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Sie arbeitete als Referentin für die Grünen in Stuttgart, dann kandidierte sie selbst für ein Mandat: 13 Jahre gehörte Birgitt Bender daraufhin als Fraktionschefin, Ausschussvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin dem baden-württembergischen Landtag an. 2002 zog die Juristin dann in den Bundestag ein. Seitdem ist die heute 55-Jährige mit den kurzen, grauen Haaren und den meist markanten Brillen Sprecherin für Gesundheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen – und damit in einem Politikfeld tätig, das der CDU-Politiker Norbert Blüm in den achtziger Jahren legendär als "Wasserballett im Haifischbecken" bezeichnete.
Als Neue die Führung zu übernehmen, dazu gehört Mut – vielleicht auch ein wenig Chuzpe: Gerade ist Birgitt Bender im März 1988 zum ersten Mal in den Stuttgarter Landtag gewählt, da bewirbt sie sich auch schon für den Fraktionsvorsitz.
Hinter ihr liegt nicht die Ochsentour durch Orts- und Kreisverbände, Gemeinde- und Stadträte, die viele andere auf dem Weg an die Spitze hinter sich bringen. Als Justiziarin und später Frauenreferentin hat sie zwar vier Jahre für die Grünen-Fraktion gearbeitet, doch über eigene parlamentarische Erfahrung verfügt sie noch nicht.
Trotzdem setzt sich die damals 31-Jährige durch, wird die erste Fraktionsvorsitzende in der Geschichte des Stuttgarter Landtags. Darauf ist die gebürtige Düsseldorferin noch heute stolz: "Das hat in der Öffentlichkeit eingeschlagen", erinnert sich Bender. Eindruck macht die junge Grüne aber auch durch ihr Auftreten: Sie ist selbstbewusst, direkt, manchmal offensiv.
Und: Bereits damals glänzt Bender, die den politischen Gegner schon mal als "Hosenscheißer" tituliert, mit einer geschliffenen Rhetorik. "Na ja", sagt sie darauf angesprochen und lacht so herzlich, dass ihr Ohrring hin-und her baumelt, "ich musste es lernen, aber bald war klar, dass ich eine spitze Zunge habe."
Birgitt Bender weiß um die Macht der Worte. Sie hat es selbst erlebt, wie Worte bewegen können und in Erinnerung bleiben. Es sind auch Worte – oder eigentlich ein Satz – der sie aufrüttelt und letztlich dazu führt, sich politisch einzumischen. Fast 40 Jahre ist das inzwischen her.
Bender ist etwa 17 Jahre alt und lebt zusammen mit Mutter und Schwester in Düsseldorf, an einer Straße mit vielen alten Bäumen. "Eines Tages wurden die Bäume alle abgehackt, um die Straße zu verbreitern. Autogerechte Stadt nannte man das damals." Bender ist empört: "'Das darf doch nicht wahr sein', habe ich damals zu meiner Mutter gesagt. Die gab mir recht, sagte dann aber etwas, das mich lange verfolgt hat: ‚Da kann man nichts machen.’ "
Da kann man nichts machen – so eine Haltung will Bender nicht akzeptieren: "Es gab eine Zeit, da haben zu viele Menschen in Deutschland so gedacht", sagt sie mit Blick auf die Verbrechen der Nationalsozialisten. Sich nichts bieten lassen, sich wehren, aufstehen gegen Ungerechtigkeiten – dies ist auch die Triebfeder dafür, dass Bender nach dem Abitur 1975 beginnt Jura zu studieren. Aber auch ihr späteres politisches Engagement erwächst aus ihrem Gerechtigkeitsgefühl: Als Studentin in Köln wird sie in der Frauenbewegung aktiv, setzt sich für ein Frauencafé an der Uni ein.
Später, in Freiburg, kämpft sie gegen den Bau von Atomkraftwerken und den Abriss besetzter Häuser. Bender ist in einer Bürgerinitiative aktiv, doch Mitglied der sich zu dieser Zeit konstituierenden grünen Partei wird sie zunächst nicht. Ganz bewusst: "Ich war skeptisch. Eine Partei, so dachte ich, könnte Kraft aus den Initiativen abziehen."
Doch Bender ändert ihre Meinung: "Früher haben wir in der Fußgängerzone gestanden, Flugblätter verteilt und es hat keinen interessiert. Plötzlich las ich in der ‚bürgerlichen Presse’, dass man auch AKWs abschaffen und eine andere Energiepolitik machen kann. Da musste ich mir eingestehen, dass sich der Diskurs ändert, wenn die Grünen in die Parlamente einziehen."
Zudem stellt sie fest, dass das Besetzen von Bauplätzen oder Häusern zu spät kommt. "Man muss früher etwas unternehmen und dorthin gehen, wo darüber entschieden wird. Mir wurde klar, dass die Parlamente doch ein guter Ort für Politik sind."
Dieser Meinung scheint "Biggi" Bender, wie sie auch genannt wird, noch heute zu sein: Auch nach 13 Jahren im Stuttgarter Landtag und genau zehn Jahren im Bundestag hat die parlamentarische Politik ihren Reiz nicht verloren. Insbesondere die Gesundheitspolitik, in die sie sich als neue Sprecherin der Grünen nach ihrem Einzug in den Bundestag 2002 rasch einfuchsen muss.
Doch als bisherige Sozialexpertin der Grünen im Landtag, die das soziale Profil ihrer Partei mitgeprägt hat, fällt ihr das nicht schwer. Schnell gilt Bender als sehr sachkundig und füllt damit eine Lücke: "Es fehlte nach Andrea Fischers Rücktritt als Gesundheitsministerin eine Ansprechpartnerin im Bereich der Gesundheitspolitik. So kam es, dass ich bundesweit Termine wahrgenommen habe."
Inzwischen kennt sie das "Haifischbecken" und hat gelernt, mit Kritik, Druck und aufeinanderprallenden Meinungen umzugehen. "Die Gesundheitspolitik ist kein Bereich, in dem man schnell Beifall bekommt", sagt sie abgeklärt. "Man sitzt oft vor Leuten, die nicht zufrieden sind, wenn man ihnen nicht exakt nach dem Maul schwätzt..., aber das halte ich aus."
Unverkennbar ist ihr schwäbischer Dialekt, den sie trotz ihrer rheinländischen Wurzeln nach mehr als 30 Jahren Leben und Arbeiten im "Ländle" angenommen hat. "Wissenschaftler nennen das wohl Sprachlabilität", sagt Bender lachend.
Was sie an der rauen Gesundheitspolitik reize, sei vor allem der Gerechtigkeitsaspekt. "Gesundheitspolitik ist Politik für soziale Gerechtigkeit", sagt Bender. Es gehe darum, "Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Akteure ihre legitimen Interessen nicht verleugnen müssen – aber letztlich die Anreize so zu setzen, dass es dem Patientennutzen dient", betont sie.
Davon allerdings sei man noch weit entfernt. Maßlos ärgert sie vor allem, dass "Schwarz-Gelb" beschlossen hat, den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung einzufrieren. "Damit gehen alle weiteren Kostensteigerungen zulasten der Versicherten – wenn wir dem nicht einen Riegel vorschieben", setzt Bender kämpferisch dazu.
Dass die Abgeordnete, die auch privat per Gleitschirm oder mit dem Fahrrad in den Alpen gern Grenzen auslotet, weiter hartnäckig streiten wird, ist sicher: Bei der Bundestagswahl 2013 tritt sie wieder an, um mit "Rot-Grün" die amtierende Regierung abzulösen.
Gelingt das, wird sie allerdings einen langgehegten Wunsch erneut verschieben: eine Fahrradtour durch Südafrika. "Das macht man am besten im November, aber da kann ich hier nie weg." (sas/12.12.2012)