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Anlässlich der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zu den Ergebnissen des G8-Gipfels und dem anstehenden Treffen des Europäischen Rates ist es am Donnerstag, 27. Juni 2013, zum erwarteten Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition gekommen. Einigkeit herrschte dabei einzig in der Ablehnung von Waffenlieferungen nach Syrien. Heftig umstritten waren die Konzepte zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa.
Die Opposition warf der Bundesregierung vor, mit der von ihr geforderten Sparpolitik für die Probleme in vielen europäischen Ländern verantwortlich zu sein. Aus Sicht der Koalition ist es jedoch richtig, an der Forderung nach Strukturreformen festzuhalten. Nur so könnten die EU-Länder nachhaltig wettbewerbsfähig werden.
"Haushaltskonsolidierung und Wachstum sind kein Widerspruch sondern bedingen einander", sagte auch Bundeskanzlerin Merkel während ihrer Regierungserklärung. Weil das so sei, habe man im vergangenen Jahr den Pakt für Wachstum und Beschäftigung geschlossen, der auf den Europäischen Rat überprüft werden soll. Erste "wichtige Ergebnisse", sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene seien schon zu verzeichnen, sagte Merkel.
Die Kanzlerin rief im Vorfeld des EU-Gipfels dazu auf, die Auseinandersetzungen über die mittelfristige Finanzplanung der EU beizulegen. "Im Dialog mit dem Parlament müssen endlich die letzten Hürden überwunden werden", sagte sie. Große Sorgen, so Merkel weiter, bereite ihr die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen Ländern. "Wir müssen den jungen Leuten ein Zukunftschance geben", forderte sie.
Was die Situation in der Türkei angeht, so machte Merkel deutlich, dass das Land ein wichtiger Partner bleibe. Es könne jedoch nicht so getan werden, als sei nichts geschehen. "Unsere europäischen Werte der Demonstrationsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Religionsfreiheit gelten immer und sind auch nicht verhandelbar", machte sie deutlich.
Merkels Regierungserklärung stehe in einem erkennbar großen Widerspruch zu den Fakten und Problemen in Europa, kritisierte Peer Steinbrück (SPD). Sowohl die allgemeine Arbeitslosigkeit als auch die Jugendarbeitslosigkeit und die Verschuldung der Staaten in Europa seien in den vergangenen vier Jahren erheblich angestiegen. Dieser "Teufelskreis" sei ungebrochen, sagte Steinbrück. Die Kanzlerin habe darüber aber, ebenso wie über die Rekordzahlungsbilanz Deutschlands, die ein zentrales Problem in Europa sei, nicht gesprochen.
Der SPD-Kanzlerkandidat gab Angela Merkel eine Mitschuld an der von ihr selbst angesprochenen hohen , die Sie maßgeblich in Europa betrieben haben", sagte er.
Steinbrück zog überdies ein negatives Fazit der vierjährigen Regierungszeit von Union und FDP. Es gebe kein einziges Reformprogramm, welches historisch Bestand haben werde, sagte er. Merkel habe keine Idee und Strategie. "Von dieser Bundesregierung haben wir nichts mehr zu erwarten. Es ist Zeit für einen Wechsel", sagte Steinbrück.
Sowohl beim G8-Treffen als auch beim EU-Gipfel stehe das Thema Wachstum und Beschäftigung ganz oben auf der Tagesordnung, sagte Rainer Stinner (FDP). Beim Treffen der G8 sei bestätigt worden, was die Bundesregierung immer vertreten habe: "Strukturreformen und strikte Haushaltspolitik bilden die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung." Wenn Steinbrück das anders sehe, stelle er sich "gegen den Rest der Welt".
Zwischen Strukturreformen und Wachstumsimpulsen gebe es keinen Widerspruch, sagte Stinner und schloss sich damit der Sicht der Kanzlerin an. Der FDP-Europapolitiker sprach im Anschluss von "vier schweren Jahren in Europa". Es seien schwierige Entscheidungen zu treffen gewesen. "Wir können alle froh sein, dass das Flaggschiff Deutschland durch diese Regierung gesteuert worden ist", befand Stinner.
Auf das Problem der Steuerflucht ging der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi, ein. Insgesamt 24 Billionen Euro gingen so weltweit verloren, zumeist durch Steueroasen. Eine solche sei auch Deutschland, sagte Gysi. Zumindest gelte das für Unternehmen, deren Besteuerung deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten liege. Während die Unternehmenssteuersätze von 2000 bis 2011 um 29,8 Prozent gesenkt worden seien, hätten die Verbrauchssteuern zugenommen. "Damit sorgen Sie dafür, dass die Mitte der Gesellschaft alles finanzieren muss", kritisierte er.
Was die Jugendarbeitslosigkeit in Europa angeht, wies Gysi SPD und Grünen eine Mitschuld zu. Steinbrück habe zwar Kritik am Handeln der Kanzlerin geübt. "Sie haben aber all den Rettungspaketen, die mit dieser falschen Politik verbunden waren, zugestimmt", sagte der Linkenfraktionschef, der einen "Marshall-Plan" für die Krisenländer forderte.
Die Jugendarbeitslosigkeit sei keineswegs die Folge der Rettungspakete, entgegnete Volker Kauder (CDU/CSU), Vorsitzender der Unionsfraktion. "Es hat in Frankreich, Spanien und Griechenland schon immer Jugendarbeitslosigkeit in beachtlichem Maße gegeben", sagte Kauder. Die Position der Opposition sei da aber immer gewesen, man solle sich in die inneren Angelegenheiten dieser Länder nicht einmischen.
Der Unionsfraktionschef zeigte sich überrascht, dass alles was die SPD für Deutschland richtigerweise mitbeschlossen hätte nun für Europa nicht gelten solle. "Wenn alle anderen das gemacht hätten, was die SPD zu ihren guten Zeiten auf den Weg gebracht hat, dann sähe es in Europa anders aus", urteilte Kauder. Höhere Steuern, wie es Steinbrück jetzt fordere, seien aber der falsche Ansatz. "Das zeigt doch der erfolgreiche Weg in Deutschland in den vergangenen vier Jahren", sagte er.
Das Muster der Regierungserklärungen von Kanzlerin Merkel sei immer gleich, sagte der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Es würden verschiedenste Themen angesprochen. "Was Sie aber als Regierung tun wollen, sagen Sie nicht", kritisierte er.
Als Beispiel verwies er darauf, dass sich Merkel vor dem Europäischen Rat dafür einsetzen wolle, die "länderspezifischen Empfehlungen" anzunehmen. "Da hätten wir erwartet, dass Sie etwas zu den länderspezifischen Empfehlungen an Deutschland sagen." Etwa zu der Empfehlung, Minijobs in ordentliche Arbeitsverhältnisse zu überführen, das Ehegatten-Splitting abzuschmelzen oder die zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung für Geringverdiener zu beenden.
"Zu all dem haben Sie geschwiegen", kritisierte Trittin. Gleiches gelte für die Frage der Steuerflucht. Zwar werde das Problem benannt. "Mit ihrem tatsächlichen Handeln sorgen Sie aber dafür, dass dieses Problem weiter existiert." (hau/27.06.2013)