Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen) hat im Rahmen des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier" eine Patenschaft für die äthiopische Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa übernommen. Die heute 37-Jährige protestierte in ihrem Heimatland gegen offensichtlich manipulierte Wahlen und landete dafür im Gefängnis. Nach insgesamt mehr als drei Jahren hinter Gittern kam sie zwar 2010 frei, musste aber ihr Heimatland verlassen. Als Pate fordert Hoppe nun, dass die frühere Richterin aus dem Exil nach Äthiopien zurückkehren kann.
Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Entwicklung sind die Konstanten in der politischen Arbeit von Thilo Hoppe. Seit fast zehn Jahren ist der 54-Jährige aus Aurich Mitglied im Bundestag — drei Jahre davon als entwicklungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, vier als Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ebenso lange, wie er sich für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzt, ist Hoppe auch überall dort in der Welt unterwegs, wo Menschen hungern, unter Armut, Unrecht oder Verfolgung leiden.
Drei Mal war er so auch in seiner aktuellen Funktion als Sprecher für Welternährung in den vergangenen zwei Jahren in Äthiopien. Erst im Februar reiste der Grünen-Politiker während der Hungersnot ans Horn von Afrika, um sich dort ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.
Für Hoppe ist Äthiopien ein besonderes Land: "Hier spielen sich leider immer wieder Hungertragödien ab. Auch wenn die Regierung auf die letzte Hungersnot wesentlich besser vorbereitet war und ein besseres Management in der Krise gezeigt als zum Beispiel die Nachbarländer Somalia oder Kenia."
Jedes Mal nutzt der Mann mit dem graumelierten Vollbart die Reisen auch dafür, um in Gesprächen mit Regierungsmitgliedern oder Parlamentariern auf mehr Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten zu dringen. "Gerade um die Presse- und Meinungsfreiheit ist es in Äthiopien schlecht bestellt", sagt Hoppe. Tatsächlich klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke in der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien: Menschenrechtsorganisationen und westliche Diplomaten werfen der Regierung unter der Führung von Premierminister Meles Zenawi seit Langem vor, autokratisch zu regieren und mit harter Hand gegen die Opposition vorzugehen.
Immer wieder gibt es Berichte, denen zufolge die Regierung Wahlen manipuliert. Missliebige Kritiker und Andersdenkende werden systematisch eingeschüchtert und inhaftiert — so wie Birtukan Mideksa, die wohl bekannteste Oppositionspolitikerin Äthiopiens.
2006 wurde die frühere Richterin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zu dieser Zeit war die in Addis Abeba geborene Mideksa stellvertretende Vorsitzende der inzwischen aufgelösten Oppositionspartei CUDP, die bei den umstrittenen Wahlen von 2005 spektakuläre Gewinne erzielen konnte. Mideksa und anderen Oppositionspolitikern wurde zur Last gelegt, Proteste gegen das Wahlergebnis angeführt zu haben.
Im Juli 2007 unterzeichneten sie und 100 weitere politische Gefangene dann ein Entschuldigungsschreiben und wurden im Gegenzug begnadigt. Während ein Großteil der freigelassenen Politiker sofort ins Exil ging, bewies Mideksa Courage: Sie blieb in Äthiopien, nahm ihre politische Arbeit wieder auf und wurde noch im selben Jahr zur Vorsitzende der neu gegründeten "Union für Demokratie und Gerechtigkeit" gewählt.
Doch als die Oppositionspolitikerin im November 2008 öffentlich über die Verhandlungen sprach, die zu ihrer Freilassung geführt hatten, wurde sie im Dezember 2008 erneut festgenommen. Ihre Begnadigung war aufgehoben und die ursprüngliche lebenslange Haftstrafe wieder in Kraft. In die nächsten Parlamentswahlen konnte sie so nicht eingreifen.
Im Oktober 2010 jedoch kam die Mutter einer kleinen Tochter überraschend wieder frei. Dieses Mal jedoch ließ Mideksa die Politik und das Land hinter sich: Im März 2011 übersiedelte sie auf unbestimmte Zeit in die USA.
Der Einsatz und das persönliche Risiko, das Birtukan Mideksa für Demokratie und Menschenrechte eingegangen ist, hat ihren Paten Thilo Hoppe sehr beeindruckt: "Dass sie so mutig sie aufgetreten ist und allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz einen demokratischen Prozess eingefordert hat, macht ihr Engagement so wertvoll. Deswegen schätze ich Birtukan Mideksa sehr."
So zögerte der Bundestagsabgeordnete nicht, als er im vergangenen Juli vom Programm "Parlamentarier schützen Parlamentarier" gefragt wurde, ob er eine Patenschaft für die Politikerin übernehmen könne.
Seitdem fragt Hoppe, wann immer er mit äthiopischen Politikern oder dem Botschafter zusammentrifft und Menschenrechtsverletzungen thematisiert, auch nach Mideksa: "Die akute Bedrohung besteht zum Glück zwar nicht mehr — doch würde sie nach Äthiopien zurückkehren, müsste sie fürchten, wieder inhaftiert zu werden. Das ist nicht hinnehmbar! Ich fordere ein politisches Klima, in dem Frau Mideksa ihre demokratischen Rechte wahrnehmen kann."
Dass dies bald der Fall sein wird, glaubt der Grünen-Politiker allerdings nicht: "Was sie angeht, habe ich wenig Hoffnung."
Dass es aber durchaus effektvoll sein kann, Aufmerksamkeit auf das Schicksal von bedrohten Politikern und Menschenrechtsaktivisten zu lenken, davon ist er überzeugt: "Wenn man dran bleibt, immer wieder nachfragt, dann können solche Bemühungen Erfolg haben", sagt Hoppe und erzählt von einer Delegationsreise auf die Philippinen. Mehrere Mitglieder aus dem Entwicklungsausschuss hätten im letzten Jahr in der Hauptstadt Manila ein Gefängnis besuchen wollen, in dem Kinder inhaftiert waren.
"Erst ist den Kollegen der Zutritt verwehrt worden, doch dann hat man sie reingelassen." Was sie dort sahen, sei schlimm gewesen, berichtet Hoppe: "Kinder in Käfigen!" Die Politiker machten davon heimlich Fotos, veröffentlichten diese im Internet und sprachen die "skandalösen Missstände" auch im Gespräch mit der Regierung der Philippinen an. Mit Erfolg: "Inzwischen ist dieser Kinderknast aufgelöst worden und die Kinder wurden in halbwegs akzeptablen Heimen untergebracht."
Öffentlichkeit könne also sehr wohl Menschen schützen, so Hoppe. Sie müsse aber einen "wunden Punkt" treffen. Er erlebe immer wieder, wie lästig es Regierungsvertretern sei, wenn im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Menschenrechtsverletzungen thematisiert würden. "Sie wollen Verträge abschließen und mehr Geld — da haben sie natürlich nicht gern solche Störfaktoren."
Doch den Gefallen, Unangenehmes zu verschweigen, tut Hoppe ihnen nicht. Wie missliebig die Fragen des deutschen Parlamentariers der äthiopischen Regierung inzwischen geworden sind, zeigt, dass sein Name auf der "schwarzen Liste" von Premierminister Zenawi zu finden ist — gemeinsam mit einer Reihe anderer "subversiver Kritiker" und "unerwünschter" Journalisten. Hoppe lässt sich davon nicht beeindrucken: "Ich werde weiterhin Fälle von Menschenrechtsverletzungen ansprechen und die Regierung um Prüfung und Bericht bitten." Auch im Fall von Birtukan Mideksa wird Hoppe nachhaken — der von ihm vor einem Jahr erbetene Bericht lässt noch immer auf sich warten. (sas)