Wie meine Vorrednerin schon ansprach liegt ein wesentliches Hemmnis der „Medienkompetenz” in der selbst für Experten nicht mehr greifbaren Rechtslage.

Ich bin Informatiker und im Telekommunikationsbereich tätig. Viele Rechtsfragen sind nicht mehr anhand der Gesetze zu klären, sondern müssen vor Gericht irgendwie verhandelt werden. Die Gesetze sind unklar, diffus, widersprüchlich, unlogisch, sachfern. Die Folge daraus ist, daß man nicht mehr vorher anhand von Wissen („Kompetenz”) entscheiden kann, was legal ist und was nicht, sondern es von der späteren Meinung und Sichtweise eines Gerichtes abhängt. Medienkompetenz verkommt in Deutschland zunehmend zur Tombola, zum Lotteriespiel. Selbst Berufsjuristen, sogar Richter, blicken bei vielen Gesetzen und deren meist willkürlichen oder lobbygetriebenen Änderungen nicht mehr durch. Es ist selbst für Fachleute heute nicht mehr möglich, zuverlässige Aussagen zu treffen.

Weitere Unsicherheit wird durch den fliegenden Gerichtsstand geschürt. Selbst wenn man die Rechtsprechung der örtlichen Gerichte genau kennt - durch den fliegenden Gerichtsstand kann sich immer der Kläger das Gericht und damit jede beliebige der bestehenden Rechtsmeinungen auswählen, womit das Recht letztlich nicht mehr von der Regierung und dem Bundestag, sondern vom jeweils extremsten Richter bestimmt wird. Damit hat die Auswahl des Gerichtsstandes durch den Kläger im Ergebnis oft viel mehr Einfluß als die Gesetzgebung und ist entsprechend unvorhersehbar.

Ein wesentliches Merkmal der deutschen (Fehl-)Politik ist es, daß man gar nicht mehr auf Kompetenz baut bzw. diese effektiv abgeschafft hat, und stattdessen Interessen zum Dreh- und Angelpunkt des Rechts macht. Wir haben eine immer stärker Interessen- und Lobby-orientierte Politik, in der Kompetenz eine immer geringere Rolle spielt. Anders gesagt: Kompetenz ist längst zu juristischer Verfügungsmasse verkommen.Schon daher ist die Frage nach der Medienkompetenz verfehlt.

Diese Ignoranz gegenüber der Kompetenz zeigt sich an vielen Stellen. Beispielsweise hat man sich in der Sache der Kinderpornosperre explizit über Sachkompetenz hinweggesetzt, nicht danach gefragt oder sie sogar als störend bekämpft. Die Politik demonstriert hier stetig ihre Willkür, aber auch die krasse Abwesenheit von Medienkompetenz. Solange jeder Minister, der zwar keine Sachkunde, aber gerade Lust hat, irgendwelchen Unfug veranstaltet, der ihm gerade in den Sinn kommt, und dann auch noch - wie hier geschehen - diejenigen, die über Sachkompetenz verfügen, sowohl hinter den Kulissen als auch in Bundestagsreden öffentlich beschimpft und geschmäht werden, und als Vorrausetzung von Kompetenz hingestellt wird, daß widerspruchslos das getan wird, was die Politik gerade will, ist die Frage nach Kompetenz absurd.

Auch wenn, wie ebenfalls geschehen, der (damalige) Präsident des BSI auf einer Konferenz erklärt, daß die Bundesregierung sich offiziell für Internetsicherheit überhaupt nicht interessiert sondern unter „Sicherheit” allein und ausschließlich versteht, daß die Sicherheitsindustrie steigenden Umsatz meldet, erübrigt sich die Frage nach Medienkompetenz.

Und wenn nun wie hier eine Enquete-Kommission nach Medienkompetenz fragt, die nicht einmal selbst sagen kann, aufgrund welchen „Sachverstandes” sie ihre 17 „Sachverständigen” bekommen hat, sondern offiziell der Auffassung ist, daß ein Sachverständiger jeder sei, der nicht Abgeordneter ist (was sicherlich nicht so doppeldeutig gemeint war), dann muß man sich fragen, wonach die Enquete eigentlich fragt, wenn sie „Medienkompetenz” sucht, aber nicht einmal selbst weiß, was sie unter „Sachverständiger” verstehen will. Erschreckend ist übrigens auch, über wie wenig Sachkunde die Parteien im Bereich Internet verfügen, und wie wenig kompetent die sind, die die Parteien als ihre jeweiligen „Internet-Experten” ausgeben - und damit jeder Form von Sachkunde und Kompetenz spotten.

Kurios ist auch, mit welch fragwürdigen Zielrichtungen die Politik gegen Google Street View trommelt (und damit unglaubliche Medienangst schürt statt Medienkompetenz aufzubauen), während man gleichzeitig die viel schutzwürdigeren Bank- und Flugdaten Dritten preisgibt.

Die Politik muß verstehen, daß „Medienkompetenz” weder von Interessen, noch von Juristen bestimmt werden kann und darf. Beides geht schief. Normalerweise würde man annehmen, daß Medienkompetenz in den entsprechenden Fakultäten der Universitäten finden würde. Aber auch das ist nicht mehr der Fall, denn spätestens seit man die Universitäten sich selbst überlassen und jeder Kontrolle enthoben hat, spielt Kompetenz dort auch keine Rolle mehr, wird bei berufungen der rein akademische und von jeder Sachkunde und beruflichen Erfahrung ungetrübte Lebenslauf bevorzugt. Durch diesen systematischen Ausfall der Universitäten ist das Problem entstanden, daß es IT-Fachkompetenz in Deutschland nicht mehr in organisierter und greifbarer Form, sondern nur noch diffus und unorganisiert gibt. Es fehlt an der Keimzelle, den Kondensationskernen für Medienkompetenz.

Um „Medienkompetenz” aufzubauen, sind meines Erachtens folgende Schritte nötig:

  • Es muß eine klare und alleinige Zuständigkeit in der Bundesregierung geben, am ehesten ein separates Ministerium oder eine ausdrückliche Zuständigkeit eines bestehenden Ministeriums. Und da müssen dann auch mal wirklich medienkompetente und berufserfahrene Leute und nicht nur Juristen, Politiker, Lobbyisten und Parteisoldaten sitzen. Und die Zielsetzung darf nicht wie bisher auf dem Bedienen von Lobbyisten, Interessen und Umsätzen liegen, sondern im Aufbau von Kompetenz und der Entwicklung der Informationstechnologie.
  • Es muß ein „kleines Curriculum” von Medienkompetenzfähigkeiten entwickelt werden, das zum Bestandteil der Schulausbildung, der Berufsausbildungen und von Nachschulungskursen über die diversen Lehranstalten usw. ist. Letztlich sollte jeder Bundesbürger ab einem gewissen Alter über dieses Grundwissen verfügen. Das muß Allgemeinwissen werden, dessen Erwerb jedem offen steht.
  • Es muß ein „erweitertes Curriculum” geben, das für gehobene Berufe und Entscheidungstätigkeiten verbindlich ist, das beispielsweise auch Juristen, Sachverständige, Lehrer usw. nachweisen müssen. Dies könnte beispielsweise an den Hoch- und Berufsschulen vermittelt werden.


Ein solches Curriculum muß regelmäßig aktualisiert und aufgefrischt werden.

Ergänzend sollte man die Schulausbildung modernisieren, beispielsweise Digitalfotografie, digitale Bildverarbeitung und Webseiten erstellen im Kunstunterricht usw. behandeln.

Gegenstand dieses kleinen Curriculums sollten ein grundlegendes Verständnis von Computern, des Internet, der Medientypen, der Datenverarbeitung, des Datenschutzes, der Rechtslage (sobald man diese aufgeräumt hat), der Gefahren, der Angriffs- und Betrugsmöglichkeiten, der Vorsichtsmaßnahmen und des Selbstschutzes sein. Dazu gehören auch Einführungen und Übungen in alle aktuell wichtigen (auch gesellschaftlich oder sozial) Anwendungen wie Textverarbeitung, Darstellung im Internet, Social Networks, E-Mail, Web usw. sein. Der Bürger soll in der Lage sein, einen PC nachhaltig zu betreiben und am zunehmend digital ausgestalteten gesellschaftlichen Leben teilzunehmen ohne ausgegrenzt zu sein, und zumindest die groben Gefahren und Gefährdungen selbständig zumindest so weit zu erkennen, daß er Hilfe in Anspruch nimmt, oder diese von vornherein vermeidet und umgeht.

Darüberhinaus soll dieses kleine Curriculum auch jeden in die Lage versetzen, die heute für fast jeden, auch einfacheren Beruf notwendigen Fähigkeiten im Umgang mit Informationstechnik zu haben. Fehlen dieser Grundfähigkeiten sollte keinesfalls mehr Grund für Arbeitslosigkeit sein. Auch in der derzeitigen Diskussion über die Integration von Migranten kann die Vermittlung solcher Grundfähigkeiten eine erhebliche Rolle spielen und die für die Integration notwendige Kommunikation mit anderen fördern.

Problematisch ist, daß es in Deutschland über eine Million - nach manchen Schätzungen sogar vier Millionen - Analphabeten gibt. Analphabetismus ist offenkundig ein erhebliches Hindernis in der Medienkompetenz. Insofern wäre zu untersuchen, ob nicht gerade in Verbindung mit einem solchen Curriculum (und dem Verzicht auf Handschrift zugunsten von Tastaturschrift) der Analphabetismus (und damit ein Teil der Arbeitslosigkeit und des Kräftemangels) bekämpft werden kann.

Dazu gehören natürlich auch die Voraussetzungen, daß für jeden Bürger Zugang zu einem Minimum an Medientechnik besteht. Kompetenz heißt, dies auch nutzen zu können.

Auf der anderen Seite gehören zum Aufbau der Medienkompetenz auch gewisse marktregulatorische Maßnahmen, denn einige marktbeherrschende Anbieter konterkarieren durch ihre Praktiken den Aufbau von Medienkompetenz. Es ist notwendig, auf eine bessere Standardisierung und Transparenz hinzuwirken und geschlossene, monopolistische Systeme aufzubrechen.

Zu rügen ist, daß Deutschland im Bereich der Informationstechnologie den Anschluß verloren hat und weit zurückgefallen ist. In der Entwicklung spielen wir keine nennenswerte Rolle mehr und sind auf den Konsum fremder Technik angewiesen. Das erschwert natürlich den Aufbau von Medienkompetenz.