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Herbert Wehner, Vorsitzender der SPD-Fraktion, eröffnet als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Bundestages am 4. November 1980. © Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Obwohl er nicht in sein Amt gewählt wird, sondern in seiner Eigenschaft als ältester Abgeordneter zu dieser Ehre kommt, ist es anerkannte Tradition, dass der Alterspräsident die erste Rede vor dem Plenum hält. Bisher haben alle Alterspräsidenten der Bundesrepublik von dieser Tradition Gebrauch gemacht und dabei eigene Akzente gesetzt.
1980: Herbert Wehner (1906-1990) eröffnet die konstituierende Sitzung des neunten Deutschen Bundestages am 4. November. Der 74-Jährige ist der erste im 20. Jahrhundert geborene Alterspräsident. Grund genug für den Abgeordneten, seine bisher sechs Amtsvorgänger und ihre Eröffnungsansprachen in Erinnerung zu bringen. Wehner gehört zu den drei im Parlament verbliebenen Abgeordneten, die alle bisherigen Alterspräsidenten noch selbst erlebt haben.
Der SPD-Politiker, bekannt für seine leidenschaftlichen Ansprachen, seine Schlagfertigkeit, vor allem aber seine sprachliche Schroffheit gegenüber seinen politischen Gegnern, wählt keine persönlichen Worte für seine Antrittsrede.
Er zitiert aus den Reden der früheren Alterspräsidenten und lässt seine sechs Amtsvorgänger noch einmal selbst zu Wort kommen. Am Ende endschuldigt er sich für die Länge seiner Rede. "Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wes' das Herz voll ist, des' geht der Mund über, lautet ein deutsches Sprichwort. Mein Herz ist voll."
Und weiter: "Aber ich wollte Ihnen zu Beginn der neunten Wahlperiode in Erinnerung an Kolleginnen und Kollegen, die in den Jahren seit dem Bestehen unseres Parlaments als Alterspräsidenten ihre Mahnungen und Aufmunterungen ans Herz gelegt haben, deutlich machen, daß es bei allen politischen Gegensätzen vieles gibt, das uns allen gemeinsam ist und das wir hüten und pflegen sollen."
Der Abgeordnete der ersten Stunde gehört selbst zu denen, die die Politik der Bundesrepublik nachhaltig beeinflusst haben. 1946 tritt er in die SPD ein und zählt schnell zu den engen Mitstreitern des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. Zu diesem Zeitpunkt hat der Sohn aus einer Arbeiterfamilie bereits eine fast 20-jährige politische Laufbahn als KPD-Mitglied hinter sich.
1949 kandidierte er, nach eigenen Angaben von Schumacher "mit der Faust gezwungen", erfolgreich für den Deutschen Bundestag. Berühmt und immer wieder zitiert ist in diesem Zusammenhang sein Einwand, dass man ihm, dem ehemaligen Kommunisten, "die Haut bei lebendigem Leibe abziehen werde", und Schumacher geantwortet habe, er werde das schon aushalten.
Leidenschaftlich und lautstark setzt er sich für die Wiederherstellung der deutschen Einheit ein. Der gebürtige Dresdner wird Vorsitzender des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche Fragen. Über zehn Jahre bekämpft er Adenauer und seine Politik der Westbindung.
Dann ändert er die Strategie. "Das geteilte Deutschland kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen", sagt er 1960 in einer aufsehenerregenden Bundestagsrede.
Mit seiner Unterstützung des Godesberger Programms schlägt er einen neuen Weg ein und ist wesentlich an dessen Umsetzung beteiligt. Im neuen Grundsatzprogramm der SPD bekennt sich die Partei zur Bundeswehr, zur Mitgliedschaft in der Nato und zur sozialen Marktwirtschaft.
In der Bundestagsrede von 1960 gibt er die neuen außenpolitischen Ziele der SPD bekannt und bekennt sich zur Westintegration als Grundlage der westdeutschen Außenpolitik.
Der stellvertretene Parteivorsitzende ebnet so den Weg zur Koalitionsfähigkeit der SPD. In der Großen Koalition (1966 bis 1969), an deren Zustandekommen er maßgeblich beteiligt ist, ist er Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und setzt sich weiter für die Wiedervereinigung ein. Eine gemäßigtere Ostpolitik soll zumindest den Menschen in der DDR Erleichterungen bringen.
Nach der Großen Koalition übernimmt er 1969 das Amt des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag. Als solcher hat er wesentlichen Anteil am Erfolg der Ostpolitik Willy Brandts und am Grundlagenvertrag mit der DDR.
In Zeiten schrumpfender Mehrheiten der sozialliberalen Koalition gelingt es ihm, die Fraktion zusammenzuhalten. Seine Strenge und sein Pflichtbewusstsein bringen ihm in dieser Zeit die Titel "Zuchtmeister" und "Kärrner" der Fraktion ein.
Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition tritt er 1983 nicht nochmal zu einer Bundestagswahl an. In 34 Jahren Parlamentszugehörigkeit gewinnt er in seinem Wahlkreis Hamburg-Harburg stets das Direktmandat. Eine Plenarsitzung versäumt er nur, wenn er ernsthaft krank ist. Herbert Wehner stirbt am 19. Januar 1990. (klz/09.10.2013)