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Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, an Jörg Herolds "Lichtschleife mit Datumsgrenze" © DBT/photothek.net
Jörg Herold macht in seiner "Lichtschleife mit Datumsgrenze" eine Zeitreise durch die Geschichte. Zwischen immergrünen Sträuchern hat der 47-jährige Künstler in einem der Höfe des Paul-Löbe-Hauses im Berliner Parlamentsviertel Betonscheiben mit Daten aus der Weltgeschichte eingelassen. Ein am Dach befestigter Spiegel beleuchtet im Laufe eines Jahres jedes einzelne von ihnen. Das Auftauchen Kaspar Hausers in Nürnberg oder die Versenkung des Flüchtlingsschiffe "Wilhelm Gustloff" in der Ostsee durch russische Torpedos im Jahre 1945 – Herold hole Daten "aus dem Dunkel der Geschichte", sagt Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Bundestages. Er orientiere sich nicht an den offensichtlichen Eckdaten, sondern suche abseits ausgetretener Pfade.
"Herold zeigt, was man aus solchen Daten alles machen kann." Er verknüpfe Kunst mit Geschichte. Der Künstler sei jemand, "der sich immer wieder als Archäologe versteht".
Beispielsweise habe er ein Projekt über einen Besuch des berühmten Künstlers Joseph Beuys auf der Krim gestaltet. Dafür sei er nach Russland gereist und habe mit den Menschen gesprochen, die Beuys damals getroffen hätten.
Das Paul-Löbe-Haus ist bestimmt von geometrischen Grundformen. Die Halle ist ein Rechteck, flankiert von den runden Sitzungssälen der Ausschüsse. Herold greife den Kreis auf und beziehe das Gebäude durch den Spiegel am Dach in das Kunstwerk mit ein, sagt Kaernbach.
Die erste Datumsscheibe ist außerhalb des Hofes im Boden eingelassen, Besucher können es sogar berühren, wenn sie am Haus vorbeigehen. "Wenn am 1. Januar die Sonne scheint, würde sie beleuchtet", sagt Kaernbach. Die letzte Scheibe wird zur Wintersonnenwende beleuchtet, bevor es dann wieder von vorne beginnt. Ein ewiger Kreislauf.
Der Kreis symbolisiere auch die Sonne, die am Anfang jeder Zeitrechnung stehe. Wenn der Sonnenstrahl über die Installation laufe, berührten sich Zeit in ihrer kosmischen Urform und die konkrete Menschheitsgeschichte. Das Kunstwerk sei "eine Arbeit von größtem ästhetischen Reiz", sagt Kaernbach.
Eines der Daten im Hof ist der 17. März 1905. "Mileva Einstein – Brücke zur Entdeckung der Relativitätstheorie". "Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit an der Relativitätstheorie siegreich zu Ende geführt haben", schreibt sie an diesem Tag ihrem Mann, dem Physiker Albert Einstein.
Ihr Anteil an der Relativitätstheorie sei "ganz erheblich", erklärt Kaernbach. Nur erinnere sich heute niemand mehr an sie, sondern nur an ihren Mann. Das habe Herold ändern wollen. Zu den Platten habe der Künstler auch Gemälde geschaffen, sechs davon habe der Bundestag gekauft. Das Bild zu Mileva Einstein besteht aus einem großen orangegelben und roten Rahmen, in der Mitte ein kleines, expressionistisch gestaltetes Bild.
"Frau E. ist klug, gebildet und kreativ. Sie löst die mathematischen Probleme ihres Mannes, schreibt Gedichte und malt modern. Für sie ist Zeit ein relativer Begriff. Als ihr Mann eines Tages hochgelobt wird für eine Idee, die ihr nicht neu ist, schweigt sie. Sie weiß ja, dass beide eins sind", begründet Herold seine Auswahl im "Datenschlüssel" zu seinem Werk, der im Internet gelesen werden kann.
Ein paar Meter weiter zeigt die Scheibe den Aufdruck "04.06.1825". Es ist Ernst Bandel gewidmet, "einsamer Bauherr des Hermannsdenkmals", wie im "Datenschlüssel" zu lesen ist. Er habe Hermann den Etrusker tausendmal gezeichnet, heißt es zur Begründung, jede Linie des Körpers sei ihm nahe gewesen. Wenn das Denkmal vollendet sei, werde Bandel seinem Helden ganz nahe sein.
Auch an Lenins Rückkehr vom Schweizer Exil nach St. Petersburg wird mit der Platte "09.04.1917" erinnert. Das deutsche Kaiserreich hatte den Revolutionär mit einer Transitgenehmigung für einen versiegelten Waggon diskret unterstützt. "Ein diplomatischer Schachzug, von dem sich die Deutschen größtmögliches Chaos in Russland erhoffen und die Revolutionäre die Freiheit der Welt", schreibt der Künstler in seinem "Datenschlüssel". (ske/08.02.2013)