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Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig setzt sich für mehr Rationalität in der öffentlichen Diskussion über die Höhe der Abgeordnetenbezüge ein. Im Interview mit der Wochenzeitung Das Parlament erläutert der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts den Vorschlag einer Indexierung der Abgeordnetenbezüge. Das elfköpfige Gremium war am 24. November 2011 vom Ältestenrat des Bundestages aufgrund einer Selbstverpflichtung eingesetzt worden, um Empfehlungen für die künftige Anpassung der Abgeordnetenentschädigung und für die Regelung der Altersversorgung der Abgeordneten zu erarbeiten. Die Kommission hat am 18. März 2013 ihren Abschlussbericht (17/12500) Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert vorgelegt. Das Interview im Wortlaut:
Bisher beschließen die Mitglieder des Bundestages die Erhöhung ihrer Bezüge turnusgemäß nach einer Gesetzesvorlage des Bundestagspräsidenten. Die Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts, der Sie vorstehen, schlägt nun eine automatische Anpassung der Bezüge vor. Warum?
Bisher sind anstehende Anpassungen der Abgeordnetenbezüge stets von heftigem Echo in den Medien begleitet worden. Da war dann von den Politikern als "Raffkes" und von "Selbstbedienung" der Parlamentarier die Rede. Deshalb gibt es schon seit längerem den politischen Wunsch, Bezüge-Anpassungen irgendwie zu automatisieren. Die Kommission ist nun der Meinung, dass das Parlament Diäten-Erhöhungen zwar grundsätzlich selber beschließen muss. Jedoch könnte sich eine gewisse Mechanisierung ergeben, wenn der Bundestag zu Beginn einer jeden Legislaturperiode beschließt, dass die von den Bezügen der Richter-Besoldungsgruppe R6 ausgehenden Diäten sich regelmäßig nach einem bestimmten, neutralen Teuerungsfaktor erhöhen. Damit wäre das Thema für den Rest der Legislaturperiode erledigt, und mehr Rationalität beherrschte die öffentliche Debatte.
Kritiker könnten einwenden: Damit wird die "Selbstbedienung" automatisiert.
Das Parlament muss diese Dinge selbst beschließen. Dazu gibt es juristisch keine Alternative. Wir schlagen aber nun vor, die Anknüpfung der Entschädigungen an die Bezüge von obersten Bundesrichtern mit dem amtlichen Nominallohnindex zu koppeln. Damit würden die Abgeordneten-Diäten fortan so stark steigen wie der Durchschnittslohn der abhängig Beschäftigten. Ich will auch nicht verhehlen, dass es in der Kommission große Diskussionen darüber gab, dass Bundestagsabgeordnete eben nicht abhängig beschäftigt sind, sondern ein ganz spezifisches, eigenständiges Amt bekleiden. Ich glaube allerdings, der Index ist ein relativ unkritisierbarer Maßstab. Aber noch einmal: Dass der Bundestag mindestens am Anfang einer Legislaturperiode den entsprechenden Automatismus selber beschließen muss, daran führt kein Weg vorbei. Das ist nun mal so im Parlamentarismus.
Warum die Anlehnung an das Gehalt oberster Richter?
Das ist eine Bewertungsfrage. Wir haben uns bewusst nicht auf die gleich hohe Beamtenbesoldung B 6 kapriziert. Beamte sind etwas anderes als Abgeordnete. Beamte sind beispielsweise weisungsgebunden, Abgeordnete nicht. Außerdem ist Gesetzgebung etwas anderes als Administration. Entscheidend war für die Kommission aber das Merkmal der Unabhängigkeit. Da ist ein Abgeordneter am ehesten mit einem Richter zu vergleichen. So steht es übrigens schon seit vielen Jahren auch im Abgeordnetengesetz. Dieser Bezug ist aber verloren gegangen, offenbar aus Angst, immer wieder in der Kritik der Öffentlichkeit zu stehen.
In der Frage der Altersversorgung für Bundestagsabgeordnete ist sich Ihre elfköpfige Kommission nicht einig geworden. Warum?
Da sind wir in einem Patt geendet, fünf zu fünf plus eine Stimme, die ein drittes Modell vorgeschlagen hatte. Die eine Fünfergruppe war dafür, den alten, beamtengleichen Versorgungsansatz mit gewissen Veränderungen und Anpassungen beizubehalten. Beispielsweise sollte die Bezugsgrenze analog dem Öffentlichen Dienst heraufgesetzt werden. Die andere Fünfergruppe hat gesagt: Wir wollen uns mit einer Art Baustein-Modell der Versorgungslage des allgemeinen Arbeitnehmers annähern. Der eine Abgeordnete bringt beispielsweise eine Anwartschaft aus einem Versorgungswerk mit, bevor er in den Bundestag eintritt. Ein anderer hat in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Und der dritte hat irgendeine andere Grundversorgung. Dieser erste "Baustein" könnte mit einer Zusatzversorgung analog einer betrieblichen Altersversorgung kombiniert werden, die der Bundestag zu finanzieren hätte, wie im übrigen Berufsleben. Und als dritter Baustein käme dann womöglich noch Eigenvorsorge hinzu. - Ein Kommissionsmitglied endlich war für ausschließliche Eigenvorsorge …
… also so, wie es einige Bundesländer für ihre Landtags-Abgeordneten eingeführt haben?
Ja, genau, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen. Dort hat das neue System die Bezüge der Abgeordneten schlagartig hochschnellen lassen. Das hat zu einem Aufschrei in der Bevölkerung geführt. Auch für den Bundestag wäre das reine Eigenvorsorge-Modell mit einem unvertretbaren finanziellen Aufwand verbunden. Trotzdem muss ich zugeben: Von der reinen Systematik her wäre das durchaus eine schlüssige Variante. An der praktischen Umsetzung allerdings würde es haken.
Auch die Kostenpauschale soll nach Ihren Vorschlägen ein Teil der Amtsausstattung für Abgeordnete bleiben. Was wäre denn, wenn man darauf verzichten würde?
Die Mehrheit der Kommission war der Meinung, dass die Kostenpauschale dem höchsten Gut des Abgeordnetenmandats, der Unabhängigkeit, dient. Wenn beispielsweise ein Abgeordneter dem Finanzamt nachweisen müsste, dass die Runde Bier beim Schützenfest im Wahlkreis einen Mandatsbezug hat, der Finanzbeamte aber finden würde, dass das nicht so ist, läge die Ausübung des Mandates in den Händen Dritter. Das, so die Quintessenz der Kommissionsmehrheit, darf nicht sein.
Bei den sogenannten Funktionsvergütungen empfehlen Sie, beispielsweise Vorsitzende von Bundestagsausschüssen zusätzlich zu honorieren und es auch den Fraktionen zu ermöglichen, herausgehobene Ämter mit einer Zulage zu versehen. Was versprechen Sie sich davon?
Zunächst haben wir da viel Argumentationsaufwand betrieben, um mit der auch in meinen Augen falschen Auffassung aufzuräumen, das Bundesverfassungsgericht habe solche Funktionszulagen verboten. Das stimmt so nicht, weil es sich jeweils um Entscheidungen über Vorgänge in Landesparlamenten handelt, die nur aus ganz bestimmten Besonderheiten so ergangen sind. In jeder Organisation muss das Leistungsprinzip gelten. Also: gleiche Arbeit, gleicher Lohn. Aber: andere Arbeit, anderer Lohn. Und: intensivere Mehrarbeit, höherer Lohn. Im Abgeordnetengesetz steht, dass der Präsident und die Vizepräsidenten des Bundestages mit einer Zulage bedacht werden. Das wollen wir ergänzen um die Ausschussvorsitzenden. Und was die Zulagen bei den Fraktionen betrifft: Das ist eine Frage der Fraktionsautonomie, da kann der Gesetzgeber nur begrenzt eingreifen. Voraussetzung ist allerdings, dass in der Fraktionssatzung festgelegt ist, wer mit welchen Zulagen bedacht wird, und dass der jährliche Rechenschaftsbericht das dann auch ausweist.
Wie korrespondieren denn all diese Absichten mit der Möglichkeit für Abgeordnete, zusätzlich zu ihrem Einkommen als Parlamentarier nicht ganz unerhebliche Nebeneinkünfte erzielen zu dürfen?
Das war gottlob nicht unser Thema. Gleichwohl haben wir dazu immer wieder, sozusagen in klaren Nebensätzen, formuliert, dass ein freier Abgeordneter grundsätzlich parallel zu seiner Tätigkeit als Parlamentarier in seinem alten Beruf oder woanders noch auftreten darf. Dieses Engagement muss er nur vor seinen Wählern und vor sich selbst rechtfertigen. Wenn es da Auswüchse gibt, muss das mit den Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete angegangen werden. Ohnehin müssen danach ja alle Nebentätigkeiten deklariert werden. Und wer im Parlament wegen anderer Inanspruchnahme unentschuldigt fehlt, muss mit Strafzahlungen rechnen.
Der Kommissionsbericht betont die Notwendigkeit angemessener Bezahlung auch aus Gründen der Korruptionsprävention. Welche Rolle hat dieser Aspekt in der Diskussion gespielt?
Der hat durchaus eine Rolle gespielt. Denn gewiss ist es so, dass angemessen bezahlte Abgeordnete weniger anfällig sind, sich gegen Entgelt vor irgendwelche Karren spannen zu lassen. Deshalb müssen wir unsere Parlamentarier anständig bezahlen.
Die Kommission hat auch darüber befunden, ob eine Neuordnung der Abgeordneten-Entschädigung sinnvollerweise über einen Volksentscheid geregelt werden sollte. Warum ist dieser Ansatz verworfen worden?
Nein, wir haben nur darauf hingewiesen, dass selbst bei Einführung oder Ausweitung plebiszitär-demokratischer Instrumente die herausgehobene Bedeutung des Parlaments - und damit des Abgeordnetenmandats - bestehen bleibt, ja, sogar zunähme. Denn die Einpassung in das System und die Herbeiführung von Kompromissen kann nur der parlamentarische Gesetzgeber leisten. Im Übrigen würden Volksentscheide über Abgeordnetenbezüge schon an dem Rechtsgrundsatz scheitern, dass aus naheliegenden Gründen haushaltswirksame Beschlüsse bei Plebisziten ausgeschlossen sind.
Die Kommission hat sich aus Vertretern ganz unterschiedlicher Berufsgruppen zusammengesetzt: ehemalige Abgeordnete, aber auch Gewerkschafter, Juristen, Politologen, Vertreter der Wirtschaft. War diese ungewöhnliche Zusammensetzung ein Vor- oder ein Nachteil bei der Suche nach einem Konsens?
Diese Frage stellte sich insofern nicht, als die Besetzung ja vorgegeben war. Darauf haben sich die Fraktionen im Bundestag, und zwar alle, geeinigt. Es zeigte sich freilich auch, dass es bei der Kommissionsarbeit ohnehin unbedeutend blieb, wer von wem vorgeschlagen war. Bei den politischen Bewertungen war das jedenfalls nie zu erkennen. Ich fand die konkrete Besetzung auf jeden Fall ausgesprochen hilfreich. Der Sachbezogenheit und Fachkompetenz unserer Diskussionen hat sie zweifellos sehr gedient.
Ist Ihre Arbeit jetzt damit erledigt oder rechnen Sie damit, dass da möglicherweise noch ein Folgeauftrag an Sie herangetragen wird?
Nein, damit rechne ich eigentlich nicht. Ich fand es auch ganz amüsant, dass der Herr Bundestagspräsident nicht nur mit Anerkennung, sondern auch mit etwas Bewunderung registriert hat, dass wir mit unserem Auftrag genau in der vorgegebenen Zeit fertig geworden sind.
Das mag daran liegen, dass das nicht immer gelingt.
Vielleicht. Die Kommission hofft jedenfalls, dem Parlament und auch der Öffentlichkeit eine gute Grundlage zur weiteren fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema geliefert zu haben.
(jbi/ahe/05.04.2013)