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Mit 20 Jahren trifft Gerold Reichenbach zwei Entscheidungen, die sein Leben prägen werden: Er wird ehrenamtlicher Helfer beim Technischen Hilfswerk (THW) und Mitglied der SPD. Heute, 38 Jahre später, sitzt er zum dritten Mal in Folge für die SPD im Bundestag. Als Mitglied des Innenausschusses und des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement hat er vor allem zwei Dinge im Blick: die öffentliche Sicherheit und die Belange der Menschen, die ehrenamtlich tätig sind.
Erdbeben in Costa Rica, Hochwasser in Mosambik, Bürgerkrieg im Kosovo: Kaum ein Katastrophen- oder Krisengebiet, in dem Gerold Reichenbach nicht im Einsatz gewesen wäre. Als Mitglied der SEEBA, einer Spezialeinheit des Technischen Hilfswerks (THW) für Bergungsarbeiten im Ausland, hat er viele Weltgegenden kennengelernt, in denen es weit weniger komfortabel zugeht als bei uns.
Viel Aufhebens macht der schnauzbärtige Sozialdemokrat nicht um seinen gefährlichen unentgeltlichen Nebenjob, den er seit einigen Jahren zunehmend Jüngeren überlässt. Spricht von der Routine im Einsatz, dem emotionalen Schutzschild, den man sich mit der Zeit zulege. Und rückt dann doch damit heraus, was ihn bis heute umtreibt: Nicht die Bergung von Toten, sondern das Elend der (Über-)Lebenden.
Zerlumpte, barfüßige Kinder im zerschossenen Mostar 1994 etwa oder Rentner in Moskau, die sich in der Umbruchszeit Anfang der neunziger Jahre mit dem Verkauf von eingemachtem Kompott über Wasser zu halten versuchten. "Solche Erlebnisse gehen einem schon an die Nieren, da ist man hilflos", erklärt der 58-Jährige nachdenklich.
Klar, dass das intensive ehrenamtliche Engagement fürs THW auch Reichenbachs politische Vita geprägt hat.
Für seine Fraktion sitzt er als Berichterstatter unter anderem zum Thema Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Innenausschuss, hat ein Grünbuch mit dem Titel "Risiken und Herausforderungen für die öffentliche Sicherheit in Deutschland" initiiert und vor vier Jahren das "Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit" mitbegründet – ein Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, dessen Ziel es ist, das Verständnis von öffentlicher Sicherheit und die wissenschaftliche Erforschung dieses Themas zu verbessern.
Und nicht zufällig gehört Reichenbach im Bundestag dem Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement an, ein Gremium, das die Politik für die Interessen der Menschen, die in ihrer Freizeit ein Ehrenamt ausüben, sensibilisieren soll. Seit Januar 2011 ist er zudem stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft".
Zu Hause im hessischen Groß-Gerau – eine vom Autobauer Opel und seinem Werk in Rüsselsheim geprägte Region, die lange als eine Art sozialdemokratischer Erbhof galt – kommt die politische Arbeit des Gymnasiallehrers für Deutsch und Sozialkunde gut an. 2002 und 2005 hat er es jeweils locker geschafft, ein Direktmandat für den Bundestag zu erringen.
Nur bei den Bundestagswahlen 2009 musste sich Reichenbach – mitgezogen vom bundesweiten Abwärtstrend der SPD – knapp dem damaligen Verteidigungsminister und hessischen CDU-Spitzenkandidaten Dr. Franz Josef Jung geschlagen geben. Er zog dann über die Landesliste ins Parlament ein.
"Lokalmatador gegen Spitzenkandidat", hatte die "Frankfurter Rundschau" damals im Vorfeld der Wahlen mit Blick auf das Duell zwischen Reichenbach und Jung getitelt. Denn anders als sein aus dem Rheingau stammender Konkurrent ist Reichenbach in Groß-Gerau tief verwurzelt, hier ist der Sohn eines Opel-Arbeiters geboren und aufgewachsen, hierher ist er nach dem Studium in Frankfurt am Main und seiner ersten Lehrerstelle in Darmstadt zurückgekehrt.
Auch in der Kommunal- und Landespolitik ist der heimatverbundene Hesse, der 1976 in die SPD eintrat, seit Jahrzehnten bestens vernetzt: Von 1988 bis 2010 war Reichenbach Mitglied im Kreistag des Landkreises Groß-Gerau und von 1995 bis 2002 gehörte er dem Landtag in Wiesbaden an, wo er sich vor allem um umwelt- und wohnungsbaupolitische Themen kümmerte.
Viel Zeit fürs Privatleben bleibt bei all dem nicht. "Wenn Du mal gerade keinen politischen Termin hast, läufst Du garantiert zum THW", schimpft seine Frau manchmal. Immerhin, zum Wandern in den Vogesen kommt das kinderlose Ehepaar hin und wieder. Und seit Reichenbach eine Art "Betriebspraktikum" in einer Gaststätte in Rüsselsheim absolviert hat, bekocht er des Öfteren seine Freunde bei sich zu Hause. Klar, dass zum Essen dann eine Flasche Äppelwoi auf dem Tisch steht. (nal)