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Seit März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Sie soll behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und in der "Bildung den Zugang an allgemeinbildenden Schulen und Universitäten zum Regelfall und nicht zur Ausnahme machen", sagte die Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ulla Burchardt (SPD), zu Beginn des öffentlichen Fachgesprächs zum Thema "Stand der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung im Bildungsbereich in Deutschland" am Mittwoch, 20. März 2013. Doch was Inklusion genau ist und wie sie umgesetzt werden soll, das ist auch unter Experten umstritten.
Prof. Dr. Hans Wocken, Emeritus der Universität Hamburg, bemängelte, dass die vertragliche Zusicherung laut Artikel 24, "ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen" zu gewährleisten, von Bundestag und Bundesrat zwar einstimmig ratifiziert worden sei, dass aber selbst in der UN-Behindertenrechtskonvention der Begriff "unbestimmt und offen" bleibe.
Wocken machte deutlich: "Um ein inklusives Bildungssystem zu etablieren, muss ein System- und Paradigmenwechsel eingeleitet werden." Zudem warf er der Politik vor, dass es in Wahrheit keinen politischen Willen zur Umsetzung gebe. Er hielt Bund und Ländern "eine substanzielle Missachtung der völkerrechtlichen Vereinbarung" vor.
Die beiden Praktiker unten den Sachverständigen, Jens Bachmann, ehemaliger Pädagogischer Leiter der Weißfrauenschule in Frankfurt am Main, und die Sonderschuldirektorin Manuela Gregor, die die Schule am Zille-Park in Berlin leitet, machten auf die schlechten Bedingungen aufmerksam. Es fehlten veränderte Rahmenlehrpläne und Unterstützungssysteme.
Manuela Gregor sagte, es komme durchaus vor, dass in einer Klasse mit 26 Kindern ein Kind mit ADHS, zwei mit einer geistigen Behinderung und eines mit Autismus säßen. Dazu kämen dann unzählige Schüler nichtdeutscher Herkunft. In einer Klasse seien Kinder aus 23 verschiedenen Nationen zusammen gekommen. "Da ist fast jeder Kollege schnell überfordert", sagte Gregor über den Alltag mancher Pädagogen.
Jens Bachmann, dessen Schule den Förderschwerpunkt Sprachheilförderung anbietet, verwahrte sich genauso wie seine Kollegin dagegen, dass Sonderschulen nicht dem erfolgreichen Lernen dienlich seien. Er ließ Zahlen sprechen: "90 Prozent aller Schüler bei uns machen den Hauptschulabschluss und 80 Prozent vermitteln wir in den ersten Arbeitsmarkt."
Prof. Dr. Ulrich Heimlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München ging vor allem auf die Situation der Studenten ein und bemängelte, dass an den Universitäten nur acht Prozent Behinderte studieren würden. Die Bauten seien häufig nicht barrierefrei, und die Prüfungsdichte sei oft nicht zu bewältigen. Wie auch andere Sachverständige mahnte er, dass mehr Fachkräfte ausgebildet werden müssten.
Auch Prof. Dr. Klaus Klemm, Emeritus der Universität Duisburg-Essen, nannte diesen Punkt. In Nordrhein-Westfalen würden derzeit lediglich 400 Sonderpädagogen ausgebildet werden. Allein um das Niveau zu halten, müssten aber 700 ausgebildet werden: "Wir laufen da in einen großen Engpass."
Zudem hob er hervor, dass der Anstieg der Kinder, die einer Lernförderung bedürfen, mittlerweile zu 25 Prozent in inklusiven Einrichtungen unterrichtet würden. Die Zahl derjenigen, die in Förderschulen lernen, also exklusiv ausgebildet werden, stagniere jedoch weiter. Sie betrage 4,8 Prozent. (rol/20.03.2013)