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Kita-Ausbau, europaweite Transaktionssteuer, Kosten der verspäteten Flughafeneröffnung in Berlin — nur drei von insgesamt 70 Themen, zu denen Abgeordnete des Bundestages Fragen für die Fragestunde (17/9677) am Mittwoch, 23. Mai 2012, eingereicht haben. Andrej Hunko (Die Linke), Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, will dann wissen, unter welchen Umständen eine Staatspleite Griechenlands tatsächlich zum Ausschluss des Landes aus der Euro-Zone und sogar der Europäischen Union führen würde. Im Gegensatz zu EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der die Griechen bereits offen vor einem Ausscheiden warnte, sofern diese den vereinbarten Sparkurs nicht weiterführten, hält Hunko dies für unrealistisch. Warum solche Drohungen auf ihn eher wie eine "Drohkulisse" wirken, erklärt der Abgeordnete im Interview:
Herr Hunko, über die Frage, ob Griechenland in der Euro-Zone bleiben kann, wird viel diskutiert. Sie wollen sich nun erkundigen, inwieweit eine "ungeordnete" Staatspleite zu einem "unfreiwilligen Ausscheiden" des Landes aus der gemeinsamen Währung und der EU führen könnte. Worum geht es Ihnen mit dieser Frage?
Mir geht es vor allem darum, ein Stück weit Klarheit zu schaffen: Es gibt nämlich gar kein Verfahren auf Grundlage der europäischen Verträge, wonach ein Mitgliedstaat der Europäischen Union aus dem Euro wieder aussteigen und gleichzeitig Teil der EU bleiben kann. Deshalb interessiert mich, wie groß der Realitätsgehalt dieser Ausschlussdrohungen gegenüber Griechenland ist. Ich möchte herausfinden, was die Rechtslage ist — und was Drohkulisse und Säbelrasseln.
Die Linke hat die Spar- und Reformpolitik, zu der sich Griechenland im Gegenzug für die Hilfskredite in Milliardenhöhe verpflichtet hat, stets scharf kritisiert. Wieso?
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass mit den vermeintlichen Rettungspaketen die Gelder gar nicht nach Griechenland gehen, sondern vor allem Gläubiger außerhalb des Landes bedient werden. Das größte Problem ist aber, dass mit den Hilfskrediten drakonische Kürzungsprogramme verknüpft wurden. Wir haben immer gewarnt, dass dies die Krise noch verschärfen wird. Das lehrt uns schon die deutsche Geschichte: Reichskanzler Brüning hat zur Zeit der Weimarer Republik ebenfalls eine solche Austeritätspolitik versucht — mit dramatischen Folgen.
Was fordern Sie stattdessen?
Das Allerwichtigste in der jetzt zugespitzten Krise ist, dass die Staatsfinanzen von Ländern, die in Schwierigkeiten geraten sind, von den Angriffen auf die Finanzmärkte entkoppelt werden. Das heißt letztlich auch, dass die Europäische Zentralbank die Möglichkeit erhalten muss, direkte Kredite zu vergeben. Das ist übrigens eine Forderung, die nun auch vom französischen Präsidenten Hollande in die Debatte eingebracht wurde. Das Problem ist doch folgendes: Die Europäische Zentralbank hat in den letzten Monaten eine Billion Euro zu einem äußerst niedrigen Zinssatz von einem Prozent an private Banken verliehen. Diese verleihen es weiter — allerdings zu einem wesentlich höheren Zinssatz — und verdienen so an der Situation. Diese Abhängigkeit der Staaten von den Finanzmärkten muss dringend durchbrochen werden. Das wäre für uns Linke der erste Schritt, aber natürlich nicht der einzige.
Damit sind Sie auf der Linie von Syriza-Chef Alexis Tsipras. Die von ihm geführte radikale Linkspartei gilt Umfragen zufolge als Favorit bei den kommenden Neuwahlen. Heute ist Tsipras in Berlin und trifft mit Ihrer Fraktion zusammen. Worum geht es bei diesem Treffen?
Wir erleben gerade eine Schlüsselauseinandersetzung: Es ist ein völlig neuer Vorgang innerhalb der EU, dass einem Land ganz offen mit dem Ausschluss aus der Europäischen Union gedroht wird, wenn es bestimmte Politiken nicht umsetzt. Das ist nicht nur für Griechenland wichtig, sondern auch für die Zukunft der ganzen EU von Bedeutung. Darüber werden wir uns austauschen. Gleichzeitig geht es uns aber auch darum, ein Signal an den Rest Europas zu senden, dass diese Art der Krisenbewältigung durch eine Banken- und Gläubigerrettung sowie reine Sparprogramme gescheitert ist.
In Griechenland wurden in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Stimmen von linken Politikern laut, die forderten, Deutschland solle die offenen Schulden aus der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung und des Zweiten Weltkriegs begleichen. Sie thematisieren diesen Konflikt nun auch in der Fragestunde. Was wollen Sie erreichen?
Mir geht es mit dieser Frage nicht um Reparationen für Kriegsverbrechen, über die auch diskutiert wird. Als ich im November im Rahmen einer Ausschuss-Delegationsreise in Athen war, bin ich auf den Raub griechischer Goldreserven angesprochen worden. Diese wurden als Besatzungsdarlehen von den Deutschen erzwungen und sogar vertraglich in normale Kredite umgewandelt. Bis heute hat es nie einen Ausgleich für diese Zwangskredite gegeben. Ich möchte zunächst einmal in Erfahrung bringen, wie die Bundesregierung dazu steht. Aber weil sie sich maßgeblich daran beteiligt, gegenüber Griechenland die Drohkulisse eines Ausschlusses aufzubauen, möchte ich sie auch ein Stück weit unter Druck setzen. Das ist schließlich ein Thema, zu dem sie sich verhalten muss.
(sas)