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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 14. Juni 2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Nach dem vorläufigen Scheitern der so genannten Kopfpauschale legt die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) den Rücktritt nahe. „Er hat sein politisches Schicksal ganz eng mit der Einführung einer Gesundheitsprämie verknüpft. Es ist an ihm, daraus Konsequenzen zu ziehen“, sagte die Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses in einem Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 14. Juni). Rösler sei „ein sehr angeschlagener Minister“. Dies sei auch bei der Sparklausur der Koalition zu sehen gewesen. Der Minister sei „mit einem zusätzlichen Steuerzuschuss von zwei Milliarden Euro abgespeist“ worden.
Reimann sagte, ihr mache es angesichts der Finanzmisere der gesetzlichen Krankenversicherung „Sorgen, wie sich die Koalitionspartner derzeit bekämpfen“. Bereits im kommenden Jahr fehlten den Kassen elf Milliarden Euro. Noch immer lägen aber seitens der Koalition keine Lösungsvorschläge vor. Wie das Finanzloch gestopft werden soll, sei eine Frage, zu deren Beantwortung ihr „die Fantasie“ fehle, „nachdem die Koalition alles Mögliche ausgeschlossen hat: etwa einen noch höheren Steuerzuschuss, eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes oder der Beitragsbemessungsgrenze“, fügte Reimann hinzu. Drei Wochen seien „denkbar wenig Zeit, um ein neues Konzept zu erarbeiten“. Dennoch sei Philipp Rösler in der Pflicht. „Denn die Kosten im Gesundheitswesen steigen weiter, wenn die Regierung nichts tut“, betonte die SPD-Politikerin.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Reimann, haben Sie sich schon bei der CSU bedankt, dass sie in Sachen Gesundheitsprämie Ihren Job als Opposition übernommen hat?
Diese Art von Opposition, wo der eine den anderen „Wildsau“ nennt, streben wir nicht an. Aber viel schlimmer ist: Es liegen seitens der Koalition noch immer keine Lösungsvorschläge zur Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Bereits im kommenden Jahr fehlen den Kassen elf Milliarden Euro. Da macht es uns Sorgen, wie sich die Koalitionspartner derzeit bekämpfen.
Aber froh sind Sie doch schon, dass die Kopfpauschale offenbar vom Tisch ist?
Die Kopfpauschale ist vom Tisch, das ist richtig. Aber nicht vom Tisch ist, dass der Einzelne stärker belastet werden soll. Die Bundeskanzlerin will die Arbeitgeberbeiträge einfrieren. Alle zusätzlichen Belastungen müssen dann die Versicherten zahlen.
Die Koalition hat angekündigt, in den nächsten Wochen Vorschläge für Einsparungen im Gesundheitssystem in Höhe von vier Milliarden Euro vorzulegen. Zwei Milliarden Euro sollen zusätzlich an Steuern fließen. Das wird noch nicht reichen. Wo soll das restliche Geld herkommen?
Das ist eine gute Frage, zu deren Beantwortung mir die Fantasie fehlt, nachdem die Koalition alles mögliche ausgeschlossen hat: etwa einen noch höheren Steuerzuschuss, eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes oder der Beitragsbemessungsgrenze. Drei Wochen sind natürlich auch denkbar wenig Zeit, um ein neues Konzept zu erarbeiten. Dennoch ist Gesundheitsminister Philipp Rösler in der Pflicht. Denn die Kosten im Gesundheitswesen steigen weiter, wenn die Regierung nichts tut.
Was will denn die SPD? Ist sie für eine Anhebung der Schwelle von 45.000 Euro pro Jahr, oberhalb derer das Einkommen eines Versicherten beitragsfrei bleibt?
Grundsätzlich müssen breite Schultern mehr tragen als schwache. Wir streben eine solidarische Bürgerversicherung an, bei der ausnahmslos alle Bürger einen bestimmten Prozentsatz auf die Summe aller Einkünfte zur Finanzierung der Gesundheitsversorgung zahlen. In diesem Zusammenhang muss auch über die Beitragsbemessungsgrenze nachgedacht werden. Außerdem würden wir den Steuerzuschuss an den Gesundheitsfonds weiter aufstocken.
Wann legt die SPD ein durchgerechnetes Konzept zur Bürgerversicherung vor?
Wir werden ein ordentliches Modell entwickeln. Jetzt liegt der Ball aber erstmal in der Spielhälfte von Herrn Rösler.
Der Minister wollte mit der Einführung einer Gesundheitsprämie einen Sozialausgleich über Steuern einführen. Was ist eigentlich so schlecht an der Idee?
Abstrakt akademisch kann man das diskutieren. Aber außerhalb universitärer Räume überleben solche Konzepte nicht lange. Auch die Koalition hat den automatischen steuerfinanzierten Sozialausgleich beerdigt.
Rechnen Sie damit, dass Philipp Rösler zurücktritt, weil sein Modell schon innerhalb der Koalition gescheitert ist?
Er hat sein politisches Schicksal ganz eng mit der Einführung einer Gesundheitsprämie verknüpft. Es ist an ihm, daraus Konsequenzen zu ziehen. Er ist ein sehr angeschlagener Minister. Das haben wir ja auch bei der Sparklausur der Koalition gesehen. Er ist mit einem zusätzlichen Steuerzuschuss von zwei Milliarden Euro abgespeist worden. Selbst mit dem gesetzlich schon früher festgelegten Plus von 1,5 Milliarden Euro wird er nächstes Jahr 400 Millionen Euro weniger zusätzliche Steuern in seinem Fonds haben als in diesem Jahr.
Neben der CSU schlagen auch die Arbeitgeberverbände vor, dass künftig bei jedem Arztbesuch fünf Euro Praxisgebühr fällig werden statt zehn Euro pro Quartal. Was halten Sie davon?
Das belastet vor allem arme Menschen und solche, die oft zum Arzt gehen müssen, beispielsweise chronisch Kranke. Befreit man diese Personengruppe aber von der Gebühr, lässt sich damit das Finanzproblem nicht lösen.
Die SPD will die Praxisgebühr wieder abschaffen, dann fehlen gleich noch mal zwei Milliarden Euro im System.
Wir würden das durch Sparen bei den Arzneimitteln gegenfinanzieren.
Das will auch die Regierung. Wie viel Geld lässt sich in diesem Bereich sparen?
Schnell sparen lässt sich durch die Zwangsrabatte, die die Kassen den Herstellern neuer Medikamente abverlangen können, da könnten rund 1,5 Milliarden Euro zusammenkommen.
Minister Rösler will den Rabatt – wie auch die SPD – von 6 auf 16 Prozent anheben und ein Preismoratorium über vier Jahre einführen….
…ja, jetzt, wo er Minister ist. Dabei hat die FDP dies jahrelang kritisiert. Nun muss auch der Gesundheitsminister Geld sparen und das wird über Rabatte auch funktionieren. Aber mit seinem zusätzlich angekündigten so genannten Arzneimittelsparpaket, das angeblich auch Kosten senken soll, wird er keinen Erfolg haben.
Warum?
Minister Rösler plant, dass die Hersteller ein Jahr lang nach der Zulassung eines Arzneimittels den Preis selbst festlegen dürfen. Parallel verhandeln die Kassen über den dauerhaften Preis. Wenn keine Einigung erzielt wird, geht das Ganze an eine Schiedsstelle. Da kann von den Verhandlungspartnern eine Kosten-Nutzen-Bewertung verlangt werden, ob der Preis tatsächlich in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen des Medikamentes steht. Aber das ist kein Muss und kommt auch zeitlich viel zu spät. Ich meine, am Ende wird es teurer für die Versicherten, denn die Hersteller werden die Preise fürs erste Jahr extra hoch ansetzen, um eine gute Verhandlungsposition zu haben.
Was schlagen Sie vor?
Die Hersteller sollten von Anfang an nur einen Preis verlangen dürfen, der im EU-Durchschnitt liegt. So machen es etwa die Schweizer. Das plant Herr Röser erst, wenn der Fall schon bei der Schiedsstelle gelandet ist, das ist zu spät. Und die Kosten-Nutzen-Bewertung muss zwingend sein.
Ihre Parteikollegin Ulla Schmidt, Röslers Vorgängerin, hätte die Kosten-Nutzen-Bewertung doch längst einführen können. Warum hat sie das nicht getan?
Moment. Ulla Schmidt hat das durchgesetzt, wir haben gesetzlich vorgeschrieben, ein Institut zu gründen und eine Methode zu entwickeln. Die Industrie stand immer auf der Bremse, und wir mussten alle diese Instrumente gegen den erbitterten Widerstand der Union durchsetzen. Jetzt ist alles fertig und könnte genutzt werden, da könnten noch einmal zwei Milliarden Euro eingespart werden. Herr Rösler muss handeln.
Kritiker einer sofortigen Kosten-Nutzen-Bewertung sagen, dass Patienten dann länger auf neuartige Therapien warten müssen. Ist da was dran?
Nein. Denn die Kassen sollen auch dann zunächst weiterhin jedes zugelassene Medikament erstatten. Damit haben alle sofort Zugang zu den neuen Arzneimitteln. Das muss auch so bleiben. Aber parallel soll geprüft werden, ob diese auch ihren Preis wert ist oder dieser gesenkt werden muss.
Sie haben seit gut einem halben Jahr den Vorsitz des Gesundheitsausschusses inne, der als einer der härtesten Ausschüsse des Bundestages gilt. Was hat Sie seither am meisten überrascht?
Dass es so wenig Gesetzgebung gibt. Aus der Erfahrung der letzten Legislaturperiode war ich auf eine andere Frequenz eingestellt. Aber wir nutzen die Zeit zu Fachgesprächen, etwa über die Arzneimittelversorgungsvorschläge der EU-Kommission. Diese hat uns gesagt, wir seien das erste nationale Parlament, dass sich damit in einem Fachausschuss befasst.
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