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Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Obwohl er nicht in sein Amt gewählt wird, sondern in seiner Eigenschaft als ältester Abgeordneter zu dieser Ehre kommt, ist es anerkannte Tradition, dass der Alterspräsident die erste Rede vor dem Plenum hält. Bisher haben alle Alterspräsidenten der Bundesrepublik von dieser Tradition Gebrauch gemacht und dabei eigene Akzente gesetzt.
17. Oktober 2002: Es ist das erste Mal, dass ein Bundesinnenminister die konstituierende Sitzung des Parlaments eröffnet. Der 70-jährige Otto Schily (SPD) ist nicht nur der dienstälteste Innenminister innerhalb der Europäischen Union sondern auch der älteste Abgeordnete. Traditionsgemäß eröffnet er damit als Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Bundestages.
In seiner Rede zur konstituierenden Sitzung des 15. Deutschen Bundestages erinnert er daran, dass es in der bisherigen Geschichte des Bundestages eher eine Seltenheit sei, bereits mit 70 Jahren ältester Abgeordneter zu sein. "Nur Willy Brandt war 1983 acht Monate jünger als ich es heute bin, als er das Amt des Alterspräsidenten übernahm", sagt Schily. Dieses Amt sei Brandt dann auch in den beiden folgenden Legislaturperioden erhalten geblieben. Schmunzelnd fügt Schily hinzu: "Den Hinweis darauf sollten Sie aber bitte nicht missverstehen, was meine Lebensperspektive angeht."
Allerdings solle der Bundestag in Betracht ziehen, dass auch die Generation der über 70-Jährigen ein Anrecht auf aktive Mitgestaltung der Politik geltend machen dürfe, nicht zuletzt im Hinblick auf die deutlich veränderte Altersstruktur der Gesellschaft. 1950 waren nach Schilys Angaben gerade einmal 5,6 Prozent der Bevölkerung in der damaligen Bundesrepublik 70 Jahre und älter. In der heutigen gesamtdeutschen Republik habe sich dieser Anteil auf 11,6 Prozent inzwischen mehr als verdoppelt.
Schily: "So begrüßenswert und notwendig es ist, dass die jüngere Generation für die Mitwirkung an der Politik innerhalb und außerhalb des Parlaments gewonnen wird, so wichtig und unterstützenswert ist es zugleich, die ältere Generation nicht aus dem aktiven politischen Leben fernzuhalten."
Der 1932 geborene Jurist gehört dem Bundestag seit 1983 an, damals als Mitglied der Grünen. Bekannt ist der Rechtsanwalt Schily aber schon in den siebziger Jahren, als er in Aufsehen erregenden Prozessen Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) verteidigt. 1983 bis 1986 ist er Mitglied im Flick-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der den ersten großen Parteiskandal der Republik aufklären sollte.
Nach parteiinternen Auseinandersetzungen verlässt das Gründungsmitglied 1989 die Grünen, tritt in die SPD ein und ist ab 1990 für die SPD Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er ist Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Als Vorsitzender im Treuhand-Untersuchungsausschuss von 1993 bis 1994 kritisiert er die Abwicklungspraxis ostdeutscher Betriebe. 1994 wird er einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und engagiert sich für den Bereich innere Sicherheit.
1998 – nach dem rot-grünen Wahlsieg – beruft ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder als Innenminister in sein Kabinett. Seine Reform des Staatsbürgerrechts im Jahr 1999 ermöglicht unter anderem, in Deutschland geborenen Ausländerkindern die doppelte Staatsbürgerschaft bis zum 23. Lebensjahr. Gegen die zunehmende rechtsextreme Gewalt fordert er ein Bündnis für "Demokratie und Toleranz".
Von ihm geht 2001 auch die Initiative für einen NPD-Verbotsantrag aus. Ebenso fällt in seine erste Amtszeit als Innenminister der Terror-Anschlag gegen die USA vom 11. September 2001, auf den er mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz reagiert, das der Bundestag am 14. Dezember 2001 verabschiedet. Am 9. Januar 2002 tritt es in Kraft.
Sicherheitspolitik beschäftigt ihn auch in seiner Eröffnungsansprache. Er verweist auf die Gefahren des internationalen Terrorismus und die Notwendigkeit einer offensiven geistig-kulturellen Auseinandersetzung. Er gedenkt der Opfer des nur wenige Tage zurückliegenden Sprengstoffanschlags auf der Insel Bali, dem Hunderte von Menschen zum Opfer fielen.
Wie viele seiner Amtsvorgänger nutzt auch er die Gelegenheit zu grundsätzlichen Ausführungen zum parlamentarischen Miteinander und mahnt die 603 Abgeordneten im verkleinerten Parlament zur Fairness in der politischen Auseinandersetzung. Der Vorteil müsse im Argument und nicht in der persönlichen Herabsetzung gesucht werden. Seine Rede schließt er mit dem Hinweis auf Goethes Maxime, dass die Weisheit in der Wahrheit und nirgendwo sonst zu finden ist.
Im Anschluss wählen die Abgeordneten Wolfgang Thierse (SPD) erneut zum Bundestagspräsidenten.
In der sich anschließenden Debatte über die zukünftige Geschäftsordnung des Parlaments beantragen die beiden direkt gewählten PDS-Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau für sich einen Gruppenstatus im Bundestag. Nach bisheriger parlamentarischer Praxis ist dies aber nur bei Gruppen ab fünf Abgeordneten möglich.
Der entsprechende, von Gesine Lötzsch vorgetragene Antrag, wird an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen. (klz/09.10.2013)