Medienordnung befasst. Die Gesetzgeber hätten demnach dafür zu sorgen, dass publizistischer Wettbewerb auch unter den veränderten Rahmenbedingungen stattfinden könne. Das Bundesverfassungsgericht sehe Gefahren für eine freie Kommunikationsordnung, etwa durch wirtschaftliche Interessen. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrachte das Gericht daher als einen Garanten für eine funktionierende Kommunikationsordnung. Er sei systemrelevant, weil er nicht an wirtschaftliche Interessen gebunden sei.

Binder verwies auch auf den aktuellen Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), wonach im Internet der theoretischen Angebotsvielfalt eine faktische Konzentration bei den Anbietern und bei der Nutzung gegenüber stehe. Die ARD, so Binder, habe daher die verfassungsrechtliche Aufgabe eines unabhängigen Inhalteanbieters, der auf allen Plattformen elektronischer Massenkommunikation zu finden sein müsse.

Neue Medienordnung aus einem Guss

Jürgen Doetz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT), führte aus, dass Konvergenz Realität sei und Handeln gebiete. Die Regulierung hinke der technischen Entwicklung klar hinterher. Man wolle keine Regulierungskeule, vielmehr müsse eine Grundsatzentscheidung getroffen werden. So müsse etwa entschieden werden, ob der klassische Rundfunk weiterhin eine Sonderrolle innehaben solle, wenn Suchmaschinen und Endgerätehersteller hinzu kämen. Man müsse auch klären, was heute überhaupt noch Rundfunk sei, sagte Doetz: "Wir brauchen dringend eine neue Medienordnung aus einem Guss". Neu ausgerichtet werden muss nach Meinung von Doetz auch die Vielfaltsregulierung. So gehöre die Verwaltung von Engpässen der Vergangenheit an. Das Instrumentarium der Vielfaltssicherung müsse endlich den digitalen Realitäten angepasst werden.

Sinkende Honorare trotz steigender Anforderungen

Zur Situation der Journalisten und zur Qualitätssicherung im Journalismus äußerte sich Peter Jebsen, gemeinsamer Vertreter für DJV und dju/verd.i. Er berichtete von einer wachsenden Beschleunigung im Arbeitsalltag von Journalisten. Das Medium sei schneller geworden, (Online-)Journalisten bezeichneten sich selbst als "eierlegende Wollmilchsau", weil sie neben Texten auch Fotos machen und Videos drehen müssten. Der Stress habe sich verstärkt, zumal es keinen Redaktionsschluss mehr gebe. Bei freien Journalisten sinken Jebsen zufolge die Honorare trotz steigender Anforderungen. Bei festen Autoren würden viele Journalisten in nicht-tarifgebundene Gesellschaften ausgegliedert, wo es niedrigere Gehälter geben. Für zwar grundsätzlich denkbar, jedoch wenig zweckmäßig als Finanzierungmöglichkeit hält Jebsen Stiftungsmodelle. Diese Diskussion laufe noch, wobei Finanzierungsmodelle in erster Linie Aufgabe der Verlage seien. Jebsen betonte die Bedeutung von Qualitätsjournalismus. Er müsse gut bezahlt werden, insbesondere müsse es ausreichend Mittel für Recherchen geben.

Das Expertengespräch wurde zeitversetzt auf bundestag.de gestreamt und ist nun in der Mediathek als Video-on-Demand oder als Download (Audio und Video) verfügbar.


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Stand: 05.11.2012