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Norbert Geis (CDU/CSU) erfuhr in der Bundestagssitzung am 9. November 1989 von der Öffnung der Berliner Mauer. Der CSU-Politiker, Rechtsanwalt aus Aschaffenburg, war damals 50 Jahre alt und erst gut zwei Jahre zuvor in den Bundestag gewählt worden. Er erinnert sich: "Es war früher Abend, als wir damals gerade im Bonner Plenarsaal, dem Wasserwerk, den Haushalt berieten. Der Sport-Etat war an der Reihe. Der CSU-Abgeordnete Karl-Heinz Spilker sprach gerade dazu am Rednerpult, bis er einen Zettel mit der Nachricht bekam, dass die Berliner Mauer von der DDR-Regierung geöffnet worden sei.
Wir waren erst ungläubig, ist das wahr oder unwahr? Die Sitzung wurde unterbrochen. Dann trommelte die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das ganze Haus zusammen, um mit bewegter Stimme zu verkünden: Die Mauer ist offen. Ein dramatischer Moment.
Das Bewegendste in dieser Situation war, dass irgendein Abgeordneter hinter mir, zwei oder drei Reihen weiter, das Deutschlandlied anstimmte. Bis heute weiß ich nicht genau, wer es war. Ich glaube, Ernst Hinsken war mit dabei. Wir sind aufgestanden und haben gesungen, viele hatten Tränen in den Augen. Einige von den Grünen verließen den Plenarsaal.
Die Sitzung ging dann nicht mehr weiter. Aber keiner wollte heimgehen. Ich habe mit anderen Abgeordneten dann noch im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft den Abend verbracht, wir sahen uns im Fernsehen die Bilder an. Es war schon eigenartig, so richtig konnte man es nicht glauben.
Wir waren uns zwar ziemlich sicher, aber es gab doch die Ungewissheit, ob die DDR nicht doch noch mit Waffengewalt einschreiten würde. Einige von uns hatten noch die Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in Erinnerung, auf jeden Fall die Ereignisse in Prag 1968. Wir fragten uns: Halten die Russen still?
Schon vorher haben wir gespannt die Lage beobachtet, die Flucht über Ungarn, wie Außenminister Genscher den Zug mit Flüchtlingen aus Prag herübergebracht hat. Unter uns sagten wir schon, der Eiserne Vorhang ist damit geöffnet.
Als der damalige ungarische Außenminister Gyula Horn später bei der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth war, haben wir ihn gefeiert. Ungarn hat den Zusammenbruch des Ostblocks befördert. Die DDR war vorher für mich ein unerreichbares Land, ich hätte nie gedacht, dass es so schnell gehen würde.
Was mich wirklich tief beeindruckt hat, war die friedliche Revolution. Die Menschen haben sich in Kirchen versammelt, eine Andacht und Reden gehalten, dann sind alle mit Kerzen in der Hand demonstrieren gegangen. Auf Menschen mit Kerzen konnte man nicht schießen, da steckt eine gewisse Friedfertigkeit darin.
Das hat auch das DDR-Regime erkannt, dass man dem mit Waffen nicht begegnen kann. Es hatte keine Rückendeckung mehr aus Ungarn, auch nicht aus Polen oder der Sowjetunion. Sicher waren es auch rein menschliche Überlegungen. Gorbatschow hat sie passieren lassen. Seine Haltung war vorbildlich, man kann nicht gegen das Volk regieren.
Am Wochenende nach dem Mauerfall waren plötzlich die Trabis da in meinem Wahlkreis in Aschaffenburg. Wir haben uns bestaunt, haben gehupt und gewunken. Bürger gingen auch zu einem Fackelzug. Nach zehn Tagen sind wir mit dem Bezirksvorstand nach Meiningen gefahren, an der Grenze war die Stimmung immer noch eisig, einigen Volkspolizisten hat das wohl nicht gefallen.
Bis zu den Volkskammerwahlen im März 1990 waren wir dann noch sehr oft drüben. Bei einer Veranstaltung in Zella-Mehlis erinnerte mich ein junger CDU-Mann aus Hessen daran, dass ich den DA, den Demokratischen Aufbruch, unterstützen soll. Ich ließ ihn als ersten reden. Es war Roland Koch, heute ist er Ministerpräsident von Hessen. Es war eine spannende Zeit, die man nicht missen möchte.
Nach dem Mauerfall war klar, dass die alte DDR nicht mehr existierte. Wir wussten aber nicht, wie es weitergeht, ob zunächst zwei freie deutsche Staaten nebeneinander bestehen werden oder ob es gleich zur Wiedervereinigung kommen wird.
Helmut Kohl ging in seiner berühmten Rede vom 28. November 1989 im Bundestag, in der er das Zehn-Punkte-Programm vorlegte, zunächst von der ersten Variante aus. Als er dann jedoch am 19. Dezember 1989 vor den Trümmern der Frauenkirche in Dresden vor mehreren Hunderttausend Menschen eine große Rede hielt, rief die Menschenmenge wie aus einem Munde: Wir sind ein Volk!
Zu diesem Zeitpunkt war uns allen klar, dass die Wiedervereinigung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird."