Zum Vergleich: Das Recht auf anonyme Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten

Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat in den Vereinigten Staaten von Amerika traditionell einen sehr hohen Stellenwert. Das nachfolgende Zitat, das die besondere Bedeutung der anoymen Meinungsäußerung unterstreicht, stammt aus dem Urteil: JOSEPH McINTYRE, executor of estate of MARGARET McINTYRE, deceased, PETITIONER v. OHIO ELECTIONS COMMISSION (No. 93-986, SUPREME COURT OF OHIO, April 19, 1995) Es mag zwar einige Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Rechtsprechung geben – die Argumentation als solche lässt sich aber vom Grundsatz her auf alle demokratischen und freiheitlichen Staaten übertragen, die ein Recht auf freie Meinungsäußerung kennen:

Under our Constitution, anonymous pamphleteering is not a pernicious, fraudulent practice, but an honorable tradition of advocacy and of dissent. Anonymity is a shield from the tyranny of the majority. See generally J. S. Mill, On Liberty, in On Liberty and Considerations on Representative Government 1, 3-4 (R. McCallum ed. 1947). It thus exemplifies the purpose behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular individuals from retaliation--and their ideas from suppression--at the hand of an intolerant society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general, our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse. See Abrams v. United States, 250 U.S. 616, 630-31 (1919) (Holmes, J., dissenting). Ohio has not shown that its interest in preventing the misuse of anonymous election related speech justifies a prohibition of all uses of that speech. The State may, and does, punish fraud directly. But it cannot seek to punish fraud indirectly by indiscriminately outlawing a category of speech, based on its content, with no necessary relationship to the danger sought to be prevented.

Zitiert nach: http://www.law.cornell.edu/supct/html/93-986.ZO.html

Übersetzung:

Nach unserer Verfassung ist das anonyme Verbreiten von Pamphleten kein schädliches, betrügerisches Verhalten, sondern eine ehrenvolle Tradition der Interessenvertretung und des Widerspruchs. Anonymität ist ein Schutz vor der Tyrannei der Mehrheit. [...] Das entspricht den Zweck der Bill of Rights und des ersten Zusatzartikels zur Verfassung: nämlich dem Schutz von unpopulären Personen vor Vergeltungsmaßnahmen - und dem Schutz ihrer Ideen vor Unterdrückung – wenn eine intolerante Gesellschaft vorliegt. Das Recht, anonym zu bleiben, könnte missbraucht werden, wenn betrügerisches Verhalten beschützt wird. Aber es gehört zur Natur der politischen Rede, dass sie manchmal unangenehme Folgen haben kann. Und im Allgemeinen legt unserer Gesellschaft ein größeres Gewicht auf den Wert der freien Rede, als auf die Gefahr des Missbrauchs. [...] Der Staat Ohio hat nicht gezeigt, dass sein Interesse zur Verhinderung von Missbrauch bei anonymen Äußerungen in Zusammenhang mit einer Wahl ein Verbot von derartigen Äußerungen rechtfertigt. Der Staat kann einen Betrug direkt bestrafen – und er tut es auch. Aber er kann nicht danach streben, den Betrug indirekt zu bestrafen, indem er wahllos eine Kategorie von Äußerungen wegen ihrer Inhalte verbietet, ohne dass es einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Gefahr gibt, die verhindert werden soll.