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Gut 60 Jahre nachdem am 5. August 1950 in Stuttgart die "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" verabschiedet wurde, debattiert der Bundestag am Donnerstag, 10. Februar 2011, voraussichtlich von 12.35 Uhr bis 13.40 Uhr über dieses Thema. Die CDU/CSU-Fraktion hat einen Antrag (17/4193) vorgelegt, der abschließend beraten wird. Darin fordern die Christdemokraten, "die Aussöhnung der Deutschen mit sich selbst beim Kapitel Vertreibung zu unterstützen" und "die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn voranzubringen". Außerdem setzen sie sich dafür ein, die Geschichte der Vertreibungen wissenschaftlich zu dokumentieren und die Aussagen der "immer weniger zur Verfügung stehenden Zeitzeugen" systematisch zu erfassen.
Die Arbeit der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" solle zügig vorangebracht werden, damit die geplante Dauerausstellung in einem "überschauberen Zeitraum" präsentiert werden könne. Außerdem solle die Regierung prüfen, ob man den 5. August zum "bundesweiten Gedenktag für die Opfer von Vertreibung" erhebt.
Im Antrag wird die Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 als "wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zur Integration und Aussöhnung" gewürdigt. Bereits fünf Jahre nach dem Krieg hätten die deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten "Rache und Vergeltung" ausgeschlossen.
Sie hätten sich außerdem zur Schaffung eines geeinten Europas verpflichtet zu einer Zeit, als die "Vision Europa" bei den Parteien noch nicht einmal als Ziel ausgegeben worden sei.
Die CDU/CSU-Fraktion zitiert im Antrag auch die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert zum 60. Jahrestag der Charta, als dieser sagte: "Die Charta ist deshalb von historischer Bedeutung, weil sie innenpolitisch radikalen Versuchungen den Boden entzog, außenpolitisch einen Kurs der europäischen Einigung und Versöhnung unter Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Nachbarn vorbereitete und wirtschafts- und gesellschaftspolitisch nicht nur die Integration von Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, sondern über sie hinaus einen beispiellosen Wirtschaftsaufbau ermöglichte."
Seit der deutschen Wiedervereinigung sei die Ausgrenzungspolitik gegenüber den Vertriebenen, die in der DDR als "Umsiedler" bezeichnet und deren Schicksal tabuisiert worden sei, überwunden. Der Bundestag bekräftige seine Anerkennung für den "Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa".
Im Antrag wird auch darauf verwiesen, dass die Vertreibung der Deutschen "in einem unauflösbaren Zusammenhang" stehe "mit der außer Frage stehenden deutschen Kriegsschuld".
Bezogen auf die heutige Situation drückt die CDU/CSU-Fraktion in dem Antrag ihre Unterstützung für die 2008 gegründete Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" aus. Flucht und Vertreibung der Deutschen würden einen Hauptakzent der Dauerausstellung bilden, denn "der Heimatverlust von circa 14 Millionen Deutschen" sei auch "Mahnmal für alle Vertreibungen der Gegenwart".
Es sei wichtig, dass auch die jüngere Generation mit der Geschichte der Vertreibungen vertraut bleibe, "um urteilsfähig bleiben oder werden zu können". Die Stiftung müsse aber auch das Ziel haben, neben dem Schicksal der Deutschen auch an die Vertreibung von mehr als einer Million Polen und hunderttausender Ukrainer aus den ehemaligen polnischen Westgebieten zu erinnern.
Für den "Transfer der Erinnerung über die Erlebnisgeneration hinaus" müsse die Geschichte der Vertreibungen systematisch dokumentiert werden, vorhandene Forschungslücken müssten durch Interviews mit noch lebenden Zeitzeugen "zeitnah" geschlossen werden.
Auch die akademische Erforschung von Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa müsse auf eine stabile Basis gestellt werden, fordern die Christdemokraten.
Im federführenden Ausschuss für Kultur und Medien ist der Antrag gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen worden (17/4651).
Die SPD hatte es als problematsich bezeichnet zu behaupten, die Deutschen nähmen Vertreibung mit besonderer Sensibilität wahr, weil sie selbst in der jüngeren Geschichte Opfer von Vertreibungen geworden seien, und gleichzeitig die Erinnerung an die deutschen Verbrechen und die Täterschaft der Vorgängergeneration ausgeblendet werde.
Die Linke kritisierte die These, die Charta der Heimatvertriebenen gehöre zu den Gründungsdokumenten der Bundesrepublik. Stattdessen sei sie ausschließlich als Zeitdokument zu verstehen.
Die Grünen unterstrichen, zu den Unterzeichnern der Charta hätten Männer gehört, die maßgeblich an der deutschen Ausplünderungs- und Vernichtungspolitik in der Nazizeit beteiligt gewesen seien. (ktk)