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Nicht alle Leistungen beim Arzt werden von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) zahlt der Patient selbst. Die SPD-Fraktion hat einen Antrag (17/9061) vorgelegt, mit dem diese IGeL eingedämmt werden sollen. Der Bundestag hat darüber am Donnerstag, 10. Mai 2012, in erster Lesung kontrovers diskutiert. Die SPD-Abgeordnete Mechthild Rawert forderte von der Bundesregierung, die "Geschäftemacherei in ärztlichen Praxen" einzustellen. Die FDP-Abgeordnete Gabriele Molitor warf der SPD "Regelungswut" vor. Der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel kündigte an, im geplanten Patientenrechtegesetz den Umgang mit IGeL genauer zu definieren, um Patienten "vor überflüssigen Maßnahmen" zu schützen.
Die SPD-Fraktion verlangt in ihrem Antrag, gesetzlich zu regeln, dass bei IGeL grundsätzlich ein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen werden muss. Auch sollen die Patienten in einem persönlichen Gespräch umfassend über die Leistung aufgeklärt werden und immer eine schriftliche Rechnung erhalten. Ferner soll der Vorlage zufolge ein Arzt, der eine IGeL erbracht hat, für diesen Patienten am selben Tag keine Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnen dürfen.
Ausnahmen davon sollen vom Patienten selbst nachgefragte spezielle Leistungen wie Reiseimpfungen oder sportmedizinische Untersuchungen sein, heißt es in dem Antrag weiter. Damit solle Patienten ermöglicht werden, die Entscheidung für oder gegen derartige Leistungen "ohne Druck und Zwang zu treffen".
Mechthild Rawert sagte in der Debatte, in deutschen Arztpraxen würden inzwischen "über 350 IGeL" angeboten. Das führe zu einem Umsatz von jährlich mehr als 1,5 Milliarden Euro. Manche Patienten würden bereits am Praxistresen mit IGeL "überrollt". Es komme sogar vor, dass die Inanspruchnahme von IGeL "zur Voraussetzung für eine Behandlung" gemacht wird.
Außerdem seien manche IGeL nicht nur unnötig, sondern schädlich. Die SPD-Abgeordnete zog in Zweifel, dass ein Patient, der sich elend fühle und deshalb eine Arztpraxis aufsuche, ein "mündiger Vertragspartner" sein könne. Rawert kritisierte, das FDP-geführte Bundesgesundheitsministerium habe "gar nichts" unternommen, die "Abzocke mit den sogenannten Selbstzahlerleistungen" zu beenden.
Gabriele Molitor, Sprecherin für Menschen mit Behinderung der FDP-Fraktion, erwiderte: "Wir teilen Ihr Menschenbild nicht, wonach der Patient ein wehrloses Opfer ist." Der Koalition gehe es darum, ein "Wunsch- und Wahlrecht" für Patienten auch in Zukunft zu ermöglichen. Die Vorschläge der SPD seien "nicht lebensnah" und ein "Misstrauensvotum" gegen Ärzte.
Mit der Forderung, dass eine IGeL nicht parallel zu einer Leistung der gesetzlichen Kasse erfolgen dürfe, erzwinge die SPD-Fraktion mehrfache Arztbesuche. Es gehe auch um Therapiefreiheit. So seien Naturheilverfahren "zum großen Teil" IGeL. "Wollen Sie das den Menschen verwehren", fragte Molitor in Richtung SPD.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Harald Weinberg, sagte, mittlerweile sei es in vielen Praxen Alltag, zusätzliche Leistungen anzubieten. Sinnvoll seien die wenigsten IGeL, "eines bewirken sie allerdings immer: sie stärken den Umsatz der Praxis", unterstrich Weinberg. Der Arzt werde zum Verkäufer, der Patient zum Kunden.
Weinberg forderte, die Kassen müssten alle notwendigen Leistungen übernehmen, damit entfiele die "zunehmende Igelei". Der SPD-Antrag springe zu kurz, fügte der Linksparlamentarier hinzu. Nach Auffassung seiner Fraktion müssten Ärzte "getrennte GKV- und IGeL-Sprechstunden abhalten". Außerdem müssten schädliche IGeL verboten werden.
Erwin Rüddel betonte in seiner Rede, die gesetzlich Versicherten wüssten, "dass sie sich auf unser Gesundheitssystem verlassen können". IGeL könnten durchaus sinnvoll sein. Rüddel nannte in diesem Zusammenhang Impfungen vor Fernreisen. Dafür müsse aber nicht die Versichertengemeinschaft aufkommen.
Der CDU-Abgeordnete stellte in Aussicht, dass das geplante Patientenrechtegesetz, in dem auch Regelungen zu den IGeL getroffen würden, Anfang kommenden Jahres in Kraft tritt. Vorgesehen sei beispielsweise die Verpflichtung zu einer schriftlichen Zustimmung vor Behandlungsbeginn. In diesem Vertrag müssten die voraussichtlichen Kosten der Zusatzleistung enthalten sein sowie der Hinweis, dass diese "medizinisch nicht notwendig" sei.
Die Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Maria Klein-Schmeink, warf der Koalition vor, im geplanten Patientenrechtegesetz "keine wirklichen Schutzvorschriften und keine wirklichen Aufklärungsvorschriften" vorzusehen. Schwarz-Gelb sehe "keinen Handlungsbedarf". Klein-Schmeink warnte vor einer Erschütterung des Selbstverständnisses des Heilberufs.
Die IGeL gehören nicht zum festgeschriebenen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und werden von diesen deshalb grundsätzlich nicht finanziert. Die SPD-Fraktion weist in ihrem Antrag darauf hin, dass im Jahr 2010 in deutschen Arztpraxen IGeL im Wert von 1,5 Milliarden Euro erbracht worden seien.
Wie die Fraktion schreibt, handelt sich um einen schnell wachsenden Markt. Patienten würden in den Arztpraxen zum Teil durch aggressives Marketing zu den Leistungen gedrängt. Sie würden deutlich häufiger Patienten mit höheren Einkommen angeboten. Dadurch verdichte sich der Eindruck, dass bei der Erbringung dieser Leistung "nicht die medizinische Notwendigkeit im Vordergrund steht, sondern die wirtschaftlichen Interessen" des Arztes.
Für zwei der am häufigsten verkauften IGeL — Glaukom- und vaginales Ultraschallscreening — gebe es keine Anhaltspunkte für einen patientenrelevanten Nutzen. Bei anderen IGeL wie der Colon-Hydro-Therapie würden neben dem fehlenden Patientennutzen sogar gravierende Schäden wie zum Beispiel Darmblutungen berichtet. (mpi)