Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Bundestag und Bundesrat tagen auch in Friedenszeiten gelegentlich gemeinsam - wie hier bei der Vereidigung von Bundespräsident Joachim Gauck. © pa/dpa
68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 24 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist ein Krieg zwischen europäischen Staaten unwahrscheinlicher denn je. Gleichwohl spielt der "Verteidigungsfall" im Grundgesetz und auch in aktuellen Bundestagsbeschlüssen eine Rolle. So hat das Parlament in seiner konstituierenden Sitzung am 22. Oktober 2013 die "Geschäftsordnung für Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes" beschlossen.
Diese Geschäftsordnung stammt aus dem Jahre 1969 und bezieht sich auf den Grundgesetzartikel, der das Gesetzgebungsverfahren bei "dringlichen" Gesetzesvorlagen beschreibt. Nun sind Gesetzesvorhaben in vielen Fällen dringlich, doch in diesem Fall ist die Dringlichkeit aufgrund des Verteidigungsfalls gemeint.
Bei einem militärischen Angriff auf die Bundesrepublik bietet das Grundgesetz ein im Vergleich zu Friedenszeiten vereinfachtes Verfahren für die Gesetzgebung an. Ob das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht, muss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich feststellen.
Geschieht dies auf Antrag der Bundesregierung mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen oder mindestens der Mehrheit des Bundestages, muss der Verteidigungsfall vom Bundespräsidenten verkündet werden (Artikel 115a Absätze 1 und 3 des Grundgesetzes).
Gesetzesvorlagen, die die Bundesregierung dann als "dringlich" einstuft, müssen Bundestag und Bundesrat gleichzeitig zugleitet werden, und beide Kammern müssen diese Vorlagen "unverzüglich" gemeinsam beraten. Ist für das Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, benötigt das Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit.
Im Normalfall werden Gesetzentwürfe der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zugeleitet (Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes). Sind sich Bundestag und Bundesrat nicht einig, besteht die Möglichkeit eines Vermittlungsverfahrens. Das ist bei "dringlichen" Vorlagen im Verteidigungsfall nicht vorgesehen.
Weiter heißt es im Absatz 2 des Artikels 115d, der im Jahr 1968, also zur Zeit der ersten Großen Koalition, ins Grundgesetz aufgenommen wurde: "Das Nähere regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf."
Was als "dringlich" gilt, bestimmt die Bundesregierung. Leitet diese Bundestag und Bundesrat gleichzeitig eine dringliche Gesetzesvorlage zu, so müssen die Präsidenten beide Häuser "unverzüglich" zur gemeinsamen Sitzung einberufen und die von beiden Präsidenten gemeinsam aufgestellte Tagesordnung bekanntgeben.
Die Frist zwischen dem Versenden der Einladung und der gemeinsamen Beratung soll nur drei Tage betragen. Die Regierung kann aber verlangen, dass diese Frist verkürzt wird. Geleitet werden die gemeinsamen Beratungen vom Bundestagspräsidenten. Bei einer Abstimmung innerhalb des Bundesrates in der gemeinsamen Sitzung übernimmt der Bundesratspräsident den Vorsitz.
Die Geschäftsordnung legt weiter fest, dass nur eine Beratung (statt üblicherweise drei Beratungen) stattfindet, die aber für Ausschussberatungen unterbrochen werden kann, wenn Bundestag oder Bundesrat dies beschließen.
Findet eine Ausschussberatung statt, dann sind nur ein Ausschuss des Bundestages und ein Ausschuss des Bundesrates daran beteiligt, die unter Leitung des Vorsitzenden des Bundestagsausschusses gemeinsam tagen. In der gemeinsamen Ausschusssitzung stimmen Abgeordnete und Bundesratsvertreter getrennt ab, wobei die Vertreter des Bundesrates nicht unbedingt Mitglieder des Bundesrates sein müssen.
Stimmt der Bundesratsausschuss anders ab als der Bundestagsausschuss, gilt das Ländervotum als Änderungsantrag, über den abgestimmt wird, nachdem die gemeinsame Plenarsitzung im Anschluss an die Ausschussberatung wieder aufgenommen wurde.
Stellen mindestens 30 anwesende Abgeordnete einen Antrag auf Vertagung oder Schluss der Beratung, so darf darüber nur abgestimmt werden, wenn der Bundesrat nicht mit der Mehrheit seiner Stimmen widerspricht. Die Schlussabstimmung läuft so ab, dass zunächst der Bundestag, danach der Bundesrat sein Votum abgibt.
Für die Zustimmung des Bundesrates reicht die einfache Stimmenmehrheit in der Länderkammer, es sei denn, das Grundgesetz macht eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Lehnt der Bundesrat ein Gesetz ab, für das seine Zustimmung gar nicht erforderlich ist, wird die Beratung wieder eröffnet und der Bundestag kann das Gesetz mit Stimmenmehrheit bestätigen. In allen übrigen Verfahrensfragen gilt die "normale" Geschäftsordnung des Bundestages weiter, bei Abstimmungen des Bundesrates und der Bundesratsvertreter in den Ausschüssen die Geschäftsordnung des Bundesrates. (vom/08.11.2013)