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Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie im Bundestag, der CSU-Abgeordnete Ernst Hinsken, fordert mehr Bemühungen um Fachkräfte aus dem Ausland. Einerseits fehlten deutschen Betrieben derzeit 140.000 Mitarbeiter im technischen Bereich, sagt Hinsken in einem am Montag, 21. Januar 2013, veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Auf der anderen Seite seien 240.000 ausländische Studenten in Deutschland, doch "von denen bleiben jährlich nur ungefähr 6.000 da". Das Interview im Wortlaut:
Herr Hinsken, die Bundesregierung erwartet in ihrem Jahreswirtschaftsbericht für 2013 ein Wachstum von 0,4 Prozent. Womit rechnen Sie?
Mir wäre es lieber, wenn eine Eins vorne steht. Das halte ich auch durchaus für möglich. Bei den Arbeitsplätzen werden wir leider einen leichten Rückgang haben. Aber ansonsten kann man mit der momentanen Lage durchaus zufrieden sein. Denn wir konnten in den letzten Jahren, im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa, eine erfreuliche Aufwärtsentwicklung verzeichnen.
Die im vergangenen Jahr wesentlich vom Export getragen war. Und für das laufende Jahr erwartet die deutsche Exportwirtschaft eine weitere Steigerung. So erfreulich das ist – macht sich Deutschland dadurch nicht immer abhängiger von der Weltkonjunktur?
Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland ist Exportland Nummer zwei in der Welt, direkt nach den Chinesen. Diesen Status zu behalten, ist nicht leicht. Und wenn dann neben den Exporten noch etwas getan wird für das Antreiben der Binnenkonjunktur, dann ist das mehr als vernünftig. Wir bekommen eine Steuerentlastung der Bürger um acht Milliarden Euro. Diese geballte Kaufkraft wird sich positiv auf die Binnenkonjunktur auswirken. Wir hätten noch viel mehr tun wollen, Stichwort energetische Gebäudesanierung, Abbau der kalten Progression, Jahressteuergesetz 2013 und achte GWB-Novelle. Doch bedauerlicherweise gab es hier ein langes Hickhack im Vermittlungsausschuss, und mittlerweile ist, salopp gesprochen, das Kind gestorben. Wir lassen da aber nicht locker. Das Thema muss auf neue Beine gestellt werden, denn es ist eines der billigsten, effizientesten und besten Konjunkturprogramme, das es gibt.
Sehen Sie die Gefahr, dass sich die Euro-Krise weiter zuspitzt und Deutschland mit nach unten zieht?
Diese Gefahr ist durchaus gegeben. Darum sind wir fast dazu verdammt, anderen Ländern zu helfen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen und die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Aber es muss uns klar sein: Diese Gelder, in welcher Weise die auch immer fließen, sind Steuergelder. Die werden von den Bürgern abverlangt und anderen Ländern gegeben. Es ist doch nicht unverschämt, wenn wir von diesen fordern, berechtigte Auflagen zu erfüllen, um wieder auf die Beine zu kommen. In der letzten Woche konnte ich bei der Klausurtagung in Kreuth mit dem Ministerpräsidenten von Irland, Enda Kenny, ein Gespräch über die Situation in seinem Land führen. Dabei wurde deutlich, wie ernst die Iren es mit ihrer Reformpolitik meinen. Bei ihnen wird, im Gegensatz zu uns, die Lebensaltersgrenze nicht auf 67 hochgesetzt, sondern auf 68 Jahre.
Was das größte Sorgenkind angeht, Griechenland, so sind beim letzten EU-Gipfel die akuten Gefahren erst mal umschifft worden. Aber viele sagen, da wurde nur Zeit gekauft, der nächste Schuldenschnitt kommt, aber dann nach der Bundestagswahl. Glauben Sie das?
Diese Befürchtungen kann ich nachvollziehen. Das Gegenteil ist der Fall, was uns optimistisch sein lässt. In den letzten Monaten sind acht Milliarden Euro wieder nach Griechenland zurückgeflossen. Wobei uns auch bewusst ist, dass ein Vielfaches dessen abgewandert ist. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Griechen so viel Nationalbewusstsein haben und künftig Vertrauen schöpfen, ihr Geld wieder dahin zurückbringen, wo sie es gehabt haben, nämlich zu griechischen Banken.
Um zu den Konjunkturaussichten zurückzukommen: Die Unternehmen beklagen steigende Energiekosten als Konjunkturhemmnis. Auf der anderen Seite, Sie haben es schon angesprochen im Zusammenhang mit der Gebäudesanierung, gibt es ja auch Chancen durch die Energiewende. Jammert da die Wirtschaft vielleicht zu Unrecht?
Wir müssen sehen: Der Energiepreis ist ein Kostenfaktor ohne Gleichen. Die USA sind dabei, die Energiekosten enorm zu senken. Auch rundum in Europa sind die Energiepreise viel niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben bei den Energiepreisen leider einen Spitzenplatz in Europa, ja sogar weltweit. Daher war es richtig, energieintensive Betriebe beim Netzentgelt zu entlasten. Man stelle sich vor: BASF braucht alleine so viel Strom wie ganz Dänemark. Ich könnte Ihnen mehrere Firmen nennen, die sich mit dem Gedanken tragen, woanders zu investieren, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden als bei uns.
Hat die Regierung in der Energiepolitik noch Pfeile im Köcher, die sie vor der Wahl abschießen kann?
Wie ernst es der Bundesregierung mit der Erneuerbaren Energie ist, zeigt die Tatsache, dass eine hochrangige Kommission gebildet wurde, der die Bundeskanzlerin und andere Entscheidungsträger angehören. Diese Kommission trifft sich künftig alle Vierteljahre, um die Energiewende zu einem Erfolg zu bringen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es mehrere Probleme. Es muss sichergestellt werden, dass der Strom auch dann zur Verfügung steht, wenn man ihn braucht. Bis wir Strom vernünftig speichern können, wird es meiner Meinung nach noch mindestens acht bis zehn Jahre dauern. Aber wir sind dabei, Gas zu geben. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf verweisen, dass im Bereich der erneuerbaren Energien über 380.000 Arbeitsplätze entstanden sind. Und das ist doch eine nicht zu vernachlässigende Tatsache.
Der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Anton Börner, meint, dass es neben Energie- und Lohnkosten auch der Fachkräftemangel ist, der Unternehmen darüber nachdenken lässt, Betriebe ins Ausland zu verlagern. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Ja, die sehe ich mit großer Sorge. Führende Vertreter der Wirtschaft sagen mir: Wir könnten momentan 140.000 tüchtige Ingenieure, Techniker und so weiter einstellen, wenn wir sie hätten. Auf der anderen Seite haben wir derzeit in Deutschland über 240.000 ausländische Studenten. Von denen bleiben jährlich nur ungefähr 6.000 da. Die anderen gehen nach Großbritannien, nach Schweden, nach Norwegen oder in die USA. Bei uns werden sie hervorragend ausgebildet, wir investieren in diese jungen, tüchtigen Leute, und andere Länder profitieren von deren Können. Und warum ist das so? Weil sie anderswo bessere Bedingungen und Bezahlung vorfinden. Da passt doch etwas nicht zusammen. Deshalb meine ich, wir müssen uns schnellstens Gedanken machen, wie wir diese Leute vermehrt zum Bleiben in Deutschland veranlassen können.
Herr Hinsken, wenn ich zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen darf: Sie sind jetzt die neunte Legislaturperiode im Bundestag. So lange gehören nur sehr Wenige dem Parlament an. Aber im Herbst soll für Sie Schluss sein. Überkommt Sie da Wehmut?
Ich würde nicht die Wahrheit sagen, wenn ich behaupte, dass ich keine Wehmut spüre. Wobei ich von niemandem gedrängt wurde, aufzuhören. Außerdem hätte ich aus den eigenen Reihen keinen Gegenkandidaten gehabt. Ja, ich wurde von einem CSU-Kreisverband meines Wahlkreises sogar aufgefordert, unter allen Umständen noch einmal zu kandidieren. Doch wenn man 33 Jahre dem Deutschen Bundestag angehört, den 70. Geburtstag in Kürze erwarten kann und sieht, dass dynamische, tüchtige junge Leute schon darauf warten, einmal die Nachfolge anzutreten, dann soll man nicht im Wege stehen, sondern der Jugend eine Chance geben. Genauso wie ich das selbst als 37-Jähriger eingefordert habe, als ich als Bundestagsabgeordneter 1980 in die große Politik eingestiegen bin.
(pst/21.01.2013)