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Der Bundestag hat am Montag, 27. Februar 2012, mit großer Mehrheit den Weg für ein zweites Griechenland-Hilfspaket freigemacht. Mit den Stimmen von Koalition, SPD und Grünen wurde der Antrag der Bundesregierung (17/8730) mit Anlagen (17/8731) und einer Unterrichtung (17/8735) gebilligt, ein von den Euro-Finanzministern ausgehandeltes Hilfspaket mit Krediten in Höhe von bis zu 130 Milliarden Euro dem verschuldeten südosteuropäischen Land bis 2014 zur Verfügung zu stellen. Für welche Summe Deutschland garantieren soll, steht noch nicht fest. Für den Antrag der Bundesregierung votierten 496 Abgeordnete, 90 stimmten mit Nein, fünf Abgeordnete enthielten sich der Stimme.
In ihrer Regierungsklärung zu Finanzhilfen für Griechenland und zum Europäischen Rat am 1 und 2. März 2012 in Brüssel warb Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zuvor um die Zustimmung der Abgeordneten. Die Staatsschuldenkrise sei „die schwerste Bewährungsprobe in der Geschichte der europäischen Einigung“, ihre Überwindung die „größte Herausforderung für uns alle“, sagte Merkel.
Forderungen nach einem Austritt Griechenlands aus der gemeinsamen Währungsunion wies die Bundeskanzlerin zurück: „Niemand kann abschätzen, welche Folgen eine ungeordnete Insolvenz für uns alle und auch für die Menschen in Deutschland hätte“, sagte Merkel und betonte, dass die „Chancen des neuen Hilfsprogramms die Risiken überwiegen“.
Die Bundeskanzlerin trat damit auch einer Äußerung von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) vom Ende vergangener Woche entgegen, der Griechenland einen freiwilligen Euro-Austritt nahegelegt hatte. Als Kanzlerin müsse sie zwar zuweilen Risiken eingehen, aber "Abenteuer darf ich nicht eingehen, das verbietet mein Amtseid“.
Merkel betonte, dass die Auszahlung des zweiten Hilfspakets für Griechenland bis 2014 quartalsweise in Tranchen „unter Vorbehalt der Erfüllung“ der an Griechenland gestellten Auflagen. Dazu gehöre etwa die umfassende Modernisierung des hellenischen Staatsapparates und die Öffnung abgeschotteter Märkte, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu erhöhen. Außerdem sei das Hilfspaket an die Einrichtung eines Sonderkontos des griechischen Staates für den Schuldendienst gebunden.
„Europa scheitert, wenn der Euro scheitert; Europa gewinnt, wenn der Euro gewinnt“, sagte Merkel und bekräftigte das Ziel, dass Europa stärker aus der Krise herausgehen solle als es hineingegangen sei. Als wichtigen Schritt auf diesem Wege nannte die Kanzlerin die Fiskalunion, die am 1. und 2. März in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs von 25 EU-Mitgliedstaaten als zwischenstaatlicher Vertrag auf den Weg gebracht werden soll.
Mit der Fiskalunion werde ein „Konstruktionsfehler“ der Wirtschafts- und Währungsunion beseitigt, weil er Schuldenbegrenzungen für die Mitgliedsländer klar vorgebe und „einklagbare, sanktionsbewehrte Regeln“ einführe, sagte Merkel. Dazu gehöre auch, dass sich „nationale Regierung und Parlament in noch nie gekannter Weise in einem Kernbereich nationaler Souveränität“ – dem Haushalt – binden würden.
Der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück sah das Hilfspaket „auf sehr dünnes Eis gesetzt“ und „das Blatt, das heute hier vom Bundestag testiert werden soll, sehr lückenhaft“. Weder stehe der Anteil des Internationalen Währungsfonds am Hilfspaket fest, noch sei der Verzicht privater Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen in trockenen Tüchern. Das Ziel, Griechenland auf eine Senkung des Schuldenstands von derzeit rund 160 Prozent auf 120,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu verpflichten, sei kaum realistisch, wenn die Wirtschaft des Landes bereits heute schrumpfe.
„Griechenland wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, sich selbst Kapital auf den Märkten zu beschaffen“, sagte Steinbrück und prophezeite, dass sich der Bundestag schon bald mit einem dritten Hilfspaket auseinandersetzen werde. Das Krisenmanagement der Bundesregierung „sei zu spät, zu wenig und vor allen Dingen zu ungefähr“, sagte Steinbrück und kritisierte, dass das Land allein mit Sparpaketen und Daumenschrauben keinen „Wind unter die Flügel bekomme“. Seine Fraktion stimme dem Antrag der Bundesregierung lediglich zu, weil es um das „Prinzipielle, um Europa“ gehe, nicht aber, weil sie den europapolitischen Kurs der Koalition teile.
Heftig kritisierte der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle, die fiskal- und wirtschaftspolitischen Vorschläge der Opposition, insbesondere der SPD: „Sie wollen die Probleme immer nur mit Geld zuschütten“, sagte Brüderle. Dabei könne man in Griechenland „den schuldenfinanzierten Wohlstandsstaat in seiner ganzen Pracht besichtigen“ – 25 Prozent aller Arbeitnehmer seien im öffentlichen Dienst beschäftigt, die Löhne orientierten sich nicht an der Produktivität, es gebe viele Staatsmonopole, aber kaum Wettbewerb.
„Was verteilt werden soll, muss zuerst erarbeitet werden“, sagte Brüderle. Die Opposition wolle die Vergemeinschaftung von Schulden, Griechenland brauche jedoch ein Abbauprogramm bei den Schulden und ein Aufbauprogramm für Wettbewerbsfähigkeit. Einen Fortschritt nannte Brüderle den Fiskalpakt, mit dem sich 25 EU-Länder eine „Stabilitätsarchitektur“ schaffen würden. „Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, dieser christliche-liberalen Koalition“, sagte der Liberale.
Der Fraktionschef der Linken, Dr. Gregor Gysi, warf der Koalition vor, sie schnüre erneut ein Paket für „Banken und Hedgefonds“ statt für Griechenland – und dies auf Kosten der Steuerzahler. Die Bundeskanzlerin spreche von einer „Staatsschuldenkrise“, das aber sei nicht die ganze Wahrheit, denn die Staatsschulden seien nicht zuletzt durch die Stützung von Banken in der internationalen Finanzkrise aus dem Ruder gelaufen. Im Übrigen sei die von der Koalition so heftig abgelehnten Euro-Bonds durch den Kauf von griechischen Anleihen durch die Europäische Zentralbank längst Realität. „Alles wird wieder sozialisiert, und die Steuerzahler haften dafür“, sagte Gysi.
Ein Minuswachstum, wachsende Arbeitslosigkeit, weniger Steuereinnahmen – dies sei Ergebnis der „verheerenden Kürzungspolitik“ in Griechenland, sagte Gysi und forderte ein Wachstumsprogramm nach dem Vorbild des Marshallplans für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Empörung und eine kritische Zwischenfrage des Grünen-Abgeordneten Volker Beck zu Gysis Geschichtsverständnis sorgte dessen Vergleich der Sparauflagen für Athen mit dem Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg.
Der Fraktionschef der Union, Volker Kauder, erinnerte seinen Vorredner Gysi daran, dass es mitunter auch Aufgabe der Opposition sei, „Verantwortung für das Land wahrzunehmen“. Die geplanten Zusagen seien nicht nur Hilfe für Griechenland selbst, sondern auch für Europa „und damit auch in unserem ureigenen nationalen Interesse“. Kauder räumte ein, dass es auch in seiner Fraktion Zweifel an weiteren Krediten gebe. Nach reiflicher Überlegung sei man jedoch der Ansicht, dass bei einem anderen Weg als der Hilfe unter strengen Auflagen „die Risiken größer sind, auch für jeden einzelnen Sparer in Deutschland“.
„Wir sind zur Hilfe und zur Solidarität bereit. Wir wollen den Griechen Chancen geben, dass sie wieder auf die eigenen Füße kommen“, sagte Kauder und verwies auf Fortschritte, die andere überschuldete Europäer wie Iren, Spanier und Portugiesen gemacht hätten. Das von der Opposition geforderte Wachstumsprogramm für Griechenland habe die Koalition nicht aus den Augen verloren. Kauder sagte der Bundeskanzlerin Unterstützung in dem Vorhaben zu, mit den Staats- und Regierungschefs eine „flexiblere Handhabung“ der EU-Fonds für einen Ausnahmefall wie Griechenland zu erreichen.
Renate Künast warf der Bundeskanzlerin „Zaudern und Zögern“ vor. Die deutsche Regierungschefin lasse sich „Madame Non“ nennen, halte ihre „Tasche mit dem Portmonee darin“ geschlossen und wiederhole ständig: „Wir geben nichts“. „Knallhartes Sparen“ allein jedoch helfe nicht, sagte Künast. Griechenland dürfe kein Fass ohne Boden werden. Dazu aber sei es nötig, dass man jetzt einen Boden einziehe, sagte Künast.
Neben Sparauflagen gehöre dazu ein Wachstumsprogramm nach dem Vorbild des Marshallplans, finanziert durch eine Finanztransaktionssteuer. Genau diese Steuer könne helfen, die von den Finanzmärkten angerichteten Schäden zu beseitigen. Der geplante Fiskalpakt sei zudem „kein Scharfhund gegen Schlendrian“ in Sachen Staatsverschuldung, sondern ein „klappriges Gebiss“, mit dem sich Sanktionen kaum durchzusetzen ließen, sagte Künast.
Nach der Aussprache forderte der Bundestag die Bundesregierung zusätzlich auf, bei Verhandlungen über weitere Euro-Rettungsmaßnahmen auch in Zukunft sicherzustellen, dass die „gebotene Solidarität“ mit den europäischen Partnern sowie die Sicherung der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland weiterhin in einem „vernünftigen Ausgleich“ zueinander stehen. Einen entsprechenden Entschließungsantrag zur Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 1. und 2. März in Brüssel (17/8739) nahm das Parlament gegen das Votum der Opposition an.
Mehrheitlich abgelehnt wurde hingegen ein Entschließungsantrag der SPD (17/8740), wonach sich die Regierung dafür einsetzen sollte, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu einer stabilitäts- und wachstumsorientierten Wirtschafts- und Fiskalunion ausgebaut wird. Keine Mehrheit fanden auch Entschließungsanträge der Linksfraktion, den Fiskalvertrag nicht zu unterzeichnen (17/8741) und weiteren Finanzhilfen an Griechenland in Form von Darlehen von bis zu 189,4 Milliarden Euro (einschließlich nicht ausgeschöpfter Mittel aus dem ersten Hilfsprogramm und einer Absicherung der Europäischen Zentralbank in Höhe von 35 Milliarden Euro) nicht zuzustimmen (17/8743).
Der Bundestag nahm ferner bei Enthaltung der SPD und Ablehnung von Linksfraktion und Grünen einen Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP (17/8742) an, in dem die Erwartung geäußert wird, dass Griechenland die Bedingungen für die Auszahlung der Hilfen erfüllt. Einen Entschließungsantrag der SPD (17/8738) lehnten Union, FDP und Linke ab, die Grünen unterstützen ihn. Darin hatte die SPD unter anderem verlangt, das wirtschaftliche Anpassungsprogramm für Griechenland neu auszurichten.
Ebenfalls keine Mehrheit fand ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/8737). Die Fraktion hatte ein klares Bekenntnis gefordert, dass Griechenland Mitglied der Währungsunion bleibt. Union, FDP und Linke lehnten ihn ab, die SPD unterstützte den Entschließungsantrag. (ahe)