Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Die Zustimmung war groß, als der Bundestag am 23. April 1998 in namentlicher Abstimmung über die Einführung des Euro als neue europäische Gemeinschaftswährung entschied: Nur 35 Abgeordnete votierten mit Nein, und zwar 27 Angehörige der PDS-Gruppe, drei Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, vier der SPD-Fraktion sowie ein Mitglied der FDP. Außerdem gab es fünf Enthaltungen.
Dieses Ergebnis überrascht in seiner Klarheit angesichts der jahrelangen, kontroversen Diskussion, die in der Öffentlichkeit und in der Politik über den Euro geführt wurden. In keinem anderen Land war die Einführung der neuen Währung so umstritten wie in der Bundesrepublik.
Zahlreiche Ökonomen hatten davor gewarnt, weite Teile der Bevölkerung lehnten den Euro ab und wollten lieber die D-Mark behalten, die als "Stabilitätsgarant" gegen höhere Inflationsraten gesehen wurde. Viele kritisierten den Euro als "Weichwährung" und fürchteten, die Beitrittskriterien für die Mitgliedstaaten der Währungsunion seien nicht streng genug.
Am Tag der Abstimmung prallten auch im Bundestag die Meinungen von Koalition und Opposition über die Ausgestaltung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion noch einmal sehr heftig aufeinander. Als sich als erster Redner in der Debatte der damalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel (CSU) vom Rednerpult an die Abgeordneten wandte, war das der Auftakt zu einem rund siebenstündigen Wortgefecht.
Waigel, der heute in den Medien noch oft als "Vater des Euro" bezeichnet wird, verteidigte die Entscheidung über die Einführung der Gemeinschaftswährung als "zweifellos die wichtigste in dieser Legislaturperiode". Diese sei eine "Notwendigkeit im Zeichen der Globalisierung und zunehmender Standortkonkurrenz", so der Politiker.
Den Kritikern der Konvergenzkriterien, zum Beispiel die der Preisniveaustabilität und einer auf Dauer tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand, hielt er entgegen: "Der Eintritt in die Währungsunion mit den vorgeschlagenen elf Mitgliedstaaten ist stabilitätspolitisch vertretbar. Mehr noch: Es ist der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt."
Der ehemalige Bundesaußenminister Dr. Hans-Dietrich Genscher (FDP) hob einen anderen Aspekt hervor: Es handele sich hierbei "nicht nur um eine währungspolitische Entscheidung", sondern um eine, die in die "historische Dimension der europäischen Einigung" gehöre. Deshalb dürfe sich der Bundestag, so der Liberale, bei der Entscheidung kein ausweichendes "Nicht jetzt" und "Nicht so" erlauben. Jetzt gelte es, klar Ja oder Nein zu sagen, betonte Genscher.
Ein deutliches "Nein" kam von Dr. Gregor Gysi: Die Voraussetzungen für eine Wirtschafts- und Währungsunion seien "falsch", erklärte der damalige Vorsitzende der PDS-Gruppe im Bundestag. Die Integration Europas lasse sich nicht über gemeinsame Banken schaffen, die EU würde so ein "Europa für Rüstungs- und Exportkonzerne", aber keines für kleine und mittelständische Unternehmen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften.
Um eine wirkliche Integration zu schaffen, müssten auch die Steuern harmonisiert, Löhne und Preise sowie auch soziale, ökologische und juristische Standards angeglichen werden, argumentierte Gysi.
Zu Tumult kam es im Plenum, als Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) an das Rednerpult trat: Die PDS-Abgeordneten stellten Schilder mit der Aufschrift "Euro – nein danke!" vor sich auf die Tische, die von Saaldienern entfernt werden mussten.
Kohl zeigte sich von diesem Protest unbeeindruckt: Die Euroeinführung sei ein "Jahrhundertereignis", hob der Regierungschef hervor. Die Ängste der Menschen vor einer neuen Währung verstehe er, doch sei der Euro "kein Husarenstück". Kaum eine Entscheidung sei so intensiv diskutiert worden wie die über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, so der CDU-Politiker. Es habe einen fast siebenjährigen Vorbereitungsprozess gegeben. Dem Volk werde nichts übergestülpt, was es nicht wolle, unterstrich Kohl.
Daran jedoch zweifelte Dr. Gerhard Schröder (SPD): Der Euro habe ein "Legitimationsproblem", sagte der damalige niedersächsischen Ministerpräsident und amtierende Bundesratspräsident. Die Gründe, die für die Einführung des Euro sprächen, würden von der schwarz-gelben Regierungskoalition schlecht vermittelt.
Um dem Euro zum Erfolg zu verhelfen, reiche es allein nicht aus, die Geldpolitik in Europa zu koordinieren. Damit die EU "mehr Einfluss auf die Spielregeln der Weltwirtschaft" nehmen könne, müssten die Chancen der gemeinschaftlichen Währung konsequent genutzt werden. Vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehöre "in den Mittelpunkt europäischer Politik", verlangte Schröder.
Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete es als einen "Ausdruck von Reife", wenn die Mehrheit der Deutschen reserviert bliebe "gegenüber einer ökonomischen Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene, ohne dass zuvor eine Demokratisierung stattgefunden" habe.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen erinnerte jedoch auch daran, dass die Einbindung Deutschlands in die "Interessen der Europäischen Union in Zukunft die Vorrausetzung des Erfolges jeder demokratischer Politik in Deutschland" sei. Der Euro sei vor diesem Hintergrund vor allem ein "politisches Projekt".
Mit der Zustimmung Deutschlands und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union löste der Euro bald die nationalen Währungen als Zahlungsmittel ab. Am 1. Januar 1999 wurde er als Buchungswährung und drei Jahre später, am 1. Januar 2002, als Bargeld nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Spanien, Portugal, Griechenland, Irland und Finnland eingeführt.
Heute ist der Euro in 23 Staaten offizielle Währung, von denen 17 der Europäischen Union angehören. Zuletzt führte am 1. Januar 2011 Estland den Euro als Währung ein. (sas/24.04.2013)