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Jorge Pardo: untitled (restaurant) 2002 © Jorge Pardo, courtesy neugerriemschneider, Berlin 2002, Foto: Jens Ziehe
Blickt man abends von der Kronprinzenbrücke aus über die Spree zum Reichstagsgebäude hin, leuchten dem Betrachter aus dem Paul-Löbe-Haus die farbigen Kugellampen des kubanischen Künstlers Jorge Pardo entgegen. Wie farbige Schaumperlen am Ufer des Flusses glitzern sie auf den Wellen an der Stelle, an der die Spree heute das Paul-Löbe- vom Marie-Elisabeth-Lüders-Haus trennt. Vor dem Fall der Mauer teilte sie hier die Stadt in Ost- und West-Berlin. Geht der Betrachter über die Brücke hinunter zum Spreeufer, gelangt er unmittelbar zu dieser weithin leuchtenden, farbenfrohen Rauminstallation. Sie wurde vom Künstler für das Restaurant im Paul-Löbe-Haus geschaffen, dem Parlamentsbau, in dem die Ausschüsse des Deutschen Bundestages tagen.
Das in Kreisform gestaltete Restaurant nimmt das Erdgeschoß des Rundturmes ein, der das Paul-Löbe-Haus zur Spree hin abgrenzt. Zahlreiche Kugellampen, jeweils aus zwei ineinander geschobenen Glaskörpern geformt, die Farben aufeinander abgestimmt, runde Tische und Stühle, beide mit farbigen Intarsienornamenten verziert, und ein grünweiß schimmernder Terrazzoboden bilden eine heitere, farbverspielte Rauminstallation. Die teils pastellartigen, teils kräftigen Farbtöne und die zurückhaltende, schlichte Gestaltung der Tische erinnern an skandinavisches Design und spielen gleichzeitig auf die Farbenfreude mexikanischer oder karibischer Volkskunst an. Zugleich wird die Kreisform, das bestimmende Element der Architektur dieser Rotunde, aufgegriffen und anmutig vervielfacht und variiert. So steht das Restaurant in lebhaftem Kontrast zu der strengen, vom Grau des Sichtbetons bestimmten Architektur.
Auf diese Weise hat der Künstler sowohl eine funktionale als auch ästhetische Gestaltung des Restaurants geschaffen, die allen Ansprüchen an eine gelungene Design-Gestaltung gerecht wird. Sein "Design" greift jedoch weit über bloße Funktionalität und ihr entsprechende Ästhetik hinaus. Wie im Schauraum eines Museums oder einer Galerie präsentiert das rundum verglaste Restaurant Pardos ein skulpturales Ensemble mit Lampen und Tischen als Gestaltungselementen und Ornamenten als freien malerischen Gestus. Alle Elemente vereinigen sich zu einem Raumkunstwerk: "I’m trying to do something radically different in a beautifully comfortable way" (Pardo). Pardos Design, seine eigenwillige Synthese von Funktionalität und Ästhetik reflektiert seine Position als Künstler und fordert den Betrachter auf, seine Umwelt mit Aufmerksamkeit als gestaltet wahrzunehmen, den gestalteten Raum nicht als bloßen Nutzraum, sondern als inszenierten Kunstraum zu erleben.
Dieses Ausloten von Gestaltungsmöglichkeiten im Grenzbereich von Kunst und Architektur, von Design und Skulptur, von Alltagstauglichkeit und ästhetischer Autonomie, ist charakteristisch für die Arbeitsweise des Künstlers: Er greift gängige Kunstströmungen auf, präsentiert seine Objekte gleichsam wie Ready-mades, selbst gestaltete allerdings, die durch seine Inszenierung die Frage nach einem neuen künstlerischen Eigenwert aufwerfen. Wenngleich Pardo hierbei Farb- und Design-Konzepte z.B. von Arne Jacobson oder Alvar Aalto zu zitieren scheint, so spielt er doch in Wirklichkeit lediglich mit diesen Assoziationen, schafft eigenständige, eigenwillige Interpretationen bekannter Design-Richtungen. Pardo bewegt sich virtuos im "Crossover" der Gattungen und bezieht eine in den Parlamentsbauten vorbildlose und wegweisende Position auf dem Felde architekturbezogener Kunst: Er stellt die Frage nach der Vereinbarkeit von Kunst und Leben und gibt damit der Kunst eine Chance, sich im realen Leben ihren Platz zu erobern.
Text: Andreas Kaernbach